Donnerstag, 18. Januar 2024

Wenn homosexuelle Paare sich vornehmen, ein Kind zu zeugen...

von Thomas Heck...

Im Jahr 2021 wurde das Strafmaß bei sexuellem Kindesmissbrauch mit einer Gesetzesnovelle verschärft. Bundesjustizminister Marco Buschmann möchte nun die Mindeststrafen wieder absenken – mit dürftigen Argumenten. Kinderpornographie nur noch ein „Vergehen“ statt „Verbrechen“? Um die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten? Da wäre so absurd, wie Messerattacken oder Vergewaltigungen zu legalisieren.

Gerechtigkeit steht ihm bis hier...
Bundesjustizminister Marco Buschmann...



Oft wird das Argument genannt, Eltern würden sich strafbar machen, wenn sie Handys mit kinderpornografischen Inhalten zu Beweisgründen sicherstellen, um sie der Polizei und den Staatsanwaltschaften zu übergeben.

Die Strafverschärfung aus dem Jahr 2021 sei laut Buschmann über das Ziel hinausgeschossen. „Eine Mutter etwa, die in einem Klassenchat kinderpornographisches Material entdeckt und es weiterleitet, um andere Eltern vor den Bildern zu warnen, muss aktuell mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft werden“, erläuterte er. Das sei nicht gerecht, denn es würden mit der aktuellen Gesetzeslage teils Menschen bestraft, die gerade die Verbreitung solchen Materials verhindern wollen, so Buschmann. 

Beispiele aus der Praxis, wo Eltern strafrechtlich belangt wurden, kann er nicht benennen. Und ich bin überzeugt, die Justiz würde schon zwischen der zurecht besorgten Mutter und dem Perversling unterscheiden können.

Buschmann will mit dem Referentenentwurf zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StGB den Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit zurückgeben, in solchen Fällen Strafverfahren einzustellen oder nur Geldstrafen auszusprechen. Rückgängig gemacht werden soll konkret die Heraufstufung zum Verbrechen durch Senken der Mindeststrafen in § 184b von einem Jahr auf sechs Monate oder gar von einem Jahr auf drei Monate. Zudem könnten Verfahren wieder nach den §§ 153 und 153a Strafprozessordnung (stopp) eingestellt oder durch Strafbefehl nach den §§ 407 ff. StPO erledigt werden, wenn die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Unverändert bleiben soll die maximale Strafhöhe von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

Auf der anderen Seite ist Buschmann aktiver. Der Justizminister hat nämlich Eckpunkte für eine Reform des Abstammungs- und Kindheitsrechts vorgestellt. Sie sehen rechtliche Erleichterungen für homosexuelle Paare vor. Auch das Adoptionsrecht wird reformiert.

Für nicht verheiratete Väter und homosexuelle Paare mit Kindern plant die Bundesregierung rechtliche Erleichterungen. „Viele Kinder wachsen heute in Trennungsfamilien auf, in Patchwork- und Regenbogenfamilien oder bei nicht miteinander verheirateten Eltern“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der am Dienstag Eckpunkte für die geplante Reform des Abstammungs- und Kindschaftsrechts vorlegte. Das geltende Familienrecht hinke hier hinterher.

Der Vater soll bei einem gemeinsamen Wohnsitz einfacher das gemeinsame Sorgerecht erlangen können. Wenn die Mutter nicht widerspricht, soll dafür eine einseitige, beurkundete Erklärung ausreichen. Das Gleiche soll bei lesbischen Paaren für eine weitere Mutter gelten. Schon wenn sich ein homosexuelles Paar vornimmt, ein Kind zu zeugen, soll eine rechtssichere sogenannte Elternschaftsvereinbarung getroffen werden können. Der Grundsatz, das jeder Mensch zwei Elternteile hat, soll aber nicht angetastet werden.

