Donnerstag, 16. Juli 2015

„Israel droht mit Selbstverteidigung“

von Ulrich W. Sahm...


Alle tonangebenden Überschriften der wichtigsten deutschen Medien, darunter Zeit, Spiegel, Tagesschau und Süddeutsche befassten bei ihren Berichten über das Atomabkommen in Wien allein mit Israel. Die Abendzeitung in München titelte: „Israel droht weiter“. N-tv.de schrieb: “Israel-nennt-Iran-Deal-Kapitulation“. Zeit-Online: „Iran-Atomabkommen: Israel kann wenig gegen den Deal ausrichten“. Die Schweizer NZZ berichtete: „Atomabkommen mit Iran: Konsternation in Israel“. Focus: „Erfolgreiche Verhandlungen: Viel Euphorie nach Atom-Einigung mit Iran – nur Israel droht weiter“ Und die FAZ: „Israels Regierung: Auf ganzer Linie gescheitert“.

Bei Focus heißt es in der Autorenzeile, dass der Bericht „von dpa bereitgestellt“ worden sei. Da die dpa in Deutschland ein Nachrichtenmonopol hält, dürfte ihr Text in hunderten anderen deutschen Zeitungen veröffentlicht worden sein. Und hier erscheint das Bonmot, wofür Focus schon 2006 heftig kritisiert worden ist: „Israel droht mit Selbstverteidigung“. Im Zusammenhang mit einer möglichen iranischen Atombombe und täglichen Drohungen aus Iran, Israel auslöschen zu wollen, bedeutet dieser Spruch, dass die Juden in Israel keinen neuen Holocaust hinnehmen wollen. Eine Atombombe auf Tel Aviv hätte angesichts der physischen Größe des Staates Israel einen ähnlichen Effekt wie der Nazi-Mord an 6 Millionen Juden.


Obgleich Iran noch nicht über eine Atombombe verfügt, können Smartphone Besitzer das schon mal erproben. Am Tag des Vertragsabschlusses in Wien wurde in Teheran ein Computerspiel veröffentlicht, mit dem Spieler mit iranischen Langstreckenraketen die israelischen Luftabwehr durchbrechen und das Land zerstören können.

Die Süddeutsche Zeitung hat ihre Leser, wie im Theater, systematisch auf das Finale vorbereitet. Im Februar hieß es „Nahöstlicher Seismograf: Wenn sich Iran und der Westen annähern, poltert Israels Premier Benjamin Netanjahu“. Im März weiß die SZ schon: „Israel und USA – Der Verlierer steht schon fest“. Im April folgt: „Israel zum Abkommen mit Iran – Netanjahus Theaterdonner“. Peter Münch berichtet: „Die Einigung mit Iran bedrohe „das Überleben Israels“, ein „furchtbarer Krieg“ werde dadurch wahrscheinlicher. Atom-Gespräche mit Iran – Bloß kein Abkommen“. Und zuletzt titelt die SZ: „Israel – Höchst besorgt … Israel werde weiter alles daransetzen, Iran vom Bau einer Atombombe abzuhalten… Iran bleibe ein „nukleares Schwellenland“, kritisiert Netanjahu.

Israels Existenzangst, wieder Opfer eines Holocaust zu werden, hat Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier in seinem Interview mit der Tagesschau inspiriert. Er verwendete das einschlägige Fachwort bei Diskussionen über ein Ende deutscher Schuldgefühle wegen dem Völkermord an Juden: Schlussstrich. „Für Außenminister Steinmeier ist die Einigung im Atomstreit mit dem Iran ein Sieg der Diplomatie. Der Frieden werde zwar nicht morgen kommen, doch endlich sei ein Schlussstrich gelungen, sagte er den Tagesthemen. Das jetzt erzielte Abkommen sei ein Beitrag zum Frieden in der Welt. Israel sollte sich das Abkommen genau angucken und auf „grobschlächtige“ Kritik verzichten. Denn es sei eine gute Vereinbarung, die dem Iran nachprüfbar den Griff zur Atombombe versage.“

Die israelische Angst vor einer Atombombe auf Tel Aviv ist also „grobschlächtig“, zumal Steinmeier jetzt einen „Schlussstrich“ gezogen habe. Noch klarer hätte ausgerechnet der deutsche Außenminister auf die Existenzangst der Juden nach Auschwitz nicht anspielen können.


Erschienen auf Honestly Concerned

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