Obwohl man für schwulen Sex in Gaza ins Gefängnis kommt (wenn man Glück hat), fühlt sich eine queere Partyreihe der „palästinensischen Befreiung“ verbunden – und beendet die Zusammenarbeit mit einem Techno-Club, der zu Israel steht. Eine Groteske aus dem Berliner Nachtleben.
Es war ein Statement, das für großes Aufsehen in der Berliner Technoszene sorgte. Auf Instagram gab die queere Partyreihe „Buttons“ ihre Trennung vom linken Nachtclub „About Blank“ bekannt. Der Grund: Das „Blank“ hatte sich immer wieder zur Solidarität mit Israel bekannt oder zumindest Verteufelungen Israels innerhalb der Szene verurteilt.
Die „Buttons“-Organisatoren schreiben: „Es ist an der Zeit, dass wir eine klare Haltung gegen die Apartheid einnehmen. Die Palästinenser verdienen es, sicher auf ihrem Land zu leben, ohne Kriegsverbrechen befürchten zu müssen und mit der ständigen Gewalt des Siedlerstaates auf ihren Straßen konfrontiert zu sein.“ Die Befreiung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transpersonen (LGBT) sei grundlegend „mit den Träumen der palästinensischen Befreiung verbunden“, heißt es weiter, „Selbstbestimmung, Würde und das Ende aller Unterdrückungssysteme.“
„Buttons“ machen Partys, für die man in Gaza ins Gefängnis geworfen würde. Sie sind geprägt von nackten Männerkörpern, Lust, Sex, Promiskuität, Hedonismus, Ekstase und Rausch. Hier wird nächtelang und manchmal auch tagelang gefeiert. Wie kommt ein solches queeres Partykollektiv darauf, ausgerechnet Israel zu verdammen und sich an die Seite der „palästinensischen Befreiungsbewegung“ zu stellen?
Auf den ersten Blick wirkt das völlig absurd. Israel ist international unter Schwulen zu Recht als beliebtes Reiseziel bekannt, als Oase der Freiheit und Demokratie im Nahen Osten. Während jährlich 250.000 Menschen auf der Pride-Parade in Tel Aviv feiern, ist daran in den arabischen Nachbarländern nicht zu denken.
Außer in der libanesischen Hauptstadt Beirut gibt es keine offene LGBT-Szene. Homosexualität wird in weiten Teilen der arabischen Gesellschaften massiv geächtet und staatlich verfolgt. Der Hass auf die Schwulen geht dabei eine hässliche Koalition ein mit dem Hass auf weibliche Sexualität, Selbstbestimmung und Emanzipation.
Im Gazastreifen kann gleichgeschlechtlicher Sex zwischen Männern mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Erst 2019 verbot die Palästinensische Autonomiebehörde eine queere und feministische Organisation und forderte die Bewohner auf, „verdächtige Aktivitäten“ zu melden. Das bedeutet: Schwule, lesbische, bisexuelle und transgeschlechtliche Palästinenser leben in Angst vor Entdeckung und Verfolgung.
Häufig sind sie dabei nicht einmal vor ihren eigenen Familienmitgliedern sicher: Immer wieder werden Fälle von Zwangsverheiratungen und auch Morden im Namen der Ehre bekannt, bei denen Schwule von ihren Brüdern oder Cousins getötet werden.
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LGBTQ-Bewegung in Berlin |
Unterstützer von Homosexuellenrechten müssten diese Zustände eigentlich klar benennen und skandalisieren. Doch statt die drakonischen Anti-Schwulengesetze zu thematisieren, die in 70 Ländern der Welt mann-männliche Sexualität kriminalisieren, scheinen sich einige selbsternannte Freiheitskämpfer ausgerechnet den jüdischen Staat als Feindbild herausgesucht zu haben.
Die Rede vom kapitalistischen und imperialistischen Staat als Aggressor, umgeben von „unterdrückten Völkern“, passt nur zu gut ins eigene Denkgebäude, das jeden Konflikt auf den Gegensatz westlich-unterdrückerisch versus kolonisiert-subversiv reduziert. Bereits seit dem Sechstagekrieg, bei dem sich Israel im Jahre 1967 erfolgreich militärisch durchsetzte und seitdem nicht mehr als ein „Opfer“ imaginiert werden kann, ist dieses Motiv fester Bestandteil des Repertoires der antiimperialistischen Linken.
Diesem Milieu gelang es, eine neue Form des Antisemitismus zu entwerfen und in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren: Israel-Hass als vermeintlich antifaschistische Konsequenz aus den nationalsozialistischen Verbrechen der Deutschen.
