Mittwoch, 3. Juni 2020

Unruhen in den USA, Donald Trump und die verzerrte Sicht der Medien...

von Thomas Heck...

Wenn es um die Krawalle in den USA geht, sollte man angesichts der Nachrichtenlage vorsichtig sein. Kocht doch jeder Journalist je nach politischer Gesinnung sein eigenes Süppchen. Und da bleibt die Wahrheit schon mal auf der Strecke. Lustiger Totalausfall bei MSNBC, die dem Zuschauer einen Filmausschnitt aus World War Z, einem Zombiefilm mit Brad Pitt als Beleg für das Ausmaß der Krawalle verkaufen wollten. Auch wenn sich diese Geschichte als Fake herausgestellt hat, angeblich hatte ein Hacker das Video ins Netz gestellt, zeigt es doch die Problematik, dass man den Medien das heutzutage durchaus zutraut.


Denn auf ähnlichen Niveau bewegt sich die deutsche Journaille. So verbreitet n-tv innerhalb von Minuten zwei sich total widersprechenden Einschätzungen. In der einen Minute ist der US-Präsident Trump im Umfrageschock, in der nächsten Meldung sieht n-tv den US-Präsidenten gestärkt aus der Krise hervorgehen. Suchen Sie sich was aus, doch hören Sie nicht auf des Geschwätz deutscher Journalisten...



Es ist ein Umfrageschock für Donald Trump. In den großen Schlüsselumfragen zu Akzeptanz, Vertrauen und Kompetenz sackt er regelrecht ab. Im Wahlkampfduell liegt sein Herausforderer Joe Biden im gemittelten Wert aller Umfragen plötzlich mit einem klaren Abstand von 48,2 zu 42,5 Prozent vorne. Der demokratische Herausforderer führt, obwohl er wegen Corona gar keinen Wahlkampf machen kann und im Wesentlichen eine Medienkampagne vom heimischen Keller heraus führen muss, nun auch in allen wichtigen Wechselwahlstaaten. In Wisconsin liegt Biden 2,7 Prozent vorne, in Florida 3,5 Prozent, in Arizona 4 Prozent, in Michigan 5,5 Prozent, in Pennsylvania sogar 6,5 Prozent - und in Minnesota 5 Prozent.
Auf Minnesota wird besonders geschaut, denn dort in Minneapolis ist der Afroamerikaner George Floyd durch brutalen Polizeieinsatz gewaltsam zu Tode gekommen. Die darauf folgenden Unruhen und Straßenschlachten wühlen Amerika auf. Nach dem grauenhaften Tod Floyds hätte Amerika einen Präsidenten der Versöhnung gebraucht. Einen Präsidenten, der eine tröstende Fernsehansprache an die Nation hält, Mitgefühl zeigt und Rassismus verurteilt. Zumindest einen, der sich zeigt.
Doch Donald Trump tat all das nicht. Er verbarrikadierte sich im Weißen Haus und musste zwischenzeitlich - so berichtet es die "New York Times" - wegen der Straßenschlachten in unmittelbarer Nähe von den Sicherheitsagenten des Secret Service in den unterirdischen Bunker gebracht werden. Normalerweise dient der Bunker als Hochsicherheitstrakt für den Präsidenten im Kriegsfall oder bei schweren Terrorismus-Attacken. Vizepräsident Dick Cheney wurde am 11. September 2001 dorthin gebracht, als eines der von Al-Qaida entführten Flugzeuge auf das Weiße Haus zusteuerte. Präsident George W. Bush brachte sich am selben Abend dort in Sicherheit. Seither wurde der Bunker kaum genutzt. Nun "musste" sich Trump vor schwarzen Demonstranten dorthin flüchten. Die symbolische Wirkung dieser Nachricht ist enorm, und sie ist negativ für den Präsidenten.
Trump macht im Floyd-Skandal seinen zweiten großen Fehler in diesem Jahr. Er wirkt kaltherzig, spalterisch und vor allem - nicht als Herr der Lage. Schon mit der Coronakrise hat Trump einiges von seinem Nimbus als souveräner Lenker in der Not eingebüßt.

