Freitag, 12. März 2021

Als vor 10 Jahren die Deutschen den Japanern die Jodtabletten wegfraßen...

von Thomas Heck...

Die mentale Inkompetenz ist ein Meister aus Deutschland. Das fiel mir das erste Mal auf, als während der Vogelgrippe und der begleitenden Hysterie Eltern von Schulkameraden meines Sohnes, Juristen, mir ganz stolz ihre Tamiflu-Spritzen zeigten, bis in die Haarspitzen bereit, diese bei ersten Anzeichen von Schnupfen, den Kindern bis zum Anschlag in deren dünne Ärmchen zu rammen. Auf die geniale Idee das präventive Tragen von Masken zum Standard zu erheben, kam damals keiner. Wir waren noch nicht soweit.

Den Tsunami in Japan erlebte ich live in einer Filiale der Deutschen Bank, wo ich damals arbeitete. Ich war damals als Stabsoffizier der Reserve auch Leiter eines Kreisverbindungungskommandos der Bundeswehr und durch Hochwasser durchaus katastrophenerprobt, doch diese Aufnahmen berührten mich in ihrer Wucht. Als die ersten Bilder des durch entzündenden Wasserstoffs weggeblasenen Dachs des Kernkraftwerks über die Bildschirme flimmerten, war die ersten Deutschen schon in Apotheken unterwegs und kauften in Erwartung des nuklearen Fallouts die Bestände an Jodtabletten auf. Wir haben damals faktisch den Japaner die Jodtabletten weggefressen.

Das Kernkraftwerk sah ich damals gar nicht als das größte Problem und das war es im Nachhinein betrachtet auch gar nicht der Fall. So gab es nicht einen einzigen Strahlungstoten, wenn auch Jahre später immer wieder behauptet wurde, die 20.000 Toten wären Tote eine Reaktorkatastrophe gewesen, so wie dieses Jahr wieder die Grüne Jugend. Nur, durch Wiederholung werden Lügen nicht wahrer. Spoileralarm: Es  gab keine Strahlentoten. 

Doch damals funktionierten auch noch die Medien und Zeitungen schrieben Artikel, die so heute gar nicht mehr vorstellbar wären, wie man am Beispiel dieses Artikels in der WELT sehen kann, der aber damals Merkels Entscheidung eines überhasteten und unnötigen Atomausstiegs nicht mehr verhindern konnte, eine Entscheidung, die wir heute mit den weltweit höchsten Strompreisen bezahlen.


Atomkatastrophe: Die Hirnabschaltung der Deutschen nach Fukushima

Hilfe, Atomkraft! Die absolute Mehrheit der Deutschen will die Kernenergie sofort abschaffen. Aber was wollen wir? Biosprit und Ökostrom passen uns auch nicht in den Kram.

Die Explosion im Atomkraftwerk Fukushima 1 im März 2011

Die Explosion im Atomkraftwerk Fukushima 1 im März 2011 

Quelle: dpa/DPA

Die Explosion im Atomkraftwerk Fukushima 1 im März 2011 

Am 11. März 2011 blickte die Welt fassungslos auf Japan. Besonders in den deutschen Medien war die Bestürzung groß. Nicht so sehr über die 20.000 Toten, die das Erdbeben und der darauffolgende Tsunami gefordert hatte, sondern wegen der Strahlengefahr.

Kurz nach dem Reaktorunfall in Fukushima wurden in Apotheken von Flensburg bis Oberammergau die Jodtabletten knapp, Geigerzähler fanden reißenden Absatz. Mein Nachbar klebte demonstrativ einen "Atomkraft Nein Danke" Button auf seinen Porsche Cayenne und überlegte sogar, ein Elektroauto zu kaufen – als Zweitwagen für seine Frau.

In den folgenden Tagen erklärten in sämtlichen Talkshows fundierte Nuklearexperten wie Charlotte Roche, warum die Gefahren der Kernenergie nicht akzeptabel seien. Schauspieler, Philosophen und Theaterintendanten erläuterten, wie genau die Energiewende vonstatten gehen solle. Zahllose Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten gegen die Atomlobby.

In einer aktuellen Umfrage befürwortete eine absolute Mehrheit von 105 Prozent den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie. Das muss man akzeptieren, wir leben schließlich in einer Demokratie. Allerdings boykottiert eben diese Mehrheit auch den neuen Biosprit, schert sich kein bisschen um Ökostrom und mutiert zu einem cholerischen Irren mit Schnappatmung, wenn die jährliche Heizkostenabrechnung 20 Euro teurer ist. Seltsames Völkchen, diese Mehrheit.

Wir importieren heimlich unseren Atomstrom aus Osteuropa

Und auch die Regierung reagierte umgehend. Unter der Leitung des Umweltpolitikers Dr. Klaus Töpfer wurde eine Ethikkommission ins Leben gerufen, in der naturwissenschaftliche Koryphäen wie Kardinal Reinhard Marx, Landesbischof Ulrich Fischer und der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Alois Glück beschließen, dass dieses Atom... dings... also, das mit den Strahlen... irgendwie... unethisch ist. 