Erleichtert werden soll außerdem die Übertragung eines „Kleinen Sorgerechts“ an Großeltern, enge Freunde, Nachbarn oder neue Partner, damit diese stellvertretend für die Eltern einfache Angelegenheiten regeln können. Auch im Adoptionsrecht soll sich laut dem Eckpunktepapier des Justizministeriums etwas ändern: Die Ehe soll für die gemeinsame Adoption minderjähriger Kinder künftig keine Voraussetzung mehr sein. Erlaubt sein soll außerdem die Adoption eines Kindes durch einen einzelnen Ehegatten. Zudem soll ein eigenes Recht des Kindes auf Umgang mit Großeltern und Geschwistern eingeführt werden sowie mit anderen Bezugspersonen.


Dienstag, 16. Januar 2024

Gelenkter Bürgerrat - Der Beschiss lauert überall...


Überraschung: Gelenkter „Bürgerrat“ empfiehlt mehr staatliche Lenkung

Ein Gremium geloster Bürger stellt Empfehlungen vor, die sich lesen wie ein grünes Aktionsprogramm. Wer sich mit den Hintergründen des Rates befasst, weiß, warum: Hier startete ein Modellprojekt zur Postdemokratie.

IMAGO / Steinach

Im Mai 2023 beschloss eine Bundestagsmehrheit, etwas für die Förderung von „mehr Bürgerbeteiligung“ zu tun – die Einsetzung eines „Bürgerrates“, der die Aufgabe übernehmen soll, dem Bundestag in politischen Fragen Empfehlungen zu geben. Jetzt legte dieser „Bürgerrat“ zum ersten Mal Empfehlungen vor. Das Premiere-Thema lautete: Ernährung. Wer sich näher mit der Genese dieses in der Verfassung nicht vorgesehenen Gremiums befasst, den wundert es kaum, dass alle neun Punkte fast eins zu eins dem grünen Parteiprogramm entsprechen.

Eigentlich besitzt Deutschland schon einen Bürgerrat, und zwar unter dem Namen Bundestag. Und eigentlich gehört es zur Aufgabenbeschreibung von Abgeordneten, mit Bürgern zu sprechen, um deren Ansichten in ihrer politischen Arbeit zu berücksichtigen. Wollten die Berufspolitiker die Stimmen der Bürgerbasis stärker an Entscheidungen beteiligen, gäbe es außerdem die Möglichkeit, auf Bundesebene Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild einzuführen.

Die Ampel-Koalition wählte einen anderen Weg: den „Bürgerrat“ als Instrument einer gelenkten Demokratie, die Debatten nicht führt, sondern simuliert. Das beginnt schon mit der Rahmensetzung: Worüber der Rat debattieren soll, entscheidet er nicht selbst – sondern der Bundestag per Mehrheit, konkret mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und der Linkspartei. Und schon die vorgegebene Fragestellung lenkt die Debatte: „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“. Die Möglichkeit, dass es sich bei der Ernährung um eine reine Privatangelegenheit handelt, die den Staat nichts angeht, scheidet also schon von vornherein aus.

Die Bürgerratsmitglieder gehen nicht aus einer Wahl hervor. Wer hineinkommt, entscheidet ein undurchsichtiges Losverfahren. Dabei wurden per Algorithmus zunächst 20.000 Personen in 82 ebenfalls ausgelosten Gemeinden ermittelt; von den 2.220, die sich dann zur Teilnahme bereit erklärten, siebte der Algorithmus noch einmal so lange aus, bis 160 übrigblieben. Angeblich soll der Rat nach Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildungshintergrund genau die deutsche Bevölkerung abbilden.

Die Namen der Ratsmitglieder und Angaben zu ihrem Hintergrund sucht man auf der entsprechenden Bundestagsseite vergeblich, ebenso den Auswahlalgorithmus, was die Überprüfung der Ausgewogenheit praktisch unmöglich macht. Es berät also ein nicht durch Wahlen legitimiertes und faktisch anonymes Gremium zu einem Thema mit vorgeprägter Tendenz. Der „Bürgerrat“ beratschlagt außerdem nicht selbständig, sondern betreut von Moderatoren aus einem Konsortium von Unternehmen und Vereinen. Dort wiederum dominiert eine ganz bestimmte politische Richtung. Wer eigentlich dieses Konsortium unter welchen Maßgaben zusammenstellte, bleibt ebenfalls im Dunkeln.

