Samstag, 12. Juni 2021

Die Grünen haben ein Antisemitismusproblem...

von Thomas Heck...

Die letzte Version des Lebenslauf Annalenas Baerbocks ist noch nicht richtig getrocknet, da kommt das nächste Ungemach auf die Grünen zu. Diesmal in der Gestalt eines vermeintlich starken Zugpferds für den grünen Wahlkampf. Carolin Emcke, die selbstverliebte und äußerst arrogante Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels und Trägerin des Carl von Ossietzky-Preis, die schon den Sohn Donald Trumps am liebsten einer Pflegefamilie zuführen wollte. Wir hatten hierüber vermutlich als einzige in Deutschland berichtet.

Nun könnte sich dieses Zugpferd als ziemlich lahmer Klepper herausstellen, hat doch ausgerechnet die unfehlbare Carolin Klimarforscher mit verfolgten Juden verglichen. Eine ziemliche Chuzpe einer linken "Israelkritikerin", die gerne auch mal kräftig gegen Israel austeilt und eine Nähe zur antisemitischen BDS-Kampagne pflegt. Genauso schlimm, ist die fehlende Resonanz der grünen Führungsriege, allen voran Baerbock und Habeck, die der rede Emckes ehrfürchtig lauschten und einer Katrin Göring-Eckhardt, die die Rede sogar ausdrücklich lobte. Man muss konstatieren: Die Grünen haben ein Antisemitismus-Problem. Warum zur Hölle muss das Leid der Juden als ultimatives Argument für grüne Politik herhalten?


Carolin Emcke hat auf dem Grünen-Parteitag Kritik an Klimaforschern in einen Zusammenhang gebracht mit dem Leid der Juden in Deutschland. Diese Ungeheuerlichkeit beschädigt nicht nur Emcke. Sondern auch die, die ergriffen lauschten: Robert Habeck und Annalena Baerbock. 

Auf dem Bundesparteitag der Grünen hielt die bekannte und vielfach ausgezeichnete Publizistin Carolin Emcke eine Rede, in der sie über den kommenden Wahlkampf sagte: „...vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministinnen oder die Virologinnen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“

Dieser Satz ist ungeheuerlich, und zwar nicht ausschließlich deshalb, weil er dazu geeignet ist, sachliche und journalistische Kritik an Forschern, die die Wahrheit weder gepachtet haben noch gepachtet haben können, zu unterdrücken.

Sondern vor allem, weil er, wie man es auch dreht und wendet, das Leid der Juden in diesem Land in eine Reihe stellt mit Kritik an und auch Zorn und Drohungen gegen Virologen und Klimaforscher. Die Aufzählung der Gruppen in einem Satz wird umso absurder, wenn man sich konkret erinnert, um was es geht: Vernichtungslager, Todesmärsche, Massenmorde vor knapp 80 Jahren. Heute findet offener Judenhass massenhaft auf deutschen Straßen statt, häufig von Rechtsextremen, zunehmend von Migranten.

 

 

Kein Virologe, kein Klimaforscher, so heftig und verurteilenswert die Angriffe auf sie in Einzelfällen sind, muss so etwas erleben, keiner von ihnen blickt auf eine solche Geschichte zurück. Die Phänomene auch nur in einen Zusammenhang zu stellen, bedeutet entweder, unfassbar nachlässig zu formulieren oder eine bewusste Grenzverschiebung zwischen den Zeilen zu ermöglichen: das Leid der Juden als ultimatives Argument für grüne Politik. Für nachlässige Formulierungen ist die Preisträgerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels nicht bekannt.

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen schrieb nach der Rede öffentlich: „Danke an Carolin Emcke für eine große Rede für Aufklärung, für Wahrheit, die zumutbar ist, für die Wirklichkeit.“ Göring-Eckardt ist offensichtlich interessiert daran, die nächste deutsche Bundespräsidentin zu werden.


