Mittwoch, 24. Januar 2018

Sexismus... Ein Gedicht wird übermalt...

von Thomas Heck...

Deutschland hat sich verändert. Es ist nicht mehr das weltoffenen und tolerante Land, dass es mal war. Die Toleranz beschränkt sich mittlerweile auf den unbeschränkten Zugang zu diesem Land, zu der alternativlosen Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge, darunter viele illegale Migranten. Mit allen Begleiterscheinigungen, auf die wir uns einstellen müssen. Moderne Zeiten halt. Es fällt schwer, nach den Geschehnissen von gestern in Lünen einfach wieder zum Tagesgeschäft überzugehen. Darum ein harter Cut. Gelegenheit, sich den wirklich wichtigen Themen zuzuwenden. Den Alltags-Sexismus angehen. Das Problem an den Wurzeln packen. So wie über ein Gedicht des Autoren Gomringer, wir hatten darüber damals schon berichtet. Nun hat sich der Deutschlandfunk mit dem Gedicht abschließend beschäftigt und präsentiert die finale Lösung. Eine typisch deutsche Lösung:

Das Werk wird übermalt - das ist das Ergebnis im Streit um ein Gedicht des Autoren Eugen Gomringer auf der Fassade der Alice Salomon Hochschule. Das sollte eigentlich der Schlusspunkt unter einen seit Monaten schwelenden Streit sein. Doch vorbei ist er wohl noch immer nicht. 




In diesem Jahr wollte die Alice Salomon Hochschule ihre Fassade ohnehin sanieren lassen, doch nun nutzt sie die Gelegenheit dazu, das viel diskutierte Gedicht von Eugen Gomringer zu übermalen. Hochschulrektor Uwe Bettig erklärt, wie die Südwand der Schule im Berliner Stadtteil Hellersdorf bald aussehen soll: 

"Es wird sich zunächst um ein Werk von Barbara Köhler, der jetzigen Preisträgerin des Poetik Preises, handeln. Über das genaue Werk werden wir noch sprechen. Und dann wird im Fünfjahres-Turnus ein Wechsel stattfinden, wo dann die jeweils letzten zwei Preisträgerinnen und Preisträger einen Vorschlag an die Wand bringen können." 

Der akademische Senat hat sich damit mehrheitlich für einen Vorschlag der Hochschulleitung entschieden und ein Angebot der Lyrikerin Köhler angenommen. Wie Rektor Bettig betont, fasst dieser allerdings zwei andere Gestaltungsideen zusammen, die in einer Online-Abstimmung im November zusammen die meisten Stimmen der Hochschulangehörigen erhielten. Auf Partizipation legt er mittlerweile viel Wert. 

"Aus meiner Sicht war es ein Fehler, 2011 das Gedicht anzubringen, ohne Rückbindung in die Hochschule. Es war damals eine relativ einsame Entscheidung und es hat im Laufe der Jahre immer wieder Diskussionen über das Gedicht gegeben."

Die Kritik: Das Gedicht erinnere an sexuelle Belästigung

2011 hat Eugen Gomringer den Alice Salomon Poetik Preis erhalten. Die damalige Hochschulleitung entschied daraufhin, sein spanischsprachiges Gedicht "Avenidas", also "Alleen", an die Fassade anzubringen und zahlte eine Lizenzgebühr. Der bolivianisch-schweizerische Schriftsteller hatte die Verse 1951 veröffentlicht. Also vor 67 Jahren. Übersetzt klingen sie so:

"Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer"

Für den inzwischen 93 Jahre alten Gomringer war das die richtige Wahl: Dies sei das Ursprungsgedicht einer neuen Lyrikkultur, ein Schlüsseltext der konkreten Poesie, und als deren Begründer gilt Gomringer. Die Studierendenvertretung sah das anders: In einem offenen Brief kritisierte der Asta im Frühjahr 2016 das Gedicht. Es reproduziere nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, es erinnere zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt seien - gerade auch am U-Bahnhof Hellersdorf und dem Alice-Salomon-Platz.

