Sonntag, 2. Februar 2020

Höckokalypse Now, der Denunziantenstadel in der SZ

von Mirjam Lübke...

Wer träumt nicht heimlich davon, einmal Teil eines politischen Skandals zu sein? 
Bätschi! Ich habe es geschafft! Wenn auch nur durch ein kleines Detail. Aber dazu gleich. 


Vor ein paar Tagen enthüllte die Süddeutsche Zeitung Unglaubliches. Man könnte schon fast von einer Verschwörung epischen Ausmaßes sprechen. Nicht ganz so gewaltig wie die zionistische Weltverschwörung, die von dem SZ-Karrikaturisten Hanitzsch bisweilen mit herangezeichnet wurde, aber schon ganz dicht dran

Die Münchener Verkehrsbetriebe stehen nämlich unter dem Einfluss von Björn Höcke! Während der WDR recht plump propagandistisch durch einen Kinderchor der älteren Generation das Schnitzel vom Teller ekeln will, sind in den Verkehrssicherheits-Cartoons der MVG subtile völkische Botschaften versteckt. Wir wissen zwar nicht welche, aber das findet die Süddeutsche bestimmt noch heraus. 
Denn der oder die Urheber des Münchener Kindl, des wackeren kleinen Maskottchens, das dem geplagten Nutzer von Bus und Bahn mit guten Tipps zur Seite steht, ist/sind identisch mit jenen, die auch den Wahlkampf-Comic der Thüringer AfD geschaffen haben. In dem - Skandal! - dazu aufgerufen wird - nun ja - die AfD zu wählen. 
Nun habe ich mit dem Münchener Kindl nichts zu tun, weshalb Herr Hanitzsch nicht den Stift zücken und die jüdische Weltverschwörung (Sektion Niederrhein) auch in bayerischen U-Bahnen verorten muss. Aber am Wingcommander-Comic - da habe ich mitgewirkt! 
Das geheimnisvolle Kollektiv wandte sich nämlich an Emma, mein tapferes Einhorn und mich. In meiner Funktion als Fangirl! 
"Frau Lübke, wir sind verzweifelt! Auch wenn unser Comic schon sehr gelungen zu sein scheint, sieht der Wingcommander noch nicht richtig wie Björn Höcke aus! Sie als Expertin für seine Physiognomie müssen uns helfen. Er muss einfach noch höckeliger werden!" 
Sofort unterwarfen Emma und ich den Cartoon einer aufwändigen PC-Analyse. Kurz bevor wir ernsthaft erwogen, uns in den japanischen Earth-Computer oder einen chinesischen Hochleistungsrechner einzuhacken, fiel es mir mit bloßem Auge auf:
"Das Grübchen! Ihr habt das Grübchen vergessen!" Ihr müsst wissen, dass Emma und ich Männer mit Grübchen im Kinn unwiderstehlich finden. Auch Aaron Eckhart. "Und lasst das Hemd mit den schwarzen Knöpfen weg. Der Söder hat das gleiche!"
Nein. Das mit dem Hemd habe ich nicht gesagt. Aber das Grübchen wurde eingezeichnet. Ein kleiner Strich für die Zeichner, ein großer für mich! 
Aber dieses Hemd... Fast hätte es mich heute von dem Katniss-Everdeen-Moment in seiner jüngsten Rede abgelenkt. Mockingjay im Landtag. Cool!

München: MVG-Werbefigur mit pikanter Herkunft

Das Comic-Kindl der MVG
Stets zu Hilfe, wenn man es braucht: Das Comic-Kindl in den TV-Spots der Münchner Verkehrsgesellschaft tritt bereits seit einigen Jahren in Verkehrsmitteln auf.
(Foto: MVG)
Das Münchner Kindl ist ein Held. Es rettet in einem fort andere Menschen, die in Not oder in Gefahr sind. Mal ist es ein Mann, der gedankenversunken in sein Handy starrend an der Kante des U-Bahnsteigs läuft, mal verhilft es einem Gehbehinderten und einer Schwangeren zu einem Sitzplatz im Bus. Wie Superman ist das Münchner Kindl zur Stelle, freundlich und hilfsbereit.

Zu sehen sind die Zeichentrick-Spots auf den Bildschirmen in den U- und Trambahnen, die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hat sie anfertigen lassen. Beauftragt ist damit ein Münchner Zeichner, und an dieser Stelle wird es schwierig für die MVG. Dieser Zeichner, der einen Namen hat in der deutschen Comic-Szene, hat nicht nur große Auftraggeber wie BMW, ADAC oder Lidl, er hat auch für Björn Höcke gearbeitet. Für den Thüringer AfD-Chef, der in seiner Partei ganz rechts außen steht, hat der Zeichner der MVG einen Comic illustriert, den die AfD im Thüringer Landtagswahlkampf im vergangenen Herbst eingesetzt hat. Man findet ihn noch auf Höckes Facebook-Seite.

In diesem dreiseitigen Comic mit dem Titel "Zeit für die Wende 2.0" beklagen eine Frau und ein Mann den Zustand der Bundesrepublik, die sie auf eine Stufe mit der DDR stellen. Man sei "wieder auf dem besten Weg in eine Gesinnungsdiktatur", heißt es etwa. Dann tritt Höcke auf und sagt: "Beängstigend, wie gleichgeschaltet Politik, Medien, Kultur und sogar die Kirchen inzwischen wirken." Das darf man als Anspielung an die Nationalsozialisten verstehen, die das Land gleichgeschaltet haben. Am Ende sagt die Frau im Comic: "AfD zu wählen ist heute wie eine friedliche Revolution mit dem Stimmzettel."

