Montag, 3. November 2025

Framing und kein Ende: Politische Spracherziehung für ARD- und ZDF-Redakteure beim Thema Migration

von Thomas Hartung

Seminare mit „Politkommissaren“ zu erwünschter Sprache für ÖRR-Redakteure?



Wie reden wir über ein Thema, das das Land verändert – über Migration? Und wer bestimmt die Wörter, mit denen wir uns verständigen? Die Enthüllungen über interne Sprachkurse für ARD und ZDF, mit denen Sprachregelungen und “Wording” der Redakteure reguliert werden, zeigt eine bedrohliche Entwicklung, die man nicht als Einzelfall abtun sollte – denn es ist eine Methode. Und diese Methode hat Vorgeschichte: Elisabeth Wehlings “Framing”-Manual schrieb schon 2016 vor, wie man Debatten „rahmt“, bevor überhaupt über Inhalte gestritten wird. Heute wird diese Schule praktisch umgesetzt – mit Kursordnern, Videos und Empfehlungslisten. Was belegen die von “Bild” ans Licht gebrachten Unterlagen über die senderinterne “Sprachpflege” bei den Öffentlich-Rechtlichen?

Erstens: Es existiert tatsächlich ein Paket aus – vorgeblich „freiwilligen“ – Online-Kursen, die der ÖRR seinen Mitarbeitern “anbietet” (präziser: deren Belegung wohl erwartet wird). Die Schulungsmaterialien stammen vom „Mediendienst Integration“ (MDI) – natürlich einer NGO. Es wird darin erklärt, „wie Reporter über Themen wie Flucht, Migration und Asyl sprechen sollten – und welche Begriffe sie besser vermeiden“; eine interne ZDF-Mail nennt ausdrücklich zwölf Kurse. Zweitens: Die Listen sind sehr konkret. Statt „Flüchtling“ solle man Alternativen wählen, etwa „Geflüchtete“; die Endung „-ling“ wirke „verkleinernd“. Zugleich enthält der Bericht die Gegenfeststellung: „Flüchtling“ ist ein stehender Begriff, der in der Genfer Flüchtlingskonvention definiert ist – also ein juristischer Begriff, kein Schimpfwort. Drittens: Weitere Vorgaben betreffen zentrale Wörter der Statistik und Berichterstattung. „Migrationshintergrund“ solle man außerhalb von Tabellen durch „Eingewanderte und ihre Nachkommen“ ersetzen; „Flüchtlingswelle“ vermittle Ohnmacht und weise den Schutzsuchenden die Verantwortung zu.

Warum uns das kümmern sollte

Viertens: In einem Schulungsvideo zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird behauptet, die Zahl ausländischer Tatverdächtiger werde „überschätzt“, weil darunter „eine ganze Menge“ Menschen seien, die gar nicht in Deutschland leben – etwa Touristen. Laut Polizei liegen dafür zwar keine Erkenntnisse vor, denn tatsächlich werden in der PKS nur ausländische Personen mit festem Wohnsitz in Deutschlands erfasst, womit Touristen und Arbeitspendler aus dem grenznahen Ausland wegfallen – doch für die ÖRR-Gehirnwäsche reicht die Behauptung offenbar aus. Fünftens: Für die Nennung der Herkunft von Straftätern wird eine „klare Linie“ empfohlen: Bloß dann, wenn dies inhaltlich nötig ist – etwa bei Terror – soll diese erfolgen. Auch das steht exakt so in den Unterlagen. Sechstens: Die Finanzierung des MDI-Angebots ist, nach Auskunft der Ministerien, staatlich mitgetragen worden – durch Millionenbeträge aus dem Bund und Mitteln aus dem EU-Migrationsfonds (abgesehen davon, dass sich damit auch diese “Nichtregierungsorganisation” als regierungsfinanzierte Stelle erweist, warnt diesbezüglich der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler vor einem Verstoß gegen das Gebot der Staatsferne der Öffentlich-Rechtlichen). Und siebtens: Auf Kritik antwortet die ARD, man halte selbstverständlich alle gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben ein und sehe „keinerlei Beeinträchtigung“.

