Freitag, 8. November 2024

Angeblich 70% der Getöteten in Gaza Frauen und Kinder



Kurzes Vorwort, warum ich wirklich sauer bin:

In meinem vorherigen Job als Fachjournalist habe ich auch Studien und „Papers“ zerlegt. Aufgrund der so genannten Konsistenz kann man das - wenn man eine empirisch-wissenschaftliche Grundausbildung hat oder einfach sehr logisch unterwegs ist - auch für Dinge, von denen man fachlich keine Ahnung hat.

Bereits auf dem X-Account und der Facebook Fanpage veröffentlicht.

Beispiel: Kommt eine Studie, die angeblich nachweist, dass Nebel Krebs macht, kann man mit einer wissenschaftlichen Grundausbildung zwar nicht prüfen, ob die medizinischen Versuche richtig sind. Das müssen die Wissenschaftler im Bereich Lunge oder Nebel.

Man kann aber prüfen - und das machen auch andere Wissenschaftler (peer review) - ob die Rückschlüsse, die aus den Untersuchungsergebnissen gezogen werden, überhaupt durch diese belegbar sind.

Und Laien wären überrascht, wie oft das, was nachher in den Medien steht, entweder gar nicht in den Studien steht. Oder wie oft die Wissenschaftler selber da Unfug produziert haben. Häufig weil sie selber ein Ziel verfolgen.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich als MilBlogger nochmal mit so etwas befassen muss.

Tatsächlich ist das hier aber der schlimmste Beschiss, den ich jemals gesehen habe. Kein Scherz, keine Übertreibung.

Die Medien titeln heute, 70% der im Gazastreifen Getöteten seien Kinder und Frauen.

Das habe der Report des Büros des Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) ergeben.

Die haben das sehr sicher als Pressemitteilung herausgegeben, die Medien prüfen das dann nicht mehr.



Das macht absolut keinen Sinn. Und widerspricht sogar einigen Zahlen der Hamas selber. Denn der Anteil von Frauen und Kindern erreicht nach den Zahlen von 2016 etwa 71,5% der Bevölkerung im Gazastreifen. Dass hauptsächlich Männer in Kampfhandlungen verwickelt werden, wird hier nicht abgebildet.

Wie kann das also sein?

Der eigentliche Report ist nicht einfach zu finden. Er wird weder in den Medien, noch in den Social Media Accounts der UN direkt verlinkt. Man muss sich auf die Suche begeben, in den hunderten UN Seiten suchen, um dann in einer Zusammenfassung einen Link zum PDF-Original zu finden. Das hat bereits einen Geschmack, ist bei der UN aber normal.

Ich hätte ihn gerne auf dem U.M. Server bereitgestellt, der ist aber nach wie vor wegen einem Hacker-Angriff down. Hier der Direktlink (PDF):


In dem Report wird als Quelle u.a. auch der Lancet Artikel angegeben, der im Juli von 186.000 Toten im Gazastreifen ausging. Den ich und andere längst zerlegt haben. Geschrieben von einem Palästinenser, der Schätzungen abgibt. Und der auch keine Studie war, wie oft behauptet, sondern schlicht ein Leserbrief.


Genannt werden 8.119 Getötete. Davon 2.036 Frauen and 3.588 Kinder. „Von diesen verifizierten Zahlen wurden 7.607 in Wohngebäuden oder ähnlichen Unterkünften getötet. Davon waren 44 Prozent Kinder, 26 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer.“ Man muss sich angucken, woher die Zahlen stammen. Die so genannte Methodologie. Wichtig.

In den Fußnoten heißt es dazu:

„Dass ein großer Teil der vom OHCHR nachgewiesenen Todesopfer in Wohngebäuden oder Ähnlichem getötet wurde, wird teilweise auch durch die Überprüfungsmethode des OHCHR erklärt, die mindestens drei unabhängige Quellen erfordert und durch das Sammeln und Verifizieren von Tötungen unter anderen Umständen in Frage gestellt ist.“

Können wir das mal kurz wirken lassen?

Ich erkläre es chronologisch umgekehrt. Dann wird es verständlich.

Das OHCHR ist nicht im Gazastreifen und kann nicht alle Toten zählen, geschweige denn identifizieren. Deshalb ist es darauf angewiesen, dass andere diese Daten geben und bestätigen (verifizieren). Da es im Gazastreifen aber keine anderen Quellen als die radikalislamistische Terrororganisation Hamas gibt, ist es schon fraglich, welche drei Quellen den jeweiligen Tod bestätigt haben. Zudem, welche Daten überhaupt an das OHCHR gegeben wurden.

Es kann ja sein, dass die Hamas einfach Daten herausgesucht hat, die für sie passend sind. Die sind dann aber nicht zufällig gewählt. In Studien nennt man das randomisiert. Es wurde also nicht geguckt, wer von der Gesamtgruppe der Palästinenser im Gazastreifen gestorben ist. Ein für die Schlussfolgerung empirisch-logisch fundamentaler Fehler.

Aber es geht ja noch weiter. Das OHCHR weist in seinen Fußnoten selber darauf hin, dass „ein großer Teil“ „in Wohngebäuden oder Ähnlichem“ getötet wurden. Und dass die Datenlage („das Sammeln“) dadurch „in Frage gestellt“ wird („challenges“).

Das heißt also nicht nur, dass diese ausgewählten Angaben vermehrt die Getöteten betreffen, die in Wohngebäuden getötet wurden. (8.119 an der Zahl, laut Hamas sind wir derzeit insgesamt bei über 40.000.)

Das bedeutet auch, dass das OHCHR weiß, dass diese Zahlen ungenau sind. Da sie keinen Durchschnitt der Gesamtbevölkerung abbilden.

Zudem gehen sie nur bis zum April 2024, was die lange Bearbeitung und die Ungenauigkeit verdeutlicht. Das sind die Zahlen von vor einem halben Jahr!

Viele Kämpfer sitzen ja eben nicht zu Hause. Sondern wurden in Tunneln oder Gefechten getötet. Die wurden hier aber gar nicht erfasst, und das OHCHR weiß das. Es schreibt es selber.

Trotzdem gibt es die Schlagzeile heraus, dass 70% aller Getöteten Frauen und Kinder waren.

Was beim Laien zwangsläufig dazu führen muss, dass er denkt, dass die 70% sich auf die Gesamtbevölkerung des Gazastreifens beziehen. Und dann würde auch ich selbstverständlich zu dem Schluss kommen, dass Israel nicht nur wahllos tötet, sondern sogar bevorzugt Frauen und Kinder tötet.



Legt man die Zahlen aber zugrunde, also die etwa 41.000 laut Hamas Getöteten und die zusammengerechnet 5624 getöteten Frauen und Kinder, entspräche das 13,6%. (Insgesamt werden es mehr sein, aber diese 13,6% wären die durch das OHCHR tatsächlich verifizierten Zahlen gemessen an den Getöteten innerhalb der Gesamtbevölkerung.)

Die Schlagzeile müsste also nicht lauten „70% der Getöteten in Gaza Frauen und Kinder“. Sondern entweder „13,6% der nachgewiesenen Getöteten im Gazastreifen Frauen und Kinder“ oder „70% der im Gazastreifen in Wohnhäusern getöteten sind Frauen und Kinder, im Gefecht Getötete wurden nicht erfasst“.

Aber das verkauft sich nicht.

Ich mache sowas inzwischen seit über 10 Jahren. Und ich habe schon Papers zerlegt, die nachher vom Journal zurückgezogen werden mussten. (Nicht wegen mir, sondern weil Wissenschaftler im Review zum gleichen Schluss kamen und Sturm gelaufen sind.) Diese Nummer hier ist die größte, propagandistische und verarschende Kackscheiße, die ich jemals gesehen habe!

Und da das OHCHR sich über die fundamentalen wissenschaftlichen bzw. statistischen Fehler, die es in Fußnoten versteckt, bewusst sein muss, kann ich gar nicht anders, als es für israelbezogenen Antisemitismus durch die UN zu halten. Ich halte die Macher dahinter für die akademischen Brandstifter und die Medien, die das ungeprüft übernehmen, für die eigennützigen Nutznießer dessen, was gestern in Amsterdam passiert ist. Und was uns allen noch bevorsteht.

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