Dienstag, 19. Juli 2022

Die Bundeswehr kapituliert, noch bevor der Feind angegriffen hat...

von Thomas Heck...

Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet eine CDU-Kanzlerin mit CDU oder CSU-Verteidigungsministern mit der Bundeswehr das gemacht hat, was Merkel schon seit Jahren mit ihrem Mann nicht mehr gemacht hatte: nämlich fix und fertig gemacht. Dabei war Geld nicht das eigentliche Problem der Truppe, eher Mißmanagement, eine unfähige Führung, vor allem seitens der Verteidigungsminister, die den Job eher als Karriereschritt denn als Berufung gesehen haben. 

Nach drei Frauen als Verteidigungsminister, die fachfremder nicht sein konnten, steht die Truppe vor dem Nichts. Keiner hat auch nur im Ansatz die Expertise, die nötig wäre, die Truppe aus der Krise zu führen. Doch hier wurde ganze Arbeit geleistet. Offensichtlich besteht gar kein Interesse, eine schlagkräftige Truppe aufzustellen. Scholz Ankündigung, die schlagkräftogste Armee Europas aufzubauen, reine Lippenbekenntnisse bestenfalls, faktisch eine dreiste Lüge.

Viel Geld reicht nicht: Deutschland bleibt auch nach der «Zeitenwende» ein militärisches Vakuum mitten in Europa

Die Bundeswehr erhält zusätzliche 100 Milliarden, doch dies reicht nur für eine Minimalsanierung. Die Bodentruppen werden kaum verstärkt. Deutschland ist weit davon entfernt, die «schlagkräftigste Armee Europas» aufzubauen.

Mit den zusätzlichen 100 Milliarden Euro können bei der Bundeswehr bloss längst erkannte Lücken geschlossen werden.


Der Auftrag war umfassend, die Zeit knapp und die Anzahl Soldaten zu klein: Der erste mechanisierte Vorstoss deutscher Truppen seit dem Zweiten Weltkrieg war eine Herkulesaufgabe. Brigadegeneral Fritz von Korff rückte am 12. Juni 1999 von Süden her nach Kosovo ein. Einerseits sollte er den Abzug der serbischen Verbände im Raum Prizren durchsetzen, andererseits sofort für ein Minimum an Sicherheit in seinem Sektor sorgen.

Von Korff stand unter gewaltigem Erfolgsdruck. Trotz einem Abkommen der serbischen Generalität mit der Nato hätte es jederzeit zu Kämpfen kommen können. Die Lage war unübersichtlich, teilweise chaotisch. Flüchtlinge strömten zurück ins Land, andere mussten ihre Heimat verlassen. Der konventionelle Teil der Aktion, die Koordination von Panzerverbänden und einer taktischen Luftlandung, glückte von Korff und seinen Bataillonskommandanten ziemlich nach Plan.

Die Stabilisierung der Stadt Prizren und von deren Umfeld gestaltete sich allerdings schwieriger als erwartet, wie eine niederländische Studie ausführt. Zunächst geriet der Zeitplan aus dem Ruder, dann fehlten die Kräfte, um überall gleichzeitig zu sein. Im weiteren Verlauf des Kosovo-Einsatzes erwies sich die schwere Bewaffnung eher als Nachteil. Gefragt war eine verstärkte Polizeitruppe, vergleichbar mit der Gendarmerie in Frankreich oder den Carabinieri in Italien. Die Soldaten, die primär für Kampfaufträge ausgebildet waren, mussten schützende Aufgaben übernehmen.

Abrüstung bis über die Schmerzgrenze hinaus

Spätestens mit dem Einsatz in Kosovo begann für die Bundeswehr eine sukzessive Transformation. Der Primärauftrag, die Landesverteidigung und der robuste Teil der Bündnisverpflichtung für die Nato, rückte in den Hintergrund. Die deutschen Streitkräfte wurden auf Auslandseinsätze ausgerichtet, akzentuiert nach den Anschlägen vom 11. September 2001: Die USA brauchten ihre Verbündeten für den «war on terror». Die deutschen Streitkräfte verlagerten ihr Zentrum der Kraftentfaltung nach Afghanistan.

Das Hauptaugenmerk lag bis zum Abzug aus Kabul vor einem Jahr auf dem Kampf gegen Aufständische. Ein Krieg gegen einen ebenbürtigen Gegner in Europa wurde in der Ausbildung zu einer theoretischen Grösse aus der fernen Vergangenheit.

Ein Leopard 2 der Bundeswehr: Kampfpanzer sind im gegenwärtigen Krieg wieder zu einer Art militärischen Währung geworden.


Das Handwerk, das von Korff bei seinem Vorstoss nach Prizren noch im Schlaf beherrscht hatte, ist unterdessen verkümmert. Die Bundeswehr hat ihren harten Kern bis über die Schmerzgrenze hinaus reduziert. Die deutschen Bodentruppen, das Heer, verfügen nur noch über zwei Grossverbände, die dem Namen nach etwas mit Krieg zu tun haben: Von den einst sechs deutschen Panzerdivisionen der Heeresstruktur 4 im Kalten Krieg sind nur noch die erste und die zehnte Panzerdivision übrig geblieben.

Die Namen entstammen der Tradition der Bundeswehr. Doch eigentlich ist die Bezeichnung der beiden Grossverbände ein Etikettenschwindel. Die Kampfpanzer, die harte Währung der Bodentruppen, wurden so weit zusammengestrichen, dass sie innerhalb der zwei deutschen Panzerdivisionen fast schon Seltenheitswert haben. Dem deutschen Heer fehlt die Kampfkraft, um in einem konventionellen Krieg bestehen zu können. Erst mit starken Panzerverbänden kann ein Angreifer am Boden auch wirklich vertrieben werden.

Selbst die Kampfpanzer, über die das Heer verfügen sollte, sind zurzeit nicht alle einsatzbereit: Zwischen dem Soll- und dem Ist-Bestand besteht eine beträchtliche Lücke. Ähnlich dürfte es sich mit anderen Waffensystemen wie der Artillerie verhalten: Schauergeschichten über den militärischen Lotterbetrieb gibt es viele, aber harte Fakten kaum. Das Bundesministerium für Verteidigung hält die konkreten Zahlen unter Verschluss. Den Gegnern der Nato soll die Schwäche der Bundeswehr nicht unter die Nase gerieben werden.

Die NZZ hat deshalb bei den Kampfpanzern die Probe aufs Exempel gemacht. Ausgangspunkt ist die «ordre de bataille» der beiden Panzerdivisionen. Dieses taktische Organigramm lässt sich über die Angaben auf der Homepage der Bundeswehr nachzeichnen. Daraus wird klar, wie weit die deutsche Abrüstung wirklich gegangen ist. Dazu gelang es, ein vertrauliches Papier mit den gegenwärtigen Beständen an Leopard-2-Kampfpanzern zu beschaffen. Natürlich funktionieren moderne Streitkräfte im Verbund. Der Fokus auf die Kampfpanzer illustriert indes das grundsätzliche Malaise.

Ein Viertel der Kampfpanzer Leopard 2 zu wenig?

Innerhalb der beiden erwähnten Panzerdivisionen verfügt die Bundeswehr noch über fünf aktive Panzerbataillone. Davon ist eines ein niederländisch-deutscher Mischverband. Im Organigramm stehen noch zwei weitere Bataillone, doch beim Gebirgspanzerbataillon 8 handelt es sich um einen Reserververband. Ein zusätzlicher Truppenkörper wird als «Panzerlehrbataillon» geführt.

Um alle Verbände auszurüsten, benötigt die Bundeswehr 264 Leopard-2-Panzer

Panzerverbände der 1. und 10. Panzerdivision


Das Hauptkampfmittel der deutschen Panzerverbände ist der Kampfpanzer Leopard 2. Jedes Bataillon hat 44 Stück davon. Abweichungen sind möglich, können aber für das Gesamtbild über die Einsatzfähigkeit der deutschen Leopard-Flotte vernachlässigt werden.

Berücksichtigt man nur die fünf aktiven Panzerbataillone, besteht ein Soll-Bestand von 220 Leopard 2. Dazu kommen mindestens 44 weitere Kampfpanzer für die Ausbildung. Das Panzerlehrbataillon 93 kann überdies ebenfalls in den Einsatz geschickt werden. Minimal benötigt die Bundeswehr gemäss dieser Rechnung also 264 Leopard 2, damit alle Verbände vollständig ausgerüstet sind.

Doch selbst dem abgerüsteten Heer fehlen zurzeit einsatzbereite Panzer: Ein aktuelles, intern klassifiziertes Dokument, das der NZZ vorliegt, listet die Anzahl Leopard-Panzer der Bundeswehr detailliert auf:

Aktive Leopard-2-Kampfpanzer der Bundeswehr Typ A7V (ausgerüstet für den Kampf im überbauten Gebiet): 53
Typ A6 (Programm «Erhalt der Einsatzbereitschaft»): 110
Typ A6M (besonderer Minenschutz): 30
Im Umbau: 99 (44 A6, 20 A6M, 18 A7, 17 A7V)
Typ A5 zur Zieldarstellung: 19

Relevant für die Panzerbataillone sind die Typen A7V, A6M und A6. Davon hat die Bundeswehr gemäss dieser Übersicht Stand Mai dieses Jahres 193 Stück. Damit fehlt gegenwärtig wohl rund ein Viertel der minimal benötigten 264 Leopard-Panzer. Kommen später die 99 Panzer dazu, die zurzeit umgebaut werden, erreicht die Bundeswehr wieder den Soll-Bestand. Bei den Leopard-Panzern versucht das deutsche Heer also das Image einer Papierarmee loszuwerden.

Die Bundeswehr hat zurzeit nicht die nötigen Panzer, um ihre Truppen auszurüsten

Soll- und Ist-Bestand Leopard 2


Zum Vergleich: Die ebenfalls bis aufs Gerippe abgerüstete Schweizer Armee hat heute 134 Leopard 2 im Einsatz, die einer Fitnesskur zum «Werterhalt» unterzogen worden sind. Dazu stehen 96 weitere Exemplare in einer Lagerhalle als Reserve bereit, mit denen bei Bedarf mindestens zwei weitere Panzerbataillone ausgerüstet werden könnten. Die Ausgangslage der Schweiz für den Wiederaufbau ihrer Armee ist also deutlich komfortabler als im zehnmal grösseren Nachbarland Deutschland.

«Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da»

Der Nachholbedarf der Bundeswehr ist gewaltig: Drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine rief der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar eine «Zeitenwende» im Bundestag aus. Mit einem «Sondervermögen» von 100 Milliarden Euro sollte die Bundeswehr in wenigen Jahren zur schlagkräftigsten konventionellen Truppe in Europa ausgebaut werden. Das Ziel sei eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr, wie sie «für ein Land unserer Grösse und Bedeutung in Europa» angemessen sei.

