Samstag, 17. August 2019

„Aber melde Dich, wenn die Israelis zurückschlagen“

von Stefan Frank...


Die Internetredaktion von Deutschlandfunk und DeutschlandRadio hat eine Schlagzeile geändert, nachdem Mena Watch sie auf deren irreführenden Charakter aufmerksam gemacht hatte. Die Überschrift zu einem Artikel über das versuchte Eindringen von Terroristen nach Israel hatte ursprünglich gelautet:

„Vier Palästinenser an der Grenze zum Gazastreifen getötet.“ 

Jetzt steht dort:

„Vier bewaffnete Palästinenser an der Grenze zum Gazastreifen getötet.“ 


Das ist ein riesiger Unterschied. Im ersten Fall könnte man auf die Idee kommen, dass Unschuldige getötet worden seien – womöglich gar deshalb, weil sie Palästinenser sind. Wird nur ein Minimum an Hintergrundinformation hinzugefügt – eben die Information, dass es sich um Bewaffnete handelte –, erscheint die Nachricht hingegen in einem ganz anderen Licht. In welchem Licht sie eigentlich zu sehen ist, zeigt der Artikel der Jüdischen Allgemeinen, die über denselben Vorfall ganz anders berichtete. Dort lautete die Schlagzeile: „Es wurde wohl ein sehr großer Anschlag verhindert.“ (Der Satz ist durch Anführungsstriche als Zitat gekennzeichnet) Weiter heißt es:

„Bereits am Samstag starben an der Gaza-Grenze vier bewaffnete palästinensische Terroristen bei einem versuchten Anschlag auf Israel. ‚Es wurde wohl ein sehr großer Anschlag auf Israel verhindert‘, sagte der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus zu dem Vorfall, für den er die Hamas verantwortlich machte. Alle vier Angreifer hätten Uniformen getragen und seien mit Kalaschnikow – Sturmgewehren des Typs AK 47 – bewaffnet gewesen. Die Gruppe habe auch eine Panzerfaust und Handgranaten bei sich gehabt. Es sei zu einem Schusswechsel gekommen, einer der Palästinenser habe auch eine Granate auf die Soldaten geworfen.“

Wie berichtete demgegenüber der Deutschlandfunk? Auf die Schlagzeile von den „getöteten Palästinensern“ folgt eine an sich nicht falsche Darstellung des Vorfalls:

„In einer Erklärung der Armee hieß es, die Männer hätten sich bewaffnet der Grenze genähert. Nachdem einer von ihnen den Grenzzaun überquert habe, hätten israelische Soldaten geschossen. Auf die Soldaten sei eine Granate geworfen worden, hieß es weiter. Verletzte auf israelischer Seite gab es demnach nicht.“

Es fehlen indessen unverzichtbare Angaben wie die, dass es sich um Uniformierte handelte, die mit Kriegswaffen – Sturmgewehre und Panzerfäuste – bewaffnet waren und die offenbar einer Hamas-Einheit angehörten. Die dürftigen Angaben des Berichts könnten den Leser glauben lassen, dass es sich um lediglich leicht bewaffnete Zivilisten gehandelt haben könnte, um Hooligans. Die „Granate“, die geworfen wurde, könnte womöglich ein Blindgänger gewesen sein. Der Bericht wurde der Schwere des Vorfalls somit in keiner Weise gerecht.

