von Jens Woitas...
Radikale Muslime verbrennen Israels Flagge
Die Norddeutsche Tiefebene erlebt einen nie dagewesenen, fast schon sizilianischen Frühling. Das Erblühen und Ergrünen der Pflanzenwelt ist seinem gewohnten Ablauf um gut einen Monat voraus. Schöne Feiertage mit Ostereiern, Osterbraten und Osterspaziergang haben hoffentlich nicht nur der Autor, sondern auch die Leser von Ansage! genossen. Angesichts dieser Stimmung scheinen die politischen Krisen unserer Tage zu verblassen. Sie schreiten aber dennoch unvermindert fort und könnten schon bald im Nahen Osten zu Entscheidungen führen, die auch uns in Deutschland direkt betreffen würden.
Das unvorstellbare Elend im Gazastreifen schreit zum Himmel, und ich wäre der letzte, der darüber kein Mitgefühl empfinden würde. Allzu wohlfeile Israel-Kritik unterliegt aber häufig dem entscheidenden Denkfehler, dass sofort Frieden einkehren würde, wenn sich nur die israelischen Streitkräfte auf die Staatsgrenzen von 1967 zurückzögen. Dies ist praktisch unmöglich, denn es geht für den jüdischen Staat nunmehr um seine schiere Existenz. Genauso verfehlt wie die erwähnte Friedensrhetorik sind Beschwörungen einer „Zweistaatenlösung“, die seit fast einem halben Jahrhundert als ewige Fata Morgana über dem Palästinakonflikt schwebt. Wenn sie möglich wäre, dann hätte man sie längst haben können. Es waren übrigens keineswegs nur die israelischen „Besatzer“, die sie – zumindest den Verzicht auf die jüdischen Siedlungen im Westjordanland – abgelehnt haben, sondern immer wieder auch die Palästinenser. Stattdessen erlebt die palästinensische Parole „from the river to the sea“ – also „vom Fluss (Jordan) zum (Mittel-)Meer“ – in diesen Tagen vielleicht einen nicht unerheblichen Bedeutungswandel. Nach der bevorstehenden Entscheidung wird nur noch eines der beiden sich ewig streitenden Völker, also Israelis oder Palästinenser, Gesamt-Palästina bewohnen und den unterlegenen Konkurrenten aus dem Gebiet vertreiben, das auf Hebräisch Eretz Israel („Vollständiges Land Israel“) genannt wird. Zumindest werde ich hier eine solche These aufstellen und begründen.
Töten und sterben für Gott
Ein wesentlicher Teil dieser Begründung liegt in dem Umstand, dass im 21. Jahrhundert Religion als Triebfeder der Weltpolitik mit Macht zurückkehrt. In unserem entchristianisierten Europa ist – mit Ausnahme der unter uns lebenden Muslime, auf die ich noch zu sprechen kommen werde – die Vorstellung fast völlig verlorengegangen, dass Religion (von Lateinisch religio für „Bindung“) vielfach mit einer Unbedingtheit einhergeht, die Menschen dazu bringt, für ihren Gott zu sterben und zu töten. Auch das Christentum ist seinem Wesen nach kein „Eiapopeia vom Himmel“, über das einst Heinrich Heine (1797-1856) in „Deutschland, ein Wintermärchen“ spottete. Im Namen des Dreieinigen Gottes wurde in zwei Jahrtausenden sehr viel Blut vergossen, und das meiste davon im Widerstreit unterschiedlicher Auslegungen des Christentums, die sich gegenseitig zu Ketzern erklärten. Wenn heute in der Vorstellung vieler Menschen im Nahen Osten Allah und der biblische Herr Zebaoth, der „Herr der himmlischen Heerscharen“, gegeneinander kämpfen, dann sollten wir diese Idee nicht allzu leichtfertig als „überholt“ verwerfen. Man könnte dazu höchstens mit einem Rest aufklärerischer Vernunft, die uns aber derzeit im Westen immer mehr abhandenkommt, dazu anmerken, dass es sich hier nicht um zwei Götter handelt, sondern um unterschiedliche Bilder desselben Gottes.
