Montag, 21. August 2017

Messer, Messer, Messer... Deutschland versinkt in Gewalt

von Thomas Heck...

Gewalt nimmt in Deutschland immer mehr zu. Es ist nicht nur mehr ein latentes Gefühl der Bedrohung, es wird untermauert durch einen Blick in die Nachrichten, in die Zeitungen, auch wenn man zwischen den Zeilen lesen muss. Ist erster Linie ist es aber auch die Kriminalstatistik, die eindeutig ist. Die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt immer mehr. So berichtet die WELT und auch hier muss man zwischen den Zeilen lesen, um die Ursache der Gewalt im Bereich der Zuwanderung zu verorten, denn wer greift denn Polizei und Sanitäter im Rettungseinsatz an, wer sind denn die Messerstecher?



Die Mitarbeiter der Berliner Gewaltschutzambulanz können Entwicklungen oft früher und feiner messen als Polizei und Justiz. Denn an sie wenden sich Opfer zuerst. Ihre Einschätzungen sind besorgniserregend. 

„Wenn du gehst, mach ich dich tot.“ So simpel kann eine Morddrohung klingen. Saskia Etzold ruft dann nicht die Polizei. Die Rechtsmedizinerin und Vizeleiterin der Berliner Gewaltschutzambulanz ist bei Erwachsenen zum Schweigen verpflichtet. Sie kann dennoch eine ganze Menge für Frauen tun, die sich von gewalttätigen Partnern trennen wollen: Verletzungen dokumentieren, Beratungsstellen empfehlen oder ein Frauenhaus. „Jeder Fall ist anders. Aber es geht immer um die Frage: Wie kriegen wir das in den Griff?“, sagt Etzold.

Die Gewaltschutzambulanz liegt hinter einem hohen Metallzaun in einer stillen Straße im Stadtteil Moabit. Direkt neben der Rechtsmedizin der Charité. Wer rein will, muss klingeln und mehrere Türen passieren, die sofort wieder zuschnappen. Ein bisschen wie im Gefängnis. Nur dass die Täter draußen herumlaufen und die Opfer drinnen sitzen. Auf den Tischen stehen Taschentuchboxen. Geweint wird hier viel.

Seit 2014 ist die Ambulanz so etwas wie ein Seismograf in der Hauptstadt geworden. Eine Anlaufstelle, die gesellschaftliche Entwicklungen häufig früher und feiner messen kann als Polizei und Justiz. Etzold und ihre Kolleginnen sehen die ganze Bandbreite von Gewalt – blaue Flecken, Knochenbrüche, Stichverletzungen, Würgemale, Verbrennungen, Spuren sexueller Übergriffe. Im Schnitt kommen 100 Menschen im Monat.

Oft sind es Gewalttaten, die im Polizeibericht nicht auftauchen. Rund die Hälfte der erwachsenen Betroffenen will keine Anzeige erstatten und kein Gerichtsverfahren. Aus Scham, aus Angst vor dem Partner, aus Angst um den Job – oder im festen Glauben, damit allein fertig zu werden. Ein Gutachten der Ambulanz ist dann wie eine private Rückversicherung.

Nach der jüngsten polizeilichen Kriminalstatistik zählt Berlin zu den gefährlichsten Großstädten Deutschlands. Auf 100.000 Einwohner kommen 16.160 Straftaten. Etzold beeindrucken solche Superlative wenig. Sie beobachtet anders.

„Die Zahl der Gewalttaten ist relativ konstant. Aber die Hemmschwelle sinkt. Das ist der Punkt“, sagt sie. Früher hätten aggressive Umstehende keine Rettungssanitäter angegriffen. Kaum jemand sei wegen langer Wartezeit in der Notaufnahme ausgerastet. Busfahrer, Polizisten und Wachschützer seien seltener bespuckt und geschlagen worden. Ganz zu schweigen von dem, was sich verfeindete Nachbarn inzwischen alles antun.