Wut-Tweets aus dem Atombunker

Nach aktuellen Umfragen sagen 54,1 Prozent der Amerikaner, der Präsident habe in der Corona-Krise keinen guten Job gemacht. Nur 43,7 Prozent sehen sein Krisenmanagement positiv. Zum Vergleich: In Deutschland werden beim Corona-Krisenmanagement der Bundeskanzlerin Zustimmungswerte von 70 bis 83 Prozent gemessen.
Trump wirkt sowohl bei der Corona-Epidemie als auch jetzt in der Floyd-Krise wankelmütig und selbstsüchtig. Seine Wahlkampfstrategen, die bislang auf eine gefestigte konservative Wählerbasis setzen konnten, werden nervös, weil insbesondere ältere Frauen - mitten in seiner Kernwählerschaft - sein Krisenverhalten missbilligen. Unter Senioren wird Trumps Coronabekämpfung nach mehr als 100.000 Todesfällen weitgehend kritisiert.
Trump verunsichert selbst treue Gefolgsleute durch irrlichternde Twitter-Nachrichten aus seinem Bunker. Die Bilder von brennenden Straßenbarrikaden und plündernden Mobs passen schon nicht in Trumps Narrativ vom wieder erstarkten Erfolgs-Amerika. Noch weniger passt die Szenerie, dass die Präsidentenkirche St. John's Episcopal Church in unmittelbarer Nähe zum Weißen Haus infolge der Straßenschlachten Feuer fängt, die Außenleuchten des Weißen Hauses abgeschaltet werden müssen, und der Präsident aus dem Atombunker heraus wütende Twitter-Nachrichten verbreitet, "LAW & ORDER!" einzufordern.
Sein Stab versuchte - nach Medienberichten von Insidern - vergeblich, Trump vom Twittern fernzuhalten, doch der verschickte eine Tirade nach der anderen und beschimpfte die demokratischen Senatoren, weil die angeblich nicht hart genug gegen den Aufruhr von radikalen Linken vorgingen. "Holen Sie sich harte demokratische Bürgermeister und Gouverneure", schrieb er. Unter Bezugnahme auf seinen Herausforderer Joe Biden fügte er hinzu: "Diese Leute sind ANARCHISTEN. Rufen Sie JETZT unsere Nationalgarde herbei. Die Welt schaut Ihnen und Sleepy Joe zu und lacht über Sie und Sleepy Joe. Ist es das, was Amerika will? NEIN!!!" Seinen Herausforderer Joe Biden nennt Trump konsequent nur "sleepy Joe" (schläfriger Josef).
Der Präsident will nun sogar die "Antifa" als terroristische Organisation einstufen. Er verkennt die Breite der Protestbewegung. In den letzten Tagen sind in mindestens 75 Städten Demonstrationen ausgebrochen, bei denen Gouverneure und Bürgermeister die Nationalgarde einsetzten oder Ausgangssperren in einem Ausmaß verhängten, wie es seit der Ermordung von Martin Luther King im Jahr 1968 nicht mehr vorgekommen ist.

"Trump ist viel spalterischer als frühere Präsidenten"