 


Man stelle sich vor, ein konservativer oder rechter Publizist hätte das Leid der Juden in einer solchen Aufzählung bagatellisiert, eine konservative oder rechte Parteispitze hätte ergriffen gelauscht, der oder die Fraktionsvorsitzende applaudiert. Vor ein paar Wochen wurden Hans-Georg Maaßens Äußerungen über „Globalisten“ zu Recht sehr kritisch diskutiert. Vor wenigen Monaten hagelte es, ebenfalls zu Recht, Häme für „Jana aus Kassel“, die junge Frau, die sich auf einer Querdenker-Demonstration unerträglicherweise in der Tradition von Sophie Scholl sehen wollte. 

Eine solche Debatte ist nun notwendig über die Worte von Frau Emcke, den Applaus von Frau Göring-Eckardt, das ergriffene Lauschen von Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Erschienen in der WELT...

 


Wenn Hohepriester Elitenkritik für eine ganz schlechte Sache halten

Die Debatte um Carolin Emckes Verwendung des Wortes "Juden" beißt sich an einer Nebenfrage fest. Auch ohne diesen Begriff wäre ihre Rede autoritär und antiaufklärerisch gewesen. Damit passt sie allerdings gut in die Zeit 

IMAGO / Klaus W. Schmidt 
Carolin Emcke erhielt im Juli 2020 den Verdienstorden von Nordrhein-Westfalen

Debatten führt das wohlmeinende Milieu in Deutschland hauptsächlich zu dem Zweck, die Hausordnung dort wieder herzustellen, wo sie nie ernsthaft gefährdet war, nämlich in der eigenen Oberstube. Als wichtigstes Mittel dazu dient die Begriffsexegese. Denn die lässt sich so durchführen, dass im eigenen intellektuellen Haushalt garantiert kein Zierteller von der Wand fällt. Wenn fast zur gleichen Zeit ein Mob vor einer Synagoge steht und „Scheißjuden“ brüllt, und ein CDU-Politiker von „Globalisten“ spricht, dann weiß der Kenner schon, welcher Frage sich die meisten Wohlmeinenden in Deutschland mit Nachdruck zuwenden: Nämlich der Frage, ob es sich bei dem Politiker um einen strukturellen und verdeckt operierenden Antisemiten handelt. Ein Redakteur des Spiegel gab zu bedenken, dass der Betreffende seine Signale so strukturell und klandestin aussendet, dass er selbst nichts davon merkt. 

BAERBOCK & HABECK SCHWIEGEN
Grünen-Parteitag: Rednerin vergleicht Klimaforscher mit verfolgten Juden
Unmittelbar nach dem Grünen-Parteitag lief dieser Diskursprozess rückwärts. Es gab eine Passage in der Rede der als Gast zugeschalteten Publizistin Carolin Emcke, in der es – anders als bei Maaßen –  auch um den Begriff Juden ging, eingebettet in einen sogenannten Kontext.

Und dieses Mal muss durch die Auslegungsexperten nachgewiesen werden, dass es sich nicht um ein Code- und Signalwort handelt, nicht um einen doppelten Bedeutungsboden, sondern im Gegenteil um einen böswillig aus dem Zusammenhang gerissenen Begriff. Die Passage, um die es geht, lautet: 

„Die radikale Wissenschaftsfeindlichkeit, die zynische Ausbeutung sozialer Unsicherheit, die populistische Mobilisierung und die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt werden bleiben. Es wird sicher wieder von ‚Elite’ gesprochen werden und vermutlich werden es dann nicht die ‚Juden’ und ‚Kosmopoliten’, nicht die ‚Feministinnen’ und ‚Virolog*Innen’ sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscher*Innen.“  

Der Kontext, in dem bekanntlich alles zu sehen ist, gibt leider nicht her, wer radikaler Wissenschaftsfeind ist, zynisch ausbeutet, mobilisiert, von Elite in Anführungszeichen spricht und vor weiteren teils gegenderten, teils ungegenderten Personengruppen warnt. Ressentiment, Gewalt, Sprechen und Warnen – alles sehr verschiedene Dinge – fließen in dieser Passivkonstruktion zu einem einzigen Sulz ineinander.

