Mittwoch, 4. September 2024

Weil er ein falsches Lied spielen ließ: Berlins Bürgermeister muss zurücktreten

von Jakob Fröhlich...

Glosse: Kai Wegner steht vor dem Aus. Auf einer Party des CDU-Landesvaters der Bundeshauptstadt wurde ein Lied gespielt, das der woken Szene verhasst ist. Wegners Rücktritt als Regierender Bürgermeister ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Willkommen im real existierenden Berlin.

Monika Herrmann steht rauchend im Hof. Sie dampft nicht nur wegen ihrer Zigarette, sondern auch aus Wut. „Das geht gar nicht“, schimpft die grüne Ex-Bürgermeisterin des berüchtigten Berliner Szene-Bezirks Kreuzberg.


Was ist passiert?

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner von der CDU hatte wieder zum Hoffest ins Rote Rathaus geladen. Das ist die traditionelle Sommerparty für die Schönen und Reichen und Wichtigen in der Hauptstadt – bzw. für die, die sich dafür halten. Im Rathauskeller war eine „Senats-Disco“ zum Tanzen eingerichtet, der Berliner nennt das „Schwoofen“. Gegen zwei Uhr morgens spielt der DJ das Lied „L’amour toujours“ von Gigi d’Agostino.

Und der Skandal nimmt seinen Lauf.

Wir erinnern uns: Zu Pfingsten hatten ein paar heftig betrunkene junge Leute in einem Edel-Club auf Sylt zu d’Agostinos Welthit statt des englischen Originaltextes ein paar selbstgedichtete Zeilen gegrölt – unter anderem „Ausländer raus“. Deutschlands Empörungsindustrie produzierte prompt das, was halt ihr Geschäftsmodell ist: künstliche Empörung eben. Die üblichen Verdächtigen überboten sich mit Forderungen nach härtesten Strafen. Manch einer erwog insgeheim sicherlich die Wiedereinführung der Todesstrafe für die Sylt-Sänger.

Und wie es bei anti-intellektuellem Furor so üblich ist, fielen dem Hexen jagenden Mob auch völlig Unschuldige zum Opfer: namentlich Gigi d’Agostino und sein Lied. Dessen englischer Originaltext handelt nämlich keineswegs von Ausländerhass, sondern einfach nur von Liebe – „L’amour toujours“ eben. Aber mit solchen faktischen Kleinigkeiten kann man sich bei großangelegten Bücherverbrennungen ja nicht aufhalten, und so machten sich die fanatischen Zensoren der grün-linken Puritaner in Deutschland daran, die Aufführung des Songs allüberall zu verhindern.

Das klappte, nun ja, nur so mittelgut.

Künstlerverbände solidarisierten sich mit d’Agostino und kritisierten scharf die Forderungen nach einem Aufführungsverbot. Radiosender, die den Song aus ihrer Playlist verbannt hatten, ruderten nach massiven Hörerprotesten kleinlaut zurück und spielen ihn wieder. D’Agostinos Lied stammt schon von 2001 – aber jetzt, knapp ein Vierteljahrhundert später, sprang es plötzlich wieder in die Top Ten der deutschen Charts.

Auch der DJ auf dem Hoffest von Kai Wegner zeigte Haltung, spielte „L’amour toujours“ und sagte dazu: „Das ist ein guter Song, den lasse ich mir von Nazis nicht kaputtmachen.“

Vermutlich wusste der gute Mann nicht, was er damit anrichtet. Denn sich auf die Meinungs-, Rede- und Kunstfreiheit zu berufen, ist in Berlin enorm gefährlich – (noch) nicht für Leib und Leben, aber ganz sicher für Beruf und Karriere. Der DJ hat Kai Wegner jetzt eine Affäre um den Hals gehängt, die den Regierenden Bürgermeister tatsächlich den Kopf kosten könnte – anders als all die anderen Fehlleistungen des Berliner Senats-Chefs.

Wie die meisten Ministerpräsidenten der Union, so würde auch Kai Wegner durch jede Führerscheinprüfung fallen: Vor den Wahlen blinkt er eindeutig rechts, nach den Wahlen biegt er dann aber scharf links ab. Schlimmer als sein aktueller CDU-SPD-Senat hatten Sozialdemokraten, Grüne und Linke vorher miteinander auch nicht gewütet.

