Montag, 28. Juni 2021

Merkel hinterlässt ihrer CDU einen Scherbenhaufen

von Christoph Schwennicke...

Der Journalist Alexander Osang hat vor vielen Jahren einen bemerkenswerten Satz über die Bundeskanzlerin geschrieben. Angela Merkel habe sich seinerzeit die CDU ausgesucht wie andere Leute eine Eissorte, notierte der Reporter, der wie die von ihm mehrfach Porträtierte aus dem Osten Deutschlands stammt und einige Zeit recht nah dran war an der inzwischen Unnahbaren.




Der Satz klingt bis heute in meinem Kopf nach. Weil er auf eine Art stimmt wie kein zweiter. Die politische Ausrichtung war der jungen Angela Merkel auf dem Weg in die Politik ziemlich schnurz. Und dann auch wieder nicht. Denn mit ihrer Wahl hatte sie hoch gezielt: Machtinstinktsicher hat sie sich die Partei ausgewählt, die als obrigkeitsorientierter Kanzlerwahlverein bei hinreichendem Machtwillen die beste Karriere versprach. Und über diesen Willen verfügte Merkel schon seit jeher in überdurchschnittlichem Maße.

Nun hat Merkel die Geschicke der Union zu ihrem Nutzen als Kanzlerparteichefin mehr als 20 Jahre lang bestimmt. Und dabei ein Eis angerührt, das nach gar nichts Spezifischem mehr schmeckt. Die schlammgraue Melange Merkel ist deshalb in letzter Zeit auch nicht sehr nachgefragt worden in der Eisdiele der Politik.

Der Mensch, so er kein Corona hat, ist aber ein sinnliches Wesen. Er möchte riechen, schmecken, fühlen. Die bedingungslose Elternliebe gründet nicht zuletzt in einem Duft, den Babys vor allem am Hinterkopf verströmen. Er ist unwiderstehlich. Jedes Elternpaar wird sein Kind sofort unter allen anderen Kindern an diesem Duft erkennen.

Die CDU mit und nach Merkel aber riecht und schmeckt nach allem. Und damit wieder nach nichts. Die Beispiele – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Jahrelang hat die CDU, hat allen voran die CDU-Vorsitzende Merkel, einer säkularen Predigt gleich, auf Parteitagsreden davon gesprochen, die Union sei geleitet vom jüdisch-christlichen Menschenbild. Es war wie ein Refrain, wie ein Psalm.

Die Reporter rollten schon mit den Augen. Und ohne dass man so genau wusste, was das konkret sein soll, stellte sich ein Gefühl ein. Ein Geruch. Etwas sinnlich Wahrgenommenes. Verhöhnt hat sie zu jener Zeit die grünen Asylfantasien und Multikulti-Freudengesänge.

Willkommenskultur ohne Vorwarnung

Und dann wurde mit diesem Credo abrupt und ohne jede Vorwarnung gebrochen. Der Islam gehörte auf einmal – zunächst laut Christian Wulff und dann Angela Merkel – auch zu Deutschland und damit zur Deutschlandpartei CDU. Es war ein einziger namhafter CDU-Politiker, der sich dieser neuen Doktrin öffentlich widersetzte. Das war ausgerechnet Merkels treuer Knappe Volker Kauder – eine Tat von Mannesmut vor dem Throne, die bis heute viel zu wenig gewürdigt wurde, öffentlich nicht und nicht in der eigenen Partei. Die CDU ist keine Partei der Helden.

Im Zuge dessen wurde ein zweites Credo getilgt, demzufolge es sich bei Deutschland dezidiert um kein Einwanderungsland handele. Die Folge der Merkelschen Politik der offenen Arme in der Flüchtlingskrise bewirkte das Gegenteil.

Nur, dass Deutschland und die CDU nun Einwanderung (die es ja offiziell nicht gab) nicht gestalteten, sondern erlitten. Mit der Folge, dass der Islam noch mehr zu Deutschland gehört. Der Anteil der Muslime hierzulande ist inzwischen nach Frankreich der höchste in Europa, noch vor Großbritannien. Und beides sind klassische Kolonial- und Einwanderungsländer.

Das geschah in kurzer Zeit – ohne dass Merkel oder die CDU die Bevölkerung in irgendeiner Weise darauf vorbereitet hätten. Die Wehrpflicht hat Merkel weggewischt wie einen Kaffeefleck auf dem Küchentresen. Die Kernkraftwerke wurden schneller abgeschaltet, als sich die Grünen und Jürgen Trittin, der Ingenieur des Ausstiegs, das je hätten träumen lassen – mit all den Folgen und Kosten, die sich jetzt zeigen.

Bei der Asylpolitik war es genauso. Die von ihr vormals verhöhnten Grünen konnten gar nicht genug Beifall klatschen, als die Wogen über Merkel nach deren Kontrollverlust zusammenschlugen. Von den offensichtlichen Begleiterscheinungen reden heute weder sie noch Merkel.