Die Kritik an Emcke und dem zuhörenden Spitzenpaar Annalena Baerbock und Robert Habeck entzündete sich bekanntlich daran, dass ein ungenannter Feind Elitenkritik üben wird, dann aber nicht wie früher vor Juden und Kosmopoliten warnen will, sondern vor Klimaforschern. Der Satz fädelt also Juden, Kosmopoliten und Klimaforscher auf die gleiche Schnur. Er vergleicht nicht, er sagt nicht, Klimaforscher würden heute so verfolgt wie Juden früher, suggeriert aber, diejenigen, die heute etwas gegen Klimaforscher vorbringen würden, ähnelten den früheren Judenfeinden. Was Emcke sagt, suggeriert also, rührt zusammen, reiht Signalwörter auf. Eine deutlich die Judenverfolgung bagatellisierende Aussage gibt es trotzdem nicht, und zwar aus einem Grund: Dem Satz fehlt von vornherein jede deutliche Aussage. Seine Satzglieder hängen schief aneinander wie die Waggons eines entgleisten Zuges. Das macht es den wohlmeinenden Exegeten leicht, Carolin Emcke gegen den Vorwurf des rhetorischen Spieltricks zu verteidigen. Jedenfalls kostet es weniger Mühe, als in Maaßens ‚Globalisten’ Spurenelemente von Antisemitismus nachzuweisen. Diejenigen aus Medien- und Politikbetrieb, die sich gerade darum bemühten, den CDU-Politiker zum Kryptoantisemiten zu machen, und sich jetzt darüber beklagen, Emckes Wort würde aus dem Kontext gerissen, erinnern ein bisschen an Capitain Renault in „Casablanca“, der in seinem Stammcasino ausruft, als die Razzia beginnt: „Ich stelle fest, hier wird Glücksspiel betrieben. Ich bin entsetzt, schockiert“, während er sich schnell seine Jetons in die Tasche stopft. 

Auch ohne Verwendung des Wortes ‚Juden’ wäre Emckes Satz ein intellektueller Unfall. Seit einiger Zeit gehört es zu den festen Bestandteilen in linksmoralischen Reden, Kritik an Eliten als etwas Ungehöriges und Gefährliches zu brandmarken. Schon 2018 warnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer auch sonst bizarren Rede vor „selbsternannten Kämpfern gegen die sogenannten ‚Eliten’“, wobei er nicht mitteilte, wer in seiner Welt Antielitekämpfern die Ernennungsurkunden ausstellt. Bei einer anderen Rede meinte er: „Neue Nationalisten verbreiten die Theorie, dass sich die sogenannten Eliten und die Medien gegen das Volk verschwören.“ 

Der Soziologe und Eliteforscher Michael Hartmann, um das kurz einzufügen, ist tatsächlich der Ansicht, die westlichen Eliten hätten sich heute stark von der Gesamtgesellschaft entfernt. Hartmann steht politisch links; nach Steinmeier wäre er ein „neuer Nationalist“. 

Die „Bundeszentrale für Politische Bildung“, die sich immer mehr zu einer ideologischen Agitprop-Plattform wandelt, zählt Elitekritik zu den Wesensmerkmalen des Populismus; sie spricht von einer „Aversion gegen die ‚Bevormundung’ des Volkes durch Funktionseliten“ und lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Aversion für das Problem hält. Nach genau diesem Muster warnt also auch Emcke, Kritik an Eliten sei eine hochbedenkliche Sache. 

