Donnerstag, 17. Mai 2018

Bluttat von Kandel hat eine blutige Vorgeschichte...

von Thomas Heck...

Im Fall der 15-jährigen Mia wird sich der vermeintlich minderjährige Täter wohl nach Jugendstrafrecht verantworten müssen. Der Prozeß soll im Juni beginnen.


Wer im Fall Kandel, dem mutmaßliche Mord an der 15-jährigen Mia V., recherchiert, trifft auf Personen in einem Dilemma: Viele, die Details zum Fall kennen, dürfen nicht reden, weil sie sich sonst strafbar machen. Aber sie reden dennoch – weil sie ihr Wissen quält. Um diese Personen zu schützen, hat die Redaktion die Ergebnisse der Recherche in die Gestalt eines einzigen, fiktiven Gespräches gekleidet. Die Zitate sind jeweils gedeckt. Sie und die Chronologie der Ereignisse werfen unter anderem Fragen nach der Verantwortung der zuständigen Behörden auf.


Der mutmaßliche Mord an der 15-jährigen Mia V. durch einen angeblich erst 15-jährigen Flüchtling aus Afghanistan ist ein bundesweites Thema. In Kandel selbst haben Unverständnis und Wut die Bevölkerung ergriffen. Die Gefühle brechen sich auf Demonstrationen Bahn, die zumindest teilweise gezielt instrumentalisiert werden.

Mia ahnte es
Recherchen dieser Zeitung zeigen auf, dass die Tat eine erschütternde Vorgeschichte hat. Mia sollte sterben – und sie ahnte auch, dass ihr Leid widerfahren würde. Der eigentliche Tathergang ist bekannt: Am 27. Dezember 2017 rammt der mutmaßliche Täter Abdul D. der erst 15-jährigen Mia V. gegen 15.20 Uhr in einer Kandeler Drogerie mehrere Male ein rund 20 Zentimeter langes Messer in den Leib. Er verletzt sie zudem am Hals und im Gesicht. Die junge Frau stirbt gegen 17 Uhr. Es ist das Ende einer „Beziehung“, die kein Jahr dauerte und von Konflikten geprägt war.
Die Recherchen sind schwierig. Eines von vielen typischen Gesprächen dieser Zeitung mit einer von diversen Quellen beginnt so: 
Redaktion: Warum?

Quelle: Wie warum?

Redaktion: Warum erzählen Sie uns, was Sie wissen?

Quelle: Weil das, was ich weiß, einfach nur krank ist.

Redaktion: Was ist krank?

Quelle: Na dieser Typ.

Gemäß den Recherchen ist der tatverdächtige Abdul D., ein sunnitischer Paschtune aus der Provinz Kabul, allerdings nicht krank. Er kam als angeblich 14-Jähriger im April 2016 in Deutschland an. Die Behörden schätzten das Alter als „glaubwürdig“ ein. Ein jetzt gerichtlich angeordnetes medizinisches Gutachten schätzt ihn jedoch auf mindestens 17,5 Jahre, er könnte aber eher auch 20,5 Jahre alt ein. Nach dem eisernen rechtsstaatlichen Prinzip „in dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) wird ihm dennoch als unter 18-Jährigem gemäß Jugendstrafrecht und somit nichtöffentlich der Prozess gemacht.
"Der Typ ist eine Bedrohung"
„Wer sich mit dem Fall beschäftigt, konnte kommen sehen, das was passiert“, sagt die Quelle. „Der Typ ist eine Bedrohung, vollständig auf sich selbst bezogen, lügt, dass sich die Balken biegen, hat überhaupt keine Ehre im Leib und doch diese angeblich verteidigt.“ Gegen eine 15-Jährige.
Abdul D. wird im April 2016 in Passau erfasst. Angeblich ist er in Begleitung eines Onkels im März 2016 von Afghanistan bis nach Deutschland gereist. Über Iran, Türkei und die Balkanroute. Eine reife Leistung für einen mittellosen, angeblich erst 14-Jährigen, der – laut den vorliegenden behördlichen Informationen – nur ein paar Jahre eine „Koranschule“ besucht haben soll.
Er fällt relativ schnell auf – einerseits durch ein angepasstes Verhalten, andererseits durch eine immer impulsivere Aggressivität. Seine Betreuer orientieren sich an Listen und führen viele Gespräche – aber niemand erkennt, wozu Abdul D. fähig sein wird. Obwohl sich die Zeichen verdichten. Das ist dokumentiert. Im Februar 2017 wird sein Asylantrag abgelehnt, aber ein Abschiebeverbot, weil „minderjährig“, anerkannt.
Viele empfinden Wut
„Angeblich musste der vor Gewalt fliehen, so ein Quatsch“, sagt unsere Quelle. Gemäß unseren Recherchen ist auch das dokumentiert. Abdul D., verweigert den Schulbesuch, ignoriert Hausregeln. Wenn er merkt, dass es „eng werden könnte“, gibt er sich einsichtig: „Der hat alle beschissen“, meint unsere Quelle. Drogen oder Alkohol waren gemäß den Recherchen nie im Spiel. „Einmal sollte er sich bei einer Betreuerin entschuldigen, meinte aber, er habe Probleme, einer Frau die Hand zu geben.“
Viele, mit denen wir reden, empfinden Wut. Endlose Wut. Die Wut ist in Kandel politisch geworden – zahlreiche Demonstrationen prägen den eigentlich eher verschlafenen Ort (8.500 Einwohner) im südlichen Rheinland-Pfalz seit einigen Monaten. Aus dem AfD-Umfeld organisiert, kommen Tausende von Menschen. Manche davon klar rechtsradikal, viele aber schlicht nur empört. Dagegen demonstrieren „linke“ Gruppen. Für die Polizei sind das regelmäßig heikle Großeinsätze, die enorme Ressourcen verbrauchen, denn sollten die Parteien aufeinandertreffen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu Gewalt kommt.
Massiver virtueller Angriff
„Der hat private Bilder von Mia verschickt, um sie fertigzumachen“, sagt unsere Quelle. „Was für ein A...“ Die Recherche zeigt, dass vor der Messerattacke bereits ein massiver virtueller Angriff begonnen hatte. Mia wurde durch Abdul D. bedroht. Zwei Wochen vor der Tat erstatten Mia und ihre Eltern Anzeige. Am Vormittag des 27. Dezember 2017 sucht die Polizei ihn auf, um eine Vorladung zuzustellen – wegen der Fotos im Internet. Er soll ruhig gewirkt haben. Vier Stunden später bringt er Mia um.
Wie kann das sein, dass es solche Bilder gibt? Denn für „private“ Bilder muss man sich dem Fotografen „privat“ zeigen wollen – warum? Über diese Umstände wissen wir nichts. Die Bilder sind dokumentiert. Der Tatverdächtige hat sein späteres Opfer offenbar mit solchen Fotos zu erpressen und zu erniedrigen versucht.
Insbesondere Whatsapp war ein Kommunikationsmittel der grassierenden Eskalation. „Das ging krass hin und her und war nur Eskalation – von beiden Seiten“, sagt unsere Quelle. „Der Typ wollte alles kontrollieren, was Mia angeht. Und war von jetzt auf gleich voll aggressiv, gegen jeden, der mit Mia zu tun hatte.“
Informationen falsch gedeutet?
Warum ist das so wichtig? Behörden und Betreuer haben möglicherweise vorhandene Informationen nicht ausgetauscht oder falsch gedeutet. In seiner eigenen Verblendung sah er das Mädchen als Eigentum an – und alle, die das anders sahen, als Bedrohung.
