Sonntag, 9. August 2020

Erdogan... der "Sultan"

von Thomas Heck...

In der Türkei beginnt der Stern des Sultans langsam aber sicher zu sinken. Erdogans Maßnahmen der letzten Monate lassen darauf schließen. Nur in Deutschland hat er noch die Anhänger, die ihm nachhecheln, aus Gründen, die hier in Deutschland sowieso keiner versteht. Es zeigt nur, dass die Integration der Türken der 3. und 4. Generation krachend gescheitert ist, bei denen die Polizei ohne verstärkende Hunderschaften nicht mal ein Parkverbot ungestraft ahnden kann. Dabei sollten gerade die hier sozialisierten Türken froh sein, hier leben zu dürfen. Der FOCIS berichtet über die Zustände in der Türkei unter Erdogan.


Die Corona-Krise treibt die Türkei in den wirtschaftlichen Abgrund. Präsident Recep Tayyip Erdogan greift zu immer radikaleren Mitteln, um die Landsleute dennoch bei Laune zu halten. Seine Methoden könnten auf die komplette Abschaffung der modernen Türkei hinauslaufen.

Als der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Ende Juli die legendäre Hagia Sophia in Istanbul wieder zur Moschee umwidmete und 350.000 Türken vor dem 15 Jahrhunderte alten Gebäude zum Gebet niederknieten, kam es zum Moment, in dem sich die Türkei von der Moderne verabschiedete. Ali Erbas, Chef des türkischen Religionsamtes Diyanet, schritt die Kanzel der Hagia Sophia empor. Mit einem Schwert in der Hand, dem langen Gewand und dem schleppenden Gang erinnerte er fast an den Chef der Terrormiliz Islamischer Staat, Abu Bakr al-Baghdadi, als dieser in Mossul 2014 das Kalifat ausrief.

Erbas bediente sich sogar des Tonfalls fanatischer Islamisten, als er in seiner Predigt dunkle Drohungen gegen den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk ausstieß. Dieser hatte das Land 1923 in die säkulare Moderne geführt und die Hagia Sophia von einer Moschee in ein Museum umgewandelt. Bereits zuvor hatte Präsident Erdogan die Zeremonie zum Triumph des Islam und zum nationalen Sieg über den Westen erklärt.

Zur gleichen Zeit herrschte Gefechtsalarm in der Ägäis. Von Kampfjets begleitet, ließ Erdogan bis zu 18 Kriegsschiffe auslaufen, um nahe der griechischen Insel Kastellorizo nach Erdgas suchen zu lassen. Griechenland antwortete mit der Mobilisierung seiner Flotte. Es fehlte nicht viel, und die Nato-Länder hätten aufeinander geschossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel vermittelte. Doch erst als die US Navy einen Flugzeugträger ins östliche Mittelmeer schickte, zog Erdogan seine Schiffe zurück.

Kampf gegen den eigenen Machtverlust

Beide Ereignisse haben den Blick der Welt auf die Türkei gelenkt - und die Kritik an Ankara im Westen massiv verstärkt. Doch solchen Aufruhr im Ausland zu provozieren, sei dem Autokraten hochwillkommen, weil er sie „als Feindseligkeit gegenüber dem türkischen Volk darstellen” und damit die öffentliche Meinung hinter sich einen könne, meint der Chefredakteur des exiltürkischen Nachrichtenportals Ahvalnews, Yavuz Baydar. „Erdogan ist zurzeit klar in der Defensive, aber in äußerst aggressiver Weise. Alles dreht sich darum, seine bröckelnde Macht zu stabilisieren.”

Eigentlich ist der Staatschef dafür bekannt, sich gegen alle denkbaren Bedrohungen zu wappnen. Vor drei Jahren ließ er per Referendum ein Präsidialsystem einführen, weil ihm sein Machterhalt in einer parlamentarischen Demokratie nicht mehr sicher genug erschien. Nur einen Gegner konnte er damals natürlich nicht erahnen: das Coronavirus, das die ohnehin taumelnde türkische Wirtschaft an den Rand des Abgrunds brachte. Die Lage ist ernst.

Corona stürzt die AKP in die Krise

Die Pandemie traf die Türkei hart, auch weil Erdogan lange zögerte, bis er Ausgangssperren verhängte. Die Krise hatte für den Autokraten, seine seit 18 Jahren regierende AKP und deren rechtsextremen Bündnispartner MHP einen beispiellosen Verlust der Wählergunst zur Folge. Laut seriösen Umfragen würde die AKP derzeit kaum 30 Prozent der Stimmen bekommen - ein Absturz von mehr als zehn Prozentpunkten im Vergleich zur Parlamentswahl vor zwei Jahren.

Zwar gilt Erdogan noch immer als der populärste Politiker im Land, aber auch seine Werte verschlechtern sich kontinuierlich. Im direkten Vergleich liegen die möglichen Herausforderer von der oppositionellen sozialdemokratischen CHP, die Bürgermeister Ekrem Imamoglu aus Istanbul und Mansur Yavas aus Ankara, fast gleichauf oder sogar vor ihm.

Wie volatil die Lage ist, hatte Erdogan Ende Juni erfahren müssen. Da brach sein Medienteam eine Livedebatte mit ausgewählten Jugendlichen auf YouTube abrupt ab, nachdem junge Zuschauer den „Gefällt mir- nicht”-Knopf hunderttausendfach angeklickt hatten. Tatsächlich zeigen Meinungsumfragen, dass der Staatschef bei der jungen, internetaffinen Generation Z dramatisch an Zustimmung verliert, weil er für ihre Probleme wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit keine Antworten hat.

