Mittwoch, 11. August 2021

Beim Diesel betrügen, in der Betriebskantine auf Veganer machen...

von Thomas Heck...

Volkswagen, dieser betrügerische Konzern aus Wolfsburg, der aus der Dieselaffäre mit blauem Auge davongekommen ist, versucht jetzt auf anderem Wege seine Umweltambitionen deutlich zu machen. In der Kantine bei Volkswagen im Wolfsburger Markenhochhaus müssen die Angestellten in Zukunft auf einen Klassiker verzichten: die Currywurst. Der Konzern möchte in Zukunft nur noch vegetarisches und veganes Essen anbieten. Vom Angebot gestrichen: In einer VW-Kantine in Wolfsburg ist die Ära der Currywurst vorbei. Ein Ernährungspsychologe verrät, warum der Klassiker nicht grundsätzlich schadet und wie „gesundes Essen“ zum ideologischen Dogma geworden ist. Alt-Kanzler Gerhard Schröder zeigt sich empört. Aber es zeigt die Tendenz in einer weitestgehend grünen Gesellschaft. Das Recht auf die freie Wahl wird zunehmend eingeschränkt. Zum Wohle der Volksgesundheit, des Klima, und was den Umweltspinnern sonst noch so einfällt...

Dabei beschäftigt Volkswagen längst mehr Mitarbeiter in China, als in Deutschland. Die essen zwar auch mit Sicherheit keine Currywurst, produzieren aber Volkswagen für den ganzen Weltmarkt erheblich kostengünstiger, als es deutsche Arbeiter je könnten... 

Prof. Dr. Cristoph Klotter, Jahrgang 1956, lehrt Gesundheits- und Ernährungspsychologie an der Hochschule Fulda. Er ist unter anderem Experte für Ernährungsverhalten und Essstörungen.

WELT: Der Volkswagen-Konzern hat sich dazu entschieden, in seiner Kantine im Markenhochhaus in Wolfsburg nur noch fleischlose Gerichte zu servieren.


Christoph Klotter: Wow! (lacht)

WELT: Die Ära der Currywurst ist zu Ende. In der Pressemitteilung ging es viel um Nachhaltigkeit. Wie werten Sie diesen Schritt aus ernährungspsychologischer Sicht?

Klotter: Es gibt einen allgemeinen Trend zum qualitätsbewussten Essen. Das Essen verbindet sich mit Ethik, Moral und Nachhaltigkeit. Weg vom Fleisch und hin zu Tierwohl und Klimaschutz. Die Discounter hatten beispielsweise schon vor fünf Jahren Umsatzrückgänge beim Billigfleisch – sie mussten auf Bio setzen. Mittlerweile ist Aldi der größte Biohändler Deutschlands. VW muss an die Zukunft denken, da passt die Verdammung der Currywurst perfekt zum E-Auto.

WELT: Man möchte sich nach dem Dieselskandal und gemäß dem allgemeinen Zeitgeist einen grünen Anstrich verpassen?

Klotter: Exakt – VW hat, wie die ganze deutsche Automobilindustrie, die Zukunft verschlafen. Man versucht auf allen Ebenen umzusteuern, eben auch beim Essen und dem eigenen Selbstverständnis. Nach dem Motto: „Wir sind die Zukunft, und deswegen gibt es bei uns kein Fleisch mehr“. Es geht auch darum, gegen das schlechte Image als Umweltverpester anzukämpfen. Das manifestiert sich dann eben in solchen Maßnahmen, die öffentlichkeitswirksam umgesetzt werden.

WELT: In einer anderen Kantine, die wenige Meter entfernt ist, kann man der Fleischeslust nach wie vor frönen. Ist das nicht inkonsequent?

Klotter: Selbstverständlich, aber man will ja keinen Großteil der Mitarbeiter verprellen. Es ist klar, dass der „traditionelle Mann“ bei der Currywurst bleibt und gekränkt wäre, wenn man ihm diese in erzieherischer Manier vorenthielte.

WELT: Warum sind die Leute so verrückt nach Gerichten wie Currywurst?

Klotter: Das hat mehrere Gründe. Das Fleisch steht historisch gesehen für Wohlstand, Macht, Überleben und Männlichkeit. Es hört sich wirklich sehr klischeehaft an, aber eine bekannte Autorin schrieb dazu den Satz: „Die Frau ist das Fleisch und der Mann isst das Fleisch.“

WELT: Außerdem ist die Currywurst eine Kalorienbombe: Kohlenhydrate, Proteine und Fett in sehr hoher Dichte.