Klar ist: Abdul D. wurde als „unbegleiteter, minderjähriger Ausländer“ (UMA) intensivst vom Staat als Elternersatz betreut. Wie so viele, denen sich der Staat in besonderer Fürsorge annimmt, was im Mittel pro Kopf rund 5.000 Euro pro Monat kostet. Aus prinzipiell guten Gründen: Menschlichkeit. Man will wissen, mit welchem Menschen man zu tun hat. Wie er zu dem wurde, der er ist. Und auch, ob ihm möglicherweise selbst Schlimmes widerfahren ist.
Klar ist, dass Abdul D. das spätere Opfer schon früh attackierte. Ein Griff zum Hals, ein Schlag ins Gesicht und immer wieder Beleidigungen übelster Art: Abdul D. hat Mia V. sehr klar und deutlich gemacht, was Frauen aus seiner Sicht wert sind, nämlich nichts. Mia war hin- und hergerissen zwischen Angst und Unterwerfung. Als D. über Instagram Fotos postete, die Mia zeigten, als „Schlampe“, die „für Geld alles macht“, hatte er möglicherweise längst beschlossen, dieses „unehrenhafte“ Leben zu beenden.
„Er, angeblich 15, vermutlich 20, möglicherweise älter, ein Flüchtling auf der Suche nach Schutz, verurteilt ein junges Mädchen wie es ihm beliebt zum Tod und führt dieses Urteil auch aus“, sagt unsere Quelle, die den folgenden Satz absolut ruhig und sicher ausspricht: „Das war doch klar. Wer hat was anderes erwartet?“
Man wollte das Problem bürokratisch lösen
Der Staat und die von ihm beauftragten Dienstleister haben das nicht erwartet – hier schrieb man viele Meldungen hin und her. Abdul D. galt als Problem. Eines, das man bürokratisch lösen wollte. Hätte man etwas anderes erwarten können? Die Recherche ergibt keine endgültige Antwort darauf. Trotzdem steht eine Frage im Raum: Welche Gefahr geht von Männern aus, die so denken, wie Abdul D. nach Lage der Dinge gedacht und gehandelt hat? Haben viele etwas geahnt, aber niemand hat das Nötige getan? Eine unmittelbare Gefahr für Mia sah offenbar niemand.
Abdul D. war auffällig, aggressiv und stimmungsschwankend. Mehr oder weniger wie auch viele westeuropäische Teenager? Eine entscheidende Frage – Abdul D. ist kein westeuropäischer Teenager, sondern einer aus Afghanistan. Wo manch ein Mann erst durch ein Messer zum Mann wird – und wo auch Traumatisierungen im Bereich des Denkbaren liegen.
Im sicheren Deutschland erhielt er staatliche Fürsorge, Bildungsangebote. Er hatte eine Freundin – Zukunft vor sich. Doch die Vorstellungen von ihr und ihm waren möglicherweise nicht nur nicht kompatibel, sondern fremd in beiden Richtungen. Sie wollte ihn nicht mehr als Freund – er beschloss, sie zu töten, weil sie eine „Schlampe“ war.
„Der hat sie abgeschlachtet. Sie hatte keine Chance“, sagt unsere Quelle. Und: „Der sah echt nicht beeindruckt aus, sondern irgendwie locker.“ Und: „An einem Nachmittag, in absoluter Öffentlichkeit in einem Drogeriemarkt. Der hat nicht mal versucht, irgendwas zu unternehmen, um das Verbrechen zu verdecken. Die waren getrennt – es gab keinen unmittelbaren Streit vorher, der ist ihr hinterher und hat sie abgestochen.“ Das Messer hatte er kurz zuvor gekauft, vor der Drogerie ausgepackt, es sich in den Ärmel geschoben, um es zu verbergen, ging auf Mia zu und stach sofort auf sie ein. Rund 20 Personen waren in dem Laden, teils mussten sie den Mord direkt mitanschauen.
Abdul D. äußert sich nicht
Abdul D. sitzt in der Jugendstrafanstalt im pfälzischen Schifferstadt ein. Dort gibt es Haftplätze für 255 Jugendliche und Heranwachsende. Er spricht ganz gut deutsch. Fünfeinhalb Monate nach der Tat, wegen der er nun angeklagt ist, hat er sich nicht dazu geäußert.

Die Klage beim Landgericht Landau ist eingegangen. Die zweite Strafkammer (Jugendkammer) wird verhandeln. Aktuell wird ein Sicherheitskonzept erarbeitet, denn der nichtöffentliche Prozess wird von der Polizei geschützt. Man rechnet mit Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude. Sollte sich herausstellen, dass Abdul D. doch älter als 18 Jahre ist, könnte der Prozess öffentlich geführt werden. Start soll vor Ende Juni sein, denn dann wäre Haftprüfungstermin.
Erschienen in der Allgemeinen Zeitung

1 Kommentar:

  1. Da fehlt jedes Wort...
    Insbesondere auch mit Blick auf Merkel & Co.

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