Auch wenn Erdogans smarter Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak ständig vor die Kameras tritt und positives Wirtschaftswachstum verspricht, beweisen die Fakten das exakte Gegenteil: Die Industrieproduktion ist um 31 Prozent eingebrochen. Die Lira fiel zu Wochenbeginn auf den historisch tiefsten Stand gegenüber dem Euro. Der lebenswichtige Tourismus liegt am Boden.

"Heimtückisches" Ausland ist Schuld am Wirtschaftstief

Die Arbeitslosigkeit betrug im April 12,8 Prozent und betraf 3,8 Millionen Menschen - offiziell. Der Gewerkschaftsverbund Disk schätzt die tatsächliche Zahl auf 17,7 Millionen. Manche Ökonomen glauben gar, dass die Türkei kurz vorm Staatsbankrott steht.

In der Not startet der Populist wie stets, wenn er unter Druck steht, multiple Ablenkungsmanöver. Seine Regierung steigert die öffentlichen Ausgaben und macht das „heimtückische” Ausland für den Lira-Absturz verantwortlich.

Die Hagia-Sophia-Inszenierung ist sein bisher massivster Befreiungsschlag. Er soll die religiös-nationalistische Wählerschaft der AKP mobilisieren. Aber es geht um noch mehr. Bewusst hatte Erdogan die Umwandlungsshow auf den Jahrestag des Lausanner Friedensvertrags von 1923 terminiert, mit dem Staatsgründer Atatürk die Grenzen des Landes nach dem Untergang des Osmanischen Reiches sicherte. Erdogan möchte das von den Ultranationalisten als „Zwangsjacke” bezeichnete Abkommen revidieren. Vor einer Expansion nach außen, soll das wohl bedeuten, macht das türkische Regime keinen Halt mehr.

Antiwestliche Kriegsrhetorik

In den nächsten Monaten breche eine Debatte über den Lausanner Vertrag aus, die den Nationalismus ankurbeln und die gesellschaftliche Polarisierung verschärfen werde, prognostiziert der Journalist Baydar. „Die Infragestellung dieses Vertrages und antiwestliche Kriegsrhetorik sollten die Welt alarmieren. Das ist ein radikaler Paradigmenwechsel des politischen Koordinatensystems der Türkei”, sagt er. Doch bisher haben sich weder die EU noch die USA strategisch auf die Gefahr eingestellt.

Erdogans Propagandamaschine läuft seit dem Hagia-Sophia-Event heiß. Wie zur Bestätigung der IS-Analogie forderte das regierungsnahe Magazin „Gercek Hayat” einen Tag nach dem nationalistischen Hochamt auf seiner Titelseite die Rückkehr des Kalifats. Regierungsnahe Kommentatoren verlangen die Wiedereinführung des islamischen Kalenders und des Scharia-Rechtssystems sowie die Verlegung der Hauptstadt zurück nach Istanbul. Vertreter ethnischer und religiöser Minderheiten wie Kurden, Armenier oder Aleviten befürchten bereits eine Welle von Gewalt.

"Freiwillig wird Erdogan nicht gehen" 

In einer Blut-und-Boden-Rede erklärte Erdogan, die Türkei werde von der „gesamten Welt attackiert”. Die Wiedereröffnung der Hagia Sophia als Moschee sei nur der Anfang der Gefechte, „mit der Hilfe Gottes” werde die „mächtige Türkei alle Herausforderungen bewältigen”. Er versprach, „den Job zu Ende zu bringen”.

Gleichzeitig verschärft der Autokrat die Unterdrückung von Medien und Opposition. Seit einigen Wochen verhaften die Sicherheitskräfte wieder deutlich mehr Menschen, vor allem Politiker, Journalisten und Militärs. Um die Verbreitung unabhängiger Informationen zu verhindern, drangsalierte Erdogan am Mittwoch auch die sozialen Medien: Facebook, Twitter und Co. werden zensiert und sollen bei Unbotmäßigkeit mit massiven Geldstrafen belegt werden. Türkische Kommentatoren betrachten die Maßnahmen als Vorbereitungen für vorgezogene Neuwahlen.

Was aber, wenn all das nicht wirkt? Der Krisen-Tsunami macht nun selbst dem erfahrenen Konfliktmanager Erdogan zu schaffen. Offenbar bereitet er sich zu Hause auf neue Unruhen vor. Die Regierungsmehrheit im Parlament beschloss Mitte Juni, bis zu 30 000 Hilfspolizisten mit Schusswaffen auszurüsten. Von einer „paramilitärischen Privatmiliz” spricht die Opposition. „Freiwillig wird Erdogan nicht gehen”, meint der Essener Türkei-Experte Burak Copur. „Falls ihm doch das Heft aus der Hand gleitet, wird dieser Meister der Krisengenerierung das Land weiter polarisieren und destabilisieren, damit ihn die Menschen wiederwählen.”

Und wenn das nicht funktioniert, gibt es immer noch Plan C. Die CHP-Opposition enthüllte jüngst, dass der Clan des Staatschefs offenbar öffentliche Vermögenswerte an die ihm nahestehende Turken-Stiftung in den USA verschiebt. Mehr als 90 Millionen US-Dollar sollen bereits geflossen sein, um einen Wolkenkratzer in New Yorkzu finanzieren und ein Grundstück der Boxlegende Muhammad Ali zu kaufen. „Sie haben Muhammad Alis Farm in Michigan gekauft, weil sie wissen, dass sie in die USA gehen werden, falls sich die Zeiten ändern”, sagte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu. „Dort konzentrieren sie ihr Vermögen."

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