Höcke ist Anführer des "Flügels" innerhalb der AfD, den der Verfassungsschutz als "Verdachtsfall" einstuft. Höcke selbst fällt seit Jahren mit dezidierten Äußerungen auf, die keinen Zweifel an seiner Gesinnung lassen. Mal richten sie sich gegen Flüchtlinge, mal sind sie rassistisch konnotiert. Das Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin bezeichnete Höcke als "Denkmal der Schande" und forderte eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad".

Der MVG dürften sich nun einige politische, rechtliche und ethische Fragen stellen


Die MVG ist ein Tochterunternehmen der Stadtwerke, die wiederum im Besitz der Stadt München sind. Für dieses Unternehmen zeichnet jemand das Münchner Kindl, das Symbol der Stadt schlechthin, der Björn Höcke unterstützt. Wie passt das zusammen? "Ich wüsste nicht, was verwerflich daran wäre", sagt der Zeichner zu seiner Arbeit für Höcke und die AfD. Es habe sich um einen normalen Zeichen-Job gehandelt, womit er Geld verdiene. Den Text habe er von der AfD vorgelegt bekommen, er habe die Bilder beigesteuert. Die AfD Thüringen bestätigt dies. Den Comic habe er bewusst nicht signiert, weil er nicht damit in Verbindung gebracht werden wolle. Er befürchte, Ziel von Anfeindungen oder gar Angriffen aus der linken Szene zu werden. In der Comic-Szene ist es kein Geheimnis, wer den Höcke-Comic illustriert hat. Die SZ verzichtet auf eine Namensnennung, da der Zeichner als Person nicht in der Öffentlichkeit steht.

Am Telefon berichtete er, dass er seit mehreren Jahren Mitglied der AfD sei. Bei der letzten Kommunalwahl 2014 kandidierte er auf einem hinteren Platz auf der AfD-Liste für den Münchner Stadtrat, ohne echte Chance allerdings auf ein Mandat. Bei der bevorstehenden Kommunalwahl kandidiere er nicht. Über Höcke wisse er zwar, dass dieser rechts außen stehe, zu dessen politischen Äußerungen könne er aber "nichts sagen": "Ich kenne gar nicht alle Positionen von ihm." Den Text des Höcke-Comics finde er "prinzipiell okay". Darin ist die Rede von "Denunziation", und dass AfD-Mitglieder allein wegen ihrer politischen Meinung angeblich ihren Job verlören. Er erwarte, dass es ihm genauso gehe, sagt der Zeichner, dass er nun seinen MVG-Auftrag verliere, was existenzgefährdend sei. Obwohl er den Comic nicht signiert habe, sei seine Urheberschaft bekannt geworden, er fühle sich "denunziert".

Der MVG dürften sich nun einige Fragen stellen, politischer, rechtlicher und ethischer Art. Will man weiter einen Mann das Münchner Kindl zeichnen lassen, der mit den Ansichten eines Björn Höcke sympathisiert? Umgekehrt: Soll und darf man ihm künftige Aufträge verwehren, obwohl die AfD nicht verboten, im Bundestag und allen Landtagen vertreten ist?

Vom Comic-Festival, das der Zeichner vor vielen Jahren mal leitete, hat er sich zurückgezogen


Über diese Grenzen denkt auch Rainer Schneider nach. Er ist Co-Leiter des Münchner Comicfestivals, kennt den Zeichner des Münchner Kindls seit Jahrzehnten: "Er hat sich für die Comic-Szene verdient gemacht." Als er, Schneider, vor Jahren Gerüchte über das politische Engagement des Illustrators gehört habe, habe er es nicht glauben wollen. "Ganz schrecklich" finde er die Unterstützung von AfD und Höcke. Deshalb sei er froh, dass der Zeichner sich von sich aus vom Festival, das er vor vielen Jahren auch mal geleitet habe, zurückgezogen habe. Und was soll die MVG nun tun? Eine "schwierige Frage" sei das, sagt Schneider. Vielleicht sei es das Beste, alles zu belassen, wie es ist, schließlich sei der Mann ein guter Zeichner. Man würde ihm sonst die Möglichkeit geben, sich als Märtyrer zu inszenieren. Außerdem, sagt Schneider: Jemanden auszugrenzen, weil er eine bestimmte politische Meinung habe, wäre auch keine Lösung.

"Wir wussten bisher nicht, ob und wie sich der Zeichner politisch engagiert", erklärt MVG-Sprecher Matthias Korte. "Wir haben zu ihm auch keine direkte Geschäftsbeziehung und keinen Kontakt." Die MVG habe erst durch die Anfrage der Süddeutschen Zeitung vom politischen Engagement ihres Illustrators erfahren. Die Spots mit dem Münchner Kindl gebe die MVG bei einer Videoagentur in Auftrag. Diese wiederum arbeite mit dem Illustrator zusammen, der seit 2013 das Münchner Kindl zeichne. Man werde "den genauen Sachverhalt zunächst prüfen und anschließend, wenn erforderlich, Entscheidungen treffen". Die MVG stehe "für Vielfalt, Offenheit und Toleranz in alle Richtungen. Dies beinhaltet allerdings nicht die äußersten politischen Ränder". Dass sich die Stadtwerke als MVG-Muttergesellschaft klar gegen Menschenfeindlichkeit positionieren, hat sie erst vergangene Woche gezeigt: Die Geschäftsleitung unter Florian Bieberbach rief ihre Mitarbeiter dazu auf, sich vor der Synagoge am Jakobsplatz am Protest gegen Antisemitismus zu beteiligen.


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