von Dr. Eran Yardeni
Es mag sein, dass mit mir etwas nicht stimmt, aber der sogenannte Ausspähskandal, “der größte Digitalskandal des 21. Jahrhunderts“, ist mir völlig Banane. Meine Sorgen sind irdischer Natur, haben vor allem mit einem chronischen Mangel an Geld, Schlaf und Sex zu tun, weniger aber mit existenziellen Fragen. Deswegen amüsieren mich die verzweifelten Versuche links orientierter bzw. desorientierter Journalisten, Kolumnisten und Blogger, diese fünfdimensionale Spionage-Katastrophe um jeden Preis am Leben zu halten.
Bei einigen scheint die Sache schon die Form einer akuten politischen Fixierung anzunehmen, als gäbe es auf unserer Erde gar nichts mehr, worüber man sich ärgern könnte als über die bösen Amis, die durch ihre wahnsinnige Spionage-Besessenheit das deutsche Grundgesetz zunichte machen wollen.
Sascha Lobo (S.P.O.N) liegt die Sache sehr am Herzen. In seinem letzten Beitrag, den er als eine Art von Selbstbetrachtung stilisierte, unterteilte er seine Reaktionen auf „den größten Digitalskandal des 21. Jahrhundert“ in sieben Entwicklungsphasen: Erstaunen, Entsetzen, Empörung, Irritation, Ohnmacht, Wut und zum Schluss Ekel. Und am meisten ekelt ihn „Angela Merkel dafür an, dass unsere Freiheit zwar am Hindukusch verteidigt wird, aber nicht auf unseren Laptops“.
Bevor wir aber über die Freiheitskomplexe des Gutmenschentums sprechen, muss ich so nebenbei erwähnen, dass auch ich die ganze Palette - von Erstaunen, über Empörung bis hin zum Ekel – durchgemacht habe, zwar nicht bezüglich der NSA-Affäre sondern angesichts der gut dirigierten kollektiven Panik, die in der Abschaffung der Atomenergie mündete. Das hat mit der gutmenschlichen Freiheit aber wirklich gar nichts zu tun.
Freiheit ist ein verschwommener Begriff, dass müsste auch Lobo wissen. Vielleicht klingt es ein bisschen pervers, aber die strengen und tief in die Privatsphäre eindringenden Kontrollen am Flughafen sehe ich als eine Manifestation der Freiheit, genauso wie die Freiheit, dagegen zu protestieren. Das gilt auch für die gut überwachten Bank-Filialen, die mehr Überwachungskameras als Mitarbeiter haben, sowie für die Schnüffelei beim Zoll.
Übrigens – unsere Kreditkarten werden auch überwacht, so dass ungewöhnliche Einkaufen schnell auffallen, was die Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs natürlich reduziert. Mit anderen Worten: Wir werden ständig überwacht, und es ist auch gut so.
Wenn Lobo nun behauptet, dass „ein überwachter Bürger keine Würde hat“, muss ich zugeben, dass ich nicht wirklich verstehe, was er damit meint.
Es mag sein, dass nicht die Überwachung an sich das Problem ist, sondern ihre Rechtswidrigkeit. Darauf pocht Lobo immer wieder, wenn er schreibt, dass er auf einen Geheimdienstapparat wütend ist, „der die Abschaffung des freien Rechtsstaats mit dem Argument betreibt, den freien Rechtsstaat schützen zu wollen“, oder wenn er behauptet, dass „ein heimlich mit Wissen des Staates verdachtslos und illegal überwachter Bürger kein Bürger mehr ist“.
Das ist das ultimative Argument, dagegen ist jeder Politiker machtlos. Denn wer will den Rechtsstaat in Frage stellen? Wer würde seinen guten Ruf riskieren, um das Existenzrecht bestimmter Institutionen jenseits des Rechtssystem oder in der Dämmerzone der Legalität zu unterstützen? Gibt es ein besseres Argument als: „Es ist gesetzwidrig?“
Wo der kategorische Imperativ zum Zuge kommt, ist der Formalismus nicht weit. Wer sich über die Spionage beschwert, der könnte ebenso gut darüber klagen, dass die Summe aller Winkel im Dreieck 180 Grad beträgt. Wer aber die Notwendigkeit der Spionage erkennt, der muss sich damit einfach abfinden, dass es sie gibt.
Die Alternative dazu wäre: Man kann natürlich die Geheimdienste kastrieren, aber ehe man das macht, sollte man sich fragen, ob wir danach tatsächlich freier sein würden oder nicht.