Schon drei Tage zuvor hatte der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, seinem Ärger Luft gemacht. Auf seiner Linkedin-Seite schrieb der Generalleutnant: «Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.» Auch acht Jahre nach der Krim-Annexion, so Mais, habe Deutschland nicht die Konsequenzen gezogen und in die eigene Verteidigungsbereitschaft investiert. Dieser Offenbarungseid des ranghöchsten Soldaten des deutschen Heeres sorgte intern für Ärger, war aber für die Politik ein Anstoss zum Handeln.

Laut einem Thesenpapier des deutschen Heeres von 2017 ist das Ambitionsniveau klar: «Nehmen, Halten, Kontrollieren und Beherrschen von Räumen bleiben als Kernanforderungen für Landstreitkräfte bestehen.»


Über Nacht stieg das Verteidigungsministerium wieder in die höchste Polit-Liga auf. Noch Monate zuvor hatte es die Ampelkoalition mit einer Verlegenheitskandidatin ohne vertieftes militärisches Fachwissen besetzt: Christine Lambrecht, Anwältin und Spezialistin für rechtspolitische Fragen, soll die Bundeswehr wieder zu einer ernstzunehmenden Armee transformieren.

Inhaltlich kann die Ministerin auf solide Grundlagen ihrer Vorgängerinnen zurückgreifen. Bereits 2016 gab die Bundesregierung ein Weissbuch zur Zukunft der deutschen Sicherheitspolitik heraus. Die Überlegungen standen unter dem Eindruck von Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim. Die Essenz des Weissbuchs geht vor lauter abstrakten Begriffen beinahe unter: Deutschland muss endlich seine militärische Verantwortung in der Mitte Europas wahrnehmen.

Stringente Prioritäten des Wirtschaftsplans

Ein Jahr später veröffentlichte das deutsche Heer ein Thesenpapier mit dem Titel «Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?». Darin werden in bemerkenswerter Klarheit die wesentlichen Trends aufgezeigt, die heute den Kriegsverlauf in der Ukraine prägen. So wird etwa auf die russische Taktik der Feuerwalze hingewiesen, also auf den massiven Einsatz von Artillerie zur Abnützung des Gegners. Genau so versuchen die Truppen des Kremls jetzt der ukrainischen Armee wichtige Geländeteile im Donbass zu entreissen.

Weiter werden «schnellere Entscheidungs- und Bekämpfungszyklen» als wesentliche Herausforderungen für die Landstreitkräfte genannt. Die Zeit zwischen der Meldung eines möglichen Ziels, dem Entscheid, dieses zu bekämpfen, und dem Einsatz einer Waffe wurde mit der Digitalisierung der Führungssysteme erheblich verkürzt. Auch dies zeigt sich im jetzigen Krieg: Der technische Fortschritt ermöglicht es der ukrainischen Armee, ihre Kräfte wesentlich agiler einzusetzen, als dies die russischen Angreifer mit ihrer Führung per Sprechfunk können.

Kurzfristig will Deutschland bis 2025 eine Division für die Bündnisverpflichtung zur Verfügung stellen können. Ein A400M-Transportflugzeug der deutschen Luftwaffe.


Die digitale Aufrüstung des «Sensor-Führungs-Wirkungsverbunds» ist deshalb bei der Modernisierung der Bundeswehr ein zentrales Thema. Dies zeigen die Prioritäten im Wirtschaftsplan 2022 zum Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das Scholz in seiner Rede über die Zeitenwende angekündigt hatte. Für Beschaffungen in der «Dimension Führungsfähigkeit / Digitalisierung» wird mehr Geld ausgegeben als für die Erneuerung der Bodentruppen. Etwas salopp ausgedrückt: Statt zusätzlicher Kampfpanzer werden militärische Tablet-Computer angeschafft.

Die Gewichtung der einzelnen Budgetposten im Wirtschaftsplan des Sondervermögens folgt konsequent der Konzeption der Bundeswehr von 2018. Dieses dritte Grundlagenpapier, eine Art Dachphilosophie, fokussierte auf Entwicklung von Fähigkeiten zum Operieren im Verbund.

Verwendung des Sondervermögens Bundeswehr20,7 Milliarden für die Dimension Führungsfähigkeit / Digitalisierung. Dazu gehören ein Verbund von Rechenzentren, modernen Funkgeräten, Satellitenkommunikation und ein taktisches Informationsnetzwerk für die Bodentruppen.

1,9 Milliarden für Bekleidung und persönliche Ausrüstung. Erwähnt wird das Soldatensystem «Infanterist der Zukunft», damit die deutschen Soldaten dem Standard der Nato-Einsatzgruppe mit hoher Bereitschaft entsprechen.

16,6 Milliarden für die Bodentruppen. Ein Schwergewicht bilden die Puma-Schützenpanzer. Aufgeführt wird auch das Main Ground Combat System. Dieses deutsch-französische Projekt soll ab 2035 den Leopard 2 ablösen. Auch hier steht die Vernetzung im Vordergrund. Doch die Entwicklung kommt nicht voran.
 
8,8 Milliarden für die Marine.

33,4 Milliarden für die Luftwaffe. Das markanteste Projekt ist die Beschaffung des F-35 als Tornado-Ersatz für die nukleare Teilhabe. Der amerikanische Jet der fünften Generation dürfte in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern zum neuen Standard werden. Der F-35 ist ein fliegender Datenstaubsauger, der im Sensor-Führungs-Wirkungsverbund eine zentrale Rolle spielt.

0,4 Milliarden Euro für Forschung und Technologie, darunter Überwachung und Sicherung grosser Räume mittels künstlicher Intelligenz. Die fehlende Masse an Mensch und Material («lack of mass») soll mit der technischen Überlegenheit kompensiert werden.

Die Bundeswehr wird mit dem Technologieschub ihre Fähigkeiten wirkungsvoller als zuvor in den Nato-Verbund einbringen können. Die physische Kampfkraft insbesondere der Bodentruppen wird aber nicht signifikant erhöht.

Zu wenig Kraft, um selbständig zu kämpfen

Bereits nach der Krim-Annexion 2014 wurde vollmundig eine «Trendwende» angekündigt. Das Verteidigungsministerium sah für den Zeitraum 2016 bis 2030 einen Investitionsbedarf von 130 Milliarden Euro vor. Offensichtlich liess aber erst der russische Angriff auf die Ukraine den Worten auch Taten folgen.

Mit dem Sondervermögen «ausserhalb des regulären Verteidigungshaushaltes» soll die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nun schnell erhöht werden. Oder anders ausgedrückt: Der längst erkannte Investitionsbedarf wird nun tatsächlich finanziert.

Damit Deutschland auch wirklich über «die schlagkräftigste Armee in Europa» verfügt, braucht es allerdings mehr als die 100 Milliarden des Sondervermögens. Anfang Juni sagte es die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, in einem Interview klipp und klar: «Der Bedarf der Bundeswehr geht weit über das Sondervermögen hinaus.»

Das tatsächliche Ambitionsniveau der Bodentruppen steht im Thesenpapier des Heeres von 2017: «Nehmen, Halten, Kontrollieren und Beherrschen von Räumen bleiben als Kernanforderungen für Landstreitkräfte bestehen.» Was dies gegen einen Gegner wie die russische Armee bedeutet, belegt der Kriegsverlauf in der Ukraine: Kiew kann zwar Gebiete halten und kleine Geländeteile zurückgewinnen. Um aber wirklich die Initiative ergreifen zu können, ist die ukrainische Armee auf moderne, schwere Waffen aus dem Westen angewiesen, ganz zu schweigen von hinreichendem Nachschub an Treibstoff und Munition.

Zwei Scharfschützen des deutschen Heeres. Das Sondervermögen sieht gemäss Haushaltsplan 1,93 Milliarden Euro für Bekleidung und persönliche Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten vor.


Mit Blick auf die «ordre de bataille» des deutschen Heeres sind allerdings Zweifel angebracht, welche Gefechtsleistung die deutschen Bodentruppen im Alleingang wirklich erbringen können. Auch eine mit viel Geld ertüchtigte Bundeswehr dürfte nicht in der Lage sein, mit Gegenangriffen grössere Gebiete wieder in Besitz zu nehmen und einen Gegner entscheidend zu schlagen. Dafür reichen fünf aktive Panzerbataillone nicht aus.

Auch ist fraglich, ob für die künftig knapp 300 deutschen Leopard-Panzer auch wirklich genug Panzergranaten vorhanden sind. In einer Rede sagte Verteidigungsministerin Lambrecht, der Bundeswehr fehle Munition im Wert von 20 Milliarden Euro. Ein zweites Indiz: Die Ukraine erhält nur drei deutsche Mars-Raketenwerfer. Es fehlen die benötigten Raketen. In einem Echteinsatz müssten die deutschen Kampftruppen wohl nach kurzer Zeit das Feuer einstellen.

Natürlich ist die Bundeswehr nicht allein, sondern in die Strukturen der Nato integriert. Doch bis vor kurzem konnte sie nicht einmal der Bündnisverpflichtung nachkommen, wie die Episode der «Besenstiel-Armee» vom September 2014 zeigt. Bei der Nato-Übung «Noble Ledger» in Norwegen montierten die deutschen Soldaten schwarz angestrichene Besenstiele an ihre gepanzerten Fahrzeuge, um das Problem fehlender Kanonenrohre auszugleichen.

Zu wenig Mittel für die Landesverteidigung

Der ehemalige Nato-General Harald Kujat sprach in einem Interview Anfang 2015 von einer Situation, die an Peinlichkeit nicht zu überbieten sei. Kujat gehört zu den Gründungsvätern der Nato Response Force (NRF), einer Eingreiftruppe, die im Kriegsfall besonders schnell marschbereit sein soll. «Noble Ledger» bereitete die Truppen damals auf ihre Aufgaben als NRF vor. Genau dieses Element will die Nato nun auf 300 000 Soldatinnen und Soldaten aufstocken, wie die Bündnispartner bei ihrem Gipfeltreffen in Madrid beschlossen haben.

Die Bundeswehr wird damit noch mehr in die Pflicht genommen als bisher. Die Bodentruppen müssen in der Lage sein, Truppen, Material und Munition für folgende Nato-Formate zur Verfügung zu stellen.

Ein Panzerbataillon steht als Kern einer multinationalen Kampftruppe in Litauen (Enhanced Forward Presence).

Mindestens eine Brigade soll sich in erhöhter Bereitschaft für die Nato Response Force bereithalten.