In Etzolds Arbeitszimmer liegen neben Büchern blanke weiße Knochen in einer Glasvitrine. Manche haben ein kleines rundes Loch – Spuren von Schussverletzungen. „Ich finde das weder makaber noch igitt“, sagt sie mit einem Seitenblick auf die Sammlung aus der Rechtsmedizin. Sie hat einen Knochenjob. „Wir lernen von den Toten für die Lebenden“, ergänzt sie. „Wie weich ist ein Kinderschädel? Wann bricht eine Rippe?“ Etzold ist bei solchen Beschreibungen sehr direkt. Es geht ihr nicht um den Gruselfaktor. Es ist die Realität.

„Alltagsgewalt wird in unserer Gesellschaft unterschätzt“, sagt sie. Stereotype griffen nicht – Gewalt sei weder „bildungsfern“ noch habe sie einen „Migrationshintergrund“. „In der Villa in Zehlendorf wird genauso geprügelt wie in der Platte in Marzahn.“ Nur subtiler. „Hartz IV haut ins Gesicht. Akademiker schlagen dahin, wo es niemand sieht.“ Ihr jüngstes Gewaltopfer war zwei Tage alt, das älteste über 90.

Die Rechtsmedizinerin ist in ihren Dokumentationen eine Frau der klaren Worte. Ein Oberarmbruch heißt Oberarmbruch und nicht „Humerus fx“. Aus den Gutachten soll jeder verstehen können, wie zugeschlagen, zugestochen oder wie die Hände eines Kindes auf eine heiße Herdplatte gedrückt wurden.


„Kinder können nicht ihre Koffer packen und gehen“

Gemeinsam mit ihrem Chef Michael Tsokos hat Etzold ein Buch geschrieben:„Deutschland misshandelt seine Kinder.“ Es schildert nicht nur unfassbare Grausamkeiten, es liest sich wie eine Abrechnung mit dem deutschen Hilfesystem – überforderte Jugendämter, unerfahrene Familienhelfer, ahnungslose Kinderärzte, naive Richter. Es ist ein subjektiver Blick. „Ich habe Empathie mit allen Opfern. Aber Kinder können nicht ihre Koffer packen und gehen“, sagt Etzold. Dass es keine Kinderrechte im Grundgesetz gibt, frustriert sie. „Wenn Eltern, die ihr Kind nachweislich schwer misshandelt haben, es trotzdem weiter sehen dürfen – dann geht mir das nicht in den Kopf.“

Etzold ist 36 Jahre alt. Gewalt war für sie lange ganz weit weg. „Behütetes Einzelkind aus Hamburg“, sagt sie und ergänzt schmunzelnd „bildungsnah“. Heute weiß sie, dass alles zur Waffe werden kann. Sogar der Schilfwedel, der eine Wohnzimmerwand schmückte, bis ein Mann damit auf seine Frau eindrosch. Solche Schnittwunden hatte die Ärztin noch nie gesehen. Gewalt und immer wieder Gewalt. Männer gegen Frauen, Männer und Frauen gegen Kinder. Seltener Frauen gegen Männer. Gibt es aber auch. Da wundert es, wenn Etzold betont: „Ich mag meinen Beruf.“

Auch, wenn er sie manchmal an die eigene Schmerzgrenze führt. Die Gespräche mit den überlebenden Opfern des Terroranschlags vom 19. Dezember 2016 auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gehören zu den Erinnerungen, die sie bei aller professionellen Distanz nicht aus dem Kopf bekommt. Mit wem kann sie reden außer den Kollegen? „Mit meinem Mann.“

Beim Abendbrot über Leichen reden

Veit Etzold ist Thrillerautor. Zu einem Bericht der „Bild“-Zeitung über ihre Hochzeit, wonach sich die Blicke der Liebenden das erste Mal über der Leiche eines Erhängten kreuzten, sagt Saskia Etzold: „Stimmt.“ Bei ihrer ersten Begegnung war der Schriftsteller gerade auf Recherche in der Rechtsmedizin. Es sei aber nicht die gruseligste Hochzeit des Jahres gewesen, wie ebenfalls beim Boulevard zu lesen war, ergänzt sie. „Ich fand sie wunderschön.“ Wenn das Paar beim Abendbrot über Leichen redet, ist das bis heute nichts Ungewöhnliches. Es gibt Verständnis auf beiden Seiten.

