von Thomas Heck...
Neun neue Einsatzboote sollte das Kommando Spezialkräfte der Marine erhalten. Doch nach SPIEGEL-Informationen ist das Beschaffungsprojekt gescheitert – die Sonderwünsche der Bundeswehr sind nicht realisierbar. Hier stellt sich wieder einmal die Frage, warum die Bundeswehr nicht Material und Ausrüstung am Markt beschafft, sondern immer darauf drängt, maßgeschneiderte Lösungen konstruieren zu lassen, was die Kosten treibt und auch unnötige Risiken bedeuten, von Fragen der Realisierbarkeit, zeitliche Verzögerungen und eben Kostensteigerungen. Ich nenne da als Beispiele den Schützenpanzer Puma, den Kampfhubschrauber Tiger und den Transporthubschrauber NH90.
Kampfschwimmer des Kommandos Spezialkräfte der Marine im überalterten Schlauchboot RHIB H1010
Das Kampfschimmer sind die älteste Spezialeinheit der Bundeswehr. Auf den 1966 gegründeten Verband kommt es an, wenn wichtige Informationen in Krisen- und Konfliktgebieten zu beschaffen, Geiseln oder gekaperte Schiffe zu befreien sind. 2014 gingen die Kampfschwimmer in das Kommando Spezialkräfte Marine (KSM) auf.
Die Einheit versteht sich auf verdeckte Operationen. Folglich wurden die Kampfschwimmer dieser Tage auch für eventuelle Notfälle bei der Sudan-Evakuierungsmission der Bundeswehr ins Einsatzgebiet geflogen. Zu den Kernkompetenzen zählt allerdings auch Geduld beim Warten auf moderne Ausrüstung.
Seit vielen Jahren hoffen die Kampfschwimmer im Marinestützpunkt Eckernförde auf neue Einsatzboote, die ihre in die Jahre gekommenen Schlauchboote vom Typ RHIB H1010 ersetzen sollen. Im Juni vergangenen Jahres gab es eine gute Nachricht: Der Bundestag gab grünes Licht, und das Verteidigungsministerium bestellte neun Einsatzboote nebst Zubehör beim finnischen Unternehmen Boomeranger. Der Rahmenvertrag sah die Option auf zwölf weitere hoch spezialisierte Schlauchboote vor. Gesamtkosten: 34,4 Millionen Euro, zu entrichten aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr.
Firma kann Wünsche der Bundeswehr nicht umsetzen
Doch daraus wird nichts, es gibt keine neuen Schlauchboote für die Kampfschwimmer. Nach SPIEGEL-Informationen hat das Verteidigungsministerium das Beschaffungsprojekt am 6. April gestoppt. Dem Vernehmen nach konnte der finnische Hersteller die Ansprüche der Bundeswehr nicht in die Tat umsetzen und zog die Reißleine.
Im Haushaltsausschuss des Bundestags sorgt die Nachricht kaum für Überraschung. Schließlich hatten die Haushälter ihre Zweifel an dem Projekt im vergangenen Jahr mehrfach gegenüber dem Wehrressort deutlich gemacht. Die Leistungsanforderungen seien technisch unmöglich, hieß es. Im Kern geht es um die hohe Geschwindigkeit der Boote, die von den Beschaffern der Truppe eingefordert wurde. Deutsche Werften sollen sich angesichts der hohen Erwartungen im Vergabeverfahren vornehm zurückgehalten haben.
Die Parlamentarier kritisierten überdies, dass das Ministerium Abstriche bei Umweltvorschriften akzeptierte: Weil die neuen Boote die geltenden internationalen Abgasnormen nicht einhalten würden, hätten sie nur mit Sondergenehmigung in küstennahen Gewässern genutzt werden dürfen. Ich bin dagegen der Meinung, dass Abgasnormen gegenüber den Einsatzanforderungen zurückstehen müssen, auf keinen Fall Projekte zum scheitern bringen dürfen.
Den Parlamentariern sei früh zugetragen worden, dass namhafte deutsche Werften und auch die Schiffbauexperten der Bundeswehr von Anfang an massive Probleme in diesem Beschaffungsvorhaben gesehen hätten. »Der Forderungskatalog der Bundeswehr – so die Feststellung – war so umfangreich, dass er nach allen Regeln der technischen Kunst unmöglich in ein Bootsdesign umsetzbar war und ist«.
Das Ministerium habe jedoch wiederholt behauptet, dass die Konstruktion des Bootes möglich sei. Der CDU-Haushälter Gädechens bat, direkt mit einem zuständigen Schiffbauingenieur sprechen zu können. »Das Verteidigungsministerium hat auch jemanden aus dem Beschaffungsamt in Koblenz nach Berlin geschickt – nur keinen Schiffbauingenieur, sondern den Projektleiter«, beklagt Gädechens. Dieser habe die Bedenken der Abgeordneten nicht ausräumen können.
