Samstag, 12. September 2020

Pinkeln in Berlin... ein Kraftakt...

von Thomas Heck...

Früher wurden öffentliche Toiletten in Berlin von der Firma Wall AG betrieben, finanziert durch Werbung. Kosten für den Steuerzahler? Null. Das hatte den Berliner Senat geärgert und er nahm sich der Sache selbst an. Der Vertrag mit der Wall AG wurde Ende 2018 beendet. Eine weitere Verlängerung des Vertrages war unter anderem aus kartell-, beihilfe- und vergaberechtlichen Gründen nicht möglich.

Durch das Auslaufen des “Toilettenvertrages” bestand jedoch nach 25 Jahren erstmals wieder die Chance, den Bedarf und die bedarfsgerechte Ausstattung der öffentlichen Toiletten zu ermitteln und die künftige Versorgung an diesem Bedarf auszurichten. Bisher hing die Versorgung mit öffentlichen Toiletten vom Grad der Kommerzialisierung des öffentlichen Straßenlandes durch Werbeanlagen ab. Errichtung und Betrieb der Toiletten wurden deshalb ab 2019 von der Erteilung von Werberechten entkoppelt.

Die Bedarfsanalyse im Toilettenkonzept wurde in Zusammenarbeit mit den Bezirksämtern, Seniorenvertretungen, den Behinderten- und Tourismusverbänden und weiteren Interessengruppen erstellt. In diesem Beteiligungsprozess wurden vorhandene Standorte bewertet und neue Standorte identifiziert, Ausstattungsmerkmale festgelegt und mögliche Kooperationspartner vorgeschlagen.

Im November 2017 startete dann die europaweite Ausschreibung für die Beschaffung, Errichtung und den Betrieb der öffentlichen Toilettenanlagen. Dabei wurde dem Toilettenkonzept entsprechend eine Grundversorgung an öffentlichen Toilettenanlagen mit der Option, auch Toilettenanlagen für eine verbesserte Versorgung Errichten und Betreiben lassen zu können, ausgeschrieben. Das Verfahren ist im Juni 2018 mit dem Zuschlag an die Wall GmbH erfolgreich abgeschlossen worden. Die im Toilettenkonzept genannte Zahl von 257 Standorten der Grundversorgung konnte in Abstimmung mit den Bezirken um 24 Standorte ausgeweitet werden, insbesondere in den Außenbezirken, so dass es bereits in der Grundversorgung 281 öffentliche Toilettenanlagen geben wird. Was toll klingt, endete in einer Katastrophe, Berlin blamiert sich mit öffentlichen Toiletten: Sexistisch und voyeuristisch. Und fällt auch nicht das erste Mal durch ein Pinkelthema unangenehm auf, wie man hier sehen konnte.

Berlin könnte die Verzögerungen beim BER ja damit erklären, dass es kompliziert, ist einen Flughafen zu bauen. Aber diese Entschuldigung zieht nicht, wenn man sich die Sache mit den öffentlichen Toiletten anschaut. Denn Toiletten sollten eigentlich nicht so schwer zu bauen sein. Und trotzdem kriegt die Stadt es nicht richtig hin.

Zugucken leicht gemacht: Der Sichtschutz für die öffentlichen Toiletten am Leopoldplatz ist eher albern. 


Denn die neuen öffentlichen Toiletten sind sexistisch und nicht mal funktional: Der Sichtschutz an den Pissoirs tut nicht, was er soll, weil er zu klein ist. Obendrein stehen die neuen Toiletten nur dort, wo sich besonders viele Tourist*innen aufhalten — als müssten die Berliner*innen nicht mal aufs Klo, wenn sie unterwegs sind. 

Wenn bald das neue Toilettenhäuschen auf dem Leopoldplatz im Wedding öffnet, können die Gäste des Café Leo analysieren, ob die Männer, die dort pinkeln gehen, einen gesunden Strahl haben. Der Eingang des Pissoirs zeigt nämlich in Richtung Café und ist nur wenige Meter davon entfernt. Das wäre kein so großes Problem, wenn jemand vorher an vernünftige Sichtschutzwände gedacht hätte — entweder die Betreiberfirma Wall oder der Senat. Die Wände sind nämlich so niedrig und schmal, das man eigentlich auch ganz auf sie hätte verzichten können. 

Das Häuschen ist Teil des Berliner Toilettenkonzepts, nach dem 172 vollautomatische barrierefreie öffentliche WCs aufgebaut werden sollen. Laut einem Bericht des „Tagesspiegel“ besteht das gleiche Problem am Metzer Platz in Spandau und an der Grenzallee/Ecke Sonnenallee und am Boddinplatz in Neukölln. Auch dort können Passant*innen Männer beim Urinieren beobachten. Wer drauf steht, spendet den neuen Toiletten wahrscheinlich Beifall. Alle anderen jedoch denken sich bestimmt: Kein Wunder, dass das mit dem BER jetzt bald 14 Jahre gedauert hat, wenn Berlin nicht mal Toiletten mit Türen aufstellen kann.