Eine weitere Brigade bereitet sich darauf vor, die schnelle Eingreiftruppe (Very High Readiness Joint Task Force) der NRF zu ergänzen.

Kurzfristig will Deutschland bis 2025 eine Division für die Bündnisverpflichtung zur Verfügung stellen können, wie das Verteidigungsministerium seit 2016 in verschiedenen Papieren versprochen hat. Mit den vorhandenen Kräften plus dem Sondervermögen dürfte dies klappen. Das Gefecht der verbundenen Waffen, wie es von Brigadegeneral von Korff bei seinem Vorstoss praktiziert worden ist, wird wieder das Kerngeschäft der Bundeswehr. Hoch im Kurs sind die deutschen Leopard. Auf die fünf deutschen Panzerbataillone kommt eine strenge Zeit zu.

Die robusten Kräfte des Heeres sind somit bis auf weiteres im Osten Europas gebunden. Die Bundeswehr kann entweder der Bündnisverpflichtung nachkommen oder für die Landesverteidigung eingesetzt werden. Beides zusammen geht nicht. Selbst wenn bis 2031 neben der 1. und der 10. Panzerdivision eine weitere Division aufgestellt wird, kann sich Deutschland nicht selbständig verteidigen.

Das mag in der Bündnislogik zunächst niemanden erschrecken. Verteidigung ist in der Nato eine Gemeinschaftsaufgabe. Deutschland, seit 1990 wieder ein vollständig souveräner Staat, verlässt sich weiterhin auf die starke Präsenz von Truppen der USA. Doch dies ist nicht in Stein gemeisselt. Unter Präsident Donald Trump wurde das Engagement der amerikanischen Steuerzahler für die deutsche Sicherheit offen infrage gestellt.

Doch ganz unabhängig von Mensch, Material und Munition: Selbst wenn Deutschland den Beschaffungsrückstand aufholen kann, ändert dies nichts am verkrampften Verhältnis zwischen der Bundeswehr und der Bevölkerung. In einem demokratischen Staatswesen liegt der eigentliche Schwerpunkt der militärischen Kraft bei den Bürgerinnen und Bürgern. Ohne deren Unterstützung helfen weder Milliarden noch modernste Technologie.

So wurde von Korffs wahres Verdienst im Kosovo-Einsatz von 1999 in Deutschland kaum honoriert. Trotz chaotischen Zuständen gelang es ihm, in seinem Raum dank kluger Vorbereitung die Minderheiten einer multiethnischen Stadt vor der Vertreibung zu retten. Gefragt wäre ein gesundes Mass an Respekt der Öffentlichkeit gegenüber der militärischen Leistung – ob in Afghanistan, auf dem Westbalkan oder jetzt im Baltikum.

Noch immer assoziiert ein guter Teil der deutschen Bevölkerung seine Streitkräfte mit der Vergangenheit in der Nazizeit. Solange sich dies nicht ändert, bleibt Deutschland ein militärisches Vakuum mitten in Europa.





Mützen auf, Ihr Nazi-Frostbeulen!

von Mirjam Lübke...

Oh weh! Ich fürchte, unsere extrem antifaschistische "nie wieder Nazis"-Innenministerin Nancy Faeser ist gerade dabei, eine Gepflogenheit eben jener Nazis aus dem zweiten Weltkrieg zu übernehmen. Natürlich wird sie nicht mehr von "Wehrkraftzersetzung" sprechen - das wäre zu auffällig - heute heißt Kritik am Staat: "Die Demokratie gefährden". In unserer Naivität haben wir stets geglaubt, es gehöre zu unseren Rechten, unseren Unmut auf die Straße zu tragen. Aber wer sich dazu nicht auf selbige klebt und fordert, was ohnehin salonfähig ist, hat nicht recht, sondern ist rechts, findet die Innenministerin. Mundwinkel hoch, Genossen, und gute Laune verbreiten! Nur noch ein paar Wochen, dann kommt wieder die Maskenpflicht und es wird leichter, sein Zähneknirschen vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Auch dafür sorgt unsere wohlmeinende Regierung! 



Friedrich Merz von der CDU wird noch direkter. Wer "kriegsmüde" ist, der verrät die Ukraine und Europa! Nun kann ich mir durchaus lebhaft vorstellen, dass auch die Bürger der Ostukraine kriegsmüde sind, denn sie haben die Hauptlast zu tragen - während Selenskij stets wie frisch aus dem Ei gepellt vor den Kameras steht und so gar nicht erschöpft wirkt. Auch Friedrich Merz dürfte es leicht fallen, zum Durchhalten aufzufordern, aus dem sicheren Berlin heraus ist das ein Leichtes. Hört man ihm zu, könnte man glauben, Deutschland selbst wäre aus Versehen in die Ukraine einmarschiert und sei lediglich von Putin nachgeahmt worden. Und deshalb hätten wir nun eine Bringschuld. Zum Glück ist bisher keinem deutschen Soldaten aufgezwungen worden, an vorderster Front mitzukämpfen, aber hört man sich die Merz, Baerbocks und Hofreiters an, könnte man meinen, sie säßen in einem Feldherrenzelt mitten im Getümmel. Fehlt nur noch das frischgebügelte Selenskij-Solidaritäts-Shirt. 

Unzufriedenheit gehört zu den Grundrechten der Bürger in einer Demokratie. Damit meine ich nicht sinnloses Dauernörgeln gegen "die da oben", sondern die Fähigkeit, zu erkennen, ob etwas nicht so funktioniert wie es sollte und das Recht, diese Beobachtungen auch zu äußern. Nur totalitäre Gemeinschaften verlangen von ihren Mitgliedern Dauerzufriedenheit und ziehen alle Register, damit diese auch öffentlich bekundet wird. Teilweise gelingt ihnen das sogar, entweder, weil die Bevölkerung unter einem Stockholm-Syndrom leidet, durch Reiseverbote gar nichts anderes kennt als das Gewohnte oder aber es noch genügend Menschen gibt, die auf die eine oder andere Weise profitieren. In Deutschland geht es uns eher so, wie dem Frosch im Topf mit kaltem Wasser, das langsam aufgekocht wird. Bemerken wir etwas davon, wird uns sogleich ein schlechtes Gewissen gemacht: In - hier ein Krisengebiet Ihrer Wahl einsetzen - haben die Leute noch nicht einmal Töpfe, in denen sie gekocht werden können! 

Vielleicht funktionieren auch deshalb Sanktionen so schlecht, weil sie hauptsächlich die Armen und die Mittelschicht treffen, welche den Regierenden ohnehin nicht viel bedeuten, nachdem sie einmal ins Amt gehievt sind. Sie sind lediglich die Rädchen, die den Betrieb funktionieren lassen sollen. Im zweiten Weltkrieg erwogen die Amerikaner den Einsatz nicht-tödlicher Biowaffen gegen Deutschland, mit dem Ziel, etwa Ernten zu zerstören, um das Volk zum Aufstand zu bewegen. Allerdings verfügten die Nationalsozialisten bekanntlich selbst über ein ausgefeiltes Propagandanetzwerk aus Zuckerbrot und Peitsche. Die informellen Mitarbeiter der Gestapo waren überall unterwegs, um aus den vorsichtigen Äußerungen der Bürger die nächsten Bei-Laune-Haltungs-Maßnahmen entwickeln zu können. Viele wurden wegen harmlosester Äußerungen verhaftet, aber man kann nicht ein ganzes Volk einsperren. Der Druck von außen erzeugte genau jenes Feindbild, auf dem die Durchhalteparolen aufbauen konnten. Da saß man nun fest zwischen Dachau und dem neuesten Film mit Marika Rökk. 

Zum Glück sind wir noch nicht wieder so weit, dass man für seine Meinung ins Gefängnis kommt, aber von einer freien Gesellschaft sind wir mittlerweile ebenfalls weit entfernt. Allein schon die Tatsache, dass reine Unzufriedenheit einen zum Extremisten macht, sollte uns sehr zu denken geben. Wenn herunterhängende Mundwinkel einen Menschen schon zum Terroristen werden ließen, hätte Angela Merkel auf der Fahndungsseite des FBI neben Osama bin Laden einen festen Platz innegehabt. In Deutschland führt die Unzufriedenheit der Bevölkerung oft noch nicht einmal dazu, die dafür Verantwortlichen abzuwählen, sonst müsste sich im Ahrtal die politische Landschaft komplett verändert haben. Die Deutschen sind in dieser Hinsicht sehr geduldig. Manch einer schaut mit Verachtung auf jene, die sich nun ihr Kirmeslied "Layla" erkämpfen - oder es einfach laufen lassen, als sei eine solche Form der Rebellion zu trivial. Aber ist das nicht egal? Dass Leute sich das Feiern nicht verbieten lassen, ist doch schon mal was.

Und das ist es wohl, worauf Nancy Faeser abzielt. Im Grunde sind wir ein Volk, das keinen Ärger haben will: Unsere Regierung will keinen Unmut im europäischen Ausland erzeugen - nur bei der heiligen Kuh der Energiewende hat sie ein Hochziehen der französischen Augenbrauen riskiert - und ebenso wenig mag der Normalbürger bei seinen Nachbarn anecken. Also muss derjenige, der doch dazu bereit ist, möglichst rasch mit einem unangenehmen Etikett versehen werden. Und dann schafft es das deutsche Staatsfernsehen noch nicht einmal, uns unterhaltsame Propaganda zu liefern, sondern nur solche, die schon auf den ersten Blick erkennbar ist. Da muss Nancy Faeser noch ein bisschen üben, um den perfekten Totalitarismus in Deutschland einzuführen.




Wie die Deutsche Bahn ihre Passagiere vertreibt und warum die Politik eine Mitschuld trägt

von Thomas Heck...

Mittlerweile hat vermutlich jeder Deutsche das 9-Euro-Ticket und hat es auch bereits genutzt. Vermutlich allerdings eher innerhalb von Ortschaften im Bereich des ÖPNV. Wer damit Städtetouren machen will, kann dies versuchen. Spaß macht es eher nicht. Im Sommer ausfallende Klimaanlagen, im Winter nicht funktionierende Heizungen und eingefrorene Türen. Kaum zu glauben, dass im 2. Weltkrieg die S-Bahn im zerbombten Berlin nach am Tage vor der Kapitulation im Regelbetrieb fuhr.

Doch der Pöbel fern jeglichen Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen jubelt ob dieses "Geschenks" des 9-Euro-Tickets und begreift gar nicht, was für Blödsinn die Aktion ist. Keinerlei Verbesserung der Infrastruktur. Bei der Überbelegung versagen die Toiletten in den Zügen schon vor der Abfahrt im Bahnhof, schon weil jeder staunend mehrfach die Spülung drückt, weil die so lustig ist.