Für etwas Transparenz über den Verlauf der Beratungen sorgte ein Bürgerratsmitglied – Stefan Staudenecker aus Ehingen in Baden-Württemberg, der im November 2023 das Gremium aus Protest wegen der aus seiner Sicht offenkundig einseitigen Lenkung verließ. Der Schwäbischen Zeitung sagte er, dass sein Entschluss schon direkt nach dem Auftaktwochenende in Berlin gefallen sei, nachdem er nähere Erkundigungen zum Moderationsteam eingeholt hatte. Es ergebe für ihn „keinen Sinn, mit solchen Personen ein Arbeitspapier zu erarbeiten“, so Staudenecker: Vor allem die Hauptmoderatorin Jana Peters sei „eher politisch grün und links“. Bei Peters handelt es sich um ein grünes Parteimitglied, und zwar keines von der Basis: 2021 war Peters Vorsitzende der Grünen in Bad Vilbel, im gleichen Jahr kandidierte sie für den Bundestag. Außerdem arbeitet Peters für das Beratungsunternehmen ifok, das wiederum zu dem Konsortium gehört, das den Bürgerrat organisiert.

Das lenkende Konsortium besteht aus dem Verein „Mehr Demokratie e.V.“, der den Grünen nahesteht, der schon genannten ifok GmbH, dem „Institut für Partizipatives Gestalten (IPG)“ der Sortition Foundation, dem Unternehmen Event & Regie und der Agentur monteundvogdt. Die Vorsitzende von „Mehr Demokratie e. V.“ Claudine Nierth bezeichnet sich selbst als „Politaktivistin“. Im Jahr 2012 entsandte sie die Landtagsfraktion der Grünen in Schleswig-Holstein als Mitglied in die 15. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten. Ein Vorstandsmitglied von „Mehr Demokratie e. V.“ kommt direkt aus der Berufspolitik: Karl-Martin Hentschel saß bis 2009 der Grünen-Fraktion von Schleswig-Holstein vor. Ein weiteres Vorstandsmitglied, Marie Jünemann, trat mehrfach als Referentin bei grünen Parteiveranstaltungen auf, und engagierte sich 2022 sowohl für das von den Grünen unterstützte „Transparenzgesetz“ als auch für die Gründung eines „Bürger*innenrat Klima“ Berlin.

Das beteiligte Beratungsunternehmen ifok wiederum nimmt schon auf der eigenen Webseite die wesentlichen Resultate vorweg, über die die Bürger unter der Regie ihrer Mitarbeiterin Peters angeblich ergebnisoffen beratschlagen sollen. Bei ifok heißt es: „Die Ernährungsweise in unserem Land geht auf Kosten der Umwelt und verbraucht zu viele Ressourcen. Die Wissenschaft ist sich einig, dass in einer stärker pflanzenbasierten Ernährung ein Schlüssel für ein besseres Klima liegt. Dieses Potential möchten das Umweltbundesamt und das Bundesumweltministerium ausschöpfen und die pflanzenbasierte Ernährungsweise in Deutschland fördern.“

Bei so vielen Vorgaben und wohlwollender Lenkung überraschen die Empfehlungen des „Bürgerrates“ wirklich nicht. Das Gremium rät dazu, allen Kindern ein „gesundes und kostenloses“ Mittagessen zu verabreichen, was natürlich nicht „kostenlos“ zu bewerkstelligen ist, sondern mit erheblichem Aufwand an Steuergeld. Warum auch Kinder von Gutverdienern Essen auf Steuerzahlerkosten erhalten sollen, begründet der Rat nicht. Er folgt damit dem Pfad der vormundschaftlichen Politik, Leistungen staatlich zu finanzieren, zu denen viele Bürger auch selbst in der Lage wären – um mit den Ausgaben dann wiederum noch höhere Steuern und Abgaben zu begründen.

