Montag, 15. Mai 2023

Nazi-Wahn auf der Autobahn!

von Mirjam Lübke...

"Die Deutschen! Selbst auf dem Mond bauen sie Autobahnen!", stellt der Held der finnisch-deutschen Nazi-Groteske "Iron Sky" mit einer Mischung aus Bewunderung und Schrecken fest. Der Film nimmt die Idee aufs Korn, die Nazis wären 1945 auf die Rückseite des Mondes geflohen, um von dort irgendwann triumphal mit ihren Reichsflugscheiben zurückzukehren. Es ist die Schwestertheorie einer Flucht in die Antarktis - "Hitler on Ice" - die parodistische Umsetzung durch Mel Brooks durfte in der deutschen Fassung seiner Weltgeschichte leider nicht gezeigt werden. Wenn es um ihren dunklen Propheten geht, verstehen politisch-korrekte Menschen ebenso wenig Spaß wie Salafisten und nehmen uns damit die Möglichkeit, wenigstens ein bisschen späte Rache an Hitler zu nehmen.



"Er hat Autobahn gesagt!", ist schon lange zum Running Gag geworden, wenn einmal wieder die Rede eines "umstrittenen" Politikers auf Spuren von Nationalsozialismus durchsucht wird. Und damit sitzt man bereits deren Propaganda auf. So wie der Soziologe Conrad Kunze, der des deutschen liebste Fahrstrecke durch ein landesweites Tempolimit "entnazifizieren" will. Gutmenschen haben generell ein angespanntes Verhältnis zu deutschen Verkehrswegen - Radwege einmal ausgenommen. Kunze verknüpft also eine alte Phobie mit der Ideologie der "toxischen Männlichkeit", die durch Adolf Hitler in Asphalt gegossen wurde. Das könnte man guten Gewissens als links-grünen Overkill bezeichnen, da steckt alles drin, was die eigene Klientel hören will. Einmal kräftig durchgemixt, und schon wird die "geniale These" medientauglich. Wer schneller als 100 km/h fahren will, ist ein Wiedergänger des cholerischen Mannes mit seltsamem Schnurrbart.
 
Helena Zeus wies in ihrem Beitrag auf "Ansage" bereits auf den tatsächlichen Ursprung des Tempolimits hin: Es wurde - oh Schreck! - von den Nationalsozialisten eingeführt und erst in den Fünfzigerjahren aufgehoben. Auf den Reichsautobahnen galt Tempo 80. Aber wo kam sie denn nun her, die Idee der Schnellstraße? Wie so vieles aus den USA: Bereits 1924 regten deutsche Wirtschaftsverbände den Nachbau der amerikanischen Highways an - Straßen ohne lästige Kreuzungen, das galt als revolutionäre Idee für den Warentransport. Zwar gab es damals noch keine Klimakleber, Kritik am Anwachsen des Straßenverkehrs aber sehr wohl. Deshalb - und vor allem wegen des allgemeinen Geldmangels in der krisengebeutelten Weimarer Republik - schritt das Projekt nur zögerlich voran.
 
Reichskanzler Heinrich Brüning band den Autobahnbau durchaus in seine Pläne zur Arbeitsbeschaffung ein - aber ein teures Mammutprojekt wie dieses passte nicht zu seinen Verhandlungen um Senkung der Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag, welche Deutschland wirtschaftlich zu schaffen machten. Und so ging es den Autobahnen wie der Siedlung, in der ich aufwuchs: Dort wurden gemeinschaftlich ein paar Dutzend identische Häuser gebaut, deren Bewohner anschließend unter den Arbeitern ausgelost wurden. Ein Garten und ein Ziegenstall sollten ihnen die Selbstversorgung ermöglichen - fertig wurde das Projekt erst 1933. Selbstverständlich schrieben es sich die Nazis auf die Fahnen. Die Gelder waren aber schon lange vorher freigeschaufelt worden, wie bei den Autobahnen auch.
 
Als Studenten im Geschichtsseminar zweifelten wir bereits ihre Eignung zum Kriegsprojekt an. In der Schule hatte man uns noch versichert, dass auf den Schnellstraßen Panzer nach Osten rollen sollten - das erschien bei näherer Betrachtung recht unlogisch: "Hallo, Genosse Stalin, darf ich schon mal meine Transportwege vorbereiten?" - wäre man böse, könnte man anmerken, dass erst heute die Grünen und Marie-Agnes Strack-Zimmermann davon profitieren. Ein typisches Ideologieprojekt wurde der Straßenbau bei den Nazis dennoch, denn letztlich ging man dafür über Leichen. Wie bei Stalins Industrialisierung oder Maos "Langem Marsch". Es begann mit miserablen Arbeitsbedingungen für den Reichsarbeitsdienst und führte hin zur Einbindung in die Pläne zur "Vernichtung durch Arbeit". Aber derlei Ideologiekritik unter dem Motto "Wehret den Anfängen" ist in Herrn Kunzes Kreisen eher unerwünscht - sie könnte dazu führen, sich ein paar Gedanken darüber zu machen, wie weit auch heutige Ideologen für ihre Ideen zu gehen bereit wären.
 
Die Autobahn an sich ist also unschuldig, und das "männliche Image" trug in der Vergangenheit dazu bei, deutsche Autos auch in den USA zum Verkaufsschlager zu machen. Als mein Onkel in den Neunzigern Bekannte in Arizona besuchte, hieß es, ein Tempolimit in Deutschland würde dem Mercedes in den USA das Genick brechen. Man kann nicht umhin, hinter den grünen Forderungen genau diese Absicht zu vermuten.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen