Mittwoch, 30. Mai 2018

Die Schande von Solingen...

von Thomas Heck...

Solingen hat sich offensichtlich tief in das deutsche Gewissen eingegraben, unauslöschlich, so wie Auschwitz, Buchenwald und das gesamte Gedenken an den Holocaust. Solingen war ein Fanal in der jüngsten bundesrepublikanischen Geschichte, ein offener rassistischer Angriff auf unschuldige türkische Mitbürger. Darüber muss man nicht weiter reden. Die Täter sind gefasst, wurden verurteilt und haben mittlerweile ihre Strafe abgesessen, was die Toten nicht wieder lebendig macht. Doch die Trauer bei den Angehörigen bleibt.

Über das normale Gedenken hinaus, stehen wir Deutschen auf ewig am Pranger, müssen laut Merkel diese Schande verarbeiten... denn die Kanzlerin ist am 25. Jahrestag anwesend. Schwer nachvollziehbar für die Angehörigen des Anschlags vom Breitscheidplatz, sind es doch auch Merkels Tote. Und was hätten die Angehörigen für ein aufmunterndes Wort, für Worte des Bedauerns, für die Übernahme von Verantwortung gegeben. "Für meine Fehler bitte ich Sie um Verzeihung" hätte man gerne gehört, wird man aber nicht hören. Denn die Empathie der Kanzlerin ist für andere reserviert. Zu dem Treffen mit den Angehörigen musste Merkel nach 12 Monaten lautem Schweigen geradezu gezwungen worden. Umso ärgerlicher ihr Auftreten in Solingen, wo ein ganzes Volk für eine Straftat von vor 25 Jahren in Sippenhaft genommen wird und mit dem Migrantenkurs der Regierung heute bestraft wird.


Sie habe „nachts geweint, am Tag die überlebenden Kindern angelächelt“: Mevlüde Genc - Mutter, Großmutter und Tante der Opfer von Solingen - wollte trotzdem in Deutschland bleiben. Sie rief sogar zur Versöhnung auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich bei der Gedenkveranstaltung tief beeindruckt, schreibt der FOCUS. Und weiter:

Hand in Hand betreten sie zur Gedenkfeier des Brandanschlags in Solingen den Saal: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geleitet Mevlüde Genc zu ihrem Platz im nordrhein-westfälischen Landeshaus. Gefolgt von ihrem Mann Durmus, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu.



Dieser Dienstag steht im Zeichen der Versöhnung zweier Länder, und zugleich der schmerzlichen Erinnerung an die fremdenfeindlichen Gewaltauswüchse zu Beginn der 90er Jahre: Es ist die Zeit kontroverser Asyldebatten, die bis in den Bundestag reichen. In manchen Regionen Deutschland herrschte seinerzeit eine Art Pogrom-Stimmung. Eine Zeit, als es brannte in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Hünxe - und schließlich am 29. Mai 1993 in Solingen vier Neo-Nazis im Hausflur der Familie Genc Feuer legten.

Fünf junge Menschen starben beim Anschlag

Durch den Anschlag verloren Durmus und Mevlüde Genc zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte. Armin Laschet erinnert in seiner Eingangsrede an ihre Namen: Gürsün Ince, 27 und Saime Genc, 4, starben nach einem Sprung aus dem Fenster, Hatice, 19, und Hülya Genc, 9, sowie Gülüstan Öztürk, 12 starben in den Flammen. 17 weitere Familienmitglieder wurden teils schwer verletzt.

Laschet spricht in diesem Zusammenhang auch das tragische Schicksal von Bekir Genc an. Der Jugendliche, damals 15 Jahre alt, überlebte das Attentat mit schwersten Verbrennungen und musste inzwischen 30 Operationen über sich ergehen lassen. „Es war der schlimmste Anschlag in NRW nach dem zweiten Weltkrieg“, betont der Unionspolitiker. „Daher gedenkt das ganze Land der Opfer“. Der 25. Todestag müsse ein Tag der Versöhnung werden. Mit Blick auf die aktuelle Debatte um die Flüchtlingspolitik mahnt Laschet, dass Hass, Gewalt und Rassismus „keinen Platz in unserer Gesellschaft haben.“ Eine widerliche Instrumentalisierung der Opfer für politische Zwecke.

In dem Kontext zitiert der NRW-Regierungschef aus dem jüdischen Talmud: „Achte darauf, dass Deine Gedanken zu Worten werden, und achte auf Deine Worte, die zu Handlungen werden.“ – die sich letztlich auch in Gewalt niederschlagen können.

Höchst versöhnlich zeigt sich Mevlüt Cavusoglu, um dessen Auftritt es im Vorfeld zwischen den Parteien im Landtag heftige Konflikte gegeben hatte. Ursprünglich sollte die Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Parlaments stattfinden. Doch die Opposition wollte keinem Vertreter „des autokratischen Regimes“ eine Bühne im „hohen Haus der Demokratie“ bieten.

Dabei war der türkische Emissär auf ausdrücklichen Wunsch der Familie Genc nach Deutschland gekommen. Und so gibt sich der ansonsten für manche rüde Attacke auf die deutsche Bunderegierung bekannte türkische Außenminister äußerst diplomatisch. Ausdrücklich dankt er Kanzlerin Merkel für ihr Kommen. Dies sei ein richtiges Signal im Kampf gegen Rassismus. Islamophobie spricht er explizit an.

Cavusoglu ruft dazu auf, weiter an der Integration zu arbeiten. Einziger Grund seiner Teilnahme an der Gedenkveranstaltung sei es, eine gemeinsame Botschaft des Zusammenhaltes auszusenden - gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. „Unser Ideal ist es, dass wir alle in Frieden zusammenleben", hebt der Minister hervor.

