von Anabel Schunke...
„Was Sie erst noch wissen müssen“ – so beginnt das Buch einer jungen Lehrerin, die aus ihrem Alltag an einer Berliner Brennpunktschule berichtet. Selbstironisch beschreibt sie sich in ihrem Vorwort als der Typ Mensch, der die Steuererklärung schon fertig hat, bevor sie fällig ist. Eine „Superheldin“, die noch jeden Brand gelöscht hat. Der Tenor: „Ich bin niemand, der schnell aufgibt.“ Und fast wirkt es wie eine vorweggenommene Entschuldigung für das, was den Leser auf den nächsten gut 200 Seiten erwartet. Denn der anfängliche Enthusiasmus der jungen Lehrerin weicht an der Grundschule mit 90 Prozent Migrationsanteil schnell der Ernüchterung.
Am Ende bleibt für den Außenstehenden die Erkenntnis, dass es Schulen in Deutschland gibt, in denen Kinder nur noch verwahrt und nicht mehr unterrichtet werden. Und dass diese Bildungsmisere bereits die Jüngsten betrifft. Darüber hinaus lernt er jedoch noch etwas viel Interessanteres: Nämlich, wie man es fertigbringt, ein ganzes Buch über das Elend an deutschen Schulen mit hohem Migrantenanteil zu schreiben, ohne in die Verlegenheit zu geraten, die politischen Ursachen dieses Elends zu benennen.
Es gilt, wie auch in anderen Bereichen: Der Leidensdruck schwindet mit den Fluchtmöglichkeiten. Solange es noch Inseln der (biodeutschen) Glückseligkeit gibt, auf die man sich zurückziehen kann, können Lehrer wie Katha Strofe (Pseudonym), die sich nach einem Jahr an eine Oberschule in einem netteren Bezirk versetzen ließ, weiterhin daran glauben, dass die größte Gefahr für diese Gesellschaft von der AfD und alten weißen Schulleitern ausgeht. Ob das nun der Angst vor der rechten Schmuddelecke geschuldet ist oder doch nur dem üblichen ideologischen Brett vor dem Kopf, spielt dabei keine Rolle. Ein Armutszeugnis für eine studierte Politologin ist es allemal.
Klassensprecher trotz geistiger Einschränkung
Und dennoch lohnt sich das Buch. Weil es sich einmal mehr um einen dieser schockierenden Tatsachenberichte aus dem Inneren einer deutschen Schule handelt, der dem Leser jenen wichtigen Blick mitten aus dem Auge des multikulturellen Tornados gewährt, den er sonst nicht erhält. Der Mehrwert der vielen kleinen Anekdoten, die diese Art von Bücher so unterhaltsam machen, dass man sie in der Regel in einem Stück durchliest, liegt hierbei einmal mehr in der niederschmetternden Erkenntnis, dass alles noch viel schlimmer ist, als man es sich in seinen kühnsten Träumen hätte ausmalen könnte.
Da ist der geistig eingeschränkte Inklusionsschüler Abdul, der nicht in der Lage ist, dem Unterricht zu folgen, aber von seinen Mitschülern erst zum Klassen- und dann zum Schülersprecher gewählt wird. Nicht etwa aus Toleranz und Nächstenliebe, sondern weil man es witzig findet und weil Abdul gerne einmal sauer wird, wenn er seinen Willen nicht bekommt, was angesichts der Körperlänge des Fünftklässlers von 1,80 Metern und des Gewichts eines „Elefantenkalbs“, wie Katha Strofe es umschreibt, nicht allzu witzig für seine Mitschüler ausfallen dürfte.
Inklusion ist ohnehin so ein Thema, angesichts der Tatsache, dass sich nicht einmal ein einziger Sonderschulpadägoge an der „Grundschule des Grauens“ befindet, weshalb sich jeder Lehrer nicht nur am unterschiedlichen Leistungsniveau der „normalen Schüler“ abarbeitet, sondern auch daran, in jeder Klasse noch drei oder vier Inklusions- und ebenso viele „Willkommenskinder“ ohne Deutschkenntnisse zu bespaßen.
