von Helena Bauernfeind
Hausfront in Berlin: Aus „nie wieder“ wurde „immer wieder“In Deutschland gilt als Antisemit, wer rechts ist, wer marschiert, grölt, brüllt. Die Geschichte hat es so sortiert – mit Schwarzweißbildern aus dem 20. Jahrhundert, mit Täterbiographien in Braun, mit Hakenkreuzen, die nie ganz verschwunden sind. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Der Antisemitismus hat längst neue Farben angenommen – und eine neue Sprache. Und er hat sich ein neues Zuhause gesucht. Eines, in dem er sich klug tarnt, moralisch inszeniert und ideologisch aufrüstet: Im intellektuellen Milieu der Linken. Das linke Selbstbild ist ein robustes Konstrukt. Es steht auf dem Sockel antifaschistischer Rhetorik, gestützt von Diskursen über Menschenrechte, Globalisierungskritik und sozialer Gerechtigkeit. Doch gerade in diesem Vokabular, in dieser moralischen Rüstung, versteckt sich ein Paradox – und eine perfide Verdrehung. Denn während die Rechte ihren Antisemitismus offen zur Schau stellt, hat die Linke gelernt, ihn gesellschaftsfähig zu machen: als “Antizionismus”, als „Israelkritik“, als “Widerstand gegen den Imperialismus”.
Hier liegt der entscheidende Unterschied. Der rechte Judenhass bleibt, was er ist – primitiv, brutal, ablehnend. Der linke hingegen ist durchzogen von intellektuellem Furor. Er ist verkleidet als Solidarität mit den Unterdrückten, als Empörung gegen den Kolonialismus, als Analyse globaler Machtverhältnisse. Und so wird Israel – der einzige jüdische Staat der Welt – systematisch zum Symbol des Bösen stilisiert, zur Chiffre für alles, was die Linke am Westen hasst: Kapitalismus, Militarismus, Nationalstaatlichkeit. Dabei ist die geistige Verwandtschaft zu früheren Denkmustern unübersehbar. Wer den Zionismus als „rassistisch“ diffamiert, wer Israel das Existenzrecht abspricht, wer jüdische Selbstbehauptung als Aggression umdeutet, spricht letztlich dieselbe Sprache wie jene, die in der Vergangenheit bereits über „die Juden“ als Störfaktor einer reinen Weltgesellschaft fabulierten. Nur dass der Hass heute nicht mehr von völkischer Reinheit, sondern von postkolonialer „Dekolonisierung“ handelt. Der Code hat sich geändert, das Ziel nicht.
Außenpolitische Vorlieben der linken Szene
Man muss nur die neuen außenpolitischen Vorlieben der linken Szene betrachten, um das ganze Ausmaß dieser Verirrung zu erfassen: Während Israel pausenlos dämonisiert wird, entdeckt man Verständnis und sogar Bewunderung für Akteure, die jedes menschenrechtliche Minimum mit Füßen treten. Nachdem in Syrien Bashar al-Assad gestürzt wurde, übernahm Abu Mohammed al-Jolani die Macht – ein Dschihadist mit langjähriger al-Qaida-Vergangenheit, der die Auslöschung religiöser und ethnischer Minderheiten offen betreibt. Und was hört man aus den Reihen vieler westlicher Intellektueller? Nichts, verstörendes Schweigen. Oder schlimmer: Töne einer vorsichtigen “Normalisierung”.
Anstatt die neue Realität in Syrien als das zu benennen, was sie ist – eine theokratische Terrorherrschaft mit säuberungsähnlichen Maßnahmen –, wird Jolani in westlichen Medien als „pragmatischer Akteur“ verharmlost, als jemand, mit dem man „reden muss“. Dass dieser Mann gezielt Christen, Alawiten und andere Gruppen verfolgt, scheint nur dann zu stören, wenn es nicht ins große Narrativ passt: Westen böse – islamistischer Widerstand gut! Selbst Jolani, so der Subtext, sei ein Produkt westlicher Intervention – und seine Herrschaft somit irgendwie verständlich. Dass dieser Diskurs der Relativierung in weiten Teilen der linken Intelligenzija unangefochten zirkuliert, ist ein Offenbarungseid.
Gefährliche Form der politischen Ästhetisierung
Und der Iran? Ein Regime, das Frauen öffentlich hinrichtet, Homosexuelle verfolgt und seit Jahrzehnten zur Vernichtung Israels aufruft? Der Mullah-Staat wird dennoch regelmäßig von linken Stimmen verteidigt oder zumindest relativiert. Denn der Iran ist in dieser Weltsicht kein Aggressor, sondern „Gegengewicht zur westlichen Hegemonie“. Der Antisemitismus, der aus Teheran in die Welt gesendet wird, wird ausgeblendet – oder zum kulturellen Widerstand verklärt. Es ist eine gefährliche Form der politischen Ästhetisierung: Denn der linke Antisemitismus kommt nicht mit Springerstiefeln, sondern mit Fußnoten. Er tarnt sich als Diskurs, als Analyse, als kritische Theorie. Seine Sprache ist differenziert – seine Botschaft tödlich klar. Er ist nicht gegen „die Juden“, nein, nein – , er ist nur gegen “den Zionismus“. Aber der Übergang ist fließend, die Chiffre durchschaubar. Wer die jüdische Selbstbestimmung dämonisiert, delegitimiert jüdisches Leben selbst.
Und das vielleicht Erschreckendste: Dieser Antisemitismus glaubt an sich selbst. Er sieht sich auf der richtigen Seite der Geschichte, in der Tradition der Aufklärung, der Menschenrechte, des Antifaschismus. Das macht ihn so resistent gegen Kritik – und so blind für das eigene Erbe. Denn auch hier wirkt die Geschichte nach. Die Enkelgeneration, die sich moralisch weit entfernt glaubt von den NS-Tätern, trägt deren Geisteshaltung weiter – nur mit anderen Mitteln. Nicht mit Gewalt, sondern mit Diskurs. Nicht mit Uniformen, sondern mit Studienseminaren. Aber die Struktur ist dieselbe: Es gibt ein Feindbild, das alles Übel verkörpert. Und es gibt die Projektion auf „die Anderen“, die das eigene Weltbild gefährden. Früher war es der Jude als Kapitalist – heute ist es der Jude als Zionist. Wer den Antisemitismus allein bei den Rechten sucht, hat das Wesen dieser Ideologie nicht verstanden. Sie ist wandlungsfähig, anschlussfähig, intellektuell formbar. Und sie lebt – auch und gerade in jenen Milieus, die sich für immun dagegen halten.
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