Kurz darauf beugte sich die promovierte Physikerin Angela Merkel dem Urteil der Energie-Experten und folgte dem Wunsch der Masse. Sie ließ sieben deutsche Kernkraftwerke mit sofortiger Wirkung abschalten. Was gestern noch ungefährlich war, wurde zur großen Bedrohung – für die Kanzlerin.

Mittlerweile ist ein Jahr vergangen und alle fiebern der versprochenen Energiewende entgegen. Seit am 6. August 2011 Krümmel und Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel, Isar und Phillippsburg für immer abgeschaltet wurden, importieren wir heimlich, still und leise unseren Atomstrom aus Osteuropa. Sozusagen Strom aus der Tschechdose. Und natürlich von unseren Nachbarn aus Frankreich.

Für den Fall, dass in Zukunft ein grenznahes französisches AKW hochgehen sollte, wird derzeit ein Gesetz verabschiedet, das es dem radioaktiven Fallout verbietet, die Grenze zu überqueren. Etwa so sinnvoll, wie ein Schwimmbecken in Pinkler- und Nichtpinkler zu unterteilen.

Strom ist Strom. Merkt ja sowieso keiner

Im Grunde genommen läuft also alles wie am Schnürchen. Wir sind fein raus und lassen uns weltweit als Vorreiter und Nachhaltigkeits-Pioniere abfeiern. Eng wird's eigentlich nur, wenn die Temperaturen dauerhaft unter Null Grad sinken. Dann nämlich benötigen Franzosen und Tschechen ihren Strom selbst. Aber ganz ehrlich: Wann passiert das schon mal? Immerhin wurde uns der Klimawandel per EU-Verordnung fest zugesichert. So gesehen war die massive Kältewelle, die sich im Februar zwei Wochen lang über Deutschland legte, illegal. Aber eine sibirische Hochdruckfront lässt sich eben von Erneuerbarer Energiepolitik nicht groß einschüchtern!

Glücklicherweise reagierte die Bundesnetzagentur und warf wieder unsere bekannt umweltschonenden Braunkohlekraftwerke an, damit in unseren ökostrombetriebenen Altbauwohnungen auch weiterhin die Energiesparlampen leuchten konnten. Strom ist Strom. Merkt ja sowieso keiner.

Inzwischen sieht es so aus, als ob die große Energiewende von der Realität eingeholt wird . Konnte schließlich keiner ahnen, dass Windkraftwerke nur dann Strom liefern, wenn der Wind weht. Auch die allseits beliebte Solarenergie kommt in einem Land, das etwa die gleiche Sonneneinstrahlung hat wie Alaska, absurderweise nicht so recht in die Gänge. Die Bundesregierung jedenfalls kürzt seit neuestem drastisch die Solarförderung , weil die Kosten deutlich über den Erträgen liegen. Obwohl man sie inzwischen mit etwa 100 Milliarden Euro subventioniert hat, macht Photovoltaik nur mickrige zwei Prozent des deutschen Energiemixes aus. 

Rein von der Ökobilanz wäre es folglich effektiver gewesen, Langzeitarbeitslosen 100.000 Euro pro Jahr zu zahlen, damit sie ein, zwei Stündchen am Tag auf Ergometern für den deutschen Energiehaushalt strampeln. Ob es uns gefällt oder nicht, Photovoltaik ist und bleibt die ineffizienteste Art der Energieerzeugung. Und mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik kann man nun mal nicht verhandeln. Wenn Sie ein mittleres Kohlekraftwerk durch Sonnenkollektoren ersetzen wollen, brauchen Sie dafür etwa die Fläche von Düsseldorf. Zugegeben, der Kölner würde sagen: "Dat iss es mir wert..."

Jede Art von Energiesicherheit hat ihren Preis

Doch all das ficht uns nicht an. Entgegen aller Fakten berauschen wir uns an der Vorstellung von billiger, sauberer und unendlich vorhandener Energie. Und dabei vergessen wir, dass jede Art von Energiesicherheit ihren Preis hat. Einen Preis, den wir partout nicht zahlen wollen. Deswegen fordern wir Off-Shore-Windparks und gründen im Gegenzug eine Bürgerinitiative, wenn die Starkstromtrasse vor unserem Haus entlangläuft.

Wir wollen Exportweltmeister bleiben, jeden Morgen warm duschen und Strom aus der Steckdose – doch wenn E.ON ein neues Kohlekraftwerk plant – no way! Plutonium, Elektrosmog und Feinstaub sind die Pest, aber ein Tempolimit von 130 km/h kommt natürlich nicht in die Tüte. Schließlich gehört es zum Grundrecht eines jeden Deutschen, den Familienausflug im Opel Zafira mit der Geschwindigkeit einer Mittelstreckenwaffe zu absolvieren.

Wir wollen Party feiern, aber danach keinen Kater haben. Und vor allem wollen wir nicht schuld sein. Noch vor 70 Jahren haben wir die rassistische Überlegenheit in Anspruch genommen. Heute haben wir die moralische Überlegenheit für uns entdeckt. Wir alle möchten so gerne die Welt retten, aber wenn Mutti zum Müllruntertragen ruft, ist keiner da.

Der Autor ist Physiker und Kabarettist. Zuletzt von ihm erschienen: "Machen Sie sich frei, sonst tut es keiner für Sie", Rowohlt-Verlag .

Erschienen in der WELT...



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