„Überall diese Judensterne! Was soll denn das?!“
In einer anderen Szene berichtet die junge Lehrerin vom Vater eines Schülers, der sich furchtbar über die gebastelten Weihnachtssterne der Kinder an den Fensterscheiben im Klassenraum seines Sohnes aufregt, weil er sie für Davidsterne hält. „Überall diese Judensterne! Was soll denn das?!“, ruft der Mann mit arabisch klingendem Nachnamen der Kollegin von Katha Strofe entgegen. Es folgen weitere Anekdoten aus dem rassistischen Sumpf der multikulturellen Bereicherung.
So berichtet ihre Kollegin ebenfalls von einem Schüler, der nicht neben einem schwarzen Kind sitzen wollte, weil Schwarze „große Kackhaufen“ seien. Das hätte er aus einer arabischen Kinderserie, woraufhin sich die Lehrerin selbst im Internet ein Bild von dieser Serie machen wollte, in der – kein Witz – arabische Seeleute auf einer Insel im Meer landen, auf der Schwarze leben, die von den Seeleuten getötet werden und sich daraufhin in große Wolken verwandeln, die Kotgestank darstellen sollen.
Das wäre doch mal ein Thema für die vielen „Schulen ohne Rassismus“ hierzulande, denkt man sich augenblicklich als Leser. Allerdings konnten jene üppig vom Bund geförderten Schulen mit antirassistischem Schwerpunkt muslimische Schüler auch nicht davon abhalten, die Enthauptung des französischen Lehrers Samuel Paty gutzuheißen, oder Schweigeminuten zu boykottieren, weil man vermutlich noch damit beschäftigt war, Sören-Malte zu erklären, dass es rassistisch von ihm sei, wenn er Namika nach ihrer Herkunft fragt.
Nach einem Jahr noch immer nicht alphabetisiert
Sören ist ohnehin ein gutes Stichwort. So lautet nämlich der (Fake-)Name des einzigen Kollegen, den Katha Strofe erwähnt, der unumwunden zugibt, dass „die Ausländerkinder“ eben keine Leistungsträger seien. Die Steilvorlage bleibt jedoch auch dieses Mal nahezu unkommentiert. Ein Zusammenhang zwischen unkontrollierter Migration, islamischer Kultur und schlechten Schülern möchte die junge Lehrerin partout nicht herstellen. Vehement widersprechen allerdings auch nicht.
Einer Erklärung, weshalb Schüler bereits in der Grundschule eine ausgeprägte Abneigung gegenüber Schule und Lernen besitzen, weshalb sie nicht einmal in der Lage sind, einfachste Aufgabenstellungen zu bewältigen, bleibt sie dem Leser so über das gesamte Buch schuldig. Hier und da ist die Rede von schwierigen familiären Verhältnissen, von Eltern, die kein Interesse an Sprechtagen zeigen oder falsche Telefonnummern angeben, aber viel mehr kommt da nicht.
Am Ende, so scheint es, liegen die Probleme der Schule für Katha Strofe zuvorderst in der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit des Direktors, leeren Druckerpatronen, zu weichen und auch zu strengen Kollegen und vor allem zu hohen Krankenständen im Kollegium. Dass gerade letztere unmittelbare Folge einer Schülerschaft sind, die aufgrund von Desinteresse, mangelnder Erziehung und Respekt, kognitiver Defizite und sonstiger Verhaltensauffälligkeiten nicht mehr beschulbar ist, bleibt unausgesprochen.