Bis hierher kann man also nüchtern sagen: Es gibt Empfehlungen, es gibt Geldflüsse, es gibt Einwände – warum sollte uns das kümmern? Ganz einfach: Weil in einer Demokratie nicht nur Wahlergebnisse zählen, sondern auch die Wege, auf denen diese zustande kommen. Wenn Wörter vorgängig sortiert werden, verschiebt sich der Streit über Tatsachen in einen Streit über zugelassene Töne. Das wirkt im Alltag direkter, als man denkt – weil die politische Aufklärung der Öffentlichkeit nicht mehr frei, unabhängig und vielseitig erfolgt, sondern propagandistisch vorgebildet. Hier ist das gesamte Umfeld ist politisch – nicht nur die Gebührensender selbst, sondern auch ihre zuarbeitenden Partnerorganisationen. Die „Neuen deutschen Medienmacherinnen“, mit denen MDI personell verflochten war, beteiligten sich an Kampagnen gegen konservative Formate wie die ARD-Sendung “Klar” der Journalistin Julia Ruhs. In den Seminaren erklärt eine frühere Vereinsgeschäftsführerin, was am Wort „Ausländer“ angeblich „falsch“ sei.

Staatsferne ist kein Schmuckwort

Man stelle sich eine Redaktionskonferenz vor. Jemand sagt: „Schreibt nicht ‚Flüchtling‘ – das klingt abwertend.“ Ein anderer: „Lasst ‚Welle‘ weg – das macht Angst.“ Ein Dritter: „Herkunft nennen? Nur in Ausnahmefällen.“ Alle drei Hinweise können in einzelnen Fällen sinnvoll sein; problematisch wird es jedoch, wenn aus Hinweisen Regeln werden. Denn dann entscheidet nicht mehr die mündige journalistische Einschätzung der Lage, sondern der Leitfaden. Und genau das ist die rote Linie bei ARD und ZDF seit der Merkel’schen Migrations-Zäsur 2015, die sich vom damaligen “Framing-Manual” zu den heutigen Kursen durchzieht. Wehling riet damals, die ARD solle moralisch argumentieren, nicht technokratisch. Die „Rahmung“ solle vorgeben, in welchem Licht Nachrichten erscheinen. Damals ging es um das Selbstbild des Senders („Gemeingut“, „Solidarprinzip“). Heute geht es um ein Thema, das die Sicherheitslage, die Sozialstatistik und die Kultur des Landes berührt. Wenn dort vor allem „richtige“ Wörter empfohlen werden, rückt die Beweisfrage in den Hintergrund.

Das heißt nicht, dass Worte egal sind. Im Gegenteil: Gerade weil Worte wirken, dürfen sie nicht aus einer politischen Richtung vorgekaut werden – und schon gar nicht, wenn Steuergeld über Umwege in Unterrichtsmappen fließt. Die Unabhängigkeit der Öffentlich-Rechtlichen soll dafür sorgen, dass Berichterstattung nicht im Schatten der Regierung steht. Die Anmahnung von Staatsferne ist kein Schmuckwort, sie ist ein Airbag. Und dieser Airbag löst nicht erst dann aus, wenn ein Minister anruft; er muss schon dann schützen, wenn auch „indirekter“ Einfluss entsteht – durch Themenauswahl, Wortempfehlungen, Tonlage. Dass Kritiker genau das zum Problem erklären, ist kein dummer Alarmismus, sondern verfassungsnahe Vorsicht. Manche halten die Debatte für übertrieben: Es seien doch “nur Seminare”! Aber jeder, der in einer Redaktion gearbeitet hat, weiß, wie schnell aus Themen “freiwilliger” Fortbildungen eine implizite Norm wird. Diese wirkt über Bewerbungen, Einladungspolitik und Besetzungen. Wer gegen die Liste schreibt, gilt als hemdsärmelig, als „unsensibel“. Die Qualitätsschraube wird zur Gesinnungsschraube, ohne dass je ein runderlassener Zettel an der Wand hängt.