Es geht in diesem Zusammenhang gar nicht darum, wie man inhaltlich zu diesem oder jenem Punkt steht. Es geht darum, dass das alles zum Wesenskern der CDU gehörte (und nicht aus Nostalgie, sondern mitunter auch aus guten Gründen, wie sich heute zeigt). Über die Jahre wurde diese Partei von ihrer regierenden Parteivorsitzenden regelrecht entkernt, wenn es – und vor allem: weil es – ihrem Machterhalt diente. Oder weil sie eine massive Fehlleistung nicht mehr korrigieren wollte. Manches davon ging auch auf die Knochen dieses Landes. Aber alles ging auf die Knochen der CDU.

Fehlendes Vermächtnis

Armin Laschet, der neue Parteivorsitzende und wahrscheinliche nächste Kanzler, steht in der CDU vor einer Riesenaufgabe. „Wer bin ich?“, fragt sich nach 20 Jahren Merkel die Partei – und nicht, wie viele. Eine Identität wäre ihr schon genug. Aber sie hat sie verloren.

Das macht sich nicht nur an Themen, sondern auch an Personen fest. Man muss Hans-Georg Maaßen nicht mögen und seine Standpunkte nicht teilen. Man darf ihn auch für etwas seltsam halten, denn er postet zunehmend krauses Zeug in den sozialen Netzwerken. Aber so jemand hätte in der CDU vor Merkel ganz selbstverständlich Halt gefunden und wäre vor dem Abdriften bewahrt worden.

Jetzt muss sich der Thüringer Landesverband rechtfertigen, weil er Maaßen in einem Wahlkreis aufstellt. Das ist eine groteske Entwicklung: Denn zum selbstverständlichen Personal der CDU gehört zugleich Karin Prien, die Kultusministerin von Schleswig-Holstein. Er wird geächtet, sie wird gefeiert.

Dabei hat sich Karin Prien seinerzeit in der Tür vertan, als sie wie Merkel nach einer politischen Bleibe fürs Leben suchte. Die erste Silhouette von einer CDU nach Laschets Bilde, das Wahlprogramm, lässt erkennen, dass er sich vornimmt, den konservativen Kern der Partei wieder zu stärken.

Und was bleibt von der CDU? Vergeblich sucht man irgendein echtes reformerisches Erbe, das von Merkel bleiben würde. Einen Stempel, den sie in positiver Hinsicht diesem Land aufgedrückt hätte in ihrer Amtszeit – einer Ära, wie man nach 16 Jahren Kanzlerschaft und 20 Jahren CDU-Vorsitz ruhig sagen darf. Gerhard Schröder, ihr Vorgänger, hatte sich mit der Agenda 2010 in ihren eigenen Worten ums Land verdient gemacht. Seine Partei hat ihn deshalb für vogelfrei erklärt. Schröder sei die „Abrissbirne“ der SPD, hat Andrea Nahles einmal gesagt.

Mag sein. Aber er war der Aufschwinger dieses Landes, das nach seinen Reformen die längste und ungebrochenste Boomphase je erlebt hat. Wenn Schröder also die Abrissbirne der SPD ist, dann ist Merkel der Harvester der CDU. Harvester sind diese Ernte-Ungetüme, die im Wald in Sekunden aus riesigen verästelten Fichten und Kiefern zahnstocherförmige Stangen machen. Und leider hat sie nirgendwo die sonst so beliebten Ausgleichsflächen im Land oder in der Partei geschaffen, auf denen wieder aufgeforstet würde.

Die drängenden Zukunftsfragen, Rente und Pflege, das bewahrende Vorsorgeversprechen für die Zukunft, das Norbert Blüm etwas zu sehr auf die Spitze trieb, gehörte einst auch zum Wesenskern der CDU. Und jetzt? Nichts in Sicht weit und breit.

Vor Jahren hat der Karikaturist Sakurai drei Kanzler mit ihren Vermächtnissen gezeigt. Links war Helmut Kohl zu sehen, mit diesem selbstseligen Blick, den er haben konnte, hinter ihm das vereinigte, an der Trennlinie vernähte Deutschland. In der Mitte Gerhard Schröder, das Habsburgerkinn schröderesk gereckt, und hinter ihm die Agenda 2010. Und ganz rechts Angela Merkel, bedröppelt dreinblickend, hinter ihr ein zerquetschtes Auto auf einem Podest. Es war die Zeit der Abwrackprämie. An der Treffsicherheit dieser Karikatur hat sich nichts geändert. Außer dass man statt des Autowracks die zerdetschte CDU einsetzen könnte.

Christoph Schwennicke war Chefredakteur von „Cicero“ und arbeitet als freier Journalist und Geschäftsführer von Corint Media




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