Kürzlich habe er die Information erhalten, dass die finnische Firma die Boote nicht bauen könne, so Gädechens. Er wirft dem Ministerium vor, seine Auskunftspflicht gegenüber dem Parlament zu missachten: Das Haus von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe die Abgeordneten nicht von sich aus über das Scheitern des Projekts informiert. Zudem sei die Antwort auf eine entsprechende schriftliche Frage des Abgeordneten Gädechens als vertraulich eingestuft worden, »sodass ich darüber nicht berichten darf«, moniert er.
»Begründet wird dies damit, dass sonst ›Rückschlüsse auf die Ausstattungssituation‹ der Spezialkräfte möglich wären. Was eine absurde Aussage«, sagt Gädechens und merkt an, dass das Ministerium bei der Vertragsunterschrift offenbar keinen Wert auf Geheimhaltung gelegt habe – damals ging eine Pressemitteilung raus.
Das Schlauchboot-Fiasko ist laut Gädechens ein Musterbeispiel für die eklatanten Schwächen im Beschaffungswesen der Bundeswehr. »Das Verteidigungsministerium hat sich absolut beratungsresistent gezeigt, obwohl so viele Warnhinweise vorlagen«, sagt er. »Letztlich war wieder einmal ein juristisch sauberes Vergabeverfahren die oberste Zielsetzung – nicht aber, dass die Truppe schnellstmöglich einsatzbereites Material erhält.«
Schluss mit »Goldrandlösungen«
Verteidigungsminister Pistorius weiß um die Mängel in seinem Apparat; er stellt ein radikal vereinfachtes und beschleunigtes Beschaffungsverfahren in Aussicht. Das absurde Beispiel der Schlauchboote für die Kampfschwimmer hat den Neuen im Bendlerblock bereits kurz nach Amtsantritt erreicht. Warum bestellt die Bundeswehr nicht Schlauchboote, die auch von anderen maritimen Spezialkräften genutzt werden? Eine Frage, die sich der Minister stellte – und die ihm die Experten aus dem Beschaffungsapparat bisher nicht beantworten konnten. Und so scheitert ein an sich kleines Projekt und lässt die Truppe mit älteren Material alleine. Wie man dann erwarten kann, dass Großprojekte problemlos realisierbar seinen, hat die Rechnung ohne den Wort gemacht. Bei der Beschaffung von Kampfhubschraubern wird sich ein ähnliches Debakel anbahnen, wo zivile Hubschrauber umgerüstet werden sollen. Wir hatten drüber berichtet.
Das Schlauchboot-Desaster ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Bundeswehr selbst behindert. Statt auf dem Markt nach verfügbaren und erprobten Waffensystemen oder eben Schlauchbooten zu suchen, setzt man immer wieder auf speziell für die Bundeswehr entwickelte Modelle. In Bundeswehrkreisen werden diese teuren Projekte gern als »Goldrandlösungen« bezeichnet.
Pistorius will diese Praxis nun abschaffen. Wie der SPIEGEL enthüllte, ließ er dazu zwei grundlegende Anordnungen erarbeiten, die im Mai in Kraft treten sollen. Der Einkauf von neuem Material müsse mit sofortiger Wirkung »deutlich schneller, effektiver und unbürokratischer« erfolgen als bisher, heißt es in einem Entwurf. Und weiter: Alle bundeswehrinternen »Regelwerke, die gesetzliche Regelungen verschärfen, sind hiermit ausgesetzt«.
Fortan sollen keine Sonderanfertigungen mehr das Maß der Dinge bei der Truppe sein. Stattdessen heißt es im Entwurfspapier: »Marktverfügbarkeit ist die grundsätzlich vorzusehende Lösung.«
Die Kampfschwimmer werden sich jedoch noch eine Weile in Geduld üben müssen. Bis eine neue, diesmal umsetzbare Ausschreibung für Einsatzboote startet, dürfte es dauern. Ob die Kampfschwimmer übrigens wieder eine eigene Schwimmhalle für den Ausbildungsbetrieb haben?
Was allerdings weiterhin fehlt, ist eine Schwimmhalle für die Marinetaucher. Der Flughafen BER bekam für die 14 Jahren Bauzeit viel Häme, war aber zumindest ein Neubau. Die Schwimmhalle der Marinetaucher braucht denselben Zeitraum für die Sanierung. So ist im aktuellen Wehrreport zu lesen: „Die im Juli 2010 begonnenen und damit über zwölf Jahre währenden Sanierungsarbeiten fanden bis Ende des Berichtsjahres immer noch kein Ende. Zumindest soll auch in Eckernförde, so das Verteidigungsministerium, das Tauchen im Jahr 2024 wieder möglich sein.“