Verlässlichkeit der Begriffe

Nehmen wir noch einmal die Polizeistatistik. Wenn in einem Kurs behauptet wird, die Gruppe ausländischer Tatverdächtiger sei wegen „Touristen“ aufgebläht – obwohl die Polizei das nicht bestätigen kann –, dann ist das kein harmlose Fußnote, sondern eine Vorgabe mit Weltbildwirkung. Wer danach schreibt, wird automatisch geneigt sein, bestimmte Zahlen kleiner zu erzählen, als sie sind, oder andere größer, als sie sind. Das hat Folgen für Gemeinderatssitzungen, für Landtagsdebatten, für Nachbarschaft und Schulen. Oder nehmen wir die Herkunftsnennung: Es gibt gute Gründe, sie im Einzelfall wegzulassen. Aber eine Grundlinie „nur bei Terror“ verengt die Wirklichkeit. Herkunft kann sehr wohl ein relevanter Faktor sein – ebenso wie Alter, Geschlecht, Vorstrafen. Eine reife Öffentlichkeit hält das aus. Wer aber die Öffentlichkeit von vornherein schont und von unerwünschten Wahrheiten abhält, erzieht sie zur Unmündigkeit oder, schlimmer noch, wiegt sie in falscher Sicherheit.

Nächstes Beispiel: Der „Migrationshintergrund“. Der Begriff – ob er Schwächen hat, sei dahingestellt – ist in vielen Statistiken gesetzt. Wenn man ihn konsequent im Fließtext ersetzt, trennt man Bericht und Statistik, und erschwert so Vergleiche. „Eingewanderte und ihre Nachkommen“ klingt zwar freundlich, aber hilft dem Leser wenig, wenn er Datenreihen über Jahre verstehen will. Genau darum geht es konservativ-bürgerlichen Stimmen: Um Verlässlichkeit der Begriffe, damit Debatten vergleichbar bleiben. Dass die den ÖRR-Mitarbeitern eingetrichterte Liste mit politischen Erwartungen verschaltet ist und ihre Urheber (partei-)politische Verbindungen haben, ist ebenfalls nicht unerheblich: Eine frühere Leiterin des MDI ist heute Integrationsbeauftragte des Bundes; der Umfeld-Verein hat Kampagnen gegen eine konservative ARD-Sendung unterstützt; in Seminaren werden Standardbegriffe wie „Ausländer“ grundsätzlich problematisiert. Man sieht: Das ist kein neutraler Sprachkreis. Es ist ein politisches Ökosystem.

Respekt vor dem Bürger

Die wichtigste Frage bleibt: Was wäre denn ein Gegenentwurf, was bei öffentlich-rechtlichen Mitarbeiterschulungen gelehrt wird? Dieser Gegenentwurf wäre unspektakulär – und gerade deshalb prägnant und aussagestark. Die Kernpunkte könnten etwa wie folgt aussehen:
  1. Klartext statt Katalog: Redaktionen prüfen Fälle, nicht Listen. Will man „Flüchtling“ vermeiden? Dann begründe es im konkreten Stück. Will man „Welle“ verwenden? Wenn die Zahlen eine Welle zeigen, dann bitte mit Zahl. Der Leser kann mit Klarheit umgehen.
  2. Transparenz über Quellen und Geld: Jeder Kurs, der in öffentlich-rechtlichen Häusern Wirkung entfaltet, gehört offengelegt: Wer bezahlt? Welche Organisation steckt dahinter? Welche politischen Verflechtungen gibt es? Nennung von Summen und Quellen – genau so muss die Debatte geführt werden.
  3. Pluralität der Fortbildung: Wenn ein Sender Sprachkurse anbietet, dann nicht eine Linie, sondern mehrere Schulen: Journalistenrechte, Statistiknutzung, Polizeistatistik, Migrationsrecht – von unterschiedlichen Anbietern. Konkurrenz der Argumente, nicht Vereinheitlichung des Tons.
  4. Respekt vor dem Bürger: Dem Bürger darf man zutrauen, präzise Begriffe zu lesen, auch wenn sie nicht jedem gefallen. Wir machen Politik mit Erwachsenen, nicht mit Schutzbefohlenen. Eine Demokratie lebt davon, dass Leute sagen dürfen, was ist – und andere widersprechen können, warum es anders ist.
  5. Rückkehr zur Grundregel des journalistischen Handwerks: Nachricht – Kommentar – Analyse sind verschiedene Gattungen. Wer kommentiert, soll Haltung zeigen dürfen; wer berichtet, muss prüfen. Und wer analysiert, soll gründen. Sprachschulungen dürfen niemals die Grenze verwischen, indem sie bereits im Nachrichtenteil die „richtige“ Tonlage liefern.
Robuste Wörter für strittige Themen

