Sonntag, 22. November 2020

Für Grüne ist das Volk zu blöde für direkte Demokratie...

von Thomas Heck...

Direkte Demokratie ist nichts für die Grünen. Das haben sie nun auf ihrem Parteitag klargemacht. Das Volk ist zu doof für direkte Demokratie. Sie setzen auf die damals in der Sowjetunion bewährten Formen der direkten demokratischen Beteiligung: Den Räten.


Die Grünen wollen die Bürger mehr in politische Entscheidungen einbinden. Beim virtuellen Parteitag beschlossen sie das Modell zufällig zusammengesetzter Räte. Das Wahlalter soll auf 16 Jahre sinken.

Der Video-Parteitag der Grünen schließt heute die Beratungen über das neue Grundsatzprogramm ab. Wegen technischer Probleme am Samstag konnte über einige Themen erst jetzt abgestimmt werden, zum Beispiel über Volksentscheide im Bund. Dabei fanden Anträge für bundesweite Volksabstimmungen keine Mehrheit. Die Forderung wird somit nicht in das neue Grundsatzprogramm aufgenommen. Der Vorschlag des Bundesvorstands, statt bundesweiten Volksentscheiden Bürgerräte zu etablieren, setzte sich knapp mit 51,48 Prozent durch.

Das Modell der Bürgerräte sieht vor, dass bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürgern in die Gesetzgebung einfließt. Dazu sollen zufällig ausgewählte Menschen in Bürgerräten Empfehlungen zu konkreten Fragen erarbeiten, mit denen sich Regierung und Parlament dann auseinandersetzen, die aber nicht bindend sind.

Angst vor Spaltung der Gesellschaft

Parteichef Robert Habeck hatte zuvor auf die Gefahr einer Stärkung des Populismus nach dem Motto verwiesen: "Die da oben sind sowieso alle Verräter, das Volk weiß es besser." "Volksentscheide werden polarisieren", mahnte Habeck. "Sie werden nicht den Diskurs in der Gesellschaft befördern, sondern die Spaltung der Gesellschaft." Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin sagte mit Blick auf die Bedrängung von Bundestagsabgeordneten durch Gäste der AfD, es gehe mehr denn je darum, die parlamentarische Demokratie zu stärken.

Für bundesweite Volksabstimmungen hatte unter anderem Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner geworben. Durch Volksabstimmungen würden in Deutschland nur progressive Anliegen durchgesetzt, sagte er auf dem digitalen Parteitag. "Lasst uns mutig sein", forderte Kellner. Es sei wichtig, "dass Menschen nicht nur alle vier Jahre entscheiden können". Der von ihm unterstützte Antrag erhielt 46,36 Prozent der Delegiertenstimmen.

Wahlalter soll zunächst auf 16 sinken

Auch Anträge zur Senkung des Wahlalters auf unter 16 Jahre setzten sich auf dem Parteitag nicht durch. Beschlossen wurde aber der Vorschlag des Bundesvorstands, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Im entsprechenden Kapitel "Demokratie stärken" des Grundsatzprogramms heißt es, die Demokratie habe ein erhebliches Repräsentationsdefizit, wenn Millionen Jugendliche und Kinder ausgeblendet würden, obwohl sie von Geburt an Staatsbürger seien. "Entsprechend sollte im nächsten Schritt ein bundesweites Wahlrecht ab 16 Jahren gelten und es sollten weitere Beteiligungsmöglichkeiten auf allen Ebenen ausgebaut werden."

Zentrales Thema des zweiten Tages war die Sozialpolitik. Unter anderem ging es um einen Antrag der Parteiführung, eine Garantiesicherung einzuführen, die das Hartz-IV-System ersetzen und ohne Vorbedingungen gewährt werden soll. In einem Änderungsantrag wird die Einführung eines Grundeinkommens gefordert, das ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Gegenleistung ausbezahlt werden soll.

Vorbereitung auf das Wahljahr 2021

Am Samstag hatten die rund 800 Delegierten entschieden, sich klarer als bisher zum Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu bekennen. Damit kam die Partei Umweltaktivisten entgegen. Mit einem weiteren Beschluss positionierte sich die Partei skeptisch zum Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft. Die Forschung dazu lehnt sie aber nicht mehr ab.

Mit dem neuen Grundsatzprogramm, das das bisherige von 2002 ablösen soll, wollen sich die Grünen für das Wahljahr 2021 rüsten und breiteren Wählerschichten öffnen. Sie liegen derzeit in den Umfragen auf Platz zwei hinter der Union. Die Frage einer Kanzlerkandidatur wollen die Grünen erst im kommenden Jahr fällen. Die Entscheidung dürfte zwischen den beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck fallen.





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