Auch handwerklich ist der 51-Jährige ein ausgemachter Leichtmatrose. Vollmundig hatte er einst versprochen, dass mit ihm als Regierendem Bürgermeister alle Berliner spätestens binnen 14 Tagen einen Termin beim Bürgeramt bekommen würden. Derzeit dauert das so um die drei Monate – mindestens, in Einzelfällen auch schon mal länger. Kein Scherz.

Sein Versprechen hat Wegner kürzlich zurückgenommen: Er bekommt die nötigen Änderungen in der Stadtverwaltung einfach nicht hin. Aber er hat Erfahrung darin, miese Produkte erst schönzureden und dann den Leuten unterzujubeln. Der gelernte Versicherungskaufmann hat früher mal – genau: Versicherungen vertickt. Das ist bekanntlich ein nur mäßig seriöses Geschäft. Nicht ganz so schlimm wie Journalismus oder Gebrauchtwagenhandel, aber fast.

Um vom eigenen Vollversagen abzulenken, behauptet Wegner nun kurzerhand, schnellere Termine beim Bürgeramt seien den Berlinern „ehrlicherweise gar nicht so wichtig“. Wohl selten hat ein Landesvater so an den Bedürfnissen seiner Bürger vorbei argumentiert. Vielleicht weiß er es aber auch einfach nicht besser: Wegner ist schon seit Ewigkeiten Berufspolitiker. Bürgerämter von innen kennt er nur von den Sektempfängen auf Geburtstagen wichtiger Personalräte.

Überall sonst in Deutschland hätten sich bei solchen Zuständen in der – personell übrigens auch noch durchaus üppig ausgestatten – Verwaltung die vernachlässigten Bürger längst nach passenden Laternenmasten für die politisch Verantwortlichen umgesehen. Aber Berlin ist von Grund auf eine Stadt, die sich nicht für ihre Menschen interessiert. Durchaus folgerichtig interessieren sich die Menschen auch nicht für ihre Stadt, und genau so sieht Berlin ja auch aus.

Deshalb kann Wegner es sich leisten, ein Verhältnis mit Katharina Günther-Wünsch zu haben. Die ist auch in der CDU und sogar Senatorin für Bildung. Und für Familie, weil Gott manchmal einen feinen Sinn für Ironie hat: Die Senatorin ist immer noch verheiratet und hat ein Kind von ihrem Noch-Ehemann, ein weiteres aus einer früheren Beziehung und zusätzlich ein adoptiertes. Wegner selbst ist geschieden und hat mit seiner Ex-Frau ein Kind. Mit seiner Ex-Lebensgefährtin, die davor seine Referentin war, hat er zwei kleine Kinder.

Die intime Beziehung eines Vorstandsvorsitzenden zu einem Vorstandsmitglied ist in jedem anständigen Unternehmen ein schwerer Compliance-Fall und würde zum Rausschmiss der Beteiligten führen. Was Wegner da tut, ist auch weder in der Berliner Verwaltung noch an den Berliner Schulen erlaubt. Aber es handelt sich um den obersten Chef, und der drückt bei sich selbst halt mal ein Auge zu. Oder auch beide.

All dies konnte Wegner bisher nicht in Bedrängnis bringen. Doch die Disco-Affäre ist nun geeignet, die Karriere des CDU-Mannes abrupt zu beenden. Schon schwärmen seine Büchsenspanner aus und versuchen, den Schaden zu begrenzen. „Kai kann nichts dafür, der war schon weg“, lässt sich eine dem Regierenden Bürgermeister Wohlgesonnene zitieren.

Das wird nicht viel helfen. Man wirft Wegner ja nicht vor, das Lied eigenhändig aufgelegt zu haben. Doch wie soll jemand, der einen kleinen DJ nicht im woken Griff hat, die große Hauptstadt in den Griff bekommen? Wählertäuschung, fehlende Termine beim Bürgeramt, Liebesaffären erst mit untergebenen Mitarbeiterinnen und dann mit anderen Senatsmitgliedern – das können Medien und politische Klasse hier verzeihen. Aber „L’amour toujours“ nachts auf einem Hoffest: Das, wie die Grüne Herrmann so schön sagt, „geht gar nicht“.

Dit is‘ Berlin.


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