Schließlich weist er auf die „Mordserie" der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU hin, der acht türkischstämmige Menschen zum Opfer fielen. Der Prozess stehe nun kurz vor dem Abschluss und man rechne damit, dass das Gericht „ein zufrieden stellendes Urteil“ treffe. Ein dezenter Hinweis, was Ankara von der deutschen Justiz erwartet und die Erkenntnis, dass die Türkei von unabhängiger Justiz so wenig versteht wie von Demokratie.

Als die Kanzlerin ans Rednerpult schreitet, wirkt sie sichtlich berührt von der Atmosphäre, von dem vorangegangenen Treffen mit Mevlüde Genc und ihrem Mann. Angela Merkel, die häufig nach außen hin etwas spröde wirkt, wenn es um Freud oder Leid geht, ist sichtlich bewegt vom Schicksal der Familie. Denn hier ist sie zu Hause, hier fühlt sie sich wohl. Die Toten vom Breitscheidplatz sollen nicht ihre Toten sein. Eine Heuchlerin, vor deren Empathielosigkeit es mich fröstelt.

Bereits unmittelbar nach dem Anschlag hatte Mevlüde Genc eindringliche Worte für ein friedliches Miteinander gefunden. „Der Tod meiner Angehörigen soll uns öffnen, Freunde zu sein. Lasst uns Hand in Hand miteinander leben.“ Es war die Zeit, als Gruppen linker und junger türkischer Extremisten hierzulande zu Vergeltungsschlägen aufriefen.

Kanzlerin Merkel würdigt in ihrer Rede diesen Appell, der maßgeblich half die Lage, zu beruhigen: „Auf eine unmenschliche Tat haben Sie mit menschlicher Größe reagiert. Dafür bewundern wir Sie und dafür danken wir Ihnen." Frau Genc sei ein Vorbild an Humanität und Menschlichkeit, da sie nicht in Wut und Rachegedanken versunken sei.

Dann aber wechselt die Kanzlerin in einen härteren Modus. Merkel konstatiert, dass „der Rechtsextremismus längst nicht der Vergangenheit angehört.“ Die Regierungschefin verspricht ein konsequentes Vorgehen gegen Rechtsradikale und warnt vor Tabubrüchen von Rechtspopulisten. „Zu oft werden die Grenzen der Meinungsfreiheit sehr kalkuliert ausgetestet und Tabubrüche leichtfertig als politisches Instrument eingesetzt", betont die Kanzlerin, ohne die rechtspopulistische AfD zu nennen. Doch jeder weiß, wen sie meint. Dies sei ein Spiel mit dem Feuer. „Denn, wer mit Worten Gewalt sät, nimmt zumindest billigend in Kauf, dass auch Gewalt geerntet wird." Menschen würden angefeindet und angegriffen, weil sie Asylbewerber oder Flüchtlinge seien „oder weil sie dafür gehalten werden“, führt die CDU-Parteichefin aus. „Solche Gewalttaten sind beschämend. Sie sind eine Schande für unser Land. Und damit dürfen und werden wir uns nicht abfinden.“ Leichter lebt es sich da mit islamistischen Terror, der nun irgendwie auch zu uns gehört. Jetzt ist er halt da.

Es ist an Mevlüde Genc das Schlusswort zu halten. Sie erhebt sich und geht mit ihrem Stock in der Hand ans Pult: Die Seniorin, die nie politisch tätig war, ist die einzige, die ihre Rede nicht vom Blatt abliest. Beinahe entschuldigend erzählt die Mittsiebzigerin gleich mehrfach, dass sie sehr aufgeregt sei. Sie redet in ihrer türkischen Muttersprache, doch sie lässt keinen Zweifel, wo ihre Heimat liegt: „In der Türkei bin ich geboren, aber in Solingen bin ich satt geworden.“ Ihr Herz gehört somit beiden Ländern.

Damals ist sie mit ihrem Mann als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Durmus Genc hat erst im Bergbau und dann in der Textilindustrie gearbeitet, um seine Familie zu ernähren. Auch nach dem Anschlag wollte sie nie zurück in die Türkei. Der Schmerz um den Verlust ihrer Angehörigen nehme zwar im Alter nochmals zu, „aber ich habe immer versucht, meinen Kindern so viel zu vermitteln, damit sie Teil dieser Gesellschaft werden und ohne Hass aufwachsen“.

Nachts habe sie geweint, und am Tag ihre überlebenden Kindern angelächelt. Sie trage keine Rache, keinen Hass gegen andere Menschen in sich. „Ausgenommen, die vier Personen, die mein Heim zu einem Grab machten“, resümiert Mevlüde Genc. „Lasst uns zum Guten nach vorne schauen“, betont die rüstige Großmutter bei der Gedenkveranstaltung. „Dem Hass muss Einhalt geboten werden.“

Der Tag war durch weitere Gedenkveranstaltungen in Solingen geprägt. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zeigte seinem türkischen Amtskollegen vor Ort die Gedenkstätte. Einige linke Gruppierungen hatten einen Protestzug gegen den Besuch Cavusoglus angemeldet. Dazu kam es dann doch nicht, da ein Unwetter die Auftritte der Minister unmöglich machte.

Zuvor hatte NRW-Ministerpräsidenten angekündigt, das Land werde eine Mevlüde Genc-Medaille stiften. Verliehen für besondere Verdienste um die Versöhnung der Kulturen und dotiert mit 10.000 Euro.

1 Kommentar:

  1. Die 1.Medaille geht an Claudis Roth das Türkische Liebchen

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