Freitag, 17. Oktober 2014

Sadomaso in Jerusalem..

von Dr. Eran Yardeni...

Wir schreiben das Jahr 1923. Nach 20 Jahren auf einer unbewohnten Insel im Pazifik wollen unsere Protagonisten, der cholerische jüdische Jurist Friedrich Löwenberg und sein misanthropischer Arbeitgeber, Mr. Kingscourt, zurück nach Hause, nach Europa. Von Neugier gepackt steuern sie aber zuerst nach Palästina, das sie 1902 schon mal besucht haben. 

Was sie in noch Erinnerung haben, riecht schlecht, schmeckt noch schlechter und lässt keinen Anlass für übertriebene Hoffnungen. Armut, Vernachlässigung, Gestank und technologische Rückständigkeit, begleitet von glühender Hitze – so haben sie damals Palästina erlebt.

Die biologische Uhr des Zionismus aber scheint anders zu ticken: 

»Alle Deibel, was ist das?“ schrie Kingscourt, indem er nach einem über den Palmenwipfeln vorbeisausenden großen Eisenwagen wies, aus dessen Fenstern Fahrgäste herunterblickten. Der Wagen hatte die Räder nicht unten, sondern oben über dem Dach. Er hing und schwebte an einem mächtigen, eisernen Brückengeleise. - David Littwak erklärte: Das ist die elektrische Schwebebahn. Die müssen Sie doch in Europa gesehen haben«.

So schildert Herzl in seinem utopischen Roman „Altneuland“ die erste Begegnung der beiden mit dem Alltag des Zionismus in Haifa im Jahr 1923.

Eine Schwebebahn gibt es in Israel bis heute noch nicht und abgesehen von der einzigen Linie der Karmelit (6 Stationen), der U-Bahn in Haifa, die eigentlich gar keine U-Bahn ist, sondern eher eine Standseilbahn, gab es in dem Judenstaat bis August 2011 gar keine U-Bahn, S-Bahn oder Tram, wie Herzl sich eine vorstellte.


© Inbar Yardeni

Mit der Einweihung der Stadtbahn in Jerusalem im Sommer 2011 wurde also zionistische Geschichte geschrieben. Dieses Projekt sollte zwei verschiedene Visionen Herzls verbinden: den öffentlichen Verkehr effizienter machen und nebenbei Juden und Araber einander näher bringen. Damit meine ich nicht nur, dass sowohl die Ansagen als auch die elektronischen Bildschirme der Stadtbahn die Information auf Hebräisch und Arabisch zeigen, sondern auch, dass die Strecke so geplant wurde, dass sie auch durch arabische Nachbarschaften fährt, was für die Einwohner von Shuafat und Beit Hanina den Zugang zum Stadtzentrum wesentlich erleichtert. Und tatsächlich, laut der Tageszeitung Maariv berichten viele Händler, dass die Anzahl ihrer arabischen Kunden seitdem gestiegen sei.

© Thomas Heck

© Thomas Heck

Vor diesem Hintergrund fragt man sich, warum in den letzten zwei Monaten ausgerechnet diese Stadtbahn zum Ziel arabischer Angriffe wurdet. Laut der größten israelischen Tageszeitung Yedioth Aharonoth wurden seit Ende Juli ca. 100 Fälle registriert, in denen die Bahn mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen wurde. Zwei Stationen in der Nähe von Shuafat wurden völlig zerstört, die Schäden liegen bei über 500.000 Schekel (ca. 100.000 Euro, die Red.).

Dieses sadomasochistische Phänomen ist nicht einfach zu erklären. Eins ist aber sicher: Sollten in der Zukunft noch ein paar Strecken gebaut werden, werden die Behörden versuchen, sie nicht durch arabische Nachbarschaften zu legen. Dann werden die Araber höchstwahrscheinlich nochmals auf die Bahn losgehen, dieses Mal wegen Diskriminierung…

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