Samstag, 20. Januar 2024

Jetzt wissen wir, „wie es so weit kommen konnte“

von Boris Kotchoubey...

Derzeit lehrt uns die Geschichte, was wir nicht aus der Geschichte gelernt haben. Wie in einer strengen Schule (die Wirklichkeit ist eine solche) gilt: Wer den Unterricht verpennt hat, muss den gesamten Stoff wiederholen. Wie sieht denn der Lehrplan aus?

„Es gibt keine ewigen Wahrheiten, aber viele ewige Lügen.“

(Stanislaw Jerzy Lec)

Ein berühmter Astrophysiker hielt einmal einen öffentlichen Vortrag über den Aufbau des Weltalls. Nach dem Vortrag und der Diskussion kam eine ältere Frau auf ihn zu und sagte: „Herr Professor, es ist höchst spannend, was sie uns erzählt haben, aber Sie wissen natürlich, dass in der Tat die ganze Welt auf einer riesigen Schildkröte steht.“ Der Wissenschaftler wollte die Lady nicht auslachen, sondern nur ein bisschen zum Nachdenken bringen und fragte deshalb: „Ja, und worauf steht die Schildkröte?“ Ohne nur eine Sekunde zu überlegen, antwortete die Dame: „Da sind lauter Schildkröten bis nach ganz unten“ (in der englischen Variante: „only turtles all the way down“).

Wie tief kann es aber „bis nach ganz unten“ gehen? Ein Witz zu diesem Thema erzählt von einem Pessimisten und einem Optimisten, die gemeinsam eine schwere Niederlage erlitten. „Oh, schlimm“, weint der Pessimist, „wir sind am Boden, ganz am Boden!“ „Nein,“ entgegnet der Optimist, „wir sind nicht am Boden, es geht noch tiefer!“

In der Mitte des 20. Jahrhunderts, nach zwei Weltkriegen und zahlreichen Massakern, die schließlich in einer industriellen Vernichtung von Millionen Juden und hunderttausenden Sinti und Roma gipfelten, kam die Menschheit zu dem Schluss, dass sie den untersten Boden des Bösen erreicht habe; dass zumindest in einem Teil der Welt, vor allem in Deutschland, Verbrechen unvergleichbaren, bis dahin unerhörten Ausmaßes begangen worden wären, dass ein noch tieferer Fall, eine noch schlimmere Katastrophe einfach unvorstellbar sei und dass uns von diesem absoluten Nadir der Geschichte notwendigerweise nur ein Weg nach oben, zum Besseren bleibe. Das Böse des Nationalsozialismus war absolut, und die Sprache selbst verbietet die Steigerung des Adjektivs.

Ein Massaker als Vergnügen

Ich habe zahlreiche Geschichten über die Gräueltaten der Nationalsozialisten in Osteuropa gelesen; hinter dem „antifaschistischen Schutzwall“ wurde diese Lektüre gefördert. Ich habe gelesen, wie deutsche Soldaten die entkleideten Juden zwangen, eine Grube zu graben, um sie danach zu erschießen und in diese Grube zu werfen. Ich habe von den Menschen gelesen, die in KZs den vergasten Juden Goldzähne entfernten und Haare als Rohmaterial abschnitten. Ich habe über Babi Yar gelesen, wo innerhalb zweier Tage 33.000 Menschen exekutiert wurden, und über die „Operation Erntefest“, in der die Anzahl der Opfer pro Tag noch höher war. Ich möchte hier nicht ins Detail dieser Grausamkeiten gehen, und wen sie interessieren, kann nach entsprechenden Begriffen googeln.



Es gab allerdings Dinge, von denen ich niemals gelesen habe, zum Beispiel dass deutsche Soldaten bei einer Massenexekution von „Untermenschen“ Freude empfunden hätten. Sie haben ihre berüchtigte „Pflicht getan“, doch ihre emotionalen Reaktionen waren eher negativ. Die einen griffen zum Schnaps, die anderen haben gekotzt, die dritten wollten schnell einen Brief an die Familie schreiben, um durch den Kontakt mit den Verwandten die eigene Untat zu verdrängen. Auch davon habe ich nicht gelesen, dass die Vernichtung von Juden, Sinti und Roma oder schwerkranken Personen auf den Straßen deutscher Städte laut gefeiert wurde. Dass ein Massaker ein Vergnügen sein kann, eine Herzensangelegenheit, war mir bis 2023 nicht bewusst.

Ebenso wenig konnte ich mir bisher vorstellen, dass beim Aufstand im Warschauer Ghetto die „Weltöffentlichkeit“ (wer ist sie eigentlich?) die Forderung stellen würde, dass die Juden ihren Genozid an deutschen Soldaten sofort beenden sollten! Unvorstellbar wäre auch, dass im März und April 1945 die Alliierten nicht den Endsieg über den Nationalsozialismus angestrebt, sondern sich primär um die humanitäre Lage in Deutschland gekümmert hätten, dass die damaligen Massenmedien die Tragödie der Zeit darin gesehen hätten, dass in Nazi-Deutschland das Telefonnetz zusammenbrach und Krankenhäuser nicht funktionieren. Schwer wäre vorzustellen, dass nach der Aufdeckung der nationalsozialistischen Verbrechen sich ein internationaler Politiker die Aussage gewagt hätte, der Holocaust sei zwar zu verurteilen, „aber er passierte nicht im Vakuum, denn schließlich hat das deutsche Volk seit Jahrhunderten unter der Herrschaft der jüdischen Finanzmagnaten und der jüdischen Presse gelitten“. Und schon absolut unvorstellbar wäre, dass so ein Politiker nach dieser abscheulichen Aussage seinen Posten auch nur einen weiteren Tag hätte behalten dürfen.