Kommen wir nach diesem religiösen Exkurs zur gegenwärtigen Lage im Nahen Osten zurück. Seit fast einem halben Jahr tobt dort ein Krieg, der schon jetzt alle bisherigen israelisch-arabischen Waffengänge seit 1947 in der Opferzahl bei weitem übertrifft. Israel konnte etwa die großen Nahostkriege von 1967 und 1973 nach nur wenigen Tagen klar für sich entscheiden und hatte dabei nur geringe Verluste zu beklagen. Heute gelingt es der israelischen Armee nicht, die Hamas im winzigen Gazastreifen – das Gebiet ist flächenmäßig kleiner als das Bundesland Bremen – entscheidend zu besiegen. Trotz der Verwandlung des Gazastreifens in ein Ruinenfeld werden von dort immer noch palästinensische Raketen auf israelisches Staatsgebiet abgefeuert. Dazu gesellt sich eine zweite Front an der Nordgrenze Israels, deren Brisanz vielfach unterschätzt wird. Mit dem Iran verbündete Milizen wie die libanesische Hisbollah („Partei Gottes“) schießen fast täglich aus Syrien und dem Libanon Raketen auf das israelische Grenzgebiet ab, das deshalb seit Monaten evakuiert ist. Israel antwortet darauf mit einem Schattenkrieg, bei dem in den beiden Nachbarländern – meistens unterhalb des Radars der Öffentlichkeit – der militärische Nachschub aus dem Iran bombardiert und Kommandeure des Feindes durch gezielte Luftschläge „ausgeschaltet“ werden. Mit der am Montag erfolgten, mutmaßlich völkerrechtswidrigen, Bombardierung der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus, ist dabei sehr wahrscheinlich eine „rote Linie“ überschritten worden, die den Iran zu einem direkten Eingreifen veranlassen könnte.
Rütteln an der westlichen Bündnisgarantie
Israel ist also in einer viel schwächeren Position, als es die meisten deutschen Israel-Kritiker wahrnehmen. Das kleine Land kann keinen Dauerkrieg verkraften, der hunderttausende dringend im Zivilleben benötigte Arbeitskräfte im Militärdienst bindet, normales Leben in weiten Teilen des Staates unmöglich macht und vor allem einen beständigen Nachschub erfordert, der im Lande selbst nicht produziert werden kann. Hier kommen nun die USA ins Spiel. Es scheint nämlich so, als ob jetzt zum ersten Male ernsthaft an der unbedingten US-amerikanischen Bestandsgarantie für den jüdischen Staat gerüttelt wird. Militärhilfen, ohne die Israel seinen Krieg nicht weiterführen kann, hängen im endlosen Haushaltsstreit des US-Kongresses fest. Schon jetzt haben US-Militärs offen zugegeben, dass sie nicht alle Waffenwünsche der Israelis erfüllt haben. US-Präsident Joe Biden spricht im Zusammenhang mit einem möglichen israelischen Angriff auf die Stadt Rafah im Gazastreifen, die bereits weitgehend zerstört und mit etwa einer Million Flüchtlingen überfüllt ist, von einer „roten Linie“ für die USA. Gleichzeitig eskalieren die Israelis aus schierer Verzweiflung den Konflikt immer mehr, wie etwa mit der schon erwähnten Botschaftsbombardierung von Damaskus. Vielleicht steckt in dieser Handlungsweise nicht nur Verzweiflung, sondern auch ein irrationales Vertrauen darauf, dass Gott selbst seinem auserwählten Volk einen endgültigen Sieg über seine Feinde schenken werde.
