Dienstag, 18. August 2020

Wenn das oberste Gericht Deutschlands einen kapitalen Bock schiesst...

von Thomas Heck...

Das Bundesverfassungsgericht sollte als höchste Instanz der richterlichen Gewalt über jeglichen Zweifel erhaben sein. Problematisch wird es dann, wenn einer der höchsten Posten, die dieser Staat zu vergeben hat, in Hinterzimmern ausgeklüngelt wird und am Ende ein Kandidat des Rennen macht, der als Rechtsanwalt und insbesondere als CDU-Bundestagsabgeordneter eben nicht unabhängig agierte. Wenn dann eben jenes Bundesverfassungsgericht auch die Aufgabe hat, die Verfassungsmäßigkeit der Handlungen der Bundesregierung zu prüfen, ergeben sich an der Rechtsstaatlichkeit doch erhebliche Zweifel.

Wenn dann auch noch dieses Bundesverfassungsgericht selbst im Umgang mit der Presse einen zweifelhaften Ansatz gewählt und dafür vom Deutschen Presserat angezählt wird,  sagt das viel mehr über diesen Staat aus, als einem recht sein kann.



Normalerweise ist es Aufgabe des Deutschen Presserats, ethische Verstöße in den Medien anzuprangern. „Presserat rügt Bild-Zeitung“, heißt es deshalb oft, wenn beispielsweise das Boulevardblatt wieder einmal sensationsheischend über Unfälle oder Gewalttaten berichtet hat.

Diesmal geht die Rüge jedoch an einen ungewohnten Adressaten, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das Gremium wendet sich in einem Brief an den Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth und verlangt, allen Journalistinnen und Journalisten künftig den gleichen Zugang zu gerichtlichen Informationen zu gewähren.

Informationen über Urteile gibt es nur für Vereinsmitglieder

Den Anlass bildet ein Tagesspiegel-Bericht über eine Praxis der Karlsruher Öffentlichkeitsarbeit, die über Jahrzehnte im Verborgenen gehalten wurde. Am Abend vor den oft politisch bedeutsamen Urteilen des Gerichts wird für Mitglieder der „Justizpressekonferenz“, eines Karlsruher Journalistenvereins, ein Briefumschlag mit der aktuellen Pressemitteilung zur jeweiligen Entscheidung hinterlegt. Im Gegenzug verpflichten sich die Mitglieder, eine Sperrfrist einzuhalten. Wenn am folgenden Vormittag „im Namen des Volkes“ das Urteil fällt, sind viele Schlagzeilen und Kommentare schon verfasst. Für die „Justizpressekonferenz“ (JPK), allen voran Vertreter der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender einschließlich der Nachrichtenagenturen, ein erheblicher Vorteil. Das Nachsehen haben alle anderen Medien, die über keine Korrespondenten in dem Verein verfügen.

Es werde „ein bestimmter Kreis von Journalistinnen und Journalisten privilegiert“, kritisiert der Sprecher des Presserats Volker Stennei in einer Mitteilung vom Montag. Er fordert Gerichtspräsident Harbarth auf, die Praxis der Vorab-Information zu beenden „oder aber so auszudehnen, dass es nicht zu einer Benachteiligung von anderen Journalistinnen und Journalisten kommt.“ Ähnlich hatte sich zuvor schon der Deutschen Journalisten-Verband geäußert.

Rechte der Presse seien durch das Gericht "gefährdet"

Der Presserat geht nun einen Schritt weiter und hält dem Bundesverfassungsgericht exakt jene Regeln vor, über deren Einhaltung zu wachen sonst die Aufgabe der Karlsruher Richterinnen und Richter ist. Denn das Grundgesetz schütze die Presse- und Informationsfreiheit, mahnt Sprecher Stennei. Diese Rechte würden durch die gerichtliche Praxis „gefährdet“.

Auch Linke, AfD und FDP im Bundestag haben schon Bedenken kundgetan. Neben der Ungleichbehandlung kritisieren sie die Verletzung rechtsstaatlicher Fairness. Es sei schwer erträglich, wenn bestimmte Medien vorab vom Urteil erführen, die Prozessparteien selbst jedoch nicht. Vor Gericht konnte es deshalb zu der kuriosen Situation kommen, dass Medienleute etwa mit Vertretern der Bundesregierung Interviews führten, ohne dass selbst diese wussten, was den Journalisten längst bekannt war. Die Eingeweihten achteten darauf, dass von der Praxis nichts nach außen dringt. So gab es offenbar auch in der „Justizpressekonferenz“ eine Zweiklassengesellschaft von „Vollmitgliedern“, die von den Vorab-Infos profitierten, und „Gastmitgliedern“, die zum Teil nicht einmal wussten, dass es diese Praxis gab.

Interne Richtlinien zeigen, wie man aus der Praxis ein Geheimnis machte

Das aus sämtlichen Richterinnen und Richtern bestehende Plenum des Verfassungsgerichts hat gleichwohl im Juni beschlossen, an seiner Öffentlichkeitsarbeit in dieser Form festzuhalten. Die JPK-Mitglieder böten die Gewähr dafür, dass vor Verkündung keine Nachrichten vom Urteil verbreitet würden. Am Montag übersandte das Gericht erstmals die „Richtlinien“, auf denen die Praxis fußt. Darin wird der Wille erkennbar, die an deutschen Gerichten einmalige Praxis möglichst nicht öffentlich werden zu lassen. Eine „allgemeine Veröffentlichung“ dieser Richtlinien sei „nicht notwendig“, heißt es darin. Die ständig bei den Karlsruher Gerichten tätigen Journalisten seien „weitgehend vollzählig“ in der Justizpressekonferenz vertreten. Das Bundesverfassungsgericht könne „aufgrund der bisherigen Justizberichterstattung aus Karlsruhe davon ausgehen, dass sich in Karlsruhe neu hinzukommende Journalisten um eine Vollmitgliedschaft in der Justizpressekonferenz bemühen werden“. Eine solche „Vollmitgliedschaft“ bleibt jedoch laut JPK-Satzung wiederum nur dem kleinen Kreis vorbehalten, der „ständig“ von den obersten Gerichtshöfen des Bundes berichtet. Die Exklusivität des Clubs und das Geheimnis seines Zusammenwirkens mit Deutschlands höchstem Gericht blieb damit gewahrt.





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