Trump hatte die Coronakrise falsch eingeschätzt, nun passiert ihm ähnliches mit den Unruhen. Selbst Parteifreunde gehen auf Distanz: "Das sind keine konstruktiven Tweets, das steht außer Frage", sagte der Senator Tim Scott aus South Carolina, der einzige schwarze Republikaner im Senat, in einem Interview in "Fox News". "Was ich gerne vom Präsidenten hören würde, ist Führungsstärke", sagte Bürgermeisterin Keisha Lance Bottoms aus Atlanta in "Meet the Press" auf NBC. "Und ich würde gerne eine aufrichtige Sorge und Sorge um unsere Gemeinden hören und wie weit wir mit den Beziehungen zwischen den Rassen in Amerika sind."
Doch Trump setzt nicht auf Konzilianz. Er setzt auch im Wahljahr seine spalterische Kommunikation fort. Manche seiner Gefolgsleute sehen darin eine Erfolg versprechende Strategie. Der Ölunternehmer Dan Eberhart, der größte Einzelspender im Wahlkampf von Donald Trump, verteidigt dessen Verhalten damit, dass der Präsident sich darauf konzentriere, seine Hauptbefürworter und nicht die Nation als Ganzes zu bedienen. "Trump ist viel spalterischer als frühere Präsidenten. Seine Stärke liegt darin, seine Basis aufzurütteln, nicht darin, die Wogen zu glätten." Aus der republikanischen Partei wird verbreitet, die Unruhen könnten Trump und seiner Law-and-Order-Strategie sogar nützen.
In Wahrheit wirkt Trump einfach nicht krisenfest. Seine Ankündigung: "Ich werde die Wahl leicht gewinnen!" und: "Die Wirtschaft wird anfangen, gut und dann großartig zu werden, besser als je zuvor!" klingt nach Wunschdenken. Und als er nach seinem Abend im Bunker kindisch prahlte, dass er keine Sekunde Angst gehabt habe und jeder Eindringling mit "bösartigen Hunden" und "unheilvollen Waffen" zu rechnen habe, strahlte das alles andere als Stärke aus. Es sieht so aus, als könnte Trump nicht über Skandale, Eitelkeiten, Fehlentscheidungen oder Willkür stürzen, sondern über etwas ganz Altmodisches, was konservative Wähler noch wichtiger nehmen: Standfestigkeit und Führungsstärke in einer Krise.
Die sprechen ihm immer mehr Amerikaner nach der Corona- und Floydkrise ab. Seine Werte zu "Job approval" (Akzeptanz seiner Arbeit) sacken ab. Die Stimmung kippt. Und im Kellerstudio seines Wohnhauses in Wilmington (Delaware) kann der fahrige Wahlkämpfer Joe Biden sein Glück kaum fassen. Die Chance zum Wahlsieg ist plötzlich da.

Doch später kommt die Meldung über den Ticker. Eine 180-Grad-Wende:
Kein Land hat die Corona-Pandemie so heftig getroffen wie die USA. Derzeit gibt es täglich gewaltsame Proteste. Dabei geht ein Thema beinahe unter: In acht Bundesstaaten finden Vorwahlen statt - und dabei könnte die Krise Amtsinhaber Trump helfen.

Ach so. Da war ja noch was. Nicht nur Corona-Krise, Rassenunruhen, Wirtschaftskrise. Nicht nur Ausgangssperre und Nationalgarde in amerikanischen Großstädten. Richtig! Heute finden in acht Bundestaaten und Washington DC mal wieder Vorwahlen statt - im seltsamsten US-Wahlkampf aller Zeiten.
Seltsam nicht, weil die Vorwahlen in der ersten Liga zumindest in der Frage, wer im November antritt, längst entschieden sind. Donald Trump hatte von Anfang an keinen ernsthaften innerparteilichen Gegenkandidaten gegen Joe Biden. Nachdem Anfang April Bernie Sanders das Handtuch geworfen hatte, ist Biden de facto der demokratische Herausforderer von Donald Trump.
Seltsam ist dieser Wahlkampf vor allem, weil er die Schlagzeilen kaum dominiert, er aber dennoch alles bestimmt. Nicht zuletzt die Frage, wie die auf dem Papier reichste und waffentechnisch mächtigste Nation der Welt mit den aktuellen Unruhen umgeht oder mit der größten Herausforderung der vergangenen Jahre, der Pandemie. Oder, wie Donald Trump in seiner Weise sagt, dem Krieg gegen den unsichtbaren Feind. Ein "Krieg", in dem mittlerweile mehr Amerikaner gefallen sind, als in den vergangenen 70 Jahren in Vietnam, Korea, Afghanistan und dem Irak zusammen. Wird ein Oberbefehlshaber mit dieser Opferzahl im Amt bestätigt? Trauen die Wähler ihm Führungskraft, Strategie und Fortune zu?