Natürlich: Auch andere Medien (wie auch “Bild”, das über die ÖRR-Schulungen zuerst berichtete, selbst einräumt) schult seine Leute. Das ist völlig legitim; jedes Haus tut das. Der Unterschied ist der Auftrag: Öffentliche Sender haben einen Neutralitätsanspruch und werden über eine Zwangsabgabe finanziert; ihre Fortbildung darf daher nicht in politische Formierung kippen. Doch genau das geschieht. Man kann aus all dem eine Grundhaltung destillieren, die weder hysterisch noch zynisch ist: Strittige Themen brauchen robuste Wörter. Robuste Wörter brauchen Belege. Und Belege brauchen Institutionen, die fern vom Staat stehen – nicht nur formal, sondern auch im Geist, also im Misstrauen gegen fertige Sprachschablonen. Die Staatsferne ist kein romantisches Ideal, sie ist die praktische Sicherung gegen die bequeme Versuchung, schwierige Lagen schönzureden. Genau darauf zielt Volker Boehme-Neßlers Warnung: „Genauso verboten ist die subtile, indirekte Einflussnahme über die Finanzierung.“

Wer hier entgegenhält, dies sei alles überdreht, dem sei ein einfacher Praxistest empfohlen: Nehmen wir einen konkreten Fall von Gewalt auf offener Straße. Schreiben wir einen Bericht zweimal – einmal mit der ÖRR-Liste (weiche Ersatzbegriffe, keine Herkunft, keine „Wellen“), und einmal mit klaren Begriffen und sauberen Zahlen, mit Herkunftsnennung, wo relevant und mit Einordnung in Statistiken. Und anschließend fragen wir die Leser: Welche Version gibt ihnen das Gefühl, die Lage verstanden zu haben? Die Antwort wird nicht von Ideologie abhängen, sondern von einem altmodischen Bedürfnis – dem nach Orientierung. Man will wissen, was passiert ist, wer beteiligt war, wo es passiert ist, wie oft so etwas vorkommt. Das sind die berühmten “W-Fragen” des Journalismus, nicht die “W”-örterlisten von Kursanbietern. Mündige und gebildete Bürger können ihre Schlüsse und Einordnungen selbst ziehen!

Mehr Zahl und weniger Zeigefinger

Zum Schluss noch eine Erinnerung an die Wurzel des Problems: Wehlings “Framing”-Schule wollte die Debatte durch “Rahmen” gewinnen, nicht durch Prüfung. Das mag in PR-Abteilungen funktionieren; in Redaktionen macht es die Luft dünn. Darum sollten die Öffentlich-Rechtlichen jetzt nicht ignorant und trotzig erklären, es sei „alles in Ordnung“, sondern zeigen, dass sie den Unterschied kennen zwischen Fortbildung und Formierung. Die eine stärkt das Handwerk. Die andere schwächt das Vertrauen. Wenn ARD und ZDF die Kritik ernst nehmen, wäre der erste Schritt schlicht dieser Kurstitel, Inhalte, Anbieter, Geldquellen offenlegen! Der zweite: Widerspruch in die Kurse holen – Kriminalstatistiker, Medienjuristen, Praktiker aus Lokalredaktionen! Und der dritte: dem Publikum in den Sendestudios und vorm Bildschirm zutrauen, dass sie klare Worte aushalten – und dass sie, wenn nötig, in der Kommentierung auch einmal klare Kritik lesen wollen.

Die gute Nachricht dabei: Man muss keine neue Theorie erfinden. Es reicht, endlich wieder die alte Kunst des Journalismus zu pflegen: Sagen, was ist; sauber unterscheiden zwischen Nachricht, Kommentar und Analyse; im Zweifel mehr Zahl und weniger Zeigefinger. Eine freie Öffentlichkeit lebt nicht von Wortvermeidung, sondern von Worttreue. Und darum ist das Fazit einfach: Raus aus der Schule der Tonlage – zurück in die Werkstatt der Sätze!


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