Eine Geschichte von Massakern an Zivilisten

Der Zusammenhang, in den der Vorfall zu stellen wäre, ist, dass es seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 immer wieder Massaker an israelischen Zivilisten gibt, verübt von Terroristen, die aus den Nachbarländern – und seit dem Oslo-Prozess auch aus den Palästinensischen Autonomiegebieten – unbemerkt nach Israel eindringen. Einige Beispiele:
Das Massaker von Ma’alot, bei dem im Mai 1974 22 Kinder einer Grundschule in Galiläa von aus dem Libanon kommenden Terroristen der DFLP ermordet wurden, dazu neun Erwachsene. Es gab 68 Verletzte.
Das Küstenstraßenmassaker, bei dem im März 1978 Terroristen der Fatah nördlich von Tel Aviv 39 Menschen ermordeten und 71 verletzten. Um die hauptverantwortliche Terroristin, Dalal Mughrabi, betreibt die Fatah bis heute einen Heldenkult.
Das Massaker in der Sbarro-Pizzeria in Jerusalem im August 2001 (16 Tote, darunter acht Kinder, 130 Verletzte), verübt von Terroristen der Fatah unter Leitung von Ahlam Tamimi, die das Restaurant ausgesucht hatte, weil es von vielen jungen Familien mit Kindern besucht wurde.
Das Massaker am Busbahnhof Tel Aviv im Januar 2003, verübt von Terroristen der Fatah (23 Tote, über hundert Verletzte).
Das Massaker im Park Hotel Netanja im März 2002, verübt von Terroristen der Hamas (23 Tote, 140 Verletzte).

Auch auf die Grenzübergänge zwischen dem Gazastreifen und Israel, über die Bewohner des Gazastreifens ein- und ausreisen und versorgt werden, werden immer wieder Terroranschläge verübt. Seit Jahren versuchen Terroristen zudem regelmäßig, die Grenzanlage zu durchbrechen, um Massaker wie die oben genannten in den israelischen Dörfern zu verüben, die nahe der Grenze zum Gazastreifen liegen. Auf der Landkarte kann man sehen, dass das israelische Dorf Netiv HaAsara (842 Einwohner) nur wenige hundert Meter von der Grenze zu Gaza entfernt ist, das gleiche gilt für Nahal Oz (385 Einwohner). Gelingt es auch nur einem einzigen Terroristen, den Grenzzaun zu durchschneiden und unbemerkt nach Israel einzudringen, dann sind hunderte Menschen in höchster Gefahr. Nicht weniger als drei solcher Infiltrationsversuche gab es allein in den letzten sieben Tagen!

Terroranschlag statt Demonstration

Auch der israelische Soldat Gilad Shalit wurde 2006 bei einem Hinterhalt an der Grenze zum Gazastreifen entführt und über fünf Jahre als Geisel gehalten, ehe er in einem – in Israel umstrittenen – Austausch gegen 1.027 in Israel inhaftierte Terroristen freigelassen wurde. (Eine der Freigelassenen war die genannte Ahlam Tamimi, die heute unbehelligt in Jordanien lebt und sich über die Zahl der von ihr getöteten Kinder freut.)

Ein Terroranschlag also wurde verhindert. Das ist ein Grund zur Erleichterung. In welchen Zusammenhang aber stellt die Redaktion des Deutschlandfunks den Vorfall? Für sie handelt es sich nicht um einen vereitelten Terroranschlag, sondern um eine Art Demonstration. Der Artikel endet mit den Worten:

„Seit März 2018 demonstrieren Palästinenser an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel immer wieder gegen die Blockade des Küstenstreifens. Mehr als 300 Palästinenser und sieben Israelis wurden getötet.“

Korrespondenz mit dem Deutschlandfunk

Mena Watch (wo dieser Artikel zuerst erschien, Anm. d. Red.) schrieb eine E-Mail an die Redaktion des Deutschlandfunks:

„In den sozialen Netzwerken gibt es große Empörung darüber, wie der Deutschlandfunk darüber berichtet, dass vier schwerbewaffnete Terroristen der Hamas versucht haben, nach Israel einzudringen – mutmaßlich mit dem Ziel, dort schwerste Terroranschläge auf jüdische Zivilisten zu verüben. Es geht um diesen am 11. August erschienenen Text. Während fast alle andere Journalisten darüber berichten, dass die Angreifer uniformiert waren, mit Kalaschnikows, Panzerfäusten und Handgranaten bewaffnet, und im Zuge eines Feuergefechts starben (s. etwa den Bericht der FAZ:), spricht der Deutschlandfunk vage von ‚Palästinensern‘, die ‚an der Grenze zum Gazastreifen getötet‘ worden seien.

