von Thomas Heck...
Wenn die Beschreibung von rechtlichen Bestimmungen AfD-Sprech sein muss, Gäste beurteilt werden, ob sie den Klimawandel leugnen oder nicht, dann sind Sie zu Gast bei der Heiligen Inquisition Markus Lanz. Beschrieben hat das der FOCUS in einem Artikel, der eine ganze Menge über den Zustand der öffentlichen Sprache in Deutschland aussagt. In einem Deutschland des Jahres 2019, in dem Gesinnung noch vor Ethik noch vor Fakten kommt.
Markus Lanz hat sich Hans-Georg Maaßen eingeladen. Sie sprechen über dessen Aus als Chef des Verfassungsschutzes. Und die Migration seit 2015. Es entwickelt sich ein Schlagabtausch mit gegenseitigen Vorwürfen.
Sechs Jahre lang war Hans-Georg Maaßen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Bis zum November 2018. Seit einiger Zeit engagiert sich Maaßen nun als Teil der Werte-Union, des Zusammenschlusses konservativer CDU-Mitglieder. Und polarisiert. Am Dienstagabend saß der 57-Jährige in der ZDF-Sendung von Markus Lanz. Der Moderator und sein Gast lieferten sich eine teilweise mehr als hitzige Auseinandersetzung.
Zu Beginn erlaubt Lanz seinem Gast einen lockeren Einstieg, fragt, was Maaßen nach dem Ende seiner Zeit an der Spitze des Verfassungsschutzes am meisten vermisst. Maaßen nennt die Informationen aus aller Welt, die ihm zugänglich waren, um sein Weltbild zu formen. Und überall hingefahren zu werden. Dennoch würden die Vorteile des Abschieds überwiegen: „Die Würde des Amtes ist auch eine Bürde. Und diese Bürde wiegt schon sehr, sehr schwer.“
Noch lächelt Maaßen entspannt, doch Lanz leitet bereits in den Hauptteil des Gesprächs über. Maaßen weiß es nur noch nicht.
„Haben Sie Fehler gemacht, Herr Maaßen?“, fragt der Moderator. Nein, sagt Maaßen. Manchmal hätten Informationen gefehlt. Und im Nachhinein würde man manches gern anders und besser machen. Aber Fehler? Nein.
„Jetzt meinen Sie Chemnitz?“, fragt Maaßen den Moderator
Lanz hakt nach: „Sie haben aus Ihrer Perspektive keinen Fehler gemacht?“ Nun scheint Maaßen zu schwanen, was kommt. Er nimmt einen langen Schluck aus seinem Wasserglas und fragt zurück: „Jetzt meinen Sie Chemnitz?“
Ja, Markus Lanz wollte über die Geschehnisse rund um die Vorfälle in Chemnitz im September 2018 sprechen.
Nach einem Mord in Chemnitz bezweifelte Maaßen, dass es in der sächsischen Stadt zu „rechtsextremistischen Hetzjagden“ gekommen sei. Seine Zweifel an der Berichterstattung und an den Aussagen führender Politiker sorgten für eine Krise der GroKo und am Ende dafür, dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) den Bundespräsidenten bat, Maaßen mit sofortiger Wirkung in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Im Rückblick sagt Maaßen heute: „Ich war von der Republik schockiert.“ Der Chef des Verfassungsschutzes sei ein bedeutender Behördenleiter. Aber er sei nicht der wichtigste Mann der Republik, um den sich alles drehen und über den permanent berichtet werden müsste. „Selbst wenn er einen Fehler macht“, sagt Maaßen.
„Die Republik im September 2018 stand kopf, wegen vier Sätzen, die ich gegeben hatte.“ Damals, am 7. September, sagte Maaßen in „Bild“: „Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz wird von mir geteilt. Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben.“
„Ich merke, Sie glauben mir nicht“
Lanz glaubt Maaßen nicht, von der Wirkung seiner Worte überrascht worden zu sein, da er ja die Öffentlichkeit gesucht habe. Lanz hätte Maaßens Aussagen lieber über die Nachrichtenagentur dpa gelesen anstatt über die „Bild“. Maaßen sagt, das habe für ihn keinen Unterschied gemacht. Lanz schaut skeptisch. „Ich merke, Sie glauben mir nicht“, sagt Maaßen. „Natürlich nicht“, antwortet Lanz. Und denkt wohl, dass er so nicht weiterkommt. Er spricht Maaßen auf einen Satz von Horst Seehofer an, der sagte, dass die Migration die Mutter aller Probleme sei.
„Nein“, sagt Maaßen, so sei es nicht. Sondern etwas anderes. „Wollen Sie es hören?“, fragt er Lanz. Lanz will. „Die Mutter aller Probleme ist, dass die Politik in Deutschland mehr Wunschdenken verfolgt als Realitätssinn“, sagt Maaßen. „Das sehe ich in der Migrationspolitik, in der Klimapolitik.“
Dass Maaßen kein Leugner des Klimawandels ist, glaubt auch Lanz. Also sprechen die beiden über Migrationspolitik. „2,07 Millionen Menschen haben wir aufgenommen seit 2012, nur als Asylsuchende“, sagt Maaßen. „Dazu kommt noch der Familiennachzug. Dazu kommen noch die ganzen Leute, die illegal gekommen sind. Und einfach zu sagen, wir sind in der Lage, die alle zu integrieren. Da muss ich sagen, da verkennt man die Realitäten.“
Nun heizt sich das Gespräch zwischen Lanz und Maaßen Schritt für Schritt auf. Der Moderator spricht Maaßen auf einen Satz an, den dieser in einer Rede vor der Werte-Union in Heidelberg sagte. Damals erzählte Maaßen, er sei nicht vor 30 Jahren in die CDU eingetreten, „dass dann irgendwann 1,8 Millionen Araber ins Land kommen“.