Nun handelt es sich bei Elitenkritik um den Streitmodus von Gesellschaften schlechthin. Überall gibt es ein soziales und politisches Oben und Unten. Zu allen Zeiten neigten diejenigen, die oben sitzen, dazu, ihren Anspruch entweder von Gott abzuleiten, von der eigenen edlen Abstammung, heute eher von der Wissenschaft beziehungsweise einem globalen Auftrag wie dem Klimakampf, aber  jedenfalls immer von einer absoluten und unhintergehbaren Institution. Und zu allen Zeiten gab es Leute, die an dieser Ableitung etwas auszusetzen hatten. Wie groß die Aversion ausfällt, hing ebenfalls zu allen Zeiten nicht zuletzt vom Verhalten dieser Eliten ab. Das Mitglied eines Hamburger Millionärsclans, das schon die ganze Welt per Langstrecke bereist hatte, um dann der Welt zu erklären, dass Kurzstreckenflüge abgeschafft und der Autoverkehr halbiert gehören, eine solche Person hätte in allen Epochen einen gewissen Widerwillen beim  Pöbel erregt.

Screenprint via Twitter / Luisa Neubauer

Kritik der Eliten nach Unten gab es ebenfalls zu allen Zeiten, nämlich in Gestalt der Aufforderung, Eliten nicht zu kritisieren und sich unbedingt an die moralischen Gebote zu halten, die weiter oben zu allen Zeiten, wie man heute sagt, situativ gehandhabt wurden. 

Elitenkritik war früher das selbstverständliche Metier der Linken, wobei die Betreffenden wenig zimperlich vorgingen, beispielsweise Frank-Walter Steinmeier, als er noch in Beiträgen für eine aus Honeckers Kasse finanzierte Zeitschrift Klassenkampf betrieb. Dass er jetzt als Politiker an der Staatsspitze Elitekritik für eine sehr ungute Sache hält, ist noch ein bisschen unorigineller als jede Bundespräsidentenrede. 

Die Ansicht, dass Eliten Kritik ertragen müssen, ist gerade eine Frucht der Aufklärung

Wie Steinmeier und viele andere gehört Emcke selbst zur Funktionselite dieser Gesellschaft, tut aber so, als befände sie sich in einer gefährdeten Position am Rand und sei durch Kritik bedroht. In ihren Sätzen auf dem Grünen-Parteitag begeht sie auf den ersten Blick einen klassischen Kategorienfehler. Auf den zweiten Blick handelt es sich aber um keinen Fehler, sondern um Absicht, wenn sie „Feministinnen, Virolog*Innen und Klimaforscher*Innen“ als Kollektive behandelt, die sie nicht sind. In der Corona-Pandemie gab es bekanntlich heftigen Streit zwischen Virologen und anderen Wissenschaftlern über den Sinn und Unsinn staatlicher Maßnahmen.  Die Auseinandersetzung zwischen klassischen Feministinnen wie Alice  Schwarzer und „intersektionellen Feministinnen“, die Schwarzer als „Rechtsfeministin“ schmähen, übertrifft in ihrer Erbitterung und Bösartigkeit (von Seiten der intersektionellen) bei weitem alle pauschalen Attacken auf Feministinnen allgemein. Mag sein, dass irgendjemand Klimaforscher in toto angreift. Spielt das eine gesellschaftliche Rolle?

Interessant sind die sehr grundlegenden Meinungsunterschiede zwischen einem Apokalyptiker wie Joachim Schellnhuber und einer Forscherin wie Judith Curry, die skeptisch auf die Erklärungskraft von Klimamodellen schaut. Wer so tut, als würde es sich jeweils nur um etwas wie wie Glaubensgemeinschaften handeln, die Nichtgenannte mit „Ressentiment und Gewalt“ (Emcke) unterschiedslos bedrohen, der will vor allem nicht über die tatsächlichen Debatten beispielsweise zwischen Wissenschaftlern reden. Er will nicht nur selbst nicht darüber reden, sondern auch, dass möglichst überhaupt niemand darüber spricht. Die Benutzung des Signalworts ‚Juden’ ist da nur noch eine Extrazutat. Wer konstruierte Gebilde wie die Wissenschaftoder den Feminismus kritisiert, aber auch und vor allem, wer einzelne Vertreter der linksmoralischen Kaste nicht ohne weiteres als Priester anerkennt, soll mit diesem rhetorischen Trick auf eine moralische Stufe mit Antisemiten gedrückt werden. Das verkündet Emcke wie gesagt nicht explizit, weil explizites Reden nicht ihre Sache ist. Aber sie weiß wie eine Hütchenspielerin genau, welchen Subtext sie hin und her bewegt. Sie benutzt die gleiche Methode wie kürzlich die Vorsitzende der Amadeo Antonio-Stiftung Anetta Kahane, die vor der Bundespressekonferenz verkündete, Kritik beispielsweise an Bill Gates sei „Verschwörungstheorie“ und „strukturell antisemitisch“; ihr Zirkelschluss lautete: Kritik an Gates ist verschwörungstheoretisch, Antisemitismus ist im Kern eine Verschwörungstheorie (was tatsächlich zutrifft), also ist jeder, der etwas gegen den Microsoft-Gründer vorbringt, ein abgeleiteter Antisemit. 