Auch Zeitungen, denen noch nie jemand auch nur irgendeine Nähe zum Staat Israel unterstellt hat – wie etwa die britische Tageszeitung The Guardian und der Spiegel – haben schon in der Überschrift erwähnt, dass es sich bei den Getöteten um ‚Militante‘ handelte. Nicht so der Deutschlandfunk. Die Bewaffnung wird in der Überschrift gar nicht erwähnt, im Haupttext wird sie zwar erwähnt, aber nicht näher beschrieben. Die Information, dass es sich um Uniformierte handelte, fehlt völlig. Stattdessen rückt der Deutschlandfunk dieses militärische Gefecht in einen Zusammenhang mit ‚Demonstrationen‘ (!). Es ist völlig unklar, was den Redakteur dazu bewogen hat, einen Zusammenhang zu Demonstrationen – laut Art. 8 Grundgesetz sind das ‚friedliche‘ Versammlungen ‚ohne Waffen‘ – herzustellen. Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. 

Der Eindruck, den Sie mit der Schlagzeile, der lückenhaften Berichterstattung und der falschen Kontextualisierung erwecken, ist, dass die schwerbewaffneten und uniformierten Kombattanten harmlose, unschuldige Zivilisten gewesen seien, die von israelischen Soldaten ohne Not getötet worden seien, als sie sich gerade auf einer ‚Demonstration‘ befanden. Ist das wirklich Ihr Verständnis einer Demonstration? Warum lassen Sie relevante Informationen weg und erzeugen so ein falsches Bild? Arye Sharuz Shalikar, ein deutsch-israelischer Schriftsteller, ehemaliger Sprecher der israelischen Armee und Kolumnist für deutsche Tageszeitungen, spricht von einem ‚antisemitischen Artikel‘ und kommentiert auf seiner Facebookseite:

‚Das ist KEIN Journalismus! Das ist eine ABSICHTLICH verzerrte und verdrehte Darstellung eines gewaltsamen Zwischenfalles, in dem die Juden sich verteidigen, jedoch von einem deutschen Radiosender als der Aggressor dargestellt werden.'

Was sagen Sie dazu?“

„Ihre Kritik können wir nicht nachvollziehen”

Der Pressesprecher des Deutschlandfunks, Tobias Franke-Polz, antwortet:

„Unsere Nachrichtenredaktion hat den Sachverhalt an sich korrekt dargestellt. Die Redaktion teilt mir mit, dass sie den Umstand der Bewaffnung der Palästinenser nach interner Diskussion auch in die Überschrift genommen hat. Das können Sie hier nachvollziehen, wie auch die Tatsache, dass die Kolleginnen und Kollegen transparent gearbeitet und die Änderung offengelegt haben. Ihre Kritik an der Hintergrundinformation zur Blockade des Gazastreifens können wir nicht nachvollziehen. Sie argumentieren mit internationalen Medien im Vergleich – auch andere Medien ordnen den Vorfall ein. Die NYT schreibt in ihrem Beitrag: „Israel pulled its troops and settlers from the territory in 2005 but keeps the enclave under a blockade, citing security concerns. Tensions along the border are high, with frequent fatalities.”

Ende der Antwort. Die gute Nachricht: Die Redaktion des Deutschlandfunks hat einen Fehler eingesehen und die Überschrift geändert. Die schlechte: Die Redakteure verstehen nicht, dass es abwegig und unmoralisch ist, einen versuchten Terroranschlag in einen Zusammenhang mit „Demonstrationen“ zu stellen – und so den Eindruck zu erwecken, die Terroristen seien ebenfalls „Demonstranten“ gewesen. (Dass die New York Times in dem von dem Sprecher des Deutschlandfunks angeführten Artikel von „Spannungen“ (tensions) schreibt, ist hingegen legitim, da dieser Begriff bei der Berichterstattung über bewaffnete Konflikte niedriger Intensität oft verwendet wird und keine Verharmlosung oder Täuschung darstellt).

Eine Demonstration ist ein friedlicher Umzug, um für eine politische Meinung zu werben. Ein Terroranschlag ist darauf gerichtet, Menschenleben auszulöschen. Wer mit Sturmgewehren, Panzerfäusten und massig Munition bewaffnet eine Staatsgrenze überquert, der geht nicht auf eine Demo, sondern führt Krieg.