Und geht dabei der Politik auf den Leim, der mit billigen Steuergeschenken versucht, sich Wohlwollen einzukaufen. Und nur wenige Menschen sehen die Falle und tappen nicht hinein.


Und die Zustände an deutschen Bahnhöfen und in deutschen Zügen werden fast täglich chaotischer. Politik und Konzern müssen weiter denken als bis zur nächsten Baustelle.

«Wenn ich einen Termin in einer anderen deutschen Stadt einhalten muss, nehme ich inzwischen wieder das Auto»: Dieser Satz ist in Deutschland immer öfter von Menschen zu hören, die eigentlich überzeugte Bahnfahrer sind und stets vom Komfort der ICE-Züge der Deutschen Bahn (DB) geschwärmt haben. Doch was nützt Komfort, wenn die einen Züge kurzfristig ausfallen und die anderen massiv verspätet oder hoffnungslos überfüllt sind?

Verspätungsrekorde

Seit Wochen ist das eher die Regel als die Ausnahme. Selbst auf kurzen Teilstrecken zum Beispiel von Berlin nach Wolfsburg oder von Dresden nach Berlin schafft es die DB, trotz fahrplanmässiger Abfahrt und einer Fahrzeit von unter zwei Stunden Verspätungen von einer halben Stunde und mehr anzuhäufen. Auf längeren Strecken wird das Bahnfahren vollends zur Lotterie, nicht nur für Passagiere, sondern erst recht für Unternehmen, die «für Güter die Bahn» gewählt haben.

Auf Bahnhöfen sind filmreife Szenen zu erleben: Der Sicherheitsdienst sperrt Auf- und Zugänge, um eine weitere Überfüllung eines Perrons zu vermeiden, die Bahn droht mit der Polizei, um einen überfüllten Zug räumen zu lassen. Auch DB-Statistiken belegen die Misere: Im Juni waren 42 Prozent der Personenfernzüge mehr als 6 Minuten verspätet – der schlechteste Monatswert seit einem Wintereinbruch Ende 2010.

Gewiss, in der Ferienzeit ist eine hohe Auslastung normal, und Corona-bedingt hohe Krankenstände erschweren der Bahn die Aufgabe. Doch das Chaos hat auch tiefergreifende Ursachen. Zum einen hat die Politik im Autoland Deutschland die Bahn über lange Jahre vernachlässigt. Wechselnde Verkehrsminister haben sich kaum strategisch um sie gekümmert, dafür hat der Staat als Eigentümer den DB-Aufsichtsrat vor allem mit Staatssekretären und Abgeordneten statt Verkehrsexperten aufgefüllt.

.

Marode Infrastruktur

Die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur lagen und liegen bei einem Bruchteil des Schweizer Wertes, was sich nicht allein durch die Topografie erklären lässt.

In der Folge hat die Infrastruktur nicht mit dem Wachstum des Verkehrsaufkommens Schritt gehalten. Nun häufen sich Störungen altersschwacher Anlagen, an allen Ecken und Enden wird geflickt. Zugleich fehlen vielerorts Ausweichrouten, Weichen und andere technische Einrichtungen, mit denen Züge ohne massiven Zeitverlust an Baustellen und anderen Störungen vorbeigeleitet werden könnten.

Zum andern hat sich auch der DB-Konzern keine Lorbeeren verdient. Mit den – längst ad acta gelegten – Plänen für einen Börsengang verband sich der ehrgeizige Traum, zu einem Logistikkonzern von globaler Bedeutung heranzuwachsen. Darob, so scheint es, geriet die tägliche Kleinarbeit an der Pünktlichkeit im Inland ins Hintertreffen.

Zweifel an der Vernunft

Nun will die Ampelregierung im Dienste des Klimaschutzes den Bahnverkehr stark ausbauen. Der liberale Verkehrsminister Volker Wissing hat die Modernisierung der Bahn zur Chefsache erklärt und gemeinsam mit dem Bahnchef Richard Lutz Pläne für eine Generalsanierung zentraler Netzabschnitte ab 2024 angekündigt. Dass dieselbe «Ampel» diesen Sommer 2,5 Milliarden Euro statt in die Sanierung des Netzes in die Subventionierung von 9-Euro-Tickets steckt, die zusätzliche Nachfrage im Regionalverkehr und damit noch mehr Überlastung schaffen, weckt indessen leise Zweifel an ihrer bahnpolitischen Vernunft.

Zudem müsste die Politik weiter denken als bis zur nächsten Baustelle: Bis anhin hat die DB im Personenfernverkehr einen Marktanteil von 96 Prozent, und private Anbieter klagen über vielfältige Benachteiligungen. Abhilfe schaffen könnte die im Koalitionsvertrag verworfene völlige Trennung von öffentlichem Netz und liberalisiertem Fahrbetrieb. Kaum etwas dürfte die DB mehr wachrütteln als private Konkurrenten, die pünktlicher sind





Montag, 18. Juli 2022

Wie die Linke ihre letzten klugen Köpfe verjagt...

von Mirjam Lübke...

In unserer berechtigten Genervtheit über linke und grüne Politik vergessen wir oft, dass es in ihren Reihen auch noch vereinzelt kluge Köpfe gibt, die zumindest in Teilbereichen ganz vernünftige Ideen äußern. Wer weiß, was diese Menschen noch in der Ideologieblase hält? Vielleicht ist es der Gedanke, nur auf dieser Seite etwas für soziale Gerechtigkeit tun zu können, diesem Glauben hing ich auch lange an, bis mir die ständige Gedankenkontrolle und die Cancel Culture - die damals noch Randale hieß - die Augen öffneten. Etwas lief hier gewaltig schief, darüber konnte auch die vorgebliche "Rettung der Menschheit" nicht hinwegtäuschen. Vor zwanzig Jahren herrschte allerdings noch ein relativer Konsens darüber, dass die Methode des Niederschreiens nicht der richtige Weg sei, um gegen abweichende Meinungen vorzugehen.
 


Über Anna Vero Wendland habe ich mich vor ein paar Monaten mit einiger Schadenfreude geäußert, weil sie als Linke eine ordentliche Dosis dieser linken Medizin abbekam und darüber sehr verwundert war. "Guck mal, gute Frau, so geht's uns ständig", dachte ich kopfschüttelnd. "Ist dir das bisher entgangen, oder war es dir egal?" Aber inzwischen muss ich mit einiger Anerkennung sagen: Frau Wendland ist ganz schön tapfer, wenn sie als Linke die verpönte Kernenergie verteidigt. Und sie hat sich, soweit ich das als Geisteswissenschaftlerin beurteilen kann, ein breitgefächertes Wissen zum Thema angeeignet. Sich derart der parteiinternen Ideologie entgegenzustellen und Argumente zusammenzutragen, hat schon was.
 
Prompt wurde sie mit einer bei Linken und Grünen beliebten Methode attackiert, die man häufig beobachten kann: Es wird, um sich nicht mit der Argumentation auseinanderzusetzen zu müssen, ein Detail herausgegriffen, vielleicht eine nicht hundertprozentig klare Formulierung - an dieser beißt man sich dann fest. Das passiert auch auf der Seite meines Chefs ständig, zum Beispiel bei unserem Beitrag "Tabuthema Post-Vac-Syndrom". Aus dem Text ging eindeutig hervor, dass jenes Tabu aus dem Unwillen bestand, Folgen der Covid-Impfungen zu erfassen und systematisch zu erforschen. Unser Kommentator jedoch beharrte darauf, dass der Titel irreführend sei. Ähnlich ging es auch Frau Wendland, die für ein Weiterbetreiben der verbliebenen Kernkraftwerke argumentiert. Neben den üblichen "Aber Tschernobyl!"-Aufschreien hängten sich ihre Gegner an einer juristischen Formulierung auf.
 
Was im ersten Moment einfach nach Kleingeistigkeit und Korinthenkackerei aussieht, ist tatsächlich ein fieses Mittel, um den anderen als inkompetent dastehen zu lassen - da kann der Rest des Textes oder der Rede noch so gut sein. Wir alle picken gerne die Fehlleistungen des politischen Gegners heraus, aber es ist eben ein Unterschied, ob diese sich wie ein roter Faden durch alle Äußerungen ziehen - wie bei einigen grünen Damen von Fester bis Roth - oder ob es sich um kleine Macken handelt, die nicht an der Gesamtkompetenz rütteln. Es versteht sich von selbst, dass Kritik am kindischen Auftreten von Emilia Fester oder an Annalena Baerbocks flexiblem Verhältnis zu Naturwissenschaften grundsätzlich böswillig motiviert ist. Ganz ableugnen kann ich das zumindest für meine Person mittlerweile nicht mehr, denn die Selbstverständlichkeit, mit der sie den gröbsten Unfug vortragen, lässt bei Entlarvung schon eine gewisse Schadenfreude aufkommen. Wie es in den Wald hineinruft...

Wir brauchen uns nicht zu wundern, wie sehr wir als Nichtlinke für unsere Meinung angegangen werden, wenn schon der Druck in den eigenen Reihen so groß ist. Robert Habeck etwa - der in seiner Rolle als Öko-Oberlehrer einen Sparappell nach dem anderen veröffentlicht - scheint mir, gemessen an Baerbock, doch noch ein Einäugiger unter den Blinden zu sein. Im März hatte er sehr wohl erkannt, dass sich Deutschland ein knallhartes Energieembargo gegen Russland nicht leisten kann. In der Talkshow von Anne Will warnte er vor Armut und Arbeitslosigkeit als möglichen Folgen. Wie man von derlei Einsicht zu Aussagen übergehen kann, in denen die Deutschen als ein Häuflein Verschwender dargestellt werden, ist nur durch Gruppendruck erklärbar, nun sind hohe Preise plötzlich kein Ergebnis verfehlter Energiepolitik mehr, sondern ein Erziehungsinstrument, wie bei den Grünen üblich. Schämt man sich eigentlich nicht, derart gegen die eigene Einsicht zu argumentieren? So etwas resultiert entweder aus Verblendung - oder dem Kleben am eigenen Posten. Wer noch ein wenig Selbstachtung hat, sollte spätestens jetzt rebellieren.
 
Allerdings machen auch jene, die sich durchaus einen eigenen Kopf bewahrt haben, so wie etwa Sahra Wagenknecht mit ihrer Kritik an unkontrollierter Migration, den Schritt nicht, mit Gleichgesinnten über die Parteigrenzen hinweg zu reden. Die Angst vor "Applaus von der falschen Seite" ist zu groß, da auch dieser wieder als Waffe zur Diskreditierung eingesetzt wird. So hindert man die eigenen "Dissidenten" zwar vielleicht nicht am Reden, aber doch daran wirksame Bündnisse zu schließen. Damit ist sichergestellt, dass sie auch weiterhin Einzelkämpfer bleiben.
 