Die weiteren Ratschläge lauten: Einführung eines „verpflichtenden staatlichen Labels für Einkäufe“. Mit ihm soll „bewusstes Einkaufen gesünderer Lebensmittel leichter gemacht werden“; es „soll Kunden helfen, Produkte einfacher und besser vergleichen zu können“. Auch der Bürger selbst bedarf offenbar dingend der wohlwollenden Lenkung, findet der gelenkte Bürgerrat. Eine andere Empfehlung legt dem Staat die Einführung eines „verpflichtenden und staatlich kontrollierten, ganzheitlichen Tierwohllabels“ nah, das „den gesamten Lebenszyklus von Nutztieren abbilden“ soll. Für Landwirte würde das einen enormen bürokratischen Aufwand bedeuten – und für den Staat den Aufbau einer neuen Kontrollinstanz.

Die nächste Empfehlung entspricht wortwörtlich einer alten grünen Forderung, nämlich der Ernährungslenkung per Steuer. Der Rat schlägt nämlich vor, die Mehrwertsteuer „für Obst und Gemüse in Bio-Qualität sowie für Hülsenfrüchte“ auf Null zu setzen, für Zucker dagegen auf 19 Prozent. Außerdem in der Liste der Ratschläge: die von Bundeslandschaftsminister Cem Özdemir seit langem gewünschte „Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls“. Ein konkretes Verbot empfiehlt der „Bürgerrat“ auch, und zwar in Form einer Altersgrenze von 16 Jahren für den Kauf von Energydrinks. „Die Gesundheitsschäden und das Suchtpotential“ seien „ähnlich gravierend wie bei Zigaretten und Alkohol“, heißt es in dem Ratspapier. Die schädliche Wirkung liegt nach Ansicht einiger Wissenschaftler im Koffein, das die Drinks enthalten – allerdings sehen die meisten Experten den „übermäßigen Genuss“ dieser Getränke als schädlich an, nicht den gelegentlichen.

Aus allen Empfehlungen des „Bürgerrats“ spricht ein geschlossenes Gesellschaftsbild: Bürger können nicht selbständig entscheiden, welche Nahrungsmittel ihnen guttun, sondern brauchen bei der Auswahl dringend eine intensive Führung durch staatliche Stellen. Landwirte sollten stärkeren Kontrollen unterworfen, Fleisch per Sonderabgabe verteuert werden. Ein Minderheitsvotum innerhalb des Rates, das möglichweise das Konzept der gelenkten Gesellschaft kritisch sieht, scheint nicht zu existieren. Jedenfalls findet sich dazu keine Veröffentlichung. Diese Art der Debattensimulation überzeugt offenkundig nicht alle.

Aber sie entspricht der postdemokratischen Grundvorstellung, die sich auch in der Forderung von Grünen, SPD und Linken nach einem Geschlechterproporz im Parlament einerseits und nach einem AfD-Verbot andererseits zeigt: Parlamenten sollen sich nach diesem Ideal in Standesvertretungen verwandeln, in denen kein echter Streit mehr stattfindet – auch deshalb, weil bestimmte Ansichten von vornherein ausgeschlossen werden.

Übrigens sorgt der Bundestag auch für den Fall vor, dass die Vorschläge des „Bürgerrats“ nicht so ausfallen wie erwartet: Es gibt keine Pflicht, sie parlamentarisch umzusetzen. Darüber entscheidet die gleiche Mehrheit, die schon die Fragestellungen formulierte, wiederum von Fall zu Fall. Den Ratschlägen zum Bereich Ernährung jedenfalls – die ersten des „Bürgerrats“ – sicherte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas aber wohlwollende Behandlung zu: „Mit diesen Empfehlungen“, so Bas, „sollten sich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag intensiv beschäftigen. Der erste Bürgerrat des Deutschen Bundestages ist ein gelungenes und innovatives Beispiel für lebendige Demokratie.“

Erschienen auf Tichys Einblick...