Nach den Unruhen 1968 gewann Nixon die Wahl

Wollen die Wähler einen Präsidenten der Empathie hat, der die berechtigten Ängste und Sorgen der schwarzen Bevölkerung wahrnimmt und teilt? Afro-Amerikaner leben ja nicht nur in Angst vor der Polizei - sie stellen auch den proportional höchsten Anteil der Corona-Opfer. 400 Jahre Rassismus hinterlässt - trotz Fortschritte in vielen Gebieten - überall noch Spuren.
Joe Biden gibt mitfühlende Ansprachen aus dem zum TV-Studio umgebauten Keller seines Hauses in Delaware. Empathie ist Bidens starke Seite. Unvergessen wie er im Februar bei einem Town-Hall-Meeting in South Carolina auf den Pfarrer der Emanuel Kirche zuging, der 2015 dort seine Frau bei dem Amoklauf eines Rechtsradikalen verloren hatte. Biden hatte Tränen in den Augen. Echte Tränen.
Unvorstellbar beim selbstverliebten Donald Trump, der in diesen Tagen pflichtschuldig ein paar Worte der Trauer über die Tötung des George Floyd in Minneapolis abgibt, der Familie aber erst durch einen Anruf kondoliert nachdem bekannt wurde, dass Biden das längst getan hatte.
Ansonsten eskaliert Trump die Lage. Bemüht in düsteren Law-and-Order-Rede ein Gesetz von 1807, um die Randale militärisch zu beenden, nachdem er zuvor seinem Präsidenten-Amt vor allem auf Twitter nachgegangen war, wo er mit Gewaltphantasien spaltete und Öl ins Feuer goß.
Sollten die Plünderungen und das Brandschatzen in den amerikanischen Großstädten noch länger anhalten und die berechtigen, überwiegend friedlichen Demonstrationen in den Medien überlagern, dann könnte Trumps Strategie aufgehen: Dann wäre die grausame Auslöschung von George Floyds Leben in Minneapolis lange vergessen und verängstigte weiße Arbeiter und Kleinbürger suchen vermeintlichen Schutz bei den Law-and-Order-Versprechungen Trumps. 1968 war das so, nach den Unruhen, ausgelöst durch die Ermordung Martin Luther Kings, hieß der nächste Präsident Richard Nixon.

Trumps Wirtschaftskrise kein Grund für Schadenfreude

Kurz bevor die Neun-Minuten-Hinrichtung George Floyds den Wahlkampf erneut aus der Bahn warf, schnappte der Washington-Korrespondent der Zeitschrift "Vanity Fair" wehleidiges Heulen im Weißen Haus auf. "Das ist so unfair", soll Donald Trump gejammert haben, er sei seiner Wiederwahl entspannt entgegengefahren. Doch dann kam das böse Virus.
Und das bestimmt nun die Zahlen der November-Wahlen. Besteht Trumps Präsidentschafts-Bilanz dann vor allem aus weit über 100.000 Corona-Toten und Millionen Amerikanern in der Privat-Insolvenz? Wieviel Tote werden die Wähler akzeptieren? Fragt man Trumps Sprecherin, dann weicht sie aus. Der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham sagte einem Reporter von "Politico", seine Grenze seien 130.000 Corona-Tote. Eine Zahl die im Sommer erreicht sein dürfte.
Die Zahl, auf die die Demokraten schauen, heißt aber derzeit 40 Millionen plus. Das ist die Zahl der Arbeitslosen. Die Corona-Folge, die Trumps bisherige Trumpf-Karte wertlos macht. Wie will er sich jetzt noch mit Amerikas wirtschaftlicher Stärke brüsten?
Doch Vorsicht sagt ausgerechnet Barack Obamas alter Wirtschaftsberater. Trumps Wirtschaftskrise sei kein Grund für Schadenfreude und am Ende vielleicht bei weitem nicht so schlimm. Jason Furman, von 2013 bis 2017 Vorsitzender des Council of Economic Advisors, sieht eine V-Kurve: Steiler Wegfall der Jobs durch Corona und dann eine unmittelbare, teilweise Erholung. Es könnte sein, so Furman, dass Trump am Ende vielleicht sogar damit prahlen könnte, vielleicht ein oder zwei Millionen Jobs mehr in einem Monat geschaffen zu haben, als jeder andere Präsident in der Geschichte.
Was könnte dann die Wahl entscheiden? Abnehmende Corona-Todeszahlen und steigende Job-Zahlen oder Todes-Rekord und Massen-Arbeitslosigkeit? Wenn Wähler zwischen Momentan-Zustand und dem Trend unterscheiden, dann ging das in der Vergangenheit häufig für das Vertraute, den Amtsinhaber aus. Ronald Reagan 1984 und Barack Obama 2012 wurden beide trotz hoher Arbeitslosigkeit wiedergewählt.Aber, so grundverschieden beide politisch waren, Donald Trump ist weder Ronald Reagan noch Barack Obama.


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