Die Betroffenen sind wohl kaum zu dumm, um diese Mechanismen zu erkennen, aber entweder wollen sie innerhalb der Blase ihre Stellung nicht gefährden - oder es fällt ihnen doch noch schwer, sich von alten politischen Träumen zu verabschieden. Eventuell wegen einiger noch geteilter Werte wie dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit - aber wohl hauptsächlich deshalb, weil man sich erst einmal damit zurechtfinden muss, ein politisch und gesellschaftlich Ausgestoßener zu sein.


Samstag, 16. Juli 2022

Holt die Polizei, aber zackig!

von Mirjam Lübke...

Mir graust schon davor, wenn in diesem Winter der typische deutsche Wachhund wieder auf den Plan tritt. Dieser Wachhund döst fröhlich weiter, wenn es tatsächlich einmal notwendig wäre einzuschreiten, zum Beispiel, wenn Schreien und Poltern in der Nachbarwohnung auf Gefahr für Leib und Leben eines Familienmitglieds hindeuten. Oder jemand in der Straßenbahn übel von einer Gruppe von Raufbolden angegangen wird. Denn das Wohlergehen anderer ist nicht die Motivation dieser Menschen, sie sehen sich selbst als verlängerten Arm der Ordnungsmacht. Was gut und richtig ist, das entscheidet man nicht nach einem inneren Wertekompass, sondern nach offiziellen Vorgaben. Und die werden nicht hinterfragt.
 


Während der Prä-Impf-Ära machten Politiker-Cartoons die Runde, in denen Merkel und Seehofer sich einen Spaß daraus machten, sich absurde Vermummungsmaßnahmen auszudenken, um das Volk auf seine Gehorsamkeit zu testen. Ob die Leute sich wohl auch Pappnasen aufsetzen würden? Eigentlich war das Maskentragen allen lästig, aber gerade das machte die Corona-Jünger aggressiv. Nachdem in den Medien verbreitet worden war, dass einzelne Ärzte ein wenig großzügig mit befreienden Attesten umgegangen waren, stand plötzlich jeder Befreite unter Generalverdacht, sich seines erschlichen oder gefälscht zu haben (was einem übrigens auch mit einem Schwerbehindertenausweis passieren kann, wenn man um einen Sitzplatz bittet). Wahrscheinlich waren die meisten noch nicht einmal vom Nutzen der oft widersprüchlichen Vorschriften überzeugt - aber Vorschrift ist Vorschrift! In Dutzenden Videos wurden Ausraster gegen Maskenlose im Supermarkt dokumentiert. Vielleicht hätte man den Spieß einmal umdrehen müssen: "Ihr Geschrei erzeugt so viel CO2, dass Deutschland auch diesmal wieder seine Klimaziele nicht erreicht! Gerade jetzt fällt in der Arktis ein Eisbär von der Scholle!"
 
Vielleicht wird es im Winter selbsternannte Wärmeprüfer geben. Unter dem Vorwand, sich eine Rolle Toilettenpapier leihen zu wollen, kommen sie in die Wohnung - und während man das begehrte Gut aus dem Nachbarraum holt, messen sie rasch die Raumtemperatur. 17,3 Grad! Und dann steht nach ein paar Minuten die Polizei vor der Tür und nimmt einen als russischen Schläfer in Gewahrsam. Eine Duschkontrolleurin hatte ich schon einmal in der Wohnung unter mir wohnen. Die ältere Dame glaubte zu wissen, dass tägliches Haarewaschen Erkältungskrankheiten fördert und betätigte, wenn ich unter der Brause stand, gerne ihre Toilettenspülung mehrfach - was durch den Druckabfall in der Leitung dazu führte, dass ich al dente gekocht wurde. Das gab sie sogar offen zu. Gegen derlei Erziehungsversuche hege ich spätestens seit diesen Jahren tiefste Abneigungen.
 
Die Dame hatte vor ihrer Pensionierung ein Wohnheim für alleinstehende männliche Migranten geleitet und war daher prädestiniert als Ordnungshüterin. Als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln hätte sie wahrscheinlich Wunder gewirkt, aber wenn jemand auch im Privatleben die Lust an der Beaufsichtigung anderer Menschen nicht verliert, kann einen das in den Wahnsinn treiben. Solche Menschen geben einem einen Vorgeschmack darauf, wie es ist, unter einem totalitären Regime zu leben, in einer Gesellschaft, in der jeder ständig auf jeden aufpasst. Bekanntlich ist das in Chinas Sozialpunktesystem schon Realität - es gehört zum guten Ton, jeden noch so kleinen Fehltritt seines Nebenmenschens behördlich anzuzeigen. Ich bin vorsichtig dabei geworden, Menschen zu verurteilen, die in der Diktatur nicht zum Helden werden. Allerdings würden die meisten Diktaturen weitaus weniger effektiv funktionieren, wenn nicht so viele Bürger enormen Belastungseifer an den Tag legten. Aus purer Giftigkeit. Der Nachbar hört BBC oder guckt Westfernsehen? Einfach mal ignorieren! Was juckt es dich?

Nun kommen wir auch behördlich dem Totalitarismus zumindest in NRW ein Stückchen näher - und ich fürchte, das wird deutschlandweit Schule machen: Ein Meldenetzwerk soll demnächst alle rassistischen und queerfeindlichen Bemerkungen auch "unterhalb der Grenze der Strafbarkeit" erfassen. Es ist im Grunde genommen das gleiche System wie bei Facebook: Nicht, was tatsächlich strafbar ist, wird zensiert, sondern alles, was irgendjemandem sauer aufstößt. Es ist vollkommen richtig, dass man sich in Deutschland juristisch gegen Beleidigungen zur Wehr setzen kann, wir wollen schließlich kein Häuflein von rücksichtslosen Barbaren sein. Aber ebenso gibt es gute Gründe dafür, dass Menschen Konflikte auch einfach einmal unter sich ausmachen sollten. Die Gerichte in Deutschland sind teilweise mit Lappalien so ausgelastet, dass richtig schwere Jungs aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil Fristen versäumt wurden. Und das sind dann oft gerade diejenigen, die berechtigt dort saßen.
 
Sollen diese Meldestellen etwa dazu dienen, den Rahmen der Strafbarkeit zu erweitern, so lange, bis schließlich auch die berühmt berüchtigten Mikroaggressionen justiziabel sind? Oder müssen ein paar arbeitslose Parteifreunde mit Posten versorgt werden? Vielleicht etwas von beidem. Fest steht jedenfalls schon jetzt, dass wieder ein paar lautstarke Minderheiten einen neuen Spielplatz bekommen haben und ein neues Zensurinstrument geschaffen worden ist. Man sammelt dort schließlich nicht zum Spaß - und sei es nur deshalb, weil unsere Sprache wieder einmal politisch korrekter werden muss. Das Wort "Kartoffel" wird aber sicher nicht auf der schwarzen Liste landen.


Donnerstag, 14. Juli 2022

Die dumme Sau des Tages...

von Thomas Heck...

Deutschland ist, wenn ehemalige Politiker wie die Bundespräsidenten a.D. einen sogenannten Ehrensold von 214.000 Euro erhalten und so schlaue Sätze wie "Für die Freiheit kann man auch mal frieren" oder  jüngst "Eine Wohlstandslücke kann man auch überleben" und sich so über den darbenden Pöbel lustig machen, der die Ampelpolitik ausbaden muss. Derselbe Präsident, der für eine 2. Amtszeit nicht fit genug war, sich aber eine teures Büro mit 9 Zimmern auf fast 200 Quadratmetern einrichten ließ, mit Personalkosten für den Steuerzahler von jährlich 385.000 Euro, sein eigener Arbeitsraum für  35.000 Euro. Sogar ein Präsidenten-Scheißhaus ließ Gauck sich einrichten. 52.000 Euro für präsidiales Kacken eines Ex-Präsidenten. Ob er sich solche Weisheiten ausdenkt, wenn er auf dem Lokus sitzt, wird sich abschließend nicht klären lassen.


Joachim Gauck hat ein feines Gespür dafür, wo die inneren Widersprüche der deutschen Gesellschaft liegen. Dass der Altbundespräsident es noch immer versteht, mit wenigen Worten den Finger in die Wunde zu legen und notwendige Debatten anzustoßen, bewies er im März dieses Jahres bei seinem Auftritt in der ARD-Sendung "Maischberger". Damals forderte Gauck seine Landsleute im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine dazu auf, für die Freiheit auch mal zu frieren, was zu lebhaften Diskussionen über die hierzulande zu erwartenden Wohlstandsverluste und deren Verteilung führte.

Am Mittwochabend war der 82-Jährige zu Gast in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" und wiederholte seine Auffassung, dass es zu ertragen sein werde, wenn "bei uns die Temperaturen heruntergedimmt" würden. Eine Wohlstandslücke könne man auch überleben, so der Bundespräsident a. D. - ein Mann, der sich aufgrund seines "Ehrensoldes" nun weiß Gott keine Sorgen machen muss... 

Zudem attestierte Gauck Teilen der deutschen Öffentlichkeit ein verklärtes Verhältnis zu Russland und zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. "In Bezug auf Russland dürfen wir von einer ganzen Periode des Wunschdenkens sprechen", urteilte der parteilose Politiker mit Blick auf die jüngere Vergangenheit.

Gauck sieht in Habeck Vorbild für neue Politikergeneration

Lob hatte er für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dessen Art der Politikvermittlung übrig. Der Grünen-Politiker werde mit seiner reflektierten Art, die Menschen anzusprechen, "für eine ganze Reihe junger Frauen und Männer, die in die Politik gehen, ein Leitmodell werden". Es sei klar ersichtlich, dass genau dieser Typus zukünftig stärker gebraucht werde.

"Ein eher trockener und ruhiger Hanseat, der hat halt vielleicht auch gar nicht die Neigung, in dieser Weise sich darzustellen", sagte Gauck weiter, ohne den damit gemeinten Olaf Scholz beim Namen zu nennen, in dem er eine Art kommunikatives Gegenmodell zu Habeck erkannte. Er könne angesichts der zögerlichen Hilfe für die Ukraine den kritischen Blick vieler Leute auf Scholz durchaus verstehen, traue ihm allerdings zu, sich in die Richtung zu entwickeln, die er, Gauck, für richtig halte.

Diese Einschätzung verband der Ex-Bundespräsident mit einem Appell, das angegriffene Land im Osten Europas schneller und intensiver mit Waffen zu unterstützen. "Da muss noch etwas geschehen, und ich hoffe und warte, dass es geschieht", erklärte der Mann, der von 2012 bis 2017 das höchste politische Amt der Bundesrepublik innehatte.