Was in Gottes Namen ist in Polen los?

von Aleksandra Rybinska.

Mit der Regierungsbildung von Donald Tusk setzte in Polen ein Kampf um die „richtige“ Politik und die Verteilung der Posten und Ressourcen ein. Regierung und Opposition machen sich gegenseitig für das Chaos verantwortlich. Präsident Duda und Ministerpräsident Tusk handeln und reden aneinander vorbei.

Präsident Duda und Ministerpräsident Tusk



Mit den Worten „Noch ist Polen nicht verloren“ beginnt die polnische Nationalhymne. Und tatsächlich ist Polen zwar noch nicht verloren, aber dank der brutalen Vorgehensweise der neuen Regierung von Donald Tusk erinnert unser Land immer mehr an eine Bananenrepublik. Wieder einmal stellt sich die Frage: Was in Gottes Namen ist in Polen los?

Der im Augenblick tobende politische Konflikt hat drei Dimensionen: Zum einen das Aufeinanderprallen von zwei gegensetzlichen und unvereinbaren politischen Visionen – die eine liberal, die andere konservativ und EU-skeptisch, zum anderen die brutale und illegale Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien durch die neue Regierung, und letztendlich die unbegründete Festnahme von zwei Abgeordneten, die das Polnische Antikorruptionsbüro gegründet haben. Wir haben es mit einem Patt zu tun, das wahrscheinlich nicht auf verfassungsrechtlicher Ebene, sondern nur auf politischer oder praktischer Ebene gelöst werden kann.

Die ersten Schüsse in diesem Krieg fielen bereits vor dem Wahlsieg der Recht und Gerechtichkeit (PiS) im Jahr 2015, als die liberale Bürgerplatform (PO) die Wahl überzähliger Verfassungsgerichtsrichter durch das Parlament, den Sejm, erzwang. Die PO wusste, das sie wahrscheinlich die Wahl verlieren würde. Ziel war also, die Regierungsarbiet in Zukunft durch Verfassungsbeschlüsse zu behindern und die Plätze im Verfassungsgericht zu blockieren, damit die PiS keine eigenen Richter mehr ernennen kann. Auf diese Weise wurde das Verfassungsgericht politisiert. Nicht von der PiS, sondern von der PO.

Natürlich hat die PiS ihre eigenen Richter trotzdem ernannt. Die PO ging sofort mit einer Beschwerde zur Europäischen Kommission, was mit einem Rechtstaatlichkeitsverfahren gegen Polen endete. Dazu kam der Versuch der Partei von Jarosław Kaczyński, das Justizwesen zu reformieren, u.a. um die Wahl von Richtern in den Nationalen Justizrat transparenter zu gestalten. Das gefiel den Richtern, die Verwandte und Bekannte hinter geschlossenen Türen dazuwählten, und sich selbst „außergewöhnliche Kaste” nannten, natürlich nicht. Sie gingen auf die Straße und nach Brüssel, und die Bürgerplattform Donald Tusks ernannte sich zu ihrer politischen Vertretung. Die acht Jahre der Regierung PiS verliefen also unter dem Vorzeichen einer ständigen Auseinandersetzung mit der Justiz und der Anwaltschaft, die seit 1989 keinerlei Reform unterlagen und wollten, dass das so bleibt.

2023, nach acht Jahren der Regierung PiS, mit vielen Krisen (Pandemie, Krieg in der Ukraine), aber auch beisspiellosem Wirtschafts- und Wohlstandswachstum, folgte eine äußerst heftige Wahlkampagne. Die Brutalität dieser Kampagne bestand in der außergewöhnlichen Intensität negativer Botschaften. Es wurde weniger über die Vision des zukünftigen Polen gesprochen, als Angst vor dem politischen Gegner geschürt. Dies löste große Emotionen bei den Wählern aus, was zu einer riesigen (für polnische Verhältnisse) Wahlbeteiligung führte, die den liberalen und linken Parteien den Sieg bescherte, aber gleichzeitig die Polarisierung verschärfte.