Die Konsequenz aus den hohen Fehlzeiten der Kollegen: Katha Strofe, die eigentlich hauptsächlich als Deutschlehrerin für die sogenannten Willkommenskinder eingesetzt werden sollte, unterrichtet alles, nur keine Flüchtlingskinder in Deutsch. Der DaF-Unterricht (Deutsch als Fremdsprache) ist der erste Unterricht, der gestrichen wird, wenn Not am Mann ist und die Lehrkraft woanders gebraucht wird. Und so passiert es eben, dass eines der Willkommenskinder auch nach einem Jahr an einer deutschen Schule immer noch nicht alphabetisiert ist und somit auch an jedem anderen Unterricht nicht wirklich teilnehmen kann.
Fontane-Kennerin aus Moldawien
Wer sich jetzt schon Antworten auf die in einigen Jahren in den Talkshows diskutierte Frage zurechtlegen möchte, weshalb die Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Land auch im zweiten Anlauf trotz all der heutigen Bemühungen nicht funktioniert hat, kann sich an dieser Stelle schon einmal ein paar Notizen machen. Wenngleich die Gründe dafür, dass ein Kind nach einem Jahr in einem fremden Land immer noch nicht die Sprache des Landes spricht, freilich nicht nur an der Schule selbst liegen.
Dass es auch anders geht, zeigt eine kleine Schülerin aus Moldawien, die ihre Lehrerin damit verblüfft, dass sie die Ballade „Herr Von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ von Fontane auswendig vortragen kann. Gelernt hat sie das nach eigener Aussage auf der deutschen Schule in ihrem Heimatland. Es ist also nicht alles schlecht an der „Kasper Hauser Grundschule“, wenngleich das aufgeweckte Mädchen angesichts des kläglichen Rests der Schülerschaft, der allenfalls Texte von Capital Bra auswendig beherrscht, eine rühmliche Ausnahme bildet.
Und so bleiben die einzigen Lichtblicke des Buches die kleine Fontane-Kennerin aus Moldawien und zwei weitere Mädchen mit deutschem Vornamen, die jeden Tag damit verbringen, hoffnungslos unterfordert im Klassenraum ihr Dasein zu fristen, während ihre Mitschüler in der fünften Klasse auch nach Wochen intensiven Lernens und Wiederholens nicht in der Lage sind, Nomen, Verben und Adjektive zu unterscheiden – wohlgemerkt Stoff der 2. bis 3. Klasse. Dafür erklären Sie Frau Strofe, was Tilidin ist und anhand des Beispiels des Drogendealers als Berufswunsch eines Schülers, fällt dann auch zumindest bei ein paar anderen der Groschen, dass „Drogen“ ein Nomen ist und „dealen“ ein Verb. Na, wenn das kein Erfolg ist!
Wenn der Brennpunkt eines Tages überall ist
„Studenten brauchen Praxis. Lehrer brauchen Respekt. Schüler brauchen kleinere Klassen und individuelle Förderung. Alle brauchen – so leid es mir tut – weniger Heterogenität in den Lerngruppen. Eltern brauchen Vertrauen in die Schule. Schule braucht Anerkennung“, formuliert Katha Strophe nach 207 Seiten den Schlusssatz und damit ihre vage gebliebenen Forderungen.
Und als Leser möchte man angesichts der geschilderten Zustände ergänzen: Und Deutschland braucht weniger Einwanderung aus Kulturen, in denen Bildung keinen Stellenwert hat. Von Menschen, die dieses Land nur als Selbstbedienungsladen und Schulen nur als Verwahrort für ihre Kinder und nicht als Chance begreifen.
Deutschland braucht mehr Lehrer, die nicht nur diese Zustände benennen, sondern auch ihre Ursachen. Aber das wird wohl erst passieren, wenn auch die Oberschule im anderen Bezirk keinen Zufluchtsort für ausgebrannte Brennpunktschulen-Lehrer mehr bietet. Wenn der Brennpunkt eines Tages überall ist.
„Leaks aus dem Lehrerzimmer. Mein Jahr als Lehrerin an der Grundschule des Grauens“ von Katha Strofe, 2020, Schwarzkopf & Schwarzkopf: Berlin, hier bestellbar.
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