Eine unselige Tradition

Die über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung des Falls besteht darin, dass eben dieser Kriegszustand in der Berichterstattung und der internationalen Meinungsarena immer wieder geleugnet wird, wenn es um Israel geht. Der Krieg wird zu Protesten umgedeutet, Kombattanten werden zu Demonstranten, also zu Zivilisten. Der Staat Israel wird an Maßstäben des Friedens gemessen und dafür gerügt, wenn er sich gegen militärische Angriffe militärisch zur Wehr setzt. Gewiss hat der Deutschlandfunk eine Antiterroroperation der israelischen Armee noch nie als Gegendemonstration bezeichnet.

Dann sollte er auch uniformierte Kombattanten der Hamas, die schwer bewaffnet und in mörderischer Absicht auf israelische Dörfer zusteuern, nicht in einem Atemzug mit „Demonstrationen“ nennen. Zudem haben Israelis es wie alle Menschen verdient, dass eine so akute Gefährdung ihres Lebens, wie sie zweifellos vorlag, in einem Bericht nicht mit Schweigen übergangen wird. Dass in Israel „wohl ein sehr großer Anschlag verhindert“ wurde, ist für die Jüdische Allgemeine die Hauptnachricht, die in der Überschrift steht. Der Deutschlandfunk erwähnt dies mit keinem Wort.

Das steht in einer unseligen Tradition. Peter Finkelgrün, ein ehemaliger Redakteur und Auslandskorrespondent der Deutschen Welle, schrieb 2017 einen offenen Brief an Tom Buhrow, den Intendanten des WDR. Darin erzählte Finkelgrün unter anderem, wie er 1974 mit seiner Frau zu einem Besuch nach Israel fuhr und dort das Ma’alot-Massaker erlebte – und wie die Deutsche Welle darauf reagierte:

„Alle 21 Schüler kamen ums Leben. Es war noch nicht die Zeit der modernen technologischen Medien, und ich war mit einigen Schwierigkeiten in der Lage, bei meiner Redaktion im Funkhaus anzurufen und zu fragen, ob ich einen telephonischen Bericht durchgeben sollte. Der diensttuende Redakteur erwiderte: „Nein. Aber melde Dich, wenn die Israelis zurückschlagen.“
„Du fährst immer noch in dieses zionistische Gebilde?“

Heute, so Finkelgrün, könne er dem hinzufügen, dass er in den Jahrzehnten danach „Antisemitismus in den Kölner Rundfunkanstalten immer wieder erlebt“ habe.

„Sei es ein Abteilungsleiter der DW, der es für nötig befunden hatte, Interviewpartner von mir telefonisch mit den Worten ‚Achtung, Vorsicht, Jude‘ zu warnen. Sei es ein leitender Redakteur beim Kirchenfunk des Deutschlandfunks, der seine antisemitischen Vorbehalte nicht unterdrücken konnte. Seien es Redakteure des WDR, die die damalige Abteilungsleiterin des Frauenfunks, die mich öfters in Israel besuchte, auf den Fluren am Wallrafplatz mit Aussagen wie: ‚Du fährst immer noch in dieses zionistische Gebilde?' abkanzelten.“

Man sollte die Hoffnung, dass der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk sich ändern kann, trotzdem nicht völlig aufgeben. Der vorliegende Fall zeigt, dass es lohnt, die Verantwortlichen auf Fehler aufmerksam zu machen. Manchmal ist ein Fehler ein Versehen.

1 Kommentar:

  1. Mena-Watch

    Den habe ich lange gelesen.

    Was sie in diesem Artikel schreiben ist richtig....

    Aber Mena-Watch hat leider nicht überall die gleichen Standards die sie für Israel Förden, selber aber zum Beispiel bei ihrer Syreienberichterstattung nicht anwenden.

    Doppelstandards aber brauch ich nicht.

    Liest man dort etwas über Syrien, ist da nichts von Ausgewogenheit, sondern Subjektivität, Gift und Galle und auch schon mal Falschinformation.

    Ich habe Mena-Watch deshalb aus meiner Linkliste entfernt.

    Walter Roth

    AntwortenLöschen