„Was ist das für ein Satz?“, will Lanz wissen. „Warum von einem Mann Ihres Kalibers so ein undifferenzierter Satz?“ Maaßen erzählt, wie er in den 70er-Jahren in die CDU eingetreten sei, wie anders damals noch die Ausländerpolitik der Partei gewesen sei. Wie er 1990 am Asylgesetz, Grundgesetzparagraf 16a, mitgewirkt habe. Wie er zu diesem Thema seine Doktorarbeit geschrieben habe, Titel: „Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht“.
„Nun muss ich zur Kenntnis nehmen, dass 2,07 Millionen Asylsuchende nach Deutschland gekommen sind, obwohl um uns herum sichere Drittstaaten sind. Und 16a, Absatz 2, Satz 1 Grundgesetz sagt: Asylrecht genießt nicht, wer aus einem sicheren Drittstaat kommt.“
Lanz sagt, Maaßens Aussage sei „AfD-Sprech“. Der antwortet, dass man überspitzen müsse, um öffentlich wahrgenommen zu werden. Das habe er in diesem Jahr gemerkt. 34 Veranstaltungen habe er in diesem Jahr gemacht. In Altmittweida, Buxtehude. Immer wieder hätten ihm Besucher gesagt: „Endlich sagt mal einer, was ich auch sagen will. Aber ich traue mich nicht mehr, das zu sagen.“
Von Schleusern auf Gummiboote gelockt
Nun kommt es zum Showdown. Lanz spricht Maaßen auf eine weitere Äußerung an. In einem Tweet nannte Maaßen die Rettung von Migranten im Mittelmeer „Shuttleservice“. Auch störe er sich daran, dass die Geretteten Flüchtlinge genannt würden. Dies sei der Status von anerkannten Asylsuchenden. Demgegenüber seien die Migranten von Schleusern auf die Gummiboote gelockt worden. „Es kommt auf das Framing an. Sind das nun Schiffbrüchige, sind das Flüchtlinge? Oder handelt es sich hier um Schleusung?“, fragt Maaßen. Schleusung sei eine wichtige Geldquelle der organisierten Kriminalität.
Lanz wirft Maaßen vor, mit seiner Wortwahl Ressentiments zu schüren. „Sie benutzen das Wort Shuttleservice für Flüchtlinge“, sagt Lanz entsetzt. „Aber es sind ja keine Flüchtlinge, Herr Lanz! Das sind Migranten“, sagt Maaßen nun mit lauter Stimme, sichtlich wütend.
Die beiden diskutieren über eine zutiefst gespaltene Gesellschaft in Deutschland. Gegenseitig werfen sie sich vor, diese Spaltung voranzutreiben. Maaßen verteidigt seine Überspitzung: „Wir sind in Deutschland leider an einem Punkt, wo man solche billigen Tricks verwenden muss. Weil die Leute nicht mehr miteinander reden und die Probleme nicht mehr beim Namen nennen“, sagt er.
„Sollen wir das Thema wechseln? Sie wirken so erschöpft“
Lanz muss tief durchatmen. Und Maaßen grätscht rein: „Sollen wir das Thema wechseln? Sie wirken so erschöpft.“ Der Moderator muss lächeln und sagt: „Sie machen mich fertig.“
Maaßen kritisiert Medien und Politik, die im Herbst 2015 den Anschein erweckt hätten, dass vor allem Familien und „Mädchen mit Kulleraugen“ unter den Flüchtlingen seien. Und nicht vor allem junge Männer.
„Herr Maaßen, warum haben Sie eigentlich 2015 nichts gesagt?“, will Lanz wissen. So richtig kann Maaßen auf diese Frage nicht antworten. Er sei damals als Chef des Verfassungsschutzes in einer anderen Rolle gewesen, habe seine Berichte in entsprechende Gremien gegeben, wo diese beraten worden seien.
Dann greift Maaßen erneut die Medien an und wird genauer: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk will mehr Meinung machen als Tatsachen bringen.“ Nun schaltet sich zum ersten Mal ein weiterer Gast in der Sendung ein (ja, Maaßen und Lanz saßen dort nicht allein). Der ARD-Investigativjournalist Olaf Sundermeyer greift Maaßen scharf an und wirft ihm vor, mit seinem Verhalten die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben und allen „Lügenpresse“-Rufern Vorschub zu leisten.
Maaßen fühlt sich nun in der Zange. Zu seiner Rechten hat er Lanz, zu seiner Linken Sundermeyer. Beide blafft er nun an.
„Welches Spiel spielen Sie, Herr Maaßen“, fragt Lanz. „Warum nicht konstruktiv, warum so platt?“
Maaßen lässt sich jedoch nicht beirren: „Was 2015 war, kann sich jederzeit wieder ereignen. Und ich habe Angst, wir sind nicht drauf vorbereitet.“ Bürger aus der Mitte hätten sich radikalisiert. „So wie Sie“, sagt Lanz. Und Maaßen kann nur verächtlich schnaufen.