Es dient der Klarheit des Denkens enorm, sich das Kategorienverhältnis bewusst zu machen, am besten mit dem Lehrsatz: Alle Dackel sind Hunde, aber nicht alle Hunde sind Dackel. Es gibt Verschwörungstheorien über und zu Bill Gates  – aber längst nicht jede Kritik an ihm ist eine Verschwörungstheorie. Es gibt eine Menge antisemitischer Aussagen über George Soros. Aber nicht jede Kritik an Soros ist antisemitisch. Es finden sich auch allgemein verschwörungstheoretische und antisemitische Töne in Äußerungen gegen Eliten. Das macht aber noch lange nicht jede Elitenkritik zu etwas Verschwörerischem und Antisemitischem. Es kommt auf die Kritik an.

Die Ansicht, dass Eliten Kritik an sich ertragen müssen, ist gerade eine Frucht der Aufklärung. Das gilt auch, wenn Elitenpositionen heute im Westen überwiegend linksmoralisch besetzt sind. Gates und Soros sind ohne Zweifel Personen, die nicht nur viel Geld in ihren Händen konzentrieren, sondern auch ungewöhnlich viel Macht. Dazu kommt, dass sie kein durch Wahlen gewonnenes Mandat besitzen. Kritik an Mächtigen ist das Kennzeichen offener Gesellschaften. Macht ohne Mandat eher nicht. 

In ihrer eingespielten Rede zum Grünen-Parteitag behauptet Emcke, Aufklärung und Rationalität zu verteidigen. Tatsächlich betreibt sie das exakte Gegenteil: Sie versucht, eine Funktionselite von Wissenschaftlern zu sakralisieren und die Kritik an ihr zu verketzern. 

ANNALENA BAERBOCK ALS TYPUS
Das Drama des unbegabten Kindes oder was die Grünen zum Geifern bringt
Ihr selbst fällt das möglicherweise nicht auf. Denn das, was die immer noch als „Habermas-Schülerin“ apostrophierte 54jährige Autorin von sich gibt, passt zwar mit ihren Klingelwörtern wunderbar in die linksautoritäre Zeitströmung, ist aber – das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden – über sehr weite Strecken allererbärmlichster unkonziser antiintellektueller Schrott. Und das nicht erst seit gestern. Kurz vor ihrem Auftritt bei den Grünen gehörte Emcke zu den Diskutanten einer SPD-Veranstaltung zu dem gut angedorrten Thema, wie sich die berühmten linken Mehrheiten finden lassen. In ihrem Schlusswort sagte sie folgendes, wörtlich transkribiert: 

„Wir müssen über die Frage nachdenken, was der Zusammenhang von Demokratie und Wahrheit ist. Wenn ich mir diese Fragen – wir können die Wohnungsfrage auch noch nehmen. Ich fang’ jetzt mal mit den Fragen an, dann würde ich sagen: Das sind Fragen, die eigentlich gemacht sind dafür, dass es linke Antworten darauf gibt. Denn alle diese Fragen sind Infrastrukturfragen, alle diese Fragen sind Fragen der Gemeinwohl-Orientierung, alle diese Fragen sind Fragen der – ja der Gerechtigkeit. Und insofern, wenn ich von der Problemstellungen ausgehe, würde ich sagen, die Probleme sind wie gemacht für progressive Mehrheiten und linke Antworten darauf. Ob die SPD das jetzt auch so sieht, kann ich nicht sagen, aber das wäre jetzt mal zumindest mein strategischer Shot.“