Die neue Regierungskoalition, aus zwölf Parteien bestehend, von liberal bis links, machte kein Hehl daraus, dass sie auf Rache sinnt. Alles was mit der PiS zu tun hat, was auch nur an sie erinnert, sollte verschwinden. Natürlich wusste Donald Tusk, dass es in Polen Mediengesetze gibt, einen Medienrat, und einen Präsidenten, der ein Vetorecht besitzt, aber er beschloss das zu ignorieren. Recht und Gesetz wie zum Beispiel die Verfassung sollten den großen Rachefeldzug nicht behindern.

Aktion im Präsidentenpalast

Am 13. Dezember, am Tag der Vereidigung der neuen Regierung durch den Sejm, auf der Grundlage einer Parlamentsresolution, die keinerlei Rechtsfolgen nach sich zieht, ohne ein neues Mediengesetz zu erlassen, wurden die Direktoren der öffentlich-rechtlichen Medien entlassen und neue drangen in die Gebäude dieser Medien ein, in Begleitung bewaffneter Wachmänner. Das Sendesignal des Nachrichtensenders TVP Info wurde einfach ausgeschaltet. Es kam zu Rangeleien. Eine Abgeordnete der PiS, die versucht hat, die dort befindlichen Journalisten zu verteidigen, wurde verletzt. Der Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz, der diese brutale Aktion in Auftrag gegeben hat, hat anschließend versucht, die neuen Direktoren zu registrieren, aber die Gerichte haben ihm das verweigert, weil dafür die Rechtsgrundlage fehlt. Die gesamte Aktion war also illegal. Die PO hat sich aber dazu entschlossen, weil sie wusste, das Präsident Andrzej Duda gegen ein neues Mediengesetz sein Veto eingelegt hätte. Der politische Wille stand also für die Bürgerplattform über Recht und Gesetz.

Das war der Beginn des politischen Patts, in dem wir uns augenblicklich befinden. Da die Gerichte die Übernahme der Medien nicht sanktionieren wollten, wurden sie unter Konkursverwaltung gestellt, um Liquidatoren einführen zu können. Der Präsident hat im Gegenzug gegen das komplementäre Haushaltsgesetz sein Veto eingelegt, das eine Finanzierung für die öffentlich-rechtlichen Medien in Höhe von 3 Milliarden Zloty vorsah. Das Sendesignal von TVP Info war über mehrere Tage ausgeschaltet, es lief keine Werbung, was ernsthafte finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen wird. Inzwischen ist TVP Info wieder auf Sendung, aber die Hauptnachrichten werden in einem gepachteten Studio aufgenommen, weil die „neuen” Journalisten der Bürgerplattform Angst vor Sabotage haben. Die Zuschauerzahlen sind in den Keller gerutscht. Ein kleiner, konservativer Privatsender, der bislang 0,5 Prozent Marktanteil hatte, hat plötzlich fast 6 Prozent – die Leute haben auf ihn umgeschaltet.

Wie sich herausgestellt hat, war das aber erst der Anfang der Säuberungsaktion der Bürgerplattform. Danach kam die Verhaftung der beiden Abgeordneten der PiS. Mariusz Kamiński und Maciej Wąski, die bei den letzten Wahlen erneut ins Parlament gewählt wurden, hatten zuletzt Ministerämter inne und waren vorher, in den Jahren 2005 bis 2009, bei der damals neu gegründeten CBA, der Polnischen Antikorruptionsbehörde, tätig. Kamiński, der zur Zeit des Kommunismus im Untergrund aktiv war, war Chef der CBA und galt als unermüdlicher Kämpfer gegen die Korruption. Während seiner Tätigkeit hat er viele Interessen angerührt, auch die von mit der Bürgerplattform verbundenen Geschäftsmännern.