Vor etwa 30 Jahren weissagte ein Vertreter einer orthodox-jüdischen Sekte, der Rabbiner Menachem Schneerson, dem jungen Politiker Benjamin Netanjahu, also dem heutigen israelischen Ministerpräsidenten, dass „er, Benjamin Netanjahu Israels Premierminister sein wird, der das Zepter an den Messias überreichen wird“. Solche Ideen werden leider unter deutschen Oppositionellen oftmals mit einem deutlich antisemitischen Unterton wiedergegeben. Es existieren im heutigen Israel aber tatsächlich starke politische Kräfte, die an ein baldiges Eintreffen der jüdischen Erlösergestalt des Messias glauben, diese Endzeit selbst herbeiführen, und dann auf dem Tempelberg in Jerusalem anstelle der jetzigen muslimischen Heiligtümer Felsendom und Al-Aqsa-Moschee den dritten jüdischen Tempel errichten wollen. Als gläubiger Christ hätte ich zwar wenig gegen eine Erscheinung des Messias einzuwenden, der ja den biblischen Propheten zufolge einen Weltfrieden unter der Führung des Volkes Israel begründen soll. Ein Vertreibung der Palästinenser und ein Krieg gegen die Nachbarstaaten Israels scheinen mir allerdings nicht die gebotenen Mittel zur Erreichung dieser Zielsetzung zu sein.
Nukleare Verwüstung Gesamt-Palästinas?
Über den weiteren Fortgang des Nahostkonfliktes kann man im Moment nur einigermaßen begründet spekulieren. Das schlimmste Szenario, nämlich einen israelisch-iranischen Großkonflikt unter Einsatz von Massenvernichtungswaffen, will ich hier bewusst ausklammern. Das unvorstellbare Ergebnis wäre nämlich mit einiger Wahrscheinlichkeit eine nukleare Verwüstung nicht nur Gesamt-Palästinas, sondern großer Teile des Nahen und Mittleren Ostens. Das Land “from the river to the sea” würde dann niemandem mehr gehören, sondern Juden wie Araber würden gleichermaßen auf die Flucht nach Europa getrieben. Realistisch ist aber sehr wohl die israelische Überschreitung der „rote Linie“ eines Angriffes auf die Stadt Rafah. In einer solchen Situation würde sehr wahrscheinlich die anti-israelische Stimmungslage der unterdrückten Volksmassen in den arabischen Staaten derartig überschwappen, dass die dortigen Machthaber ihre stillschweigende Allianz mit Israel aufgeben und auf der Seite der Palästinenser in den Krieg ziehen müssten. Dies betrifft auch die zwar nicht arabische, aber dennoch islamische Türkei, die nach den USA die zweitstärkste Militärmacht der NATO ist. Israel sähe sich dann einer ungeheuren feindlichen Übermacht gegenüber und müsste gleichzeitig damit rechnen, dass die USA den jüdischen Staat fallen lassen.
Es sind nämlich nicht nur die US-Haushaltsprobleme, welche die Unterstützung Washingtons für Israel infrage stellen. Der Nahostkrieg wird, je länger er andauert, zu einer immer größeren Gefahr für die Wiederwahl des greisen US-Präsidenten Joe Biden. Die „woken“ Wähler der Demokraten sympathisieren mehrheitlich mit den Palästinensern, und darüber hinaus stellen auch die US-Moslems eine Wählergruppe dar, auf die Biden nicht verzichten kann. Die immer noch mächtige Israel-Lobby in den USA, wo mehr Juden leben als im Staat Israel, scheint ihren bestimmenden Einfluss auf die US-Außenpolitik mehr und mehr zu verlieren. Biden könnte also als derjenige Präsident in die Geschichte eingehen, der Israel in ähnlicher Weise „verlieren“ wird, wie die USA in den 1970er Jahren Kambodscha erst an die Roten Khmer und dann an die Vietnamesen verloren. Das US-Debakel von 2021 in Afghanistan könnte nur ein Vorläufer des Nahost-Debakels von 2024 gewesen sein, dem sich unter Umständen noch eine ähnlich schmähliche Niederlage in der Ukraine hinzugesellen würde. Es wäre allerdings für die US-Amerikaner noch ein relativ glimpflicher Ausgang. Die Hauptlast in Gestalt eines riesigen jüdischen Flüchtlingsstromes ließe sich nämlich auf Europa, und damit vor allem auf Deutschland abwälzen. Das Ergebnis wäre übrigens bei einem durchgreifenden Sieg der Israelis und einer folgenden Vertreibung der Palästinenser aus Eretz Israel ähnlich.
Beständige Angst
Damit sind wir am Ende in unserem eigenen Land angekommen. Der Nahostkrieg ist – ob wir das wollen oder nicht – aufgrund der Präsenz von Juden und Moslems in Deutschland auch unser eigener Krieg. Hier ist zunächst festzustellen, dass sich seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 in der Bundesrepublik eine unmögliche Situation immer weiter dahinschleppt, die auf eine Entscheidung drängt. Es hat sich nämlich gezeigt, dass ein unter in Deutschland lebenden Muslimen weit verbreiteter Antisemitismus unvereinbar mit einer Juden- und Israel-Freundlichkeit ist, die angesichts von NS-Vergangenheit und Holocaust eigentlich ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Staatsraison ist. Seit einem halben Jahr leben Juden in Deutschland wieder in beständiger Angst. Anstatt darauf zu bestehen, dass dies völlig zu Recht „nie wieder“ so sein darf, wird bei Massendemonstrationen „gegen rechts“ der Popanz einer neuen NS-Zeit aufgeblasen, die angeblich von einer Partei mit nur etwa 40.000 Mitgliedern ohne jegliches Gewaltpotential ausgeht. Andererseits unterlässt die politische Rechte Deutschlands den für sie eigentlich gebotenen eindeutigen Schulterschluss mit den Juden in Deutschland und Israel. Damit offenbart sie einen zumindest latenten, fortbestehenden Antisemitismus, den ich in dieser Form von ihr nicht erwartet hätte, und der mich auch als bekennendem Oppositionellen zunehmend an der AfD zweifeln lässt.
Aus meiner Sicht zwingt diese Problematik zu einer Entscheidung: Im Nahostkonflikt muss eindeutig Partei für Israel ergriffen werden, weil die Israelis dort als einsamer Vorposten stellvertretend einen Überlebenskampf des gesamten Westens gegen die islamische Weltrevolution führen. Derselbe Überlebenskampf findet zunehmend auch innerhalb Europas statt. Ohne die Menschenrechte der in Deutschland lebenden Moslems mit Phantasien von einer gewaltsamen „Remigration“ anzugreifen, muss deshalb der politische Islam im eigenen Land deutlich in die Schranken verwiesen werden, bevor es dafür zu spät ist.
Sicherheit für “Eretz Israel” auf Kosten der deutschen Juden?
Zumindest muss klar sein, dass es für Antisemiten gleich welcher Couleur nach 1945 in Deutschland keinen Platz mehr geben kann. Das gilt insbesondere für den Fall, dass wir tatsächlich nach einem militärischen Zusammenbruch Israels Millionen jüdische Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufnehmen müssten. Mit einer solchen Aktion könnte sogar verspätet jene gerechtfertigte Sühneleistung für den Holocaust vollbracht werden, die nach 1945 im machtpolitischen Denken der Sieger des Zweiten Weltkrieges keine Rolle spielte, nämlich eine dauerhafte und sichere jüdische Heimstatt auf deutschem Boden.
Auch eine Aufnahme der Palästinenser in Deutschland hätte übrigens einen ähnlichen Effekt. Deutschland würde so den dauerhaften Status von Eretz Israel absichern – aber leider sehr wahrscheinlich auf Kosten der in der Bundesrepublik lebenden Juden. Man muss aber bedauerlicherweise auch an einen Ausgang denken, bei dem Vertreter beider Völker in großer Zahl vor dem Nahostkrieg nach Deutschland fliehen und sich dann hier ähnlich feindselig gegenüberstehen wie in ihrer Heimat. Trotz aller Frühlingsgefühle ist die politische Lage des April 2024 also sehr düster, zumal zum Nahostkonflikt noch zahlreiche weitere innen- wie außenpolitische Bedrohungen hinzukommen. Als Oppositionelle können und sollten wir aber dennoch das schöne Frühlingswetter genießen, ohne in ihm eine menschengemachte Klimakatastrophe sehen zu müssen. Es gibt wahrlich größere Probleme auf dieser Welt.
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