Das Gedicht müsse entfernt oder ersetzt werden, das forderten die Studierenden einer Einrichtung mit emanzipatorischem Anspruch. Die Frauenrechtlerin Alice Salomon hat die heutige Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung vor mittlerweile 110 Jahren gegründet. Eugen Gomringer erklärte im vergangenen Jahr im Deutschlandfunk Kultur, er habe mit wenigen Worten eine Stimmung hervorrufen wollen. Gender-Sprache und politische Korrektheit hätten damals keine Rolle gespielt. 

"Mir kommt es vor, wie der Vorgang einer Säuberung. Da wird etwas weggesäubert durch eine andere Ideologie, die das verdrängen soll. Und darüber muss man reden, ob das gerechtfertigt ist."

Gomringer ist "sehr enttäuscht" 

Geredet und gestritten wurde viel: Fast 150 Presseartikel aus dem vergangenen Jahr hat die Schule zu dieser Debatte auf ihrer Internetseite zusammengetragen, zum Beispiel über Sexismus und Kunstfreiheit. Vor allem, als die Leitung entschied, die Fassade mit dem Gedicht neu zu gestalten. Der deutsche Kulturrat und das Deutsche PEN-Zentrum warnten daraufhin vor Zensur. Die Schriftstellervereinigung wählte Worte wie Bilderstürmerei, barbarischer Schwachsinn oder Provinzposse. Sollte Gomringers Gedicht entfernt werden, wollten seine Juroren aus der Jury für den Alice Salomon Poetik Preis aussteigen, kündigte das Berliner Haus für Poesie an. Für Leiter Thomas Wohlfahrt hat sich das mit dem heutigen Tag nicht geändert. Im Gegenteil:

"Wo ist bitteschön die Entschuldigung gegen den Sexismus-Vorwurf? Also der Gomringer ist beschädigt worden und wird pausenlos beschädigt, so lange das Ding nicht zurückgenommen wird. Und das ist auch der Grund, weshalb die Feuilletons entsprechend reagiert haben und sich dagegen verwahrt haben. Das ist doch der Skandal."

Die Alice Salomon Hochschule hat heute nach eigenen Angaben ein freundliches Telefongespräch mit Eugen Gomringer geführt. Sie habe großen Respekt vor dessen Schaffen und Werk. Außerdem will sie sein Gedicht auf einer Tafel in Spanisch, Deutsch und Englisch unten an der neu gestalteten Südfassade anbringen. Dies hatte der Dichter gefordert, inzwischen aber einen anderen Vorschlag veröffentlicht. Gomringer ließ daher heute mitteilen, er sei enttäuscht und behalte sich rechtliche Schritte vor. Bis zum Herbst hat die Hochschule noch Zeit, diesen Streit zu beenden - dann will sie ihre Fassade definitiv streichen.

Ich empfehle hierzu ein blutiges Messer aus der Ära des Realismus. Genderneutral, sogar grammatikalisch sächlich: DAS Messer.  Doch dazu fehlt der Mut. Und damit bekämpft man den Sexismus heute besser mit dem Übertünchen eines alten Gedichts. Verdrängung in Reinform. Deutschland im Jahre 2018. Soll es das gewesen sein? Im Ernst? Besser wäre das hier, ein jiddische Lösung...

Köpfe
Köpfe und Bretter
Bretter
Bretter und Nägel
Köpfe
Köpfe und Nägel
Köpfe und Bretter und Nägel und
eine Schraube (locker)


Oder lieber die moderat-arabische Lösung? Feuchte Träume aus Tausendundeiner Nacht? Wir haben die Wahl.


1 Kommentar:

  1. Ja genau, dieser Meinung bin ich auch: die jiddische Lösung ist die beste! Das hat jetzt aber den NAGEL AUF DEN KOPF GETROFFEN :) !!

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