Samstag, 4. April 2020

Merkels Krisenmodus, wegducken, bloss keinen Fehler zugeben...

von Thomas Heck...

Merkels Krisenmanagement kommt in der Bevölkerung angeblich gut an, wenn man den Umfragen der öffentlich-rechtlichen Regierungssenders ARD und ZDF Glauben schenken mag. Dabei sieht die Realität viel erschreckender aus. Mangelwirtschaft wie im Sozialismus prägt das Bild in deutschen Krankenhäusern, wo Ärzte und Krankenpfleger weitestgehend auf eigenes Risiko und am Limit arbeiten. 


Eine Folge der mangelnden Vorsorge des deutschen Staates, der bislang offensichtlich schlecht bis gar nicht vorbereitet war und dessen agierende Protagonisten in Regierung und staatlichen Instituten ihre Meinung über Schutzmaßnahmen so schnell wechseln, dass man kaum hinterherkommt. Was dabei besonders auffällt, und das ist symptomatisch für das Deutschland unter Kanzlerin Merkel, keiner will Verantwortung übernehmen, niemand ist schuld. Dies würde nur Bestrebungen behindern, Merkel doch noch eine weitere Amtszeit als Kanzlerin regieren zu lassen. 


Das Robert-Koch-Institut dreht sein Urteil zu Gesichtsmasken um 180 Grad, gibt aber seinen Irrtum nicht zu. Diese Praxis ist mittlerweile symptomatisch für Verantwortliche in Deutschland.

von Alexander Wendt erschienen in Tichys Einblick...

Bei seiner Pressekonferenz am 3. April kam der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) Lothar Wieler auch auf das Thema Gesichtsmasken zu sprechen. Sein Institut hatte seine Einschätzung zum Nutzen von Masken bei der Covid-19-Bekämpfung am Tag zuvor um 180 Grad geändert. Am Anfang der Virus-Krise verkündete das RKI als staatliches Institut quasi regierungsamtlich: eine Schutzwirkung von Masken sei „bisher nicht wissenschaftlich belegt (siehe auch die Hinweise des BfArM).“

Die Einschätzung des staatlichen Instituts überrascht im Rückblick ziemlich. Denn in dem Szenario, das 2012 im Auftrag der Bundesregierung eine SARS-Corona-Pandemie durchspielte, ging es darum, durch Quarantänemaßnahmen Zeit zu gewinnen: „Dieser Zeitgewinn durch antiepidemische Maßnahmen kann sehr effizient genutzt werden, um z. B. persönliche Schutzausrüstung herzustellen, zu verteilen und über ihre korrekte Anwendung zu informieren.“ Verfasst hatten das Papier Experten des Robert-Koch-Instituts.

Die Masken-nützen-nichts-Einschätzung des RKI von 2020 gaben die meisten Medien jedenfalls unbefragt weiter. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und etliche Institutionen und Behörden verließen sich offenbar auf diese Expertise und versäumten es, den Stoff mit Gummiband auf dem Weltmarkt zu kaufen. Um später festzustellen, dass Masken kaum noch zu bekommen waren, und wenn, dann für horrende Preise. Denn andere Länder hatten schnell zugegriffen.


Sehr spät änderte das RKI sein Urteil zu Masken, offenbar auch unter dem Eindruck der Erfahrung asiatischer Länder, in denen es auch schon vor Corona verbreitet war, mit der Vorrichtung andere vor Tröpfchen aus Mund und Nase zu schützen.

Dass die Infektionskurven in Südkorea, Taiwan und Singapur von Anfang an deutlich flacher verliefen als in Europa, lag an frühen Quarantänemaßnahmen und Grenzkontrollen, aber eben auch daran, dass die Meisten in der Öffentlichkeit Masken trugen und tragen, vor allem beim Betreten von Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln.


Ende März appellierte dann auch Ärztekammerpräsident Klaus Reinhard an die deutsche Öffentlichkeit, Schutzmasken zu benutzen – auch selbstgenähte.


Österreich begann Anfang April, Masken an den Eingängen von Supermärken zur Verfügung zu stellen, und überall dort, wo das der Fall ist, Schutzmasken im Markt obligatorisch zu machen. Bis Samstag will die Regierung an allen Einkaufsmärkten den Mund-Nasen-Schutz anbieten. Kanzler Sebastian Kurz wies dabei ausdrücklich auf die Erfahrungen asiatischer Länder hin.