Im März 2015 wurden beide Abgeordnete in erster Instanz zu drei Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Wenn man in Betracht zieht, wie das Verhältnis der Richter zu der PiS aussieht, war so ein hartes Urteil zu erwarten. Ein halbes Jahr später hat sie der neue Präsident Andrzej Duda begnadigt. Zwei Jahre später erklärte der Oberste Gerichtshof die Begnadigung aber für unwirksam, da beide nicht rechtskräftig verurteilt waren. Es gibt aber keine Vorschriften, die das regeln. In der Verfassung heißt es, dass der Präsident Gnade gewähren kann. Punkt. Dieselben Rechtsexperten, die 2015 behauptet haben, die Begnadigung beider Politiker sei wirksam, behaupten heute das Gegenteil.

Der Grund für die Verurteilung beider, die sogenannte Grundstücksaffäre, liegt Jahre zurück. Damals überführte die CBA den Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper der Korruption, u.a durch einen inszenierten „Deal“, der in der operationellen Arbeit der Polizei nicht unüblich ist, aber beiden zur Last gelegt wurde. Im Dezember 2022 verurteilte das Bezirksgericht in Warschau beide Abgeordneten erneut, diesmal zu zwei Jahren Haft, gleichzeitig wurden sie aber von den schwersten Vorwürfen freigesprochen. Für geringfügige Amtsverfehlungen wurde ein hartes Urteil verhängt. Sie wurden verurteilt u.a. dafür, dass sie zwar die gerichtliche Erlaubnis hatten, den Verdächtigen an einem öffentlichen Ort zu verhören, dies jedoch in einem Hotel geschah und das Gericht entschied, dass es sich bei einem Hotel nicht um einen öffentlichen Ort handelte. Ein absurdes Urteil und eine Politposse, deren Ziel es ist, die Abgeordneten der PiS in Angst und Schrecken zu versetzen.

Staatsanwaltschaft übernehmen, um straffrei zu bleiben

Der Vorsitzende des Sejm, Szymon Hołownia, hob ihre Immunität sofort auf. Beide legten Einspruch dagegen ein. Eine Kammer des Obersten Gerichtshofs befand die Aufhebung der Immunität für gültig, eine andere für ungültig. Und das Chaos begann. Die Abgeordneten wurden während eines Besuchs im Präsidentenpalast während der Abwesenheit des Präsidenten von der Polizei festgenommen. Polizisten drangen in den Präsidentenpalast ein und zerrten sie hinaus. Sobald Andrzej Duda davon erfuhr, versuchte er Ihnen zu Hilfe zu kommen, aber seine Limousine wurde von einem angeblich kaputten Stadtbus blockiert. Die PiS glaubt, das sei absichtlich geschehen, zumal der Präsident wahrscheinlich abgehört wurde, sonst hätte die Polizei nicht gewusst, wo im Präsidentenpalast die beiden Politiker sich befinden. Ein unerhörtes Geschehen in einem demokratischen Land unter einer Regierung, die sich die Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat.

Beide Politiker befinden sich augenblicklich in zwei verschiedenen Gefängnissen. Sie sind in Hungerstreik getreten, und der Gesundheitszustand von Mariusz Kamiński hat sich erheblich verschlechtert. Es gab einen riesigen Protest in Warschau zur Verteidigung der Medien und beider Abgeordneter, Bis zu 300.000 Menschen haben an ihm teilgenommen. Trotz schlechten Wetters.

