von Thomas Heck...
Wer gestern abend sich Wahlanalysen der Landtagswahlen anschauen wollte oder musste, kam nicht umhin, sich an der einen oder anderen Stelle verwundert die Augen zu reiben. Da phantasierte Küstenbarbie Manuela Schweig von einem "klaren Wählerauftrag" für die SPD, während die Genossen noch die Scherben der Wahl zusammenzukehren zu haben. Kein Wort davon, dass die SPD an einer um die Grünen erweiterten Großen Koalition teilnehmen muss, um eine Regierung zu stemmen, obwohl die Lust auf die Groko auf Bundesebene schon lange vergangen ist und man doch lieber mit der SED-Nachfolgepartei und den Grünen koalieren würde.
Der CDU droht nun eine ähnliches Schicksal wie der Blockflötennachbarpartei SPD, sie wird sich mehr und mehr aufreiben, die Erosion an Wählern wird weiter fortschreiten. Während früher für die Union die Unterstützung einer Splitterpartei FDP für die Bildung eine stabile Regierung ausreichte, wenn nicht gar die absolute Mehrheit gegeben war, bedarf es heute einer SPD als Mehrheitsbeschaffer. Künftig werden SPD und Grüne zwingend benötigt. Perspektivisch wird noch die Linkspartei dazukommen müssen, um Mehrheiten zu generieren, nur weil man sich geniert, Ross und Reiter zu benennen und die AfD als den neuen und originären Koalitionspartner einer bürgerlich-konservativen Mehrheit anzuerkennen.
Doch das nicht ohne Grund, hat sich doch die CDU unter Merkel soweit von ihrer konservativen Wählerschaft verabschiedet und ist nach links gewandert, dass ihr in einer Koalition mit einer AfD das Schicksal eines untergehendes Juniorpartners ähnlich der SPD heute in der Groko drohen würde.
Der Höhenflug der Grünen scheint gestoppt, es ist und bleibt eine radikale Umweltpartei, die der breiten Masse schwer näher zu bringen ist. Die Grünen sind von einer Volkspartei so weit entfernt wie aktuell die SPD. Die feuchte Träume eines Kanzlers Volker Habeck sind zunächst ausgeträumt und das sieht man dem Mann auch an.
Für die amtierenden Regierungen gilt, noch mal Dusel gehabt. Mit Kenya, also Schwarz, Rot und Grün wird es wohl reichen, in 4 Jahren müssen halt die Linken noch unterstützen, doch danach wird es eng werden. Entscheidend bleibt die Frage, wie viel Luft die AfD noch nach oben hat. Insgesamt ist das politische Geschäft nicht leichter geworden. Dumm für Deutschland, welches eigentlich eine stabile Regierung dringend nötig hätte. Man stelle sich ein Wahlergebnis unter einer normalen Berichterstattung ohne öffentlich-rechtliche Hetze gegen die AfD und ihre Wähler, ohne Manipulationen über Wahllisten wie in Sachsen, vor. Der Staat hat alle Register gezogen, um die Wahl in seinem Sinne zu beeinflussen und ist dennoch krachend gescheitert.
Die Erosion der Volksparteien setzt sich bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg ungebremst fort. Einzig die Tatsache, dass die Spitzenkandidaten von SPD und CDU ihre Posten behalten können, verführt zu der Annahme, es sei gerade nochmal gutgegangen.
"Das Wochenende der Wahrheit", "Schicksalswahl", "Richtungswahl" - für die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg schien im Vorhinein kaum ein Attribut zu klein. Warum nochmal? Weil die AfD mit Rekordwerten in die Landtage in Dresden und Potsdam einziehen würde. Eine echte Überraschung ist das zwar nicht - Prognosen sagen Werte, wie sie heute erreicht wurden, seit Jahren voraus. Dass die AfD nun die zweitstärkste Partei in Sachsen und Brandenburg wurde, kam nicht unerwartet, ist aber dennoch eine historische Verschiebung der politischen Kräfte. Aber diesen Landtagswahlen wurde noch aus einem anderen Grund zugetraut, die Republik erschüttern zu können. Erstaunlich ist es, dass diese Erschütterung nun ausbleiben wird.