Legenden aus dem finsteren Mittelalter

Im Übrigen hat es in grausamen Kriegen immer Verbrechen auf beiden Seiten gegeben, und die Bevölkerung hat immer auf beiden Seiten gelitten. Auch im Zweiten Weltkrieg war das Leiden der deutschen Bevölkerung immens. Aber kein ernstzunehmender Politiker wäre damals auf die Idee gekommen, die Russen und die Engländer zu verpflichten, dass sie mitten im Krieg Deutschland mit Lebensmitteln, Wasser, Energieträgern beliefern – denn der Zivilbevölkerung dürfe nichts fehlen. Erst nachdem der Nationalsozialismus vollständig und endgültig vernichtet und Deutschland vollständig von Besatzungsmächten okkupiert worden war, übernahmen diese Mächte (in einem sehr beschränkten Maß) Verantwortung für das Überleben der unter Besatzung befindlichen Bevölkerung. Heute macht die oben erwähnte „Weltöffentlichkeit“ Israel Vorwürfe, wenn der jüdische Staat nicht jeden Kriegstag dem feindlichen Staat alle notwendigen Mittel zur Verfügung stellt.

Offensichtlich hat sich der König Salomo geirrt: Es gibt im 21. Jahrhundert n. Chr. doch etwas Neues unter der Sonne. Aber neben diesen Neuigkeiten weidet heute eine ganze Herde oller Kamele. Die Ritualmordlegende (Juden töten absichtlich nicht-jüdische Kinder) und Dolchstoßlegende, Juden als infame Revoluzzer, die versuchen, die Welt umzuwerfen, Juden als Drahtzieher alles Weltübels und Juden, die selbst den Judenhass verschulden, indem sie antijüdische Gewalt provozieren – dieser ganze Wahnsinn, den man erst vor Kurzem fest und endgültig im Archiv der Geschichte abgelegt zu haben glaubte, wird plötzlich aus den Mottenkisten herausgeholt und in den höchsten internationalen Gremien wie der UNO und der WHO ernsthaft diskutiert. Nicht nur die antisemitischen Mythen der nationalsozialistischen und späteren sowjetischen Propaganda werden öffentlich wiedergekäut, sondern auch die Legenden aus dem finsteren Mittelalter – allerdings mit dem Unterschied zugunsten des finsteren Mittelalters, dass die Päpste damals im Gegensatz zum erlauchten 21. Jahrhundert vehement gegen die Verbreitung antijüdischer Vorurteile auftraten.

Hat es sich also gelohnt, sieben Jahrzehnte lang die Frage „Wie war so etwas möglich?“ zu stellen, nur um im achten Jahrzehnt das Verb in die Gegenwartsform „Wie ist so etwas möglich“ umzuwandeln? Kann diese Frage beantwortet werden?

Marquards „nachträglicher Ungehorsam“

Der psychoanalytisch gebildete Leser will natürlich diesen Begriff sofort korrigieren: Sigmund Freud sprach vom „nachträglichen Gehorsam“. In seiner Theorie (andere sagen: Mythologie) stellt er den Vorgang folgendermaßen vor: Die Söhne, vom Ödipus-Komplex gequält, rebellieren schließlich gegen den Vater und töten ihn. Danach bereuen sie diese Tat und leiden unter schwersten Schuldgefühlen. Um ihr Gewissen zu stillen, vergöttern sie den getöteten Vater, kanonisieren ihn, schreiben alle seine Worte, Ratschläge und Verbote aus dem Gedächtnis nieder und bauen daraus einen Kult. So entstehe eine autoritäre Gesellschaftsordnung, eine Kultur des Dogmas.

Der deutsche Philosoph Odo Marquard (1928–2015), übrigens ein Sigmund-Freud-Preisträger 1984, sah ein, dass für die Erklärung der totalitären Konzepte dieses Modell nicht taugt. Angesichts der rebellischen Tendenzen der europäischen Intellektuellen in den 1970er und 80er Jahren fand er es korrekter, vom „nachträglichen Ungehorsam“ zu sprechen. Insbesondere die deutsche Intelligenzija litt unter Schuldgefühlen, weil sie gegen das Regime des absoluten Unrechts keinen Widerstand geleistet hatte; also müsste sie zur Kompensation umso lauter gegen das Regime des relativen Rechts in der Bundesrepublik protestieren, dessen Schuld darin bestand, relativ und nicht absolut zu sein. Genau weil die Intellektuellen unter der harten Diktatur, unter den ernsthaftesten Gefahren für Leib und Leben geschwiegen hatten, mussten sie im Alltag der Bundesrepublik jede autoritäre Tendenz öffentlichtkeitswirksam anprangern, zumal diese Regierungs- und Gesellschaftskritik nun keine Gefahr, sondern lauten Applaus aus dem aufnahmebereiten Publikum mit sich brachte.

Soweit hätten wir einen einmaligen Zyklus: Der fehlende Mut, gegen die nationalsozialistische Diktatur aufzutreten, wird durch Ungehorsam gegenüber der unperfekten bürgerlichen Demokratie nachträglich ausgeglichen. Doch Marquard bemerkte zugleich, dass dieser Zyklus auch eine Vorphase habe: Die Menschen, die eine Diktatur widerstandslos hinnahmen, erwiesen nicht nur danach, sondern auch davor einen erbitterten Widerstand gegen eine Demokratie. Diese (die Weimarer Republik) war selbstverständlich auch unperfekt. Der Irrsinn des seltsamen Ungehorsams, wie Polonius gesagt hätte, „hat Methode“.

Ja zu Diktaturen und Nein zu Demokratien

Ich kenne eine süddeutsche Universität, die in den letzten Jahrzehnten durch ihren rebellischen Geist rühmlich geworden ist. Viele Professoren aus den geisteswissenschaftlichen Fächern der Uni haben sich durch ihre schonungslose soziale Kritik, ihre öffentlichen Auftritte für Freiheit und gegen die Macht der Konzerne Namen und Popularität unter den Studenten gemacht. Als 2020 bis ‚21 die vom Grundgesetz gewährten Menschenrechte – das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Bewegungsfreiheit, auf freie Berufsausübung, das Versammlungsrecht, das Bildungsrecht, sogar das Recht auf Briefgeheimnis – zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik auf extreme Weise eingeschränkt wurden, haben wir, eine kleine Gruppe von Kollegen, mehrere solcher Freigeister angeschrieben und nach ihrer Stellungnahme zu diesen schweren Freiheitseinschränkungen gefragt. Raten Sie jetzt die Zahl der zustimmenden und der ablehnenden Antworten, die wir bekamen! Wahrscheinlich haben Sie richtig geraten: Die beiden Zahlen sind gleich Null. Kein einziger Rebell hat geantwortet.

