Sonntag, 20. März 2022

Windsack müsste man sein!

von Mirjam Lübke...

Zum Glück fallen Menschen nicht in den Winterschlaf. Da läge man einige Wochen dösend und vollgefuttert in seiner miefigen Höhle, während auf der südlichen Erdhalbkugel irgendetwas geschieht, was einen zutiefst betroffen machen müsste. Etwa das Aussterben des australischen Senkfuß-Kängurus, dem Äquivalent zum Eisbären der Nordhalbkugel. Vielleicht hat der Klimawandel es fortpflanzungsmüde gemacht - das Senkfuß-Känguru trinkt bei Hitze lieber ein kühles Bier als an Paarung zu denken - Tierschützer schlagen Alarm, Spendenaktionen werden gestartet. Im Norden jedoch schliefe man den Schlaf der unfreiwillig Ungerechten und bekäme vom traurigen Schicksal des Beuteltiers gar nichts mit. Eine Chance, sich zu positionieren, ist verflogen, das ist äußerst ärgerlich. Bei Facebook wurde man zwischenzeitlich von zehn Australiern entfreundet, die den Winterschlaf der Nordhalbkugel für eine billige Ausrede halten, um keine Haltung zeigen zu müssen. Na wartet!


Mittlerweile ziert so manches Profilbild in den sozialen Medien die ironische Aussage "I support the current thing!" - man müsste wirklich ein Windsack sein, der wird automatisch in die richtige Richtung gezogen, weil sein leichter Stoff der Brise nichts entgegenzusetzen hat. Mit ernsthaftem Einsatz für eine Sache hat das nicht mehr viel zu tun, dabei sein ist alles. Wer Verwandte oder Freunde in der Ukraine hat, zittert natürlich tatsächlich um deren Leben, das ist aufrichtige Anteilnahme, aber andere Nutzer der sozialen Medien passen sich einfach dem jeweiligen Trend an, weil es "alle so machen". Inzwischen kann man sogar allerhand "Ukraine-Merchandise" im Internet kaufen, Fahnen sowieso, aber auch Pins zum Anstecken oder die üblichen Tassen. Alle Onlineshops rufen zum Spenden auf - ich geb's zu, auch ich habe Baby-Paket gestiftet. Die kleinen Mäuse können einem schon leid tun. Es ist nicht schwierig, am Rechner ein bisschen Solidarität zu zeigen, so lange es nicht in Gesinnungsdruck ausartet - aber diese Grenze ist schnell überschritten. Es ist heute schon Luxus, gar keine Meinung zu einem Thema zu haben - von einer abweichenden ganz zu schweigen. Selbst als Ausdruck von Bescheidenheit - man kann sich schließlich nicht mit allem auskennen, vor allem, wenn die Lage verzwickt ist - wird ein Schweigen nicht akzeptiert. Es empfiehlt sich also, einfach in der Herde unterzutauchen. 

Wie schnell Empörung wieder abflachen kann, wenn sie mit vorherrschender Ideologie kollidiert, zeigt der Fall des ermordeten französischen Lehrers Samuel Paty. Er hatte es gewagt, mit seinen Schülern über die Mohammed-Karikaturen der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" sprechen, die ihrerseits Ziel eines islamistischen Anschlags geworden war. Einigen seiner Schüler gefiel dies absolut nicht, was zunächst zu einer Diffamierungskampagne und dann zu seiner Ermordung führte. Kurzfristig gaben sich sogar Linke und Grüne entsetzt, wollten dem Islamismus entschieden entgegentreten, den Angriff auf die Werte Europas nicht hinnehmen und äußerten so ziemlich jede Floskel, die in solchen Momenten laut deutschem Betroffenheitshandbuch opportun ist. Man empfindet daraufhin einen Moment der Hoffnung, es könne nun doch noch etwas Einsicht in die multikulturelle Blümchenwelt einkehren, doch diese verfliegt rasch: Binnen kurzem erliegt das Juste Milieu wieder seinem Bedürfnis nach Harmonie und Integration, und das in der festen Überzeugung, dies würde dankbar angenommen. Jetzt bloß kein Rassismus! Die Schule ist nun einmal ein ungemütlicher Ort, warum musste Paty seine Schüler auch so provozieren? Und schon schnappt die Falle zu - wir sind wieder bei der Täter-Opfer Umkehr angelangt. 

Da kann man nur hoffen, das auch der Corona-Kult, der nun schon erschreckend lange ein Schwarmverhalten bei seinen Anhängern auslöst, irgendwann in der Versenkung verschwindet. Von Bhagwan redet schließlich heute auch niemand mehr. Immerhin zog der seinen Jüngern nur das Geld für seine Rolls-Royce-Sammlung aus der Tasche und zwang ihnen keine Impfung auf. Emilia Fester, die ungeküsste Bundestagsabgeordnete der Grünen, gibt dann auch gleich die Schuld an den ihr entgangenen Liebesbekundungen den Impfhäretikern. Während anderen in fünf Jahren vielleicht einmal peinlich sein wird, wozu sie sich im Zuge der Pandemie hinreißen ließen, werden Menschen wie Emilia Fester wahrscheinlich noch in hohem Alter überzeugt sein, durch ihr Engagement den Untergang der Menschheit abgewendet zu haben. Alle anderen haben sich dann längst den nächsten Themen zugewandt, die eine Positionierung verlangen. 

Es ist verdammt schwierig geworden, erst einmal eine ausgleichende Position einzunehmen, bevor man ausreichend Informationen gesammelt hat, um die Lage erst einmal für sich selbst zu entschlüsseln. Und sei es auch nur, um im Umfeld zwischen zwei Parteien zu vermitteln, weil man es einfach furchtbar findet, wie Menschen in die Haare geraten können, nur weil ihre Ansichten nicht hundertprozentig übereinstimmen. Selbst der Kontakt per Telefon scheint plötzlich infektiös zu sein, wenn der ehemals beste Freund nicht fünffach geimpft ist, seinen Wodka weitertrinkt oder keine Maske trägt, wenn er die Zeitung aus dem Briefkasten holt. Umgekehrt funktioniert das manchmal ebenfalls, auch wenn ich hier nur auf Hörensagen zurückgreifen kann. Putin, Flüchtlinge oder Corona: Es ist allemal geruhsamer, sich in den Schoß einer eindeutig positionierten Gruppe zu begeben, selbst wenn dort die blanke Panik herrscht - gemeinsam panikt es sich einfach schöner. 

Es sind schlechte Zeiten für Grübler, zumal, wenn sie selbst entscheiden, was sie als plausibel erachten. Selbst wenn sie anderen das gleiche zugestehen, sitzen sie schnell zwischen den Stühlen. Denn darin immerhin sind sich die meisten einig: Der Vorsichtige ist ein Verräter - an was auch immer. Es ist eine Sekte da draußen - und sie ist im Jagdmodus!


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