Für RKI-Präsident Wieler hätte die Pressekonferenz die Gelegenheit geboten zu sagen: wir haben uns in unserer Einschätzung zu Masken geirrt. Jetzt empfehlen wir sie, um andere zu schützen. Die Sätze kamen nicht über seine Lippen. Stattdessen betonte er erst umständlich, die wichtigsten Maßnahmen bestünden „auch weiterhin“ darin, genügend Abstand zu halten und sich die Hände zu waschen (was allerdings niemand bestreitet). Um dann ebenfalls langatmig davor zu warnen, wer eine Maske trage, dürfe sich nicht „in falscher Sicherheit wiegen“; wenn Leute anfingen, weil sie eine Maske trügen, das Händewaschen zu vernachlässigen, dann würden Masken „mehr schaden als nützen“. Allerdings wird es kaum einen Menschen in Deutschland geben, der in der Covid-19-Pandemie plötzlich deshalb auf das Händeschrubben verzichtet, weil er sich im Supermarkt eine Schutzvorrichtung vor Mund und Nase schnallt. Der RKI-Präsident könnte auch gleich davor warnen, jetzt bloß keine Supermarktürgriffe abzulecken. Schließlich erklärte Wieler noch, die Maske diene dem Schutz anderer vor Speicheltröpfchen, nicht hauptsächlich dem eigenen Schutz.

Das weiß aber auch mittlerweile jeder. So, wie jeder auch die Erfahrung gemacht haben dürfte, dass nicht nur Erkältete Tröpfchen versprühen. Es gibt Leute, deren Aussprache feuchter ist als die von anderen. Ein plötzlicher Husten- oder Niesanfall kommt auch über gesunde Leute, die berühmte Armbeuge hält unmöglich alles auf, und ein Nieser schleudert seine Tröpfchen gut eineinhalb Meter weit, es sei denn, Stofflagen halten sie auf. Genau auf diesen Punkt, dass die Menschen in Asien Masken vor allem zum Schutz der anderen tragen, hatte ein Text auf „Tichys Einblick“ übrigens schon früh aufmerksam gemacht.

In seiner langen gewundenen Suada versteckte der RKI-Chef dann den Satz, eine Maske „könnte vermutlich das Risiko der Übertragung reduzieren“. So, als hätte sein Institut das schon immer so gesagt.

Irrtümer und falsche Prognosen sind Teil des Geschäfts für alle, die etwas beurteilen müssen. Wer sie zugibt, schützt seine Glaubwürdigkeit besser als jemand, der versucht, sich klammheimlich von seiner alten Position zu schleichen. Aber genau das gehört für Politiker und Chefs von Institutionen in Deutschland mittlerweile zum Standard: Erst so lange wie möglich auf seinem Standpunkt beharren, dann auf keinen Fall den Irrtum zugeben. In der Corona-Krise zeigt sich das Muster nur ein bisschen deutlicher als sonst. Anfang März, als die meisten betroffenen asiatischen Länder schon Einreisesperren erlassen hatten, wimmelte Gesundheitsminister Jens Spahn entsprechende Vorschläge mit der eigenartigen Begründung ab, das Virus sei jetzt sowieso schon in Deutschland.

Noch am 11. März meinte Kanzlerin Merkel, Grenzschließungen wären „keine adäquaten Maßnahmen“. Dann wurden sie es auf einmal doch. Und erst am 1. April untersagte Spahn auch Flüge aus dem Iran. Auch hier räumte niemand ein, vielleicht vor ein paar Wochen etwas falsch eingeschätzt zu haben. Ganz abgesehen davon erläuterte Merkel bis jetzt nicht, warum es jetzt auf einmal möglich war, Grenzkontrollen einzuführen. Bekanntlich lautete von 2015 an ihr Mantra, Deutschland könne seine Grenze nicht schützen, das ginge rechtlich nicht, aber auch nicht praktisch, dazu sei die Grenze einfach zu lang.

Ohnehin prägte niemand so sehr wie sie den Stil, einen Gesinnungswandel so wirken zu lassen, als wäre nichts passiert, notfalls mit ihrer Formel des multiplen Bewusstseins: 2015 darf sich nicht wiederholen, aber ich habe 2015 alles richtig gemacht.