Gleichzeitig konstatierte Gauck ein aus seiner Sicht positives Umdenken bei der Mehrheit der deutschen Gesellschaft und eine Zustimmung zur Zeitenwende-Rede des Kanzlers. "Das Deutschland, das sich über lange Jahre so tugendhaft fühlte, wenn es Militär im Prinzip ablehnte", sei plötzlich bereit zu akzeptieren, "dass wir uns verteidigen müssen."

Ex-Bundespräsident kritisiert Merkel für Nord Stream 2

Auch Scholz' Vorgängerin nahm Gauck bei seinen Ausführungen in den Blick, besonders in Hinsicht auf ihr Verhältnis zu Putin. Angela Merkel sei bewusst gewesen, dass Putin lüge. "Das war ihr völlig klar. Sie wusste, das gehört zum System", war sich der Altbundespräsident sicher. "Ich denke, dass sie als Regierungschefin mehr die Dinge im Auge haben musste, die trotzdem gehen, und von daher ihre grundsätzlichen Bedenken fortwährend gezähmt hat", verteidigte Gauck die ehemalige Bundeskanzlerin.

Allerdings habe auch diese Vorgehensweise eine Grenze. "Irgendwann muss man erkennen, dass Nord Stream 2 vielleicht doch kein rein privatwirtschaftliches Unternehmen ist", erklärte Gauck vor dem Hintergrund einer entsprechenden Äußerung Merkels zur umstrittenen Ostsee-Pipeline für russisches Gas. "Das fand ich schon eher kritikwürdig", lautete das Urteil des ehemaligen Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen.





Sohn von Clan-Boss abgestochen: Mann gesteht die Tat - Polizei lässt ihn wieder gehen

von Thomas Heck...

Eine Justiz, die einen Täter nach der Festnahme wieder gehen lässt, obwohl dieser mit einem Messer einen andern abgestochen hat, sollte sich nicht mehr Justiz nennen. Da verwundert es nicht so recht, wenn FFF-Spinner nach Autobahnblockaden ebenfalls nicht in Haft kommen. Wir hatten berichtet.


In Berlin ist in der Nacht ein Mann in einem Fitness-Studio niedergestochen worden. Er wurde schwer verletzt. Die Polizei kann einen Tatverdächtigen festnehmen - der sich kooperativ zeigt. Bei dem Opfer soll es sich einem Bericht der Zeitung zufolge um ein Mitglied des Remmo-Clans handeln. 

Die Polizei wollte das auf FOCUS-Online-Nachfrage unter Hinweis auf Datenschutzgründe zunächst nicht bestätigen. Die Ermittlungen liefen noch, so ein Polizeisprecher.

Der Tatverdächtige, ein 38-Jähriger, wurde nach erkennungsdienstlicher Behandlung wieder entlassen. Er soll sich kooperativ gezeigt haben, die Tat gestanden und sogar die Tatwaffe übergeben haben. Auch er gehört laut "Bild" einer Großfamilie an.

Ebenso wie das Opfer. Dieses soll der Sohn von Clan-Oberhaupt Issa Remmo, Ismail Remmo. Er wurde schwerverletzt in eine Klinik gebracht. Ismail Remmo stand 2019 wegen Mordvorwurfs vor Gericht, wurde aber freigesprochen. Der Remmo-Clan wird mit vielen Straftaten in Verbindung gebracht, soll unter anderem am Goldmünzen-Klau im Bode-Museum und dem spektakulären Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden beteiligt gewesen sein. Der Clan hat um die 1000 Mitglieder. Das Motiv der Tat könnte Rache gewesen sein, so die "Bild."





Jetzt erst recht!

von Mirjam Lübke...

Na, heute schon etwas Verbotenes, Unerhörtes getan? Etwa ein dickes Stück Fleisch gegessen, dessen Ursprungstier man nicht persönlich vorgestellt worden ist? Über einen sexistischen Witz gelacht oder - Gott behüte - nicht begeistert auf den neuen, politisch korrekten Familienfilm der ARD reagiert, sondern stattdessen einen alten Streifen mit Bruce Willis geschaut? Mir fielen noch weitaus verwerflichere Aktionen ein, aber wenn ich diese niederschreibe, bekomme ich Besuch vom Verfassungsschutz. Nicht etwa, weil ich eine Gewalttat plane, sondern weil man heute nicht mehr weiß, was plötzlich total unmoralisch ist. Dabei machen doch kleine Tabubrüche so richtig Spaß: Früher gröhlten wir bei der Spider Murphy Gang bei der Liedzeile "...und draußen vor der großen Stadt steh'n die N*tt*en sich die Füße platt" besonders laut mit, weil dann ein paar Leute dumm schauten, heute wird derlei Liedgut sicherheitshalber auf Volksfesten gleich verboten. Gegen den Text von "Layla" stellte "Rosi" zwar noch relativ hochwertige Dichtkunst dar, aber wenn wir nun auch noch beginnen, schlechten Geschmack zu verbieten, wird das Meinungskorsett noch enger geschnürt. Obwohl es recht reizvoll wäre, wenn Claudia Roth sich endlich einen Stilberater suchen müsste.
 

Aber lieber ertrage ich ab und an den Anblick von Claudia Roth als noch weitere hochmoralische Forderungen, die dann letztlich so moralisch durchdacht gar nicht sind. In der derzeitigen Energiekrise stellen die Krieger des Guten es häufig so dar, als wären Forderungen nach pragmatischen Lösungen - etwa der Öffnung von Nord Stream 2 - die Ausgeburt von blankem Egoismus. Gerne empören sie sich über böse, selbstsüchtige Bürger, die bei alledem nur an ihre heiße Dusche und eine warme Wohnung im Winter denken würden. Einmal abgesehen davon, dass diese Bedürfnisse durchaus legitim sind, würde es den Krieg in der Ukraine um keinen Tag verkürzen, wenn uns Eiszapfen von der Nase hängen. Ohne Gaslieferungen droht vielen Menschen allerdings die Arbeitslosigkeit - das blenden Moralisten gern aus. Oder es ist ihnen egal, weil sie neben ihrem Ukraine-Engagement auch noch den Klimawandel fürchten - und es heimlich ganz in Ordnung finden, wenn die Industrie den Bach heruntergeht. Und wenn es einem selbst zu kalt wird, setzt man sich eben in den Flieger nach Palau, natürlich nur, um mit eigenen Augen zu sehen, was die Erderwärmung so anrichtet. Was für ein Opfer, um die Menschheit zu retten!
 
Spaßverderben ist allerdings keine deutsche Spezialität: Für einen Beitrag über sozialistische Spartipps erhielt ich den Hinweis, doch einmal einen Blick auf Venezuelas linken Ex-Staatschef Hugo Chavez zu werfen. Und siehe an: Der Mann war Robert Habecks Bruder im Geiste! Limonade wurde knapp? Die ist ohnehin ungesund! Blackout in der Nacht? Man kann auch im Dunkeln auf die Toilette gehen. Chavez ließ die Menschen immerhin eine Minute länger duschen als Habeck - aber dabei zu singen fand er furchtbar. Beiden ist auch gemeinsam, sich so zu geben, als hielte man sich selbst an diese Ratschläge - obwohl man in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Früher nannte man so etwas "leutselig", auch Annalena Baerbocks Barfußauftritt passt in diese Kategorie. Was damals der Firmenbesitzer war, der sich schulterklopfend und Zigarren verteilend unter die "einfachen Arbeiter" mischte, ist heute der Grüne, der vorgibt, bescheiden zu sein. Damit simulieren sie Empathie und Volkstümlichkeit, obwohl eigentlich jeder weiß, dass es eine unsichtbare Glasdecke zwischen ihnen und uns gibt. Das Volk jedoch fühlt sich geschmeichelt - wie menschlich sie doch sind! Gar nicht so mit Schlips und Kragen!

Ihre Regelverstöße werden wortreich begründet, so dass sie uns als etwas Positives erscheinen, das zum großen Weltrettungsplan gehört. Da täuschen allerdings selbst die Löcher in Habecks Socken nicht darüber hinweg, dass uns Welten trennen. Möchte man nicht schon aus purem Trotz gegen die Vorgaben solcher Politiker rebellieren? Sich selbst seine kleinen Alltagsfreuden gönnen? Was bei ihnen ein kleiner Ausrutscher ist, wird bei uns jedoch zum Verbrechen, wir sind "unsolidarisch", "rassistisch" oder "unterstützen den Feind". Und dumm obendrein.
 
Man muss unter diesem moralischen Dauerfeuer aufpassen, nicht den eigenen Kompass zu verlieren, denn die ständigen Moral-, Antirassismus- und Toleranzpredigten gehen einem so auf die Nerven, dass man vollständig in die andere Richtung abdriften möchte. Nach unzähligen Geschichten aus dem Diskriminierungs-Paulanergarten ist man irgendwann geneigt, auch tatsächlich Geschehenes nicht mehr zu glauben, umgekehrt aber alles, was von der Gegenseite kommt. Ohne es zu wollen, wird man bald genauso miesepetrig wie die Moralisten und fängt an, wie sie in Schubladen zu denken. Normalerweise bin ich zum Beispiel sehr diskussionsfreudig, gleichzeitig aber auch bereit, dem anderen einen Schritt entgegenzukommen. Wenn ich allerdings merke, dass derjenige typische, einstudierte Kommunikationstricks anwendet, habe ich keine Lust mehr darauf. Wenn sie auch verlernt haben, einfach mal aus Freude zu lachen, das herablassende Lachen beherrschen sie sehr gut. Zu Beginn ist es noch frustrierend zu erleben, wie jedes noch so durchdachte Argument hier vor eine ideologische Wand prallt - aber irgendwann erkennt man das Schema dahinter. Nicht, weil man dem anderen "keine Plattform bieten will", wie sie es gerne nennen, sondern um die Verschwendung kostbarer Lebenszeit zu vermeiden. Aus diesem Grund quäle ich mich auch nicht mehr durch langweilige Bücher - es gibt genug andere, die spannend sind.
 
Sie haben uns noch viel zu sehr am Wickel mit ihrem medialen Dauerfeuer, dem man sich leider aussetzen muss, um nicht den Überblick zu verlieren, was sie als nächstes auf ihre Agenda setzen. Transgänseblümchen, den nächsten Krieg oder mal wieder eine Impfpflicht? Da hilft nur ein eigenes Entspannungsprogramm: Das zu lesen, zu denken und zu schauen, was man selbst am liebsten mag. Und von ihren Reaktionen ganz unbeeindruckt zu sein.



