Montag, 8. Mai 2023

U.S. Navy erprobt neuen dekompressionslosen Tieftauchanzug

von Thomas Heck...

Was wirklich an der Nordstream 2-Pipeline geschah, werden wir Normalbürger wohl nie mit absoluter Sicherheit erfahren. Die Meinungen gehen weit durcheinander und sind meist mehr durch Wunschdenken, denn durch realistische Lagebeurteilungen und Aufklärungsergebnissen qualifiziert. Letzter Stand sind beobachtete russische Kriegsschiffe in unmittelbare Nähe zu den Anschlagsorten. Warum das nicht bereits Ende September letzten Jahres öffentlich wurde, kann man kaum nachvollziehen.

Aber es ist mal Zeit, sich mit der Technik des militärischen Tieftauchens zu beschäftigen, denn zwei Sachen sind definitiv gesichert. Es waren keine Sport- oder Hobbytaucher, die Geschichte mit der in Rostock gecharterten Yacht kann man wohl eher unter Ulk verbuchen. Die Kampfschwimmer und Minentaucher der Bundesmarine sind auch außen vor, können dies doch Stand heute in maximal 54m Tiefe operieren. Die 80m Wassertiefe, an der die Nordstream 2 sabotiert wurde, können unsere Jungs nicht erreichen.


Die U.S. Navy erprobt derzeit einen neu konzipierten Tieftauchanzug, das Deep Sea Expeditionary with No Decompression (DSEND)-System. Der atmosphärische Tauchanzug soll es dem Nutzer ermöglichen, verhältnismäßig schnell große Tauchtiefen zu erreichen, dort auch längere Einsätze durchzuführen und ohne langwierige Dekompression wieder aufzutauchen. Gegenüber derzeit genutzten Panzertauchanzügen soll der gehärtete, aber leichte und mit drehbaren, abnehmbaren Gelenken ausgestattete atmosphärische Tauchanzug dem Taucher zudem unter Wasser zu höherer Beweglichkeit, Geschicklichkeit und Flexibilität verhelfen.

In die Tiefe gehen

Typischerweise führen Marinetaucher Rettungs- und Bergungseinsätze, Kampfmittelräumung oder Unterwasserarbeiten an Schiffen und Plattformen durch – und das auch in großen Tiefen. Was aber versteht man unter großen Tiefen?

Der us-amerikanische Tauchsportverband PADI zieht die Grenze für Sporttaucher beispielsweise bei 40 Metern. Alles darunter ist bereits Tieftauchen. Die durch Sabotageaktionen verursachten Lecks in der Nordstream-2-Pipeline befinden sich auf 80 Metern Wassertiefe. Das ist die doppelte Sporttaucher-Wassertiefe, aber unerreichbar sind solche Werte für den Menschen keineswegs.

Die Minentaucher der Bundeswehr arbeiten derzeit an Konzepten, ihre Tauchtiefe von derzeit 54 Meter auf 80 Meter zu erweitern. Doch noch größere Tiefen sind möglich. Dank des Sättigungstauchens können Marine- oder auch Berufstaucher Arbeiten in bis zu 300 Meter Wassertiefe ausführen. Der derzeitige Tiefenrekord beim Gerätetauchen liegt bei 332,35 Metern.

Freilich bedarf es für Tieftauchgänge spezieller Ausrüstung, Atemgemischen, einer umfassenden Ausbildung und einer hohen Erfahrung. Denn mit zunehmender Wassertiefe steigen Druck und Gefahren. Ab 30 Metern Tauchtiefe kann der Tiefenrausch auftreten. Ab 66 Metern wird der Sauerstoff in der Atemluft aufgrund des erhöhten Partialdrucks von 1,6 bar toxisch. Und natürlich muss man beim Auftauchen empfindlich die Dekompressionszeiten einhalten, um nicht der Taucherkrankheit zum Opfer zu fallen. Beim Sättigungstauchen halten sich die Taucher zwischen ihren Unterwassereinsätzen in Druckkammersystemen auf Begleitschiffen auf und führen auch hier ihre „trockene Dekompression“ durch, welche durchaus mehrere Tage erfordern kann.

Eine weitere Möglichkeit, schnell in große Tiefen vorzustoßen und auch wieder dekompressionslos aufzutauchen, stellen spezielle Tieftauchanzüge dar, sogenannte Panzertauchanzüge – auch als Hardsuits oder Atmosphärische Tauchanzüge (Atmospheric Diving Suit, ADS) bekannt. Hierbei handelt es sich im Prinzip um Mini-U-Boote mit Armen und Beinen, welche den menschlichen Körper vor dem ihm umgebenden Wasserdruck abschirmen. Tauchtiefen von über 600 Metern sind so möglich. Dafür ist man in dem Panzertauchanzug relativ unbeweglich, der Antrieb erfolgt über Schubdüsen.

Eigenschaften des DSEND-Systems

Das DSEND-System verbindet im Prinzip die Vorzüge des dekompressionslosen Panzeranzugtauchens mit höherer Beweglichkeit. Er verfügt als atmosphärischer Tauchanzug über ein eigenständiges Lebenserhaltungssystem. Der DSEND-Anzug umschließt den Taucher während des gesamten Tauchgangs in einem stabilisierten Druckkokon. Somit kann er viele Stunden lang in großen Tiefen arbeiten und ohne den langwierigen Prozess der Dekompression auftauchen.

Obwohl der DSEND aus hartem, strapazierfähigem Material besteht, fällt er im Vergleich zu einem Hardsuit leicht und flexibel aus. Der Taucher kann sich besser bewegen und über dem Meeresgrund schwimmen oder gehen. Zudem lässt sich der an die Größe des Tauchers anpassbare DSEND-Anzug leichter an- und ablegen. Das spart Zeit bei der Einsatzvor- und Nachbereitung. Weiterhin verfügt das DSEND-System über Gelenke, Greifer und Handbefestigungen aus neuartigen stabilen und leichten Materialien, die stabil und leicht sind und die natürlichen Bewegungen der menschlichen Gelenke widerspiegeln. Hierdurch verringert sich die Ermüdung des Tauchers. Ein weiterer Vorteil, gegenüber dem derzeit beispielsweise bei der U.S. Navy genutzten ADS-Panzertauchanzug ist, dass der Einsatz keine relativ großen Wasserfahrzeuge erfordert.

An die Tauchtiefen der Panzertauchanzüge kommt der schwimmbewegungsfähige atmosphärischen Tauchanzug aber nicht heran. Derzeit ist das DSEND-System darauf ausgelegt, einem Druck von bis zu 300 feet of seawater (fsw) standhalten zu können – das entspricht etwa 91,3 Meter Meerwasser (meter sea water) oder 9,13 bar. Weitere Entwicklungen könnten den Einsatz in größeren Tiefen ermöglichen.

Demonstration erfolgreich

Anfang Februar 2023 fand eine Unterwasser-Demonstrationsphase in Maryland und Florida statt – dieses Mal noch in Tauchbecken. Dabei absolvierten die DSEND-Taucher der U.S. Navy verschiedene Übungen, etwa das Bergen einer Schaufensterpuppe aus einem Flugzeugrumpf. Ebenso wurden Wrackteile für die Bergung vorbereitet und die Taucher bewegten sich durch Röhrensysteme, um Erkundungen in gesunkenen Schiffen zu demonstrieren. Gemeinsam mit dem DSEND-Anzug wurde auch ein Divers Augmented Vision Display (DAVD)-System erprobt.

Innerhalb des nächsten Jahres soll das DSEND-System weiterentwickelt und auf See in realistischen Einsatzumgebungen getestet werden.




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