Weder stand RKI-Chef Wieler nach seiner Pressekonferenz in einem Sturm medialer Kritik, weil sein Haus lange die Bedeutung der Masken heruntergespielt hatte, noch musste sich die Bundesregierung für ihren Zickzack in Fragen der Grenzkontrolle rechtfertigen. Denn die Meinung über Masken hatten die meisten Medien genau so geteilt wie die jeweilige Regierungssicht zu Grenzkontrollen. Bei einem sehr engen Tanz zweier eingespielter Partner lässt sich auch ziemlich schwer sagen, wer führt.

In den meisten Demokratien bekommen Repräsentanten Probleme mit den Medien, wenn sie sich unauffällig zu wenden versuchen. Denn Medien verfügen eine nicht zu unterschätzende Waffe: das Archiv. Das ändert sich allerdings, wenn sich Politik und Medien simultan irren. Ihre Begeisterung über die eintreffenden exzellent ausgebildeten Facharbeiter, die 2015 kommen und die Rentenkasse füllen sollten, teilten die Journalisten, Politiker von Union bis Grün und Manager wie Daimer-Chef Dieter Zetsche.

Als es dann etwas anders kam, verschwand das so genannte Narrativ ohne Diskussion. Einmal flackerte ganz kurz etwas Selbstkritik auf, als Giovanni di Lorenzo von der ZEIT öffentlich darüber nachdachte, ob die Medien in der Migrationsfrage nicht etwas zu geschmeidig der Regierungslinie und ihren eigenen Wunschbildern gefolgt waren. Aber niemand von den Angesprochenen verspürte große Lust, die Frage zu vertiefen.

Wo sehr viele sich im gleichen Takt bewegen, verflüchtigen sich Kritik und Selbstkritik von selbst. Niemand muss das anordnen. Nach den Übergriffen auf der Kölner Domplatte 2015/16 nahm verständlicherweise kein Medium dem anderen das mehrtägige Schweigen krumm. Dafür griffen etliche das Instantnarrativ auf, jetzt müsse über etwas viel Schlimmeres geredet werden, nämlich das Oktoberfest. Die „offiziellen Dunkelziffer“ von mehr als hundert Vergewaltigungen pro Oktoberfest, die Anne Wizorek damals im ZDF verbreitete, stellte sich zwar schnell als frei erfunden heraus.
Aber auch dafür entschuldigte sich niemand.

Bismarck prägte das Wort von der „wechselseitigen Korrumpierung“, das auch für politisch-medialen Engtanz der offiziellen Republik nahtlos passt. In diesem Milieu fällt jemand eher negativ auf, der sich ausnahmsweise doch entschuldigt, etwa WDR-Intendant Tom Buhrow, der für das „Umweltsau“-Lied seines Senders um Nachsicht bat. Seine eigenen Mitarbeiter und andere Medienaktivisten ringsum warfen ihm reihgenweise vor, er sei „eingeknickt“; der Vorsitzende des deutschen Journalistenverbandes Frank Überall forderte, das Couplet wieder online zu stellen.

Darin liegt eine Logik: wo praktisch niemand um Entschuldigung bittet, wirkt der eine, der es doch tut, wie der Einzige, der sich in einer schweigenden Menge räuspert.

RKI-Chef Lothar Wieler weiß, dass ein Erwartungsdruck auf ihm lastet, nämlich der, bloß keinen Irrtum zuzugeben und damit seinen Mitirrern Scherereien zu machen

Wer musste eigentlich in letzter Zeit zurücktreten? Jedenfalls nicht Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der vor kurzem verkündet hatte: „Wegen Corona wird kein einziger Arbeitsplatz verloren gehen.“ Wer Lust am kontrafaktischen Experiment hat, sollte sich vorstellen, was in der deutschen Qualitätspresse los wäre, hätte ein Minister Trumps diesen Satz gesagt oder der Orange Man selbst.

Zurücktreten mussten in letzter Zeit der Ostbeauftragte Christian Hirte, weil er dem FDP-Mann Thomas Kemmerich – vielleicht erinnern sich manche – nach dessen Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten gratuliert hatte. Und vorher Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der in dem von ‚Antifa Zeckenbiss’ verbreiteten Video anders als Angela Merkel und die vereinigte Presse keine Hetzjagd erkennen konnte. Es waren zwei, die sich dem politisch-medialen Konsens nicht anschließen wollten beziehungsweise den Anschluss verpassten.

Einige asiatische Länder unterscheiden sich von Deutschland nicht nur in der Frage des rücksichtsvollen Maskentragens. Sondern auch darin, dass die Kulturtechnik der öffentlichen Entschuldigung durchaus vorkommt.

Hierzulande müsste sich noch nicht einmal jemand verbeugen.




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