Das Schema, das sich ergibt, ist simpel wie ein Pantoffel: Wir sagen Ja zu Diktaturen und Nein zu Demokratien. Wir sind Freiheitskämpfer, wenn wir uns gegen eine Macht auflehnen, die ohnehin unsere Freiheit nur minimal einschränkt und von der wir keine oder höchstens eine symbolische Strafe erwarten. Wir zeigen eine Zivilcourage, solange sie uns nichts kostet. Michael Moore ließ sich nach seinen kritischen Filmen über George W. Buch jr. als „Volksfeind“ titulieren. Die Menschen, die in der stalinistischen UdSSR so bezeichnet wurden, erhielten bis zu 25 Jahre sibirische Arbeitslager oder „zahlten“ für dieses Verdikt mit ihrem Leben; Moore verdiente mit dem gleichen Titel Millionen. Im akademischen Milieu üben wir Regierungs- und Gesellschaftskritik, wenn wir als Bestrafung dafür nur Vortragseinladungen, Honorare und Bewunderung von StudentInnen (Gendern absichtlich) ernten können.

Aber sobald es nur leiseste Hinweise auf reale Bedrohungen gibt, sobald sich in der Politik reale autoritäre oder gar totalitäre Tendenzen zeigen, sobald wir in einer maßnahmenkritischen Demonstration von der Polizei nicht nur sanft gewarnt, sondern krankenhausreif geschlagen werden können; sobald die Möglichkeit besteht, dass wir für unsere kritischen Auftritte verleumdet, diffamiert, öffentlich angegriffen werden, dass unsere Familie Drohbriefe erhält, dass unser Bankkonto gekündigt wird, dass wir unseren Arbeitsplatz und unsere Existenzgrundlage verlieren können – nur, wenn es danach riecht, dann werden wir couragierte Rebellen sofort brav und ruhig und warten gehorsamst auf das nächste Tauwetter, bei dem wir wieder ungefährdet frondieren können. Und wären wir rechts, so hätte dieses Schema alles erklärt. Aber wir sind links und machen damit unser Leben komplizierter.

Die Moral der Geschichte

In jedem Bereich menschlicher Aktivität gibt es Kriterien, nach welchen festgestellt werden kann, wer besser ist als der andere. Im Fußball sehen wir mit eigenen Augen sofort, dass diejenige Mannschaft gewinnt, die mehr Tore schießt. In der (freien) Wirtschaft wird der Beste an seinem Erfolg bei den Kunden bestimmt. In der Politik muss man sich sehr viel Mühe geben, um an die Macht zu kommen, und vielleicht noch mehr, um sich an der Spitze zu halten. In der Wissenschaft und Kunst ist die Sache schwieriger, die Kriterien sind schwammig, doch mit der Zeit wird auch hier eine Reihung vorgenommen, und heute zweifelt kein Musikliebhaber daran, dass Felix Mendelssohns musikalische Leistung größer war als die von Louis Spohr, obwohl zu ihren Lebzeiten diese zwei Komponisten auf gleichem Rang gehandelt wurden.

Die einzige Ausnahme, der einzige Lebensbereich, in dem ich meine Überlegenheit über den Anderen ohne jegliche Leistung erreichen kann, ist die Moral. Hier genügt eine bloße Behauptung meines hohen beziehungsweise deines tiefen moralischen Niveaus, um mir einen Vorrang vor dir zu gewähren. Die Behauptung muss lediglich laut sein und, noch besser, von einer lauten und einflussreichen Gruppe ausgehen – dann ist sie auch „wahr“, denn andere Wahrheitskriterien gibt es in der Moral nicht. Wie jeder Marxist weiß, ist schließlich die herrschende Moral nichts anderes als die Moral der Herrschenden – oder in den Begriffen des Augsburger Friedensvertrages, „cuius regio, eius mores“.

Für einen klassischen, von Heinrich Mann beschriebenen Untertan ist die Unterordnung gegenüber einem starken, autoritären, mit Notstandverordnungen statt Gesetze regierenden Staat und die spöttische Kritik an einer als „schwach“ empfundenen demokratischen Gesellschaftsordnung normal. Er bräuchte keine extra Begründung dafür, die Stärke zu respektieren und die Schwäche (beziehungsweise das, das wie als Schwäche erscheint) anzugreifen. Dem Untertan des neuen Typs reicht dieses einfache Denkmuster nicht mehr aus. Er braucht eine moralische Basis für sein autoritäres Verhalten und findet sie dadurch, dass er eine Opfergruppe konstruiert, in deren angeblichem Schutz er seinen faschistoiden Minderwertigkeitskomplex ausleben kann. Wie sein Großvater, der Untertan der alten Probe, will auch er herrschen, andere unterdrücken, Gewalt ausüben – aber nur, um jemanden zu beschützen oder etwas zu „retten“.

Ein klassischer autoritärer Untertan freut sich, wenn die Polizei Demonstranten schlägt, die nichts anderes fordern als die Beachtung der grundgesetzlichen Menschenrechte: Ordnung muss sein! Die Ordnungskräfte haben immer recht! Der Pöbel muss zu Hause bleiben! Der linke Untertan freut sich ebenfalls, aber aus moralischen Gründen: Es könnte ja sein, dass der geschlagene Demonstrant seine Freiheiten missbrauchen, seinen Mund-Nasen-Schutz nicht tragen und deshalb vielleicht eine alte Frau anstecken könnte, die eventuell an diesem Infekt sterben könnte. In hehren Gedanken an die betagte Frau begrüßt unser Zeitgenosse die vor seinen Augen stattfindende polizeiliche Brutalität.