Um zu verstehen, wie es zum Israel-Hass einiger Queer-Aktivisten kommt, reicht es nicht, sich mit der Geschichte des Antizionismus in der politischen Linken zu beschäftigen. Zentral sind die Ausführungen der amerikanischen Gender-Professorin Jasbir Puar, die die Queer-Theorie mit ihrem Buch „Terrorist Assemblages“ bedeutend geprägt hat. Puars These: Eine Öffnung des Westens für die Belange von Schwulen gehe gleichzeitig mit einem „Homonationalismus“ und damit der Abwertung anderer marginalisierter Gruppen einher.
Dem jüdischen Staat wirft Puar gar einen „schwulen Propagandakrieg“ vor: Das Land würde sich lediglich als schwulenfreundlich darstellen, um von der Besatzungspolitik abzulenken und das Bild einer „sexuellen Rückwärtsgewandheit der Palästinenser“ zu reproduzieren. Den zuvor lediglich in einigen queer-aktivistischen Kreisen gegen Israel erhobenen Vorwurf des „Pinkwashings“ adelte Puar damit zu einer akademischen Theorie. Letztlich handelt es sich dabei allerdings um einen antisemitischen Verschwörungsmythos, mit dem judenfeindliche Stereotype wie Verlogenheit, Hinterlistigkeit und Manipulation auf den jüdischen Staat übertragen werden.
Dieses Weltbild ignoriert die realen Probleme. Schreie von Unterdrückten sind demnach nur dort legitim, wo sie sich gegen vermeintliche westlich-weiße Hegemonie richten. So will die Queer-Party „Buttons“ folgenden Skandal erkannt haben: „Wir müssen anerkennen, wer diesen Ort – wie auch alle anderen Berliner Clubs – wirklich kontrolliert: weiße Deutsche.“ Noch absurder wird dieser Satz, wenn man weiß, dass das „Buttons“-Kollektiv nicht etwa aus arabischstämmigen Berlinern, sondern hauptsächlich aus weißen Italienern besteht.
Der binäre Code westlich-unterdrückerisch versus kolonisiert-subversiv führt dazu, dass die Kritik an schwulen- und frauenfeindlichen Zuständen in mehrheitlich islamischen Ländern als „rassistisch“ oder „islamophob“ zurückgewiesen wird. Repressionen, die im genannten Raster nicht eindeutig verortet werden können, werden dann lieber nicht angeprangert. Der Universalität der Menschenrechte wird damit eine Absage erteilt. Die Verfolgten werden im Stich gelassen, ihre Peiniger in Schutz genommen.
Das Statement von „Buttons“ ist kein Einzelfall. Die schwule Party „Cocktail d’Amore“ schickte umgehend „Liebe und Unterstützung“, die neu gegründete Initiative „Arbeiter*innen aus dem Berliner Nachtleben gegen Apartheid“ hat innerhalb von wenigen Wochen bereits 500 Unterschriften von DJs, Produzenten und anderen Künstlern gesammelt.
Viele der Unterzeichner werden sich mit kaum einem Konflikt auf dieser Welt intensiv beschäftigt haben. Aber für eine Positionierung zur Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten hat es im Land der 83 Millionen Nahostexperten allemal gereicht.
„Wir haben uns in der Tradition internationalistischer Solidarität entschlossen, das erdrückende Schweigen in der Kulturszene unserer Stadt zu brechen“, schreibt die Initiative. Angesichts der Tatsache, dass Israelfeindlichkeit unter deutschen Kunst- und Kulturschaffenden nahezu Mainstream ist, ist das eine groteske Behauptung. Weiter heißt es, dass klar Haltung bezogen werden müsse „gegen das israelische Apartheidregime und das jahrzehntelange, bis heute andauernde koloniale Projekt der ethnischen Säuberung des palästinensischen Volkes“.
Es ist mühsam und aussichtslos, den obsessiven Israel-Hassern immer wieder erklären zu wollen, dass der Apartheid-Vergleich dem demokratischen und pluralistischen Rechtsstaat Israel trotz vorhandener Diskriminierungen in keiner Weise gerecht wird. So gibt es in Israel jüdische wie arabische Parlamentsabgeordnete, Verfassungsrichter, Generäle und Diplomaten.
Doch nicht einmal die Beteiligung einer arabischen Partei an der neuen Regierung wird Antisemiten davon abhalten, von einem israelischen Apartheidregime zu reden. Denn Antisemitismus als Ideologie des Irrationalismus kann nicht durch Erfahrung und Erkenntnis entkräftet werden. Antisemitismus ist eine wahnhafte Projektion, die mit dem tatsächlichen Verhalten von Juden nichts zu tun hat.