von Thomas Heck...
Mitleid mit Politikern ist eigentlich grundsätzlich nicht angesagt. Sie fallen weich, anders als ein normaler Arbeitnehmer wird der Ausstieg aus der Politik nicht zu einem finanziellen Fiasko. Als ein beleidigter Sigmar Gabriel letztlich Martin Schulz zu Fall brachte und seiner eigenen Partei einen Bärendienst erwies, als er heulend seine eigene Tochter per Twitter mit ins Spiel brachte, vergaß er, dass er ausschließlich seinem Arbeitgeber verpflichtet ist. Nämlich dem Volk. Nicht seiner Partei. Dem Volk. Und Mitleid ist auch deswegen nicht angebracht, weil Gabriel aufgrund seiner langen politischen Tätigkeit weich fallen wird, über Pensionsansprüche verfügt, von denen ein normaler Angestellter nur träumen kann und der vemutlich 250 Jahre arbeiten müsste, um diese zu erlangen. Also, heul nicht rum Siggi, ertrag es wie ein Mann...
„Natürlich will ich Bundeskanzler werden“: Gut zwei Jahre ist es her, dass Sigmar Gabriel diesen Satz sagte. Seitdem ist viel passiert. Kanzler wurde Gabriel bekanntlich nicht, er versuchte es noch nicht einmal. Nach seinem Verzicht auf die Kandidatur avancierte er dafür zum beliebtesten SPD-Politiker.
Nun steht Gabriel vor dem politischen Aus. In einem neuen Kabinett ist kein Platz für den SPD-Granden. Martin Schulz ließ ihn, entgegen seines angeblichen Versprechens, ihm das Auswärtige Amt zu lassen, im Regen stehen – doch daran trägt auch Gabriel selbst Schuld.
Noch Anfang Januar 2017, vor gut einem Jahr, trieb die K-Frage die SPD um. Gabriel hatte sich lange nicht festlegen wollen, ob er Kanzlerkandidat werden wolle oder nicht. Spekulationen schossen ins Kraut. „Der SPD-Chef sich festgelegt: Gabriel tritt gegen Merkel an“, titelte die „Bild“-Zeitung damals. Kurz darauf kam es doch anders.
Vor einem Jahr verkündete Gabriel seinen Rückzug – eine kluge Entscheidung, dachte man
Am 24. Januar verkündete Gabriel seinen Rückzug vom Parteivorsitz und schlug Martin Schulz als Nachfolger und Kanzlerkandidat vor. „Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern – und mit mir die SPD“, sagt Gabriel in dem "Stern"-Interview, durch das der Schritt öffentlich wurde.
Eine kluge Entscheidung – so wurde es zumindest damals bewertet. Schließlich waren Gabriels Beliebtheitswerte schlecht, die Umfragewerte der SPD ebenso. Selbst große Erfolge Gabriels – wie die Nominierung Frank-Walter Steinmeiers als Bundespräsident oder der gute Ausgang der Kaiser’s-Tengelmann-Krise – konnten daran nichts ändern.
Gabriels Höhenflug: Schulz versprach ihm Außenminister-Amt, seine Beliebtheit stieg
Nicht nur für die Partei war Gabriels Verzicht also eine Chance, sondern auch für ihn selbst. Während die SPD dem Schulz-Hype verfiel, trat der bisherige Wirtschaftsminister seinen neuen Posten im Auswärtigen Amt an. Sein Kalkül ging auf. Gabriel, der bis dato nicht durch diplomatische Stärke aufgefallen war, blühte als Außenminister tatsächlich auf. Seine Beliebtheitswerte explodierten. Er wurde Umfragen zufolge der populärste aktive Politiker Deutschlands, und der SPD sowieso.
Gabriel erlebte plötzlich den Höhepunkt seiner Karriere, und noch besser: Sein politisches Überleben schien langfristig gesichert. Denn Schulz versprach Gabriel bei dessen Ablöse, dass er im Fall einer neuen GroKo Außenminister bleiben könnte, wie „Stern“ und „Spiegel“ berichten. Eine Entschädigung dafür, dass Gabriel auf Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz verzichtete. Prächtige Aussichten für den Mann aