von Ullrich W. Sahm...
Der israelische Geheimdienst hat elektronische Wege gefunden, aus Facebook und Twitter-Einträgen potentielle Terroristen herauszufiltern, die spontan Juden abstechen. Mit der gleichen Methode könnten auch radikalisierte Jugendliche in Europa ausgemacht werden, ehe sie sich dem IS in Syrien anschließen.
Die Gewaltwelle in Israel zwischen Oktober 2015 und März 2016 hat bei 230 Attacken von Palästinensern 34 Israelis und Touristen sowie 121 Palästinensern das Leben gekostet. Die Medien berichteten von einer 3. Intifada, während das israelische Militär einen „begrenzten Aufstand“ ausmachte. Die Gewaltwelle könne wohl nicht völlig gestoppt werden. Aber sie sei drastisch eingeschränkt worden.
Für die israelischen Sicherheitskräfte stellten die Attacken eine einzigartige Herausforderung dar. Die meisten Angriffe mit Messern oder Autos wurden spontan durchgeführt, ohne Anweisung von oben oder im Rahmen einer Organisation. Während der „2. Intifada“ (2000 bis 2005) konnte man Terrorzellen ausmachen und sie ausschalten. Da gab es klare Befehlsketten für organisierte und finanzierte Attentate.
Attentäter von anderen Palästinensern unterscheiden
Doch bei der jüngsten Gewaltwelle „müssen wir jeden Palästinenser als potentiellen Verdächtigen betrachten. Wir müssen einen Weg finden, zwischen Attentätern und dem Rest der palästinensischen Bevölkerung zu unterscheiden“, sagte ein israelischer Offizier.
Das sei leichter gesagt als geschehen, zumal nur wenige Angreifer der jüngsten Gewaltwelle eine einschlägige Vergangenheit als Terroristen hatten. Manche hätten sich bestenfalls mit zwei oder drei Freunden abgesprochen. Einige waren nur 13 Jahre alt. Der israelische Generalstabschef Gadi Eisenkot hatte erklärt, dass die Geheimdienste keinerlei Vorwarnungen hatten. Das habe sich jetzt dank unorthodoxer Methoden der Geheimdienste geändert.
Während israelische Politiker vor allem die Hetze in palästinensischen Medien verantwortlich machten und Facebook aufforderten, Aufrufe zu Attentaten gegen Israelis zu löschen, gehen die Geheimdienste den umgekehrten Weg. Mit Algorithmen suchen sie die Facebook-Einträge jugendlicher Palästinenser zwischen 15 und 25 nach Indizien ab, die bei Twitter oder Facebook auf einen bevorstehenden Anschlag hindeuten.
Es gehe da nicht um die Zugehörigkeit zu einer Organisation, sondern um relativ spontane Beschlüsse von Einzelnen. Eine Woche oder sogar nur einen Tag vor der Tat ahnten sie nicht, dass sie zum Messer greifen würden, um Juden abzustechen.
Selbstmord durch israelische Soldaten
Profile vergangener Täter dienen dazu, bei potentiellen künftigen Messerstechern ähnliche Motive festzustellen. Verdächtig seien Jugendliche, die sich über die „Verunreinigung“ der Al-Aksa-Moschee durch Israelis aufregen, über die palästinensische Führung schimpfen oder erbost über getötete Freunde oder Bekannte aus der Nachbarschaft schreiben. Manche Messerstecher hätten beim Verhör angegeben, eine eigene Schande vertuschen zu wollen, indem sie „Märtyrer“ würden. Israelische Geheimdienstler bezeichnen das als „Selbstmord durch israelische Soldaten“. Das betrifft schwangere unverheiratete junge Frauen, die vermeintlich nur durch ihren Märtyrertod die „Schande“ abwenden können. Ein Beispiel ist die 17 Jahre alte Ajat al-Akrasch aus Deheische. Sie hatte sich 2001 vor einem Jerusalemer Supermarkt in die Luft gesprengt. Am vergangenen Donnerstag veranstaltete die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) eine Gedenkfeier zu Ehren dieser „Märtyrerin“, die „mit ihrem reinen Blut den Boden getränkt hat“.
Dank der Auswertung der Einträge bei Twitter oder Facebook habe der Geheimdienst eine Liste von potentiellen Verdächtigen zusammengestellt und manche Verdächtige stoppen können, ehe sie losschlugen. Dutzende junge Männer und Frauen hätten „warnende Besuche“ von Geheimagenten erhalten. Ihnen und ihren Eltern wurde mitgeteilt, dass sie unter Beobachtung stünden. Gleichzeitig wurden die Namen an die palästinensischen Sicherheitsdienste weitergegeben, damit auch sie ein Auge auf die Verdächtigen haben könnten.
Die britische Wochenzeitung „Economist“ merkt an, dass gleiche Methoden auch in anderen Gesellschaften angewandt werden könnten, wo Jugendliche sich im Internet radikalisieren. Man könne sie davon abhalten, sich dem Dschihad anzuschließen, ehe es zu spät ist.
Die wissenschaftliche Vorarbeit leistete das israelische „Meir-Amit-Informationszentrum über Geheimdienste und Terror“ (ITIC). Da wurden im Nachhinein die Biografien von vier jungen Palästinensern geprüft, die im März Attacken durchgeführt haben. Die Wissenschaftler stellten in den Tagen vor dem Anschlag einen bedeutsamen Anstieg bei deren Aktivitäten in ihren Facebook-Kontos fest. Einige Inhalte deuteten auf die Absicht, sich zu opfern und zu sterben. So hätten sie Zitate aus dem Koran wiedergegeben, mit dem Wunsch, ins Paradies zu gelangen. Der 31-jährige Kassam Dschaber aus Hebron verübte am 14. März einen Schussangriff am Eingang zur israelischen Siedlung Kirijat Arba. Vorher führte er über das Netz ein ausführliches Zwiegespräch mit seinem Komplizen Amir al-Dschandi. Am Tag vor dem Anschlag veröffentlichte er 15 Einträge. Dreimal tauchte der Satz auf: „Wehe, Allah , verzeihe mir und ich werde zu dir umkehren und von allem Bösen gereinigt werden.“
Erschienen bei Israelnetz
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