Natürlich ist es nicht so, dass all dies ohne Konsequenzen für die Regierung Donald Tusks sein wird. Alle illegalen Aktionen der letzten Wochen sind bei der Staatsanwaltschaft gelandet. Die Strafen für einzelne Minister können hoch ausfalllen. Daher beschloss der Justizminister Adam Bodnar, den Landesstaatsanwalt abzusetzen. In Polen fungiert der Justizminister als Generalstaatsanwalt, während die Staatsanwaltschaft in der Praxis vom Landesstaatsanwalt und seinen Stellvertretern geleitet wird. Um den Landesstaatsanwalt zu entlassen, bedarf es laut Verfassung einer Zustimmung des Präsidenten, genauer gesagt seiner Unterschrift. Deshalb reagierten die 11 Verteter des Landesstaatsanwalts sofort und protestierten heftig gegen so einen Verfassungsverstoß. Się haben sich im Gebäude der Landesstaatsanwaltschaft verschanzt – genauso wie der Justizminister, der sich dort ein Büro eingerichtet hat. Auf Twitter gab er dann bekannt, er habe sich mit dem amerikanischen Botschafter getroffen und der habe ihn gelobt – er mache alles richtig.

Die nächsten zwei Wahlkämpfe kommen

Zusammenfassend: Polen befindet sich in einer sehr tiefen Verfassungskrise, der tiefsten seit dem Fall des Kommunismus und möglicherweise des Kriegszustands von 1981, mit dem das Vorgehen der neuen Regierung oft verglichen wird. Panzer auf den Straßen sehen wir zwar noch nicht, aber wir haben es bereits mit gewaltsamen Aktionen zu tun. Und mit einem Rechtsdualismus, der den Staat paralysiert, Es wird immer häufiger von einem Zustand der Anarchie gesprochen. Es gilt nicht das Gesetz, sondern die Meinung von Rechtsexperten, die gegen entsprechendes Entgelt gerne alles zurechtinterpretieren. Wie Donald Tusk so schön gesagt hat: „Wir werden das Recht anwenden so wie wir es verstehen”.

Der Präsident, größtes Hindernis für ein bequemes Durchregieren Tusks, soll entmachtet werden, seine Befugnisse verschwinden. Es ist der Triumph des politischen Willens über den Rechtsstaat.

Alle sind sich einig, dass die derzeitige Situation und das Chaos für Polen, seine Wirtschaft, schädlich sind. Derzeit ist jedoch keine Lösung in Sicht. Die neue Regierung basiert auf dem Hass der liberalen Eliten (Justizwesen eingeschlossen) gegenüber der PiS und der Unterstützung des Westens, während sich die Opposition immer mehr konsolidiert, stärkt und auf einen langfristigen Kampf vorbereitet. Polen hat zwei Wahlkämpfe vor sich im ersten Halbjahr dieses Jahres: die Kommunalwahlen und die Europawahlen. Es drohen auch vorgezogene Neuwahlen, wenn das Parlament den Haushalt bis Ende Januar nicht verabschiedet.

Die Polen erwarten zudem weitere Konflikte um die Polnische Nationalbank (Donald Tusk träumt vom Euro, der Chef der Notenbank will das verhindern) und das Verfassungsgericht. Die Bürgerplatform will 4.000 Richter entlassen, alle, die zur Zeit der PiS Regierung ernannt wurden. Es drohen auch ideologische Kriege rund um den Migrationspakt der EU, die Abtreibung und die Homoehe sowie die Föderalisierung, also die Zentralisierung der Europäischen Union, die Donald Tusk unterstützt. Keine der Seiten ist dabei bereit, klein beizugeben. Man kann nur hoffen, dass die Liberalen zur Vernunft zurückfinden, obwohl es mit jedem Schritt vorwärts immer schwieriger wird. Und die Erwartungen in Brüssel sind groß, dass das, was in Polen geschieht, Schule machen könnte – als Methode gegen „illiberale” Populisten.

Aleksandra Rybińska ist Politologin, Redakteurin der Internetzeitschrift „Nowa Konfederacja“, Publizistin des Portals „wPolityce.pl“ und des Wochenmagazins „wSieci“ sowie Vorstandsmitglied der Maciej Rybiński Stiftung.