Dienstag, 12. Juli 2022

„Inakzeptabel, wenn Ministerinnen sich mit diesen verklebten Leuten solidarisieren“

von Thomas Heck...

In Berlin kommt es jeden Tag zu Strassenblockaden selbsternannter Umweltschützer, denen es um vieles aber ganz sicher nicht um die Umwelt geht. Es geht letztlich darum, den Staat, seine Bürger, den Autofahrer zu erpressen und in Geiselhaft zu nehmen. Die Methoden sind dabei alles andere als friedlich und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch zu Angriffen auf Autofahrer kommen wird. Denn Teile der Bewegung Extinction Rebellion haben sektenhafte Züge und sind der Gewalt nicht abgeneigt, auch wenn sie äußerlich niedlich rüberkommen... wie dieser kleine Fickfrosch hier...


Den zweiten Tag in Folge hat die „Letzte Generation“ in Berlin Straßen blockiert. Auf der Stadtautobahn 100 gab es Beeinträchtigungen an verschiedenen Ausfahrten. Mehrere Menschen hatten sich auf der Fahrbahn festgeklebt – zum Ärger der Pendler. Immer wieder werden Aktivisten der „Letzten Generation“ in Berlin von Polizisten abgeführt. Meist kommen sie jedoch gleich wieder frei. Die Hauptstadt sei „das reinste Wohlfühl-Biotop für Straßenblockierer“, klagen Polizisten. Verantwortlich sei die Regierung.

Für die Beamten der Berliner Polizei ist es das immer gleiche Katz-und-Maus-Spiel. In der Hauptstadt blockieren Aktivisten von der „Letzten Generation“ eine Straße, kleben sich fest und verursachen enorme Staus. Die Polizei rückt an, löst die Blockaden auf und nimmt die Aktivisten mit zur Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm – nur um am nächsten Morgen von Neuem loslegen zu müssen.

In der Gefangenensammelstelle werden die Aktivisten von speziell geschulten Beamten einem Bereitschaftsrichter vorgeführt, der entscheiden muss, ob die Personen zur Gefahrenabwehr weiter festgehalten werden müssen. Oder ob sie die Gefangenensammelstelle wieder verlassen können. Meistens, sagt ein Beamter, dürfen sie wieder gehen. Vor dem Polizei-Gebäude würden dann oft schon Mitstreiter der Aktivisten warten, die ihre Freunde jubelnd in Empfang nehmen. „Für uns beginnt das Spiel dann von vorn“, sagt der Beamte.

Dieser Umstand sorgt nicht nur bei Polizisten für Unmut, sondern auch bei denen, die im Stau stehen. Uneins ist man sich indes in der Berliner rot-grün-roten Regierung. Während die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) ein konsequentes Vorgehen der Justiz fordern und die Straftaten der Blockierer verurteilen, solidarisieren sich Grüne und bringen ein erstaunliches Verständnis auf. Die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann, ging sogar so weit, dass sie eine Blockade in ihrem Bezirk besuchte und dort gleich persönlich ihre Sympathie bekundete.

Ein Aktivist in Berlin hat sich einen Sonnenschutz mitgebracht


Auf Anfrage von WELT, wie sie diese Solidarität mit den vermeintlichen Aktivisten bewertet, verwies Bettina Jarasch, Berliner Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, auf eine Senatspressekonferenz von Anfang Februar. Dort sagte sie, dass sie die Inhalte der Proteste von „Last Generation“ teile, insbesondere das Ziel einer schnellstmöglichen Klimaneutralität, aber auch „die Dringlichkeit, die aus dieser Protestform spricht.“

Und, einschränkend: „Allerdings würde ich mir doch sehr wünschen, dass Protestformen gewählt werden, mit denen man weder sich selbst noch andere in Gefahr bringt.“

EXTINCTION REBELLION


Dieses Lavieren haben jedoch auch die Polizisten registriert, die Tag für Tag diese von Teilen des Senats valorisierten Menschen von der Autobahn tragen müssen. Spricht man während einer Blockade mit den einfachen Polizisten, so wird recht schnell deutlich, wie frustriert diese darüber sind, wie sich der Senat mit den Anliegen der Rechtsbrecher gemein macht. Und wie stark die Verantwortung fürs Beseitigen der Blockaden an die Polizei delegiert wird, gleichzeitig aber wenig bis nichts getan wird, um ihnen den Rücken zu stärken.

Ein Unding, findet auch Sebastian Fiedler, Bundestagsabgeordneter der SPD und Kriminalhauptkommissar: „Straßenblockaden können Straftaten sein. Mein Verständnis dafür liegt bei null. Vor allem diskreditieren diese Leute das tolle Engagement der vielen seriösen Aktivisten und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den Klimaschutz verbessern und den Artenschwund verhindern wollen“, sagte Fiedler WELT. Und weiter: „Ich finde es daher inakzeptabel, wenn Ministerinnen sich mit diesen verklebten Leuten solidarisieren. Die Demonstranten sollten für die Schäden, die sie bei den Autofahrern verursacht haben, in Haftung genommen werden und die Polizeikosten tragen. Das halte ich für möglich und mehr als angemessen.“

„LETZTE GENERATION“


Während in Frankreich Aktivisten von den Polizisten einfach von der Straße gezogen werden, durchaus auch robust, gehen die Berliner Beamten schon erheblich sorgsamer mit den Klimaprotestlern um. Die jungen Männer und Frauen werden erst nach mehrmaligen Ansagen von der Straße getragen, die von den Aktivisten selbst festgeklebten Hände unter medizinischer Aufsicht sanft von der Straße gelöst. Ein Vorgehen, das aber wenig Dank auslöst.

Polizeihauptkommissar Stephan Weh ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) – und würde sich mehr Unterstützung auch von der Justiz erwarten: „Berlin ist eine weltoffene, tolerante und vielfältige Stadt, in der jeder für alles auf die Straße gehen kann. Aktuell ist unsere Hauptstadt aber das reinste Wohlfühl-Biotop für Straßenblockierer“. Die Polizei sei momentan die einzige Institution, die ihrer Aufgabe nachkomme. „Hier ist dann auch mal die Justiz gefragt“. Die Polizisten würden sich die Finger wund schreiben und trotzdem an den Richtern scheitern, die die Blockierer nur zu schnell wieder in die Freiheit entlassen.

Regelmäßig müssen Polizisten Blockierer von der Straße tragen


Bereits von Januar bis März hatten die Demonstranten immer wieder Autobahnausfahrten blockiert und schärfe Klimaschutzmaßnahmen eingefordert. Eine Statistik der Polizei aus dieser Zeit zeigt, dass die Beamten in 129 Fällen einen Folgegewahrsam beantragt hatten. Richterlich angeordnet wurde die Maßnahme aber nur zwölf Mal, also nur in jedem zehnten Fall.

„LETZTE GENERATION“


Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Als die Blockaden Mitte Juni nach einer längeren Pause wieder starteten, hatte die Polizei 48 Blockierer richterlich vorgeführt und ein Folgegewahrsam beantragt. Das Gericht lehnte in allen Fällen ab.

Und das, obwohl die Blockierer immer professioneller werden, wie ein Beamter gegenüber WELT beklagte. Die Aktivisten würden immer häufiger verkabelt sein und Funkgeräte und Videokameras mit sich führen. Während es in der öffentlichen Debatte häufig um Strafrecht und mögliche Konsequenzen für die Aktivisten im Nachgang geht, will die Polizei die Protestierer vorwiegend runter von der Straße bekommen und vorerst in Gewahrsam nehmen und Folgetaten damit verhindern. Möglich wäre das auf Grundlage des Berliner Polizeigesetzes – allerdings nur mit richterlicher Anordnung und bis zum Ende des Folgetages nach der Festnahme.

Ein richterlich verordneter Präventivgewahrsam darf in manchen Bundesländern hingegen vier Tage dauern, in anderen 14, in Bayern bis zu zwei Monate. Bis Ende April zählte der „Aufstand der letzten Generation“, wie WELT berichtete, 104 Fälle, in denen Mitglieder der Gruppe festgenommen und länger als eine Nacht in Polizeigewahrsam behalten wurden. In Hessen gab es demnach 31 Fälle, bei denen Aktivisten sogar fünf Nächte lang hinter Gittern blieben. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Zahlen nicht.

Bei der Berliner Polizei brodelt es aber nicht nur bei den Beamten auf der Straße. Unmut herrscht auch auf an der Spitze des Hauses. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte WELT: „Ich kann absolut nachvollziehen, dass die Blockadeaktionen von vielen Menschen in der Hauptstadt als undemokratische Nötigung einer marginalen Minderheit erlebt werden.“ Es gebe viele unterschiedliche Möglichkeiten, gesellschaftliche und politische Debatten zu führen. „Straftaten und die Gefährdung anderer zählen ganz klar nicht dazu und fordern ein konsequentes Handeln des Rechtsstaates, damit auch von uns“, so Slowik weiter.

Polizisten seien in Uniform und in Zivilkleidung berlinweit im Einsatz, um möglichst schon vor einer Blockade zu intervenieren. Man habe die Menschen, die sich an die Fahrbahnen geklebt haben, so schnell es geht abgelöst, andere weggetragen, Ermittlungsverfahren eingeleitet, Bußgelder und verursachte Kosten erhoben. Um künftige Taten zu verhindern, seien Personen auch in Gewahrsam genommen worden. „Nur in wenigen Fällen erfolgte hierzu die richterliche Bestätigung“, sagte Slowik.
73 Verfahren bei der Staatsanwaltschaft

Um die strafrechtliche Bewertung kümmert sich die Berliner Staatsanwaltschaft. Das seien bislang 73 Verfahren. Wie ein Behördensprecher Mitte vergangener Woche mitteilte, beziehen sich diese Fälle alle auf Straßenblockaden im Januar. Bei der Polizei gebe es zudem Hunderte Strafanzeigen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft konnte jedoch noch in keinem der Verfahren eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob Anklage erhoben wird. Voraussetzung dafür seien abgeschlossene Ermittlungen der Polizei.

Die müsse aber noch wichtige Punkte klären. Zudem wies die stellvertretende Sprecherin der Berliner Strafgerichte, Christina von Bothmer, darauf hin, dass Protestierer auch in Anschlussgewahrsam genommen werden, es dazu aber keine Statistik gibt. Laut der „Letzten Generation“ kam es in den letzten drei Wochen insgesamt zu 95 „Aktionen“, bei denen 290-mal Aktivisten in Polizeistationen mitgenommen worden sind.