Vergewaltigung aus höheren Beweggründen

Der rechte Faschist ist einfach auf der Seite des Starken und gegen den Schwachen. Der linke Faschist genauso. Aber während für den Ersteren die Begründung auf der Hand liegt: Der Stärkere hat immer recht! – erfindet der Letztere einen angeblich noch Schwächeren, den er beschützen oder retten soll, und diese moralische Schutzfunktion stellt ihm einen Freibrief für solche Grausamkeiten aus, von denen mancher seiner rechten Gegenparte zurückschrecken würde. Er vergewaltigt aus höheren Beweggründen.

Noch die russischen Bolschewiken haben ihren krankhaften Machtwahn damit begründet, dass sie das leidende Proletariat von der Ausbeutung befreiten. Sie erschossen wahllos Unternehmer und Offiziere, Gutsherren und wohlständige Bauern, Akademiker und Poeten – alles aus der Sorge um die ausgebeuteten Arbeiter. Die Zwangskollektivierungen in der UdSSR 1930–33 (ca. 10 Millionen Hungertote) und in China 1952–57 (ca. 40 Millionen Hungertote) hatten zum erklärten Ziel den Schutz der ärmeren Bauern von der Unterdrückung durch „Kulaken“ und sonstige „Ausbeuter“. Millionen Kinder wurden auf grausamste Art und Weise ermordet, und am Ende wurden Arbeiter und Bauern viel schlimmer ausgebeutet als davor im Manchesterkapitalismus – aber das spielt keine Rolle, Hauptsache, man wollte nur das moralisch Gute.

Die bisher größte (mit über 7.000 Teilnehmern) Untersuchung des Linksradikalismus kam zu dem Schluss, dass Linksradikale im Vergleich mit ihren rechten Spiegelbildern kognitiv flexibler sind (sie sind weniger dogmatisch und können schneller ihre aktuellen Einstellungen ändern), sind dafür aber (oder gerade deshalb?) stärker vom Hass erfüllt und absolut staatsgläubig. In der gleichen Zeitschrift erschien fast zugleich eine Analyse der sogenannten dunklen Triade: Persönlichkeitseigenschaften Machiavellismus (Neigung zur Manipulation der Mitmenschen), Narzissmus (Selbstverliebtheit) und Psychopathie (emotionale Kälte, fehlende Empathie).

Als Markenzeichen für die Kombination Machiavellismus + Narzissmus fanden die Autoren die Fähigkeit zur Aussendung „moralischer Opfersignale“ („virtue victim signals“): Diese Person identifiziert sich selbst als Opfer oder als Beschützer der Opfer, um sich moralisch zu erheben und damit persönliche Vorteile auf Kosten der anderen zu ergattern. Die Häufigkeit, mit der eine Person moralische Opfersignale sendet, korreliert positiv mit der Bereitschaft zum unfairen, manipulativen Verhalten und Lüge. Schelm ist, der dabei an den woken Wächterrat der westlichen Zivilisation denkt, der heute unsere „öffentliche Meinung“ diktiert.

Das Ende der Unschuld

Als neueste moralische Begründung für Judenhass und Judenmord wird das leidende palästinensische Volk erfunden. Natürlich kann niemand bestreiten, dass die arabischen Bewohner von Palästina seit jeher Leidtragende waren und sind. Noch in früheren Jahrhunderten litt der bettelarme palästinensische Fellache, der an seinem Stück Wüstenland 16 Stunden am Tag ackern musste, um die Hälfte des Ertrages einem reichen Efendi aus Damaskus abzugeben, dem das Land gehörte. In neuester Zeit leiden diese Menschen unter der Herrschaft korrupter Terrorbanden entweder islamistischer oder linkstotalitärer Richtung, deren Häuptlinge Milliarden US-Dollar auf ihren Konten in der Schweiz anhäufen, die Frauen und Kinder als lebendige Schutzschilde benutzen, denn je mehr Frauen und Kinder sterben, umso lautere Werbung machen für sich die Terroristenführer.

Seit Jahrzehnten leiden palästinensische Araber, weil sie von ihren „Brüdern“ aus Syrien, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien verachtet, ausgegrenzt, als „Araber dritter Sorte“ betrachtet, jahrzehntelang in Lagern eingesperrt werden, weil sie in den „Bruderländern“ keine Arbeit, keine höhere Bildung, sinnvolle Beschäftigung, keine Integrationsmöglichkeit haben. Während die Nachkommen der palästinensischen Araber, die 1948 im neugegründeten Israel geblieben sind, heute im jüdischen Staat höhere Bildung bekommen und Professoren, Richter oder Anwälte werden können, bleiben die Enkel ihrer Familienangehörigen, die damals auf ihre Führer gehört und in arabische Länder geflüchtet sind, in diesen Ländern nach wie vor rechtlos.

Doch all dieses wahre Leid kümmert den moralinvergifteten Mob, der „für die Freiheit des palästinensischen Volkes“ auf die Straßen geht, nicht im Geringsten. Die Moralisten interessieren sich für all diese Tatsachen nicht und wollen auch keine Tatsachen wissen. Das angebliche Mitleid mit Palästinensern ist bloß ein Vorwand zum Aufruf zur Vernichtung Israels. Mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Studenten, die die Vernichtung Israels und den Aufbau an dieser Stelle eines arabischen Staates befürworten, können nicht mal die entsprechende Region auf der Landkarte finden. Sie wiederholen den Slogan der Terroristen „Palästina vom Fluss bis zum Meer!“, haben aber keine Ahnung, wie dieser Fluss und dieses Meer heißen!

Besondere Aufmerksamkeit für Palästina

Dieses Unwissen ist aber keine bloße Unbildung, sondern eine aktive Wissensleugnung. Das zeigt allein schon der Fakt, dass es sich im obigen Beispiel zum Teil um die Studenten der (laut offiziellen Rankings) besten Universitäten der Welt handelt. Damit erfahren wir natürlich nebenbei vom wahren Wert der Universitätsrankings – aber egal, selbst die doofsten unter diesen Subjekten haben etwas vom Internet und Suchmaschinen gehört und könnten sich die Übersicht über die Lage und die Vorgeschichte innerhalb weniger Stunden verschaffen, die wichtigsten Fakten innerhalb Minuten.

