Dienstag, 13. Oktober 2020

Kampftruppe verzweifelt gesucht... EU...

von Thomas Heck...

Die EU will sich um die eigene Verteidigung stärker kümmern, will nicht mehr abhängig von den USA sein. So sollte die EU Battle Group bis 2021 einsatzbereit sein. Doch daraus wird nichts. Aus, kaum zu glauben, Mangel an Kampftruppen. Jetzt rächt es sich, dass Deutschland mittlerweile Spezialist für Brunnenbau im Einsatzgebiet ist. Das Kämpfen wurde verlernt. 


Soldatenmangel: EU-Kampftruppen, verzweifelt gesucht

Die EU will ihr außenpolitisches Schicksal stärker selbst in die Hand nehmen. Ein Blick auf ihre Kampftruppen ist ernüchternd. Bis zum Jahreswechsel werden neue Soldaten und Waffen benötigt. Doch die Mitgliedsländer stecken den Kopf in den Sand.

Ein schwedischer Soldat bei einem Übungseinsatz im Rahmen der Nordic Battlegroup der EUEin schwedischer Soldat bei einem Übungseinsatz im Rahmen der Nordic Battlegroup der EU 


Der dringende Appell kam ganz zum Schluss eines internen Generalstabstreffens in Brüssel. „Die Priorität muss sein, die notwendigen Mittel und das notwendige Personal für alle militärischen EU-Einsätze bereitzustellen. Militärisches Engagement trägt bei zu einem Europa, das in Sicherheits- und Verteidigungsfragen autonomer, fähiger und glaubwürdiger ist“, rief Europas oberster Militär, der italienische Vier-Sterne-General Claudio Graziano, seinen Kollegen aus 27 EU-Mitgliedsländern bei einem Treffen im Juli zu.

Zuvor hatte der Chef des EU-Militärausschusses klargemacht, was er damit meinte: Brüssel braucht dringend Soldaten und Waffen aus den Mitgliedsländern für die EU-Kampftruppen (EU Battle Groups) im ersten Halbjahr 2021. Der Weckruf versandete, bis heute hat sich niemand gemeldet. 

Die Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Nabila Massrali, bestätigte WELT AM SONNTAG: „Die Diskussionen mit den Mitgliedstaaten, um die Lücken bei den EU-Kampftruppen im ersten Halbjahr 2021 zu schließen, gehen weiter.“ Im November will es Graziano in Brüssel bei einer Truppenstellerkonferenz für globale Einsätze noch einmal versuchen.

Dabei ist es eigentlich schon viel zu spät. Brüsseler Diplomaten betonen, dass die EU-Kampftruppen in der Regel ein Jahr im Voraus feststehen müssten, damit die beteiligten Nationen zusammen üben können, um im Krisenfall einsatzbereit zu sein. Die schnellen Krisenreaktionskräfte, die spätestens nach zwei Wochen am Einsatzort sein sollen, haben einen klaren Auftrag: humanitäre Hilfe, wie Evakuierungen, aber auch militärische Stabilisierungsoperationen in Krisenregionen, oder Präventiveinsätze, wenn Krieg droht.

Die EU verfügt normalerweise über zwei Kampftruppen zu jeweils rund 1500 Soldaten. Jede Kampftruppe wird von einer Führungsnation (lead nation) geleitet und muss sich für sechs Monate bereithalten. Bis Ende Dezember werden die schnellen Einsatzkräfte von Deutschland und Italien als Führungsnationen gestellt. 

Weitere Länder, wie Österreich, Tschechien, Finnland, Irland, Griechenland oder Portugal, beteiligen sich. EU-Kampftruppen verfügen über schweres militärisches Gerät wie Panzer, ABC-Abwehrkräfte, Kampfhubschrauber und Flugabwehrsysteme.

Die EU-Kampftruppen gibt es seit 2005, sie waren jedoch noch nie im Einsatz. Aber in Brüssel ist jedem klar: Das Chaos, der Krieg und die Verzweiflung in instabilen Staaten wie Libyen können unmittelbar auf Europa ausstrahlen. Hinzu kommt, dass die EU neuerdings einen Gestaltungsanspruch hat, sie will außenpolitisch mitmischen in der Welt. 

Kanzlerin Angela Merkel sagte schon 2017 dazu: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei (…). Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.“ Der EU-Außenbeauftragte Borrell erklärte: „Um zu vermeiden, dass wir zu den Verlierern des Wettbewerbs zwischen den USA und China werden, müssen wir die Sprache der Macht neu erlernen und uns selbst als geostrategischer Akteur der obersten Kategorie begreifen.“ Und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) deklamierte kürzlich voller Pathos: „Es geht um die Handlungsfähigkeit Europas – und um den Willen, den ‚will to act‘.“

Alles nur schöne Worte, denen keine Taten folgen? David McAllister (CDU), einflussreicher Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, warnt davor: „Die aktuelle Covid-19-Pandemie führt zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in der geopolitischen Landschaft.“ Wenn die EU als „effektiver und glaubwürdiger globaler Akteur wahrgenommen werden soll, benötigt es einen stärkeren und echten Willen der Mitgliedstaaten, außenpolitische Verantwortung zu übernehmen“. Dazu gehöre auch, eigene militärische Fähigkeiten zu stärken und auszubauen.

EU-General Graziano muss weiter hoffen. Weil sich niemand für die Kampftruppen meldet, wird jetzt überlegt, Deutschland und Italien so lange zu bearbeiten, bis sich beide Länder für weitere sechs Monate verpflichten. Auch Frankreich könnte möglicherweise irgendwie einspringen. EU-Diplomaten lästern, das habe mit fairer Lastenteilung und militärischer Verantwortung nichts zu tun – das wären nur „faule Kompromisse“.



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