„Der Zusammenhang von Demokratie und Wahrheit“, was immer das ansonsten für eine Frage sein soll, ist also eine „Infrastrukturfrage“? Und von welcher Problemstellung geht sie nun nach diesem Begriffssoufflé aus Demokratie, Wahrheit, Wohnungsfrage, Infrastruktur und Gerechtigkeit aus? Was wären die linken Antworten respektive der strategische Shot darauf, wenn noch nicht einmal ihre Fragen als intakte Sätze daherkommen? Das ist jedenfalls exakt der gleiche Stil wie in ihrer Grünen-Parteitagsrede, nur noch ein bisschen konfuser. Es sieht so aus, als hätte sich die Autorin nie wieder davon erholt, dass sie 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihr Werk „Gegen den Hass“ bekommen hatte. Darin walzt sie auf 240 Seiten die Gedanken aus, dass es erstens eine gute Seite gibt, zu der sie selbst fraglos gehört, zweitens die anderen, die den Hass verbreiten, den sie überraschenderweise ablehnt, und drittens, dass fast alle Übel durch die Unterscheidung von wir und die zustande kommen. Dass es so etwas wie Hass auch in ihrem politischen Spektrum geben könnte, erwägt sie gar nicht erst. 

Ein berühmter Satz von Oscar Wilde lautet: „So etwas wie ein moralisches oder unmoralisches Buch gibt es nicht. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben. Das ist alles.“ 

Dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels gefiel es damals, den Satz von Wilde ins Gegenteil umzukehren. Allerdings: Verglichen mit „Gegen den Hass“ markieren Emckes Bemühungen, intellektuellen Glanz in die Hütten von SPD und Grünen zu zaubern, noch einmal einen erheblichen geistigen Abstieg, ja sogar die vorläufige Talsohle ihrer Laufbahn. Ihre Ansprache vor den Grünen lobte Katrin Göring-Eckardt als „eine große Rede für Aufklärung, für Wahrheit, die zumutbar ist, für die Wirklichkeit“. Was nur zeigt, dass die Frau, die sich als Bundespräsidentin für zumutbar hält, ebenfalls schon perfekt einen sinnlosen Wortauflauf zubereiten kann. 

Auf diesen Boden wächst gerade eine neue autoritäre Gesellschaft heran

Über das Klima im Land sagt es sehr viel, dass sich das Kommentariat an der Nebenfrage festbeißt, ob die Aufreihung von ‚Juden’ in Emckes Rede vertretbar, antisemitsmusverharmlosend oder sogar antisemitisch war, und dabei die zentrale Frage übersieht, willentlich oder aus Unvermögen, dass ihre Botschaften antiaufklärerisch und autoritär sind. Und dass sie es auch ohne das Wort ‚Juden’ wären. Mit ihrer Antiaufklärung steht sie nicht allein. Wer ein ganz ähnliches postdemokratisches Geklapper lesen will, muss nur in den Werbetext zum Buch von Charlotte Annalena Alma Baerbock „Jetzt“ schauen: 

„Jede gute Politik beginnt damit, sich der Wirklichkeit zu stellen. Die Dinge, die sind, anzuerkennen, um sie zu verändern. Aber sie darf damit nicht enden. Statt wie bisher als allererstes die ängstliche Frage zu stellen: ‚Oh je, geht das überhaupt?’, sollten wir uns fragen: Was muss getan werden, damit das Nötige möglich wird? Darüber habe ich ein Buch geschrieben.“