Toiletten taugen nichts: Die U-Bahn ist Schuld an der Ausrichtung

Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) erklärt das neue Toilettenhaus am Leopoldplatz und seine Ausrichtung so: Man hätte es wegen der darunter liegenden U-Bahn nicht anders ausrichten können. Die Alternative wäre gewesen, ganz auf das Klo zu verzichten. Einfacher sei es, die Stühle des Cafés anders anzuordnen. 

Der eigentliche Witz, oder Skandal, an der ganzen Geschichte ist aber eigentlich auch nicht das Klo auf dem Leo. Auch nicht die unbrauchbaren Sichtschutze, obwohl allein die ein Fall für „Der reale Irrsinn der Woche“ bei extra3 wären, wie ein Twitter-User in Richtung des Bürgrmeisters kritisierte. Sondern, dass Berlin zusammen mit dem Bund-Länder-Förderprogramm nur neue öffentliche Toiletten an Standorten fördert, die „touristisch relevant“ sind. Die Stadt tut so, als müssten nur Tourist*innen aufs Klo. Und verschließt die Augen vor den tausenden Berliner*innen, die regelmäßig in Parks und auf kleine Grünflächen pinkeln, weil es nicht genug öffentliche Toiletten gibt. 

Zuletzt hatte sich der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel (SPD), darüber beschwert, dass die Hasenheide nach illegalen Raves voll mit Urin und Fäkalien war. Dabei hat er vollkommen außer Acht gelassen, dass das Problem nicht nur bei illegalen Raves besteht. Wer im Sommer einen Tag in der Hasenheide verbringt, lesend, sich sonnend, Kindergeburtstag feiernd, geht zum Pinkeln in die Büsche. In allen anderen Parks läuft es genauso. Berlin braucht mehr öffentliche Toiletten, für Tourist*innen, aber auch und vor allem: für Obdachlose, für Spaziergänger*innen und für Menschen ohne Garten, die am nun mal in den Park müssen, wenn sie etwas Natur um sich herum genießen wollen. 

Besucher*innen des öffentlichen WC am Leopoldplatz können sich den Cafégästen präsentieren. 

Die neuen Toiletten sind auch noch sexistisch

Und noch etwas stimmt nicht mit dem Berliner Toilettenkonzept. Wieso, Donnerwetter, gibt es in den neuen Toilettenhäuschen keine Pissoirs für Frauen? Was für eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, was für ein sexistischer Mist ist das denn? Männer dürfen umsonst pinkeln, während Frauen weiterhin 50 Cent für die verschließbaren Toiletten zahlen müssen. 

Wer jetzt sagt, Frauen sei es aus anatomischen Gründen unmöglich, ein Pissoir zu benutzen und das sei der Grund, dass es in den neuen Toiletten nur für Männer gibt, der verschließt die Augen vor der Realität. Oder ist eben ein Sexist. Nicht erst seit dem Festival „Fusion“ und den großartigen Urinellas, die wie Trichter funktionieren, urinieren Frauen in andere Toiletten als das herkömmliche Wasserklosett. In Frankreich und vielen anderen Ländern gibt es seit jeher Boden-Klos. „Hocktoilette“ lautet der offizielle Name. Könnte man einbauen, wenn man schon dabei ist und Pissoirs für Männer einrichtet. 

Eine „Hocktoilette“ im Oman: Etwas in dieser Art könnte man in die öffentlichen Klos in Berlin einbauen. 


Aber Berlin kann anscheinend keine Klos. Das hat sich schon an dem grottenschlechten Deal gezeigt, den die Stadt bis 2018 mit der Firma Wall hatte. Nach dem Deal hat Wall jahrzehntelang die öffentlichen Toiletten unentgeltlich betrieben (die nicht selten kaputt waren) und hatte im Gegenzug die Hoheit über fast alle Werbeflächen in der Stadt — zum Beispiel die an Bushaltestellen. Niemand wusste, wie viel Wall für die Toiletten ausgibt und über die Werbeflächen einnimmt. Die Differenz aber muss gewaltig gewesen sein — zugunsten von Wall und den Werbeeinnahmen. 

Auch wenn es nicht viele Möglichkeiten gibt, unterwegs die Blase zu entleeren: Wir empfehlen 12 schöne Routen für einen Waldspaziergang in Berlin. Außerdem haben wir die schönsten Radtouren durchs Umland zusammengestellt. Euer Fahrrad hat schlapp gemacht? Diese 22 Fahrradläden helfen euch bei euren Bike-Problemen. Nicht auf dem neuesten Stand, was die Corona-Verordnungen angeht? Berlin informiert regelmäßig über alle neuen Entwicklungen in der Pandemie.




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