Noch weniger interessieren sich die Palästinaphilen für die Katastrophen, die neben dem israelisch-arabischen Konflikt auf der Welt passieren. Als die Operation „Eiserne Schwerter“ anfing, herrschte ein paar hundert Kilometer südlich, im Sudan, ein schrecklicher Bürgerkrieg zwischen zwei verfeindeten Militärgruppierungen, in dessen Lauf ganze Dörfer ausgerottet wurden und unzählige Zivilisten umkamen. Wer hat davon gehört, wer hat dagegen protestiert? 2009 unterdrückte die Regierung von Sri Lanka den tamilischen Aufstand mit einer unglaublichen Brutalität, indem ganze Landstriche mit der tamilischen Bevölkerung dem Erdboden gleichgemacht wurden. Zivile Menschen wurden als Schutzschilde benutzt, Krankenhäuser zerbombt. Zur gleichen Zeit saß die Vertreterin der verbrecherischen Regierung von Sri Lanka im Menschenrechtsrat der UNO und prangerte Menschenrechtsverletzungen – natürlich in Israel, wo sonst? – an.

Vielleicht beruht die besondere Aufmerksamkeit für Palästina auf der religiösen Solidarität, und es ist die muslimische Unterstützung, die eine besondere Sensibilität zu Problemen unterdrückter muslimischer Minderheiten auslöst? Wen kümmert aber völkermordähnliche Gewalt gegen Muslime in China, Indien, Myanmar? Ganze Stadtbezirke in Großstädten wie Paris, Berlin, Brüssel werden fast ausschließlich von Muslimen bewohnt. Wo sind in diesen Städten die Massenkundgebungen mit den Forderungen „Free Rohingya!“, „Free Uyghurs!“? Während palästinensische Araber, deren Lebenserwartung in der Zeit der israelischen Besatzung um 20 Jahre anstieg, von der ganzen Welt mit Milliarden Dollars beworfen werden, besteht an anderen arabisch-muslimischen Gruppen, die knapp vor dem Aushungern sind (zum Beispiel Huthi), kein öffentliches Interesse. Und wer hat seinen A… nur einen Millimeter vom Sessel angehoben, als nach 2000 das russische Militär mehr als 100.000 muslimische Tschetschenen einschließlich Frauen und Kinder abgeschlachtet hat?

Angaben einer Terrorbande

Hand aufs Herz: Kann ein vernünftiger Mensch wirklich daran glauben, dass deutsche, französische, UNO-Politiker tatsächlich nicht wissen, dass die Gelder der „Palästina-Hilfe“ fast vollständig für den Aufbau der militärischen Infrastruktur – sprich: für Judenmord – verwendet werden; dass während die Politiker Krokodilstränen über die Armut der Gaza-Bewohner verlieren, die Anführer der Hamas auf unsere Kosten Milliardäre werden; dass wohltätige Einrichtungen einschließlich Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser von der Hamas als Schutzschilder benutzt werden? Wissen sie wirklich nicht, dass die sogenannte Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens alle Terroranschläge bejubelt hat, und zwar umso begeisterter, je mehr Menschen umgebracht wurden? Dass Krankenhäuser in Gaza nicht nur als Militärzentralen, sondern auch als Folterstätten gegen das eigene Volk verwendet werden?

Glaubt jemand, dass die Journalisten der Reuter, AP, France Press, Washington Post u.v.a., die über alle Welt die Falschinformationen der Hamas verbreiten, nicht wissen, dass diese Informationen von A bis Z Lügen sind? Sie wissen nicht, wenn sie die Daten des „Gesundheitsministeriums von Gaza“ zitieren, dass dieses „Ministerium“ bloß eine Abteilung der Hamas ist? Sie wissen nicht, dass, während sie von Israel – und nur von Israel – eine einseitige Feuerpause fordern, die Hamas mit ihren Raketen weiterhin israelische Städte beschießt? Wissen sie nicht, dass, während in Palästina der Titel „Flüchtling“ vererbt wird und zur lebenslangen Alimentierung durch Steuerzahler aller Länder der Welt berechtigt, in Israel heute tatsächlich 3,3 Prozent der Bevölkerung (in Deutschland wären es 2,6 Millionen Menschen) auf der Flucht sind, weil ihre Städte und Dörfer immer wieder beschossen werden, und zwar mit Raketen, die wiederum wir – du und ich – mit unseren Steuern bezahlen?

Glaubt man wirklich, dass Florian Warweg, wenn er von 4.324 in Gaza getöteten Kindern als von einem FAKT schreibt, nicht weiß, dass diese Zahl einzig und allein auf den Angaben einer Terrorbande beruht? Weiß der UNO-Generalsekretär wirklich nicht, dass israelische Regierungen im Laufe von Jahrzehnten immer wieder Frieden vorgeschlagen haben unter allen erdenklichen Bedingungen, außer einer einzigen – der vollständigen Vernichtung Israels – und dass all diese Vorschläge von der arabischen Seite abgelehnt wurden? Weiß er nicht, dass die Vernichtung Israels das offizielle Ziel aller palästinensischen „Befreiungsbewegungen“ ist, und es gibt auch niemanden im gesamten Apparat der UNO, der ihn aufklären könnte?

Heute weiß jeder, was er tut

Lassen Sie das. Alle relevanten Fakten liegen auf der Hand. Wer tatsächlich Mitleid mit der arabischen Bevölkerung Palästinas hat, könnte wissen, dass viel mehr Araber in steten Bürgerkriegen zwischen der Hamas, Fatah, anderen Terrororganisationen und regulären arabischen Armeen ums Leben kamen als in der ganzen Geschichte der israelischen Besatzung. Wer eine Befreiung Palästinas fordert, sollte ihre Befreiung von den herrschenden kriminellen Strukturen anstreben, das heißt genau das, was jetzt Israel tut.