Doch, „geht das überhaupt?“ gehört zu den ersten und wichtigsten politischen Fragen, jedenfalls in westlichen Gesellschaften, die noch nicht in der Postdemokratie angekommen sind. Wer diese Grundfrage als ängstlich beiseiteschieben und gar nicht debattieren will, sondern stattdessen das Nötige beschwört, bei dem alle mitmachen müssen, der harmoniert natürlich bestens mit Leuten, die Elitenkritik schlimm finden, seit sie selbst zur Funktionselite gehören, und als Verschwörungstheorie beschreien, was ihnen nicht passt. Vor allem ist der- oder diejenige ein lupenreiner Postdemokrat. Die Frage nach der Praktikabilität von Politik für falsch und schlecht zu erklären, das ist Okkultismus, Voluntartismus, Dummheit – und das Gegenteil von Rationalität 

In diese Riege fügt sich auch die von der Kanzlerin gelobte und preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ein, die kürzlich in einem Interview mit RND meinte: „Streiten können wir natürlich immer. Aber es wäre toll, wenn wir weniger über das diskutieren, was bereits als sichere wissenschaftliche Erkenntnis gilt.“ 

Vor der Relativitätstheorie galt die Ausschließlichkeit der Newton’schen Physik als sichere wissenschaftliche Erkenntnis, vor der modernen Medizin die Körpersäftelehre. Auch zur Notwendigkeit der Euthanasie gab es einmal einen breiten wissenschaftlichen Konsens, von dem Schweizer Sozialisten Auguste Forel bis zu amerikanischen Ärzten. Fast jede neue wissenschaftliche Erkenntnis entstand bei der Zertrümmerung einer alten, die einmal galt. Bis vor kurzen galt noch die Ansicht als praktisch unerschütterbar, das SARS-CoV-2-Virus könnte unmöglich aus einem Labor stammen, und jede andere Vermutung als irre Verschwörungstheorie.

Maaßens Bundestagskandidatur: Chemnitzer Hetzjagd-Legende, Teil II
In genau dieses Horn, bestimmte Aussagen von Wissenschaftlern für undiskutierbar zu erklären, tutete kürzlich auch ein Zeit-Autor. Das Diskutieren einschränken – natürlich nur bei den gerade nützlichen wissenschaftlichen Ansichten – , Wissenschaftler zu Priestern befördern, wenn sie das eigene Milieu stützen, Eliten nicht mehr befragen, wenn es die richtigen sind: Auf diesem Boden wächst gerade eine neue autoritäre Gesellschaft von Leuten heran, die frei nach Gerhard Polt sagen: „Ich brauch keine Opposition, weil ich bin schon so reflektiert.“ 

Allerdings meinen sie das nicht als Witz. 

Auch alle wirklichen Fortschritte wurden natürlich gegen frühere Eliten und Mehrheitsmeinungen durchgesetzt. Als William Wilberforce begann, sich gegen die Sklaverei einzusetzen, gehörte er zu den Außenseitern. Er trat unter etwas anderen Bedingungen an als die Wohlmeinenden, die mehr als 200 Jahre nach ihm die Sklaverei moralisch verdammen, allerdings nur die längst abgeschaffte Sklaverei des Westens, nicht die in muslimischen Ländern, die immer noch existiert. 

Das – die selbstgefällige Abwicklung von Aufklärung und Kritik durch eitle Vorbeter – müsste heute ein großes öffentliches Thema sein. Stattdessen gibt es dort im angestammten intellektuellen Milieu eine riesige Leerstelle. Die Debatte findet allenfalls an den Rändern statt. Anders ginge es aber auch schlecht in einem Land, in dem Leute wie Emcke, Precht, Hirschhausen, Nguyen-Kim und eine Menge von publizistischen Putzerfischen die öffentlichen Gedankengänge verstopfen. 

Dieses Milieu würde vermutlich auch Kants Aufsatz „Was ist Aufklärung“ als krude und gefährlich geißeln, wenn er jetzt noch einmal erschiene. Sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen – unerhört. So spricht der Verschwörungstheoretiker, der behauptet, es gebe überhaupt Leute, die den Verstand von anderen leiten wollen. Die gibt es natürlich nicht. Diesen Merksatz, an dem nicht zu zweifeln ist, wiederholen wir jetzt alle. 

Eine Professur könnte sich der Mann heute abschminken. 

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