Zum Alltag in der Ambulanz gehört, was sich selbst Romanautoren nur schwer ausdenken können. Neben der unvorstellbaren Bandbreite an häuslicher Gewalt gehören Vergewaltigungen dazu. Etzold beobachtet auch hier eine gesellschaftliche Veränderung. „Manchmal denke ich, dass die Diskussion über Rocklängen wieder auflebt. Samt der Unterstellung, eine Frau sei ja selbst schuld, weil sie durch ihre Kleidung provoziert“, sagt sie.

Ihr Blick wird finster. „Für mich ist das, als ob die Themen von Alice Schwarzer von vor 30 Jahren plötzlich wieder aufploppen.“ Statt einer klaren Botschaft: „Eine Frau kann anziehen, was sie will. Und sie kann nichts für eine Vergewaltigung.“ Die Empfehlung an Frauen, besser eine „Armlänge Abstand“ zu halten, macht sie fast wütend.

Genauso wütend wie die Argumentation mancher Sozialarbeiter aus anderen Kulturen. „Sie sagen, Gewalt gegen Frauen und Kinder müssten wir hier akzeptieren, weil die andere Kultur das nicht anders kenne.“ Der Rechtsmedizinerin ist die Empörung anzumerken. Sie bleibt sachlich. „Das halte ich für grundfalsch.“ Sie erlebt das Gegenteil. Geflüchtete Frauen lernen schnell, dass Gewalt in Familien in Deutschland verboten ist. „Und sie kommen zu uns. Mit Dolmetschern, mit Schwestern oder mit Freundinnen.“


„Jeder Mensch ist bei akuten Bedrohungen zu allem fähig“

Die Gutachten der Ambulanz sind für Trennungs- und Scheidungsverfahren wichtig. Etzold erlebt aber auch, dass Frauen Hilfen für ihre Kinder annehmen – für sich selbst aber nicht. Sie wartet dann. Manche Frauen kommen wieder. Sie entscheiden, wann es genug ist. Es ist ihre Schmerzgrenze. „Veränderungen in einer Gesellschaft zu erreichen, heißt, den Weg über die Frauen zu gehen“, sagt die Medizinerin. Mit Herkunft hat das für sie nichts zu tun. Sie hat von deutschen Frauen schon Sätze gehört wie: „Er schlägt mich schon seit Jahren. Aber gestern war es besonders schlimm.“

Etzold akzeptiert keine Gewalt. Nicht gegen Menschen – und auch nicht beim G-20-Gipfel. „Jeder Mensch ist bei akuten Bedrohungen zu allem fähig“, sagt sie. „Aber wo ist denn in diesem Land bitte schön die akute Bedrohung?“

Für Etzold gibt es zu viele Entschuldigungen für Gewalt, zu viele zerfasernde Diskussionen. „Manchmal erinnert mich das an die Sandkastenlogik von Kleinkindern: Der hat aber angefangen“, sagt sie. Statt Klartext. Statt des Satzes: Gewalt ist immer indiskutabel. Was sie beeindruckt, ist Zivilcourage. Das fängt dabei an, Beleidigungen in Bus und Bahn nicht zu dulden. Es wird zur Hochachtung vor den Männern, die jüngst in Hamburg einen Attentäter samt Messer in Schach hielten, bis die Polizei kam. Doch Zivilcourage ist etwas, von dem Gewaltopfer in Berlin immer seltener erzählen. Noch so ein Trend.

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