Vollkommen falsch ist auch die Annahme, dass westliche Politiker die Verwendung ihrer „Hilfsgelder“ in Palästina „nicht kontrollieren“. Der Ausdruck insinuiert, dass alle Minister und Hochbeamte, Staats- und Regierungschefs unerfahrene Novizen sind, die über keine nachrichtendienstliche Information verfügen. Augenscheinlich können sie nicht mal zwei plus zwei addieren und nur im Staunen raten, wo die Milliarden US-Dollar auf den Konten der Hamas-Anführer herkommen. Nach einigen Stunden Recherche kann jeder Laie alles Wichtigste über die Geldströme wissen – aber Politik hat keine Ressourcen dafür? Wie naiv muss man sein, um an diese Naivität zu glauben?

Laut Legende sagte Jan Hus auf dem Scheiterhaufen über die arme Bäuerin, die in ihrem Irrglauben, dass Verbrennung des Ketzers eine gute Sache ist, ein eigenes Bündel von Ästen ins Feuer warf: „Vergib ihr, o Herr, denn sie nicht weiß, was sie tut.“ Die Frau konnte nicht lesen, war geistig von ihrem Pfarrer und materiell von ihrem Grundbesitzer total abhängig.

Diese Zeiten sind vorbei. Es gibt – außer vielleicht in ganz entlegenen Ländern – keine leibeigenen Analphabeten mehr. Heute weiß jeder, was er tut. Alles, was in der Politik getan wird, wird vorsätzlich getan, was die Aufgabe des Herrn da oben, falls es ihn gibt, wesentlich erleichtert: Vergeben muss er nicht mehr. Ob er dies trotzdem tut, bleibt ihm überlassen.

Hass ist intransitiv

Es ist weitgehend klar, dass der pandemische Israelhass nichts anderes ist als der alte Judenhass. Über den Unterschied zwischen einer legitimen Kritik an israelischer Politik und dem Antisemitismus ist in den letzten Jahrzehnten so viel geschrieben worden, dass nur derjenige diesen Unterschied nicht versteht, der – siehe oben – ihn aktiv nicht verstehen will. „Damit es keine Missverständnisse gibt: Thunberg, Žižek und Butler sind nicht einfach nur Relativierer. Sie sind Antisemiten, weil sie… versuchen, Terroristen zu entlasten, die Juden getötet haben, allein aus dem Grund, weil es Juden waren… All diese Menschen, die gerade aus ihren Löchern gekrochen kommen und immer so getan haben, als würden sie nur Israel hassen, hassen in Wahrheit Juden”.

Diese Feststellung bleibt aber auf dem halben Weg. Der nächste Denkschritt ist: Der Judenhass ist nichts anderes als Menschenhass. Das wahre Hassobjekt ist weder Netanjahu noch der israelische Siedler noch das „Weltjudentum“, sondern – der Mensch. Längst bevor die unheilige Greta ihren Antisemitismus verbreitet hat, wies Dieter Nuhr nach, dass ihr Programm, wäre es in die Tat umgesetzt, Millionen Menschenleben gekostet hätte. Die meisten Israelhasser sind zugleich Amerikahasser und Deutschlandhasser; diese drei Mengen sind zwar nicht völlig identisch, überschneiden sich aber wesentlich. Der Hass ist selbstständig, und Juden sind lediglich das bestpassende Projektionsobjekt. „Die hassen uns, ob wir Juden, Heiden oder Christenkinder sind, weil sie an sich selbst scheitern und ihr Scheitern auf uns projizieren.“

Für weitere Teile der grünen Bewegung ist der Mensch und seine Aktivität der letzte Grund aller gegenwärtigen Probleme. Der Mensch wird als Schädling der Natur angesehen, als ob es in der Natur außer den Menschen etwas gäbe, was die Begriffe „Schaden“ oder „Schädling“ verstehen könnte. Die gesamte Corona-Politik beruhte auf diesem Menschenbild: Der Mensch sei primär eine Gefahr für jeden anderen, kein Freund oder Verwandter, sondern ein abscheulicher Seuchenträger: Homo homini rattus est.

Eine Symbolfigur der gegenwärtigen deutschen Antikultur, „Deutschlands bekanntester Komiker“ Jan Böhmermann, hat Kinder mit Ratten verglichen. Das menschliche Wesen, das zu solchen Ausdrücken herabsinkt, verdient übrigens mehr als das Vierfache des Gehalts des Bundeskanzlers. Angesichts solcher menschenverachtenden Aussagen verblassen die Aufrufe zur Vernichtung Israels.

Von menschenfeindlichen Tönen dominiert

Unabhängig davon, wie wichtig in der Tat die Klimaproblematik ist (das ist hier nicht das Thema), könnte auch sie freiheitlich und humanistisch dargestellt werden: Genau deshalb, weil der Klimawandel unser Leben immer stärker beeinflusst, sind die menschliche Kreativität, der menschliche Erfindungsgeist heute besonders gefragt. Genau weil die Umweltprobleme eine echte Herausforderung darstellen, ist die freie Entfaltung des menschlichen Geistes gefordert, der Anpassungswege finden und erfinden soll. Stattdessen wird der Klimadiskurs vollständig von menschenfeindlichen Tönen dominiert: Verbote, Einschränkungen, Schikanieren, Verzicht, Aussetzen der fundamentalen Menschenrechte und mittelalterlicher Ablasshandel in Form von immer höheren Steuern werden als einzig mögliche Lösungen debattiert.

Es sind weitgehend dieselben Medien, welche Covid-Hysterie verbreiteten und Klima-Hysterie immer noch verbreiten, die heute die Sache der Terroristen verteidigen, indem sie Täter und Opfer „objektiv“ als zwei gleiche „Konfliktparteien“ darstellen. Es sind weitgehend dieselben Strukturen, welche gestern gegen Ungeimpfte (also gegen Menschen, die lediglich das Recht auf die Bestimmung über ihren eigenen Körper verteidigten) gehetzt haben, die heute gegen Israel hetzen. Es sind weitgehend dieselben Menschen, welche bei der leisesten Kritik am radikalen Islam „Rassismus!“ schreien (als wäre Islam eine Rasse), die für das Massaker an Juden „Verständnis“ aufweisen.