Sollte die SPD massiv abstürzen, werde das die parteiinterne Debatte um einen vorzeitigen Ausstieg aus der Großen Koalition massiv beschleunigen, hieß es. Dass die Sozialdemokraten in Sachsen auf ein einstelliges Ergebnis zusammenschrumpfen, war gewissermaßen eingepreist. Entscheidend war der Ausgang in Brandenburg: Bleibt die SPD stärkste Kraft, ist alles noch einmal gut gegangen. Landet sie hinter der AfD, könnte etwas ins Rutschen geraten.
Ähnlich war es bei der CDU. Ministerpräsident Michael Kretschmer wird voraussichtlich Ministerpräsident bleiben. Die Partei wird stärkste Kraft. Wäre er hinter der AfD gelandet, hätte möglicherweise nicht nur er seinen Hut genommen, sondern die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer gleich mit. Für die glücklose CDU-Vorsitzende wäre es die dritte Wahlniederlage in ihrer noch kurzen Amtszeit gewesen und hätte sich in eine ganze Reihe von Ereignissen eingefügt, die nicht wenige an ihrer Eignung als Parteichefin zweifeln lassen.
Aber aus Sicht von CDU und SPD ist ja alles noch einmal gut gegangen. Zur Erinnerung: In Sachsen holt die CDU 33 Prozent, das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. Mehr als sechs Prozentpunkte gibt die Partei ab. Die SPD trennen in Sachsen zweieinhalb Prozentpunkte von der Fünf-Prozent-Hürde.
"Der coolste Landesverband"
Im Brandenburger Landtag wird die CDU voraussichtlich 15 der 81 Sitze besetzen - die schwächste CDU-Fraktion aller Landesparlamente. Und auch die SPD, die noch in den 90er-Jahren die absolute Mehrheit im Potsdamer Landtag stellte, holt das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sind eine verdammt bittere Pille für SPD und CDU. Daran lässt sich eigentlich nicht viel schönreden.
Vertreter beider Parteien tun es trotzdem. Allein der Umstand, dass Dietmar Woidke und Michael Kretschmer höchstwahrscheinlich an der Macht bleiben, wird genutzt, die herben Verluste als Wahlsiege zu verkaufen. SPD-Vizekanzler Olaf Scholz spricht von einem "guten Abschneiden" der SPD. Er will gemeinsam mit der Landtagsabgeordneten Klara Geywitz die Partei bald führen. Geywitz sagte zu dem Ergebnis: "Wir können Wahlen gewinnen, das ist doch die Botschaft." Dabei hat sie gerade ihr Direktmandat verloren.
In Sachsen spricht Kretschmer, der gerade das schlechteste Ergebnis der CDU aller Zeiten eingefahren hat, von einem "wirklich guten Tag". SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig versucht es mit Humor. Er sagt: "Wir haben das schlechteste Wahlergebnis, sind aber der coolste Landesverband." Und auch bei den Grünen gibt es viel Interpretationsspielraum. Die Partei kann leicht zulegen, bleibt aber deutlich hinter den Erwartungen zurück. Grünen-Chef Robert Habeck spricht dennoch von einem "fantastischen Ergebnis". Angesichts des massiven Zuwachses der Rechtspopulisten in Sachsen und Brandenburg grenzen diese Einordnungen an Realitätsverlust.
Vor allem aber verhindert die "Gerade nochmal gut gegangen"-Mentalität die bitter nötige offene Aussprache über den Zustand der beiden erodierenden Volksparteien. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sind ein weiteres Kapitel in der Geschichte des politischen Verfalls von CDU und SPD. Diese Geschichte wird sich voraussichtlich weiter fortsetzen. Die nächste Station ist die Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober. Sollte die AfD dort mit dem Demagogen Björn Höcke an der Spitze die CDU abhängen und die SPD weniger als zehn Prozent einfahren – so wie es in Umfragen aussieht - wird es deutlich schwerer, das Ergebnis schönzureden.