Generalstaatsanwältin Margarete Koppers sagte, ihre Behörde habe der Polizei bereits im Frühjahr erläutert, woran es bei den Ermittlungen fehle und zu welchen Punkten Nachermittlungen erforderlich seien. Sie verwies auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Autobahnblockaden. „Über den Anfangsverdacht, die Notwendigkeit und Intensität von Ermittlungen sowie die Anklagereife entscheidet die Staatsanwaltschaft, und zwar nach Recht und Gesetz und nicht nach politischen Wunschvorstellungen“, betonte Koppers mit Blick auf Forderungen aus der Politik nach schnellen und härteren Strafen.

Dabei gehe es um schwierige Rechtsfragen, erläuterte Oberstaatsanwalt Holger Brocke, zuständiger Abteilungsleiter für die Verfahren. Von Bedeutung sei etwa, wie viele Menschen sich beteiligt hätten, wie lange die Aktionen gedauert hätten und ob es Ausweichmöglichkeiten für Autofahrer gegeben habe. Relevant sei aber auch, wann und wie festgeklebte Personen von der Straße gelöst worden seien. Insbesondere in den Anfangszeiten seien derartige Details von den Polizisten vor Ort noch nicht erfasst worden. „Ihnen ging es zunächst darum, die Leute von der Straße zu holen.“

„Den fossilen Wahnsinn stoppen“: So lautet das Motto der Aktivisten


Ein Zustand, der von den bürgerlichen Oppositionsparteien hart kritisiert wird. Joe Chialo, einer der Hoffnungsträger der Berliner CDU, der seit Anfang des Jahres auch dem Bundesvorstand der CDU angehört, beklagte gegenüber WELT, dass Proteste und Klimaschutz zwar wichtig seien, „wer aber das Recht auf Protest und den Klimaschutz missbraucht, um eine Stadtgesellschaft wie Berlin zu erpressen, der schadet unserer Demokratie genauso wie den eigenen Zielen.“

Und weiter: „Wenn Rettungskräfte blockiert werden, wenn Handwerker nicht mehr durchkommen, wenn Arbeiter und Angestellte nicht pünktlich auf der Arbeit sind, dann zahlen genau diejenigen Menschen den Preis für diesen Protest, die das Rückgrat unserer Gesellschaft sind und schon jetzt unter den Folgen der Energieknappheit und der steigenden Preise mit am meisten leiden. Ich erwarte von unserem Rechtsstaat, dass er jetzt handelt, dass er unsere Rechte und Normen schützt. Und dass er dafür sorgt, dass unsere Gesellschaft nicht durch eine Handvoll Aktivisten noch tiefer gespalten wird.“



 

Wollt Ihr den totalen Antirassismus, noch totaler, als Ihr ihn Euch vorstellen könnt?

von Thomas Heck...

Wer sich von der Überschrift unangenehm berührt oder erinnert fühlt, liegt vollkommen richtig. Und was hier im Lande in Sachen Antirassismus passiert, lässt böse Erinnerungen an dunkelste Zeiten wach werden. Nur mit umgekehrten Vorzeichen. Denn nach den Regeln des totalitären Antirassismus gibt es nur Rassisten und Antirassisten. Und. Rassismus kann nur vom Weißen ausgehen. Punkt.

Einer der einflussreichsten identitätspolitischen Autoren der Gegenwart hat die deutsche Hauptstadt besucht. Doch statt seine Thesen kritisch zu diskutieren, blamieren sich die Gastgeber mit serviler Ehrerbietung. Antirassismus, aber totalitär: Ibram X. Kendi lässt sich in Berlin feiern.

Es gibt nur Rassismus und Antirassismus, nichts dazwischen: Ibram X. Kendi.


Als Ordinarius für Historische Theologie wird Christoph Markschies den Begriff «ikonisch» bewusst gewählt haben. «How to Be an Antiracist» sei ein ebensolches Buch, schwärmt der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gleich zu Beginn seiner Veranstaltung mit dem amerikanischen Autor Ibram X. Kendi. Mit diesem sakralen Zungenschlag geht es weiter.

Nicht nur seine Institution, sondern auch andere Berliner Institutionen, ach, ganz Europa: Alle müssten noch antirassistischer werden. «Ohne Antirassismus gibt es keine Freiheit», erklärt der Ordinarius an diesem Juliabend, und er schaut dabei sehr feierlich in den Saal.

Ob Markschies das Buch, das er so in den Himmel lobt, gelesen hat? Es gibt darin durchaus Lesenswertes, etwa über die so populäre wie dumme Behauptung, Rassismus gegen weisse Menschen gebe es nicht.

Für Kendi gibt es nur Rassisten und Antirassisten

Aber mit freiheitlichem Denken hat Antirassismus, wie ihn Kendi definiert, nichts zu tun. Der 39-jährige Professor für Geisteswissenschaften von der Boston University gehört zu den radikalsten Verfechtern der amerikanischen Identitätspolitik, jener zeitgeistigen Strömung, die Menschen im Namen von Antirassismus und Antisexismus (wieder) nach Hautfarben, Geschlechtern und sexuellen Präferenzen sortiert und diese Gruppenzugehörigkeiten zum zentralen Faktor in politischen Auseinandersetzungen erklärt.

In Kendis Augen sind Menschen entweder Rassisten oder Antirassisten; dazwischen existiert nichts, keine «Farbenblindheit» und auch kein «Nichtrassismus». Alles, auch Ideen und Institutionen, ist entweder das eine oder das andere. Und antirassistisch ist für ihn nur, wer daran mitwirkt, Gleichheit herzustellen – und zwar nicht zwischen Individuen, sondern zwischen den besagten «racial» Gruppen.

Wer als Liberaler gehofft hatte, dass dieses Denken in Europa nur auf linke Medienleute und einige lautstarke Aktivisten aus dem akademischen Mittelbau Eindruck mache, der wird am Berliner Gendarmenmarkt an diesem Abend eines Besseren belehrt. Im Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie ist Präsident Markschies nicht der Einzige, der von einer kritischen Auseinandersetzung, die dem Namen seiner Institution gerecht würde, nichts wissen will (zu den vielen berühmten Mitgliedern der vormals Preussischen Akademie der Wissenschaften gehörte unter anderem der berühmteste Physiker aller Zeiten).

Nach der Eloge des Gastgebers folgt noch eine Liebeserklärung des Präsidenten der American Academy in Berlin, Daniel Benjamin; der ist Mitveranstalter des Abends, und auch für ihn ist der Gast aus der amerikanischen Heimat einfach nur ein phantastisches «one-man cultural phenomenon».

Ja, und dann kommt Kendi, und er muss sich in rund eineinhalb Stunden weder von der Journalistin Rose-Anne Clermont, die mit ihm ausnahmslos im Tonfall einer Bewunderin über Werk und Vita spricht, noch vom Publikum kritische Fragen anhören. Ob es an der Sorge des fast ausschliesslich weissen Publikums liegt, öffentlich des Rassismus bezichtigt zu werden?

Kapitalismus? Auch schlimm!

«Das einzige Mittel gegen rassistische Diskriminierung ist antirassistische Diskriminierung», schreibt Kendi. Wer es anders sieht, wer positive Diskriminierung nicht für eine segensreiche Sache, sondern für leistungsfeindlichen Unfug hält und deshalb ablehnt, ist für ihn: genau, ein Rassist. Auch die freie Wirtschaftsordnung gehört für Kendi zu jenen Dingen, die schnellstens überwunden werden müssen. Denn Rassismus und Kapitalismus sind «siamesische Zwillinge».

In einem Gastbeitrag für «Politico» hat Kendi erklärt, wie er seine Überzeugungen mithilfe eines Zusatzes zur amerikanischen Verfassung implementieren will: Ein Ministerium für Antirassismus («Department of Anti-racism», kurz DOA) soll politische Entscheidungen von der lokalen bis zur nationalen Ebene auf fehlende Gleichheit hin kontrollieren und bei Bedarf Disziplinarmassnahmen ergreifen. Die Mitarbeiter sollen «Experten» sein, keine gewählten Volksvertreter.

Autoren wie Andrew Sullivan und Coleman Hughes, die im klassischen Sinne Liberale sind (also keine amerikanischen «liberals»), haben auf den totalitären Charakter dieses Konzepts hingewiesen. Derzeit möge so ein Ministerium keine Chance haben, schreibt Hughes. Aber langfristig werde sich das Meinungsklima in den Vereinigten Staaten wohl in diese Richtung verändern. Es sei daher gut möglich, dass die Unterstützung für Kendis Verfassungszusatz unter progressiven Amerikanern schon in wenigen Jahren zum guten Ton gehöre.

Hughes, selbst Afroamerikaner, hat eine der strengsten Rezensionen von «How to Be an Antiracist» verfasst. Kendis Buch sei zwar in einer klaren Sprache verfasst, die auf unnötigen Jargon verzichte. Das sei ein Wert an sich. Aber der Autor argumentiere schwach, und seine Fakten seien ungenau und mitunter widersprüchlich. Im Ergebnis lerne man weniger, was es bedeute, ein Antirassist zu sein. Man lerne vielmehr, was es bedeute, antiintellektuell zu sein. Hughes’ öffentliche Einladung zum Streitgespräch hat Kendi bisher nicht angenommen. Als der Kritiker in diesem Jahr verkündete, dass die Debatte doch stattfinden könne, handelte es sich leider um einen Aprilscherz.

Im Berliner Einstein-Saal wird es an diesem Abend nur einmal und auch nur beinahe kritisch. Eine Lehrerin erzählt, dass sie mir ihren Schülern über Kendis Vorstellungen gesprochen habe. Diese seien alles andere als begeistert gewesen und hätten sich vor allem mit der Behauptung schwergetan, es gebe keine nichtrassistischen Ideen (sondern nur rassistische oder antirassistische). Ihr sei dann keine gute Antwort eingefallen, sagt die Lehrerin. Doch statt die Ursache dafür in Kendis manichäischem Weltbild zu suchen, sucht sie lieber seine Hilfe. Was sie beim nächsten Mal denn besser machen könne, will sie wissen.

Kendi lächelt sanft und erklärt der Dame, was aus seiner Sicht das Problem ist. Viele Menschen hielten sich beim Thema Rassismus für Experten, sagt er. Das seien sie aber nicht. Wenn er andere auffordere, Rassismus zu definieren, sprächen sie immer über sich selbst und weshalb sie keine Rassisten seien. Das Publikum lacht, die Lehrerin auch. Die Schüler, sagt Kendi, müssten mehr Demut haben und verstehen, dass sie keine Experten seien. Niemand widerspricht.

Die Veranstaltung mit Ibram X. Kendi sei nur der Auftakt im Kampf seiner Institution gegen den Rassismus, kündigt Präsident Markschies an. Weitere Veranstaltungen würden folgen. Nach diesem Abend kann man im Sinne der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Besonderen und des Wissenschaftsstandorts Berlin im Allgemeinen nur sagen: o je.