Es sind dieselben Lehrer, welche während der Corona-Zeit ihre grenzenlose Macht über tausende Kinder in grausamen Zwangsmaßnahmen ausübten, die heute den schutzlosen Opfern ihrer Gewalt einreden, Juden seien am Terror gegen sie letztlich selber schuld. Es sind dieselben LGBTQ+Aktivisten, welche Frauen als Nazi-Schlampen beschimpfen, nur weil diese zu ihrem Frausein stehen und keinen Penis in Damentoiletten sehen wollen, die heute laut „Free Gaza!“ skandieren; natürlich würden diese Aktivisten, wenn sie nur einen Fuß auf den Boden in ihrem geliebten Gazastreifen setzten, dort sofort gevierteilt, aber es ist ihnen egal, wie auch Gaza ihnen egal ist, denn Hass und nur Hass gegen Juden, gegen Frauen, gegen jeden Anderen und Andersfühlenden ist ihr einziger Lebensinhalt.

Geringste Abweichung als „Mikroaggression“

Es sind dieselben superwoken amerikanischen Universitäten, in denen ein Nobelpreisträger alle seine Stellen räumen muss, wenn er nur einen völlig harmlosen Witz über Frauen erzählt; in denen kein Zweifel an der Existenz von Dutzenden biologischen Geschlechtern geduldet wird; in denen Studenten, die mal einen Sombrero getragen haben, zu Zwangsumerziehungskursen geschickt werden, weil ihr Verhalten eventuell einen Mexikaner traumatisiert haben könnte; in denen jede Andeutung auf eine mögliche Beschreibung von Gewalt vorangekündigt werden muss, damit kein Student seelisch leidet; in denen die geringste Abweichung vom strengsten Verhaltenscodex als „Mikroaggression“ verurteilt wird – in denen aber öffentliche Aufrufe zum Massenmord an Juden erlaubt und sogar befürwortet werden, weil ein Verbot dieser Aufrufe ein schwerer Verstoß gegen die universitäre Freiheit bedeuten würde!

Das Argument über die universitäre Freiheit kommt einem allerdings bekannt vor. Mit diesem Argument begründeten dieselben Universitäten drakonische Corona-Maßnahmen und Impfzwang für Studenten und Mitarbeiter in den Staaten und Regionen, in denen diese Maßnahmen amtlich nicht gefordert oder sogar (wie in Florida) verboten wurden. Auf die gleiche Weise verteidigten im Mittelalter manche Feudale ihre Freiheiten: Die Freiheit, ihre Bauern zu unterdrücken, sie zu schlagen, beim geringsten Vergehen bis zum Tode auszupeitschen, Bauermädchen zu vergewaltigen, Bauernacker in wilder Jagd zu zertreten, Ernten zu vernichten. Sie empörten sich gegen den König, der diese Freiheiten einschränken wollte, wie heute sich die Harvard-Professoren gegen die Politik empören, die öffentliche Aufrufe zum Judenmord verbieten will. Das ist ihr Freiheitsverständnis: die Freiheit, den Stiefel auf das Gesicht der Menschen zu setzen.
Brandstifter und Biedermänner

Bekannterweise lehrt uns die Geschichte, dass wir nichts aus der Geschichte lernen. Es war nur eine Illusion, dass uns die Schrecken des 20. Jahrhunderts etwas gelehrt hätten. Nichts haben wir gelernt, und wie in einer strengen Schule (die Wirklichkeit ist eine solche), wer den Unterricht verpennt hat, muss den gesamten Stoff wiederholen, und zwar:

Erstens: Es gibt das Gute und das Böse, und sie sind asymmetrisch, weil das Gute immer relativ und unvollständig ist, während das Böse absolut sein kann und eine Perfektion anstrebt. Das ist genau das Gegenteil dessen, was uns die Woken des Mainstreams einstampfen: Sie relativieren das Böse und meinen im Besitz eines absoluten Guten zu sein.

Zweitens: Die Absolutheit des Bösen bedeutet, dass es keine Grenzen kennt. Das Wort „keine“ ist ernst zu nehmen, es bedeutet „gar keine“ – außer rein technischer. Die bekannten sechs Millionen Holocaustopfer sind keine obere Grenze, sondern lediglich das Resultat der damaligen technischen Fähigkeiten der Nationalsozialisten. Die Hamas hat am 7. Oktober „nur“ zwischen 1.200 und 1.400 Menschen (überwiegend, aber nicht nur, Juden) abgeschlachtet, weil ihre technischen Tötungsmöglichkeiten gegenüber der (wenn auch abgeschwächten) israelischen Armee immer noch sehr begrenzt waren; wäre sie in der Lage, alle (je nach Zählung 16 bis 25 Millionen) Juden und nebenbei auch die circa 2,3 Milliarden Christen zu töten, hätte sie auch dies getan.

Auch sollen wir uns davon hüten, die Proklamationen des Bösen als Hyperbeln, als nicht ernst zu nehmende Metaphern wahrzunehmen. Ein jüdisches Sprichwort sagt, wenn jemand Ihnen erklärt, dass er Sie töten will, dann ist das Wichtigste, was Sie tun sollen – glauben Sie ihm! Auch hier haben wir nichts aus der Geschichte gelernt, als die Öffentlichkeit „Mein Kampf“ als polemische Überspitzung wahrgenommen hat. Wer damals nach dem Lesen dieses Werks gesagt hätte, der Autor wird tatsächlich versuchen, Millionen „Minderwertige“ zu töten, der wäre definitiv als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt und ausgelacht worden. Doch alles wird wörtlich gemeint. Wenn Demonstranten „Deutschland, verrecke!“ skandieren, dann wollen sie tatsächlich, dass ihr Land stirbt. Wenn ein Politiker sagt, für ihn gebe es keine roten Linien, dann gibt es bei ihm tatsächlich gar keine.