Klotter: Natürlich. Wir haben eine genetische Programmierung auf fettige und süße Dinge. Und das in möglichst großer Menge. Früher war es essenziell, sich – wenn möglich – körperliche Reserven für Mangelzeiten anzufuttern. Das ist die Überlebensformel unserer Spezies und evolutionsbiologisch sinnvoll. Mit der gesunden Mischkost der Deutschen Gesellschaft für Ernährung wären unsere Vorfahren ausgestorben (lacht).

WELT: Aber das ist ziemlich weit weg von der heutigen Situation.

Klotter: Nicht so weit, wie man denkt. Die ganze Menschheitsgeschichte ist von der Angst vor dem Hunger bestimmt. Wir haben in Europa erst seit ungefähr 200 Jahren keine größeren Hungerprobleme mehr – dank der Industrialisierung und Technisierung der Lebensmittelproduktion. Unter anderem aus diesem Grund hat sich die Lebenserwartung verdoppelt. Durch ausreichende Nahrung wird der Mensch widerstandsfähiger gegen Infektionskrankheiten – daran sind bis in das 20. Jahrhundert vornehmlich unterernährte Menschen gestorben. Man darf nicht vergessen: Ausreichend Nahrung ist für das Überleben erheblich wichtiger als gesunde Nahrung.

WELT: Manche Lebensmittel wie eben die Currywurst gelten im common sense als besonders schädlich.

Klotter: Das ist völliger Unsinn. Die Currywurst ist in diesem Sinne überhaupt nicht schädlich. Es kommt immer auf den Kontext, die persönliche Konstitution und das Maß an. Wenn wir essen, sündigen wir immer. Die Einteilung in gute und schlechte Nahrung ist nicht zielführend, weil Ernährung und Verdauung extrem individuelle Sachen sind. Jeder muss für sich herausfinden, was ihm guttut. Man muss da wirklich bestimmte Dogmen ablegen. Die eine gesunde Ernährung gibt es nicht mehr. Wir verstoffwechseln Lebensmittel völlig unterschiedlich – manche Menschen reagieren mit einem Insulinanstieg auf Tomaten.

WELT: Also soll jeder einfach essen, worauf er Lust hat? Ich kenne viele Menschen, bei denen das nicht gut ausgehen würde.

Klotter: Sich einfach mit dem vollzustopfen, was instinktiv die größte Befriedigung bereitet, ist der Gesundheit natürlich nicht förderlich. Es geht um ein vernünftiges Maß und um Abwechslung, ohne eine ideologische Verklärung des Essens. Dazu gehört natürlich auch eine gewisse Esskultur, bei der man den Vorgang der Nahrungsaufnahme zelebriert und genau darauf achtet, wie der Körper reagiert. In diesem Kontext finde ich den Ausdruck „lustvolle Ernährungskompetenz“ sehr treffend.

WELT: Viele Ernährungswissenschaftler sehen das anders und raten von bestimmten Lebensmitteln ab. Gerade sogenanntes rotes Fleisch wird für viel Übel verantwortlich gemacht und soll das Risiko für Krebs erhöhen.

Klotter: Ja, die Veröffentlichungen sind mir bekannt. Wenn sie sich die Studien und Zahlen aber genauer anschauen, sind die Effekte wahnsinnig gering. Ich halte viele Aussagen, die manchmal vorschnell bezüglich einiger Lebensmittel getroffen werden, eher für politisch motiviert als für gesundheitswissenschaftlich evident.

WELT: Es gibt trotzdem gute Gründe, auf Fleisch zu verzichten – vor allem aus ethischer Perspektive.

Klotter: Selbstverständlich. Ich persönlich esse eben aus diesem Grund fast nie Fleisch. Ich finde den Trend auch gut, genau darauf zu schauen, was man isst und wo es herkommt. Gerade, wenn man an das Thema Klimawandel denkt, spielt die Ernährung eine große Rolle. Die Frage ist, ob man das wie eine Monstranz vor sich hertragen muss und andere für ihren Fleischkonsum abwertet. Es gibt leider manchmal die Tendenz, dass sozial besser gestellte sich regelrecht über andere Menschen erheben und sich mit Bio-Produkten und veganer Ernährung für moralisch korrekter halten. Hinzu kommt, dass es in dieser Frage auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Oder um es überspitzt zu formulieren: Die Currywurst steht stellvertretend für den alten, weißen Mann.






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