In seiner Absolutheit hat das Böse nicht nur keine moralischen Grenzen (im Gegenteil macht es, wie wir gesehen haben, Moral zu seinem besten Instrument der Manipulation), sondern auch keine vernünftigen. Die Geschichte nicht verstanden hat derjenige, der behauptet, dass bestimmte Grausamkeiten nicht begangen werden können, weil sie offensichtlich irrational und niemandem – auch dem Täter selbst nicht – nutzten. Die Massentötung von Spatzen im kommunistischen China war genauso offensichtlich absurd und nutzlos wie 2020 bis 2022 die No-Covid-Strategie. Genauso naiv ist die Vermutung, die Grenzen des Bösen würden dann erreicht, wenn die Eliten die Sinnlosigkeit ihrer grausamen Politik einsehen. Die nationalsozialistischen Eliten sahen wohl ein, dass die industrielle Vernichtung der Juden mitten im Zweifrontenkrieg die Verteidigungsmöglichkeiten Deutschlands fatal schwächt; dennoch ging die Vernichtung weiter.

Einmal kommt jemand, der völlig konsequent agiert

Drittens: Das absolute Böse beginnt mit der Idee, dass es „zu viele Menschen auf der Erde gibt“. Eine Zeitschrift, die sich in Deutschland darauf spezialisiert, Propaganda als „Wissenschaft“ zu verkaufen, fängt nach den besten Rezepten der Manipulation damit an, den Leser zum Überlegen über die möglichen Lösungen des Überbevölkerungsproblems zu animieren, während die eigentliche Frage doch sein müsste, ob es dieses Problem überhaupt gibt. Hätte es im 17. Jahrhundert ein „Spektrum der Wissenschaften“ gegeben, dann hätte es seine Leser einladen können, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die drohende Hexengefahr am besten abwendet. Die Über- oder Unterbevölkerung ist nur relativ, das heißt im Vergleich mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten. Um 1300 war die Erde mit etwa 400 Millionen Weltbewohnern übervölkert, aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit 3 bis 6 Milliarden war sie es nicht.

Natürlich sind die meisten Menschen inkonsequent (und das ist gut so). Von all diesen, die sich über die Katastrophe der scheinbaren Überbevölkerung beschweren, würden vielleicht 99 Prozent niemals daraus den logischen Schluss ziehen und sagen, also wäre es gut, wenn ein paar Milliarden Menschen sterben; und von denen, die das sagen, würden vielleicht 99 Prozent niemals das Wort in die Tat umsetzen. Aber trotz dieser 99-prozentigen Wahrscheinlichkeiten können wir zu 100 Prozent sicher sein: Einmal kommt jemand, der völlig konsequent agiert, und der auch B sagt, wenn alle nur A sagen. So wie nach 50 Jahren Diskussionen über die Gefahr der „genetischen Entartung“ ein Postkartenmaler aus Braunau eine radikale Lösung dieses Problems vorgeschlagen hat, so findet jemand früher oder später eine ähnliche Endlösung für das Problem der Überbevölkerung.

Apropos Konsequenz: Wer wirklich davon überzeugt ist, dass die Übervölkerung der Erde das Grundübel sei, die Ursache aller Migrations-, Klima-, Gesundheits-, Wirtschafts- und sonstigen Krisen, der sollte eigentlich konsequenterweise sich selbst umbringen und damit seinen bescheidenen Beitrag zur Lösung all dieser Probleme leisten. Aber so ein Paradox: Aus völlig unklaren Gründen meint derjenige, für den es „zu viele Menschen gibt“, immer andere Menschen, niemals sich selbst. Allein schon deshalb ist das Problem unlösbar.

Gigantische Geldbeschaffungsmaschinen

Am Ende wird alles gut. Auch die wütende Pandemie des Antisemitismus hat etwas Gutes. Sie hat eine Transparenz eingeführt in unsere verkomplizierte Welt. Die Fronten sind klar und eindeutig geworden. Man vergleicht in den letzten Tagen die spaltende Wirkung des Hamas-Angriffes auf Israel mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Dieser Vergleich ist falsch. Meine Position in Bezug auf den russischen Angriffskrieg ist zwar eindeutig, doch kann ich auch andere Positionen respektieren und dafür kämpfen, dass sogar die Meinung, die meiner eigenen entgegengesetzt ist, frei veröffentlicht und ohne Tabus diskutiert wird. Mich würde es nicht besonders stören, wenn ein Medium neben einem prorussischen Artikel auch meinen Text abdruckt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass nach dem 7. Oktober nur eine Zeile von mir auf einer pro-palästinensischen Seite erscheint. Schließlich publiziere ich auch nicht bei Julius Streicher.

„Man soll nicht verdächtigen, wenn man genau weiß“, sagte der anfangs erwähnte polnische Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec. Schon seit Jahren haben wir immer mehr Gründe für den Verdacht, dass die Welt in die Sackgasse geraten ist und dass die meisten internationalen systembildenden Strukturen – wie die UNO, in der ein paar legitim gewählte Politiker in der Masse von Diktatoren und Mördern nichts zu sagen haben –, die von einem ehemaligen Terroristen geführte Dienerin der Pharmaindustrie namens Weltgesundheitsorganisation; der bürokratische Selbstbedienungsladen EU; die gigantischen Geldbeschaffungsmaschinen des sogenannten Sports; die als Menschenrechtsorganisationen getarnten Handlanger der organisierten Kriminalität; die ehemaligen Tempel der Wissenschaft, nun in Wespennester des Antisemitismus verwandelt; die üppig von Regierungen gefütterten „Nichtregierungs“-Organisationen und sonstige Strukturen, deren Namen Orwell bewundert hätte – dass sie alle unheilbar korrupt sind und jeglichen Kontakt mit der Wirklichkeit verloren haben.

Nach dem 7. Oktober 2023 brauchen wir diesen Verdacht nicht mehr, weil wir es genau wissen. Wer jetzt immer noch nicht verstanden hat, wie tief die Zivilisation (oder die Reste davon, was sich so nennt) gefallen ist und welche radikalen Veränderungen nicht nur in den Strukturen (die sind nicht mehr zu retten), sondern vor allem in unserem Menschenbild notwendig sind, dem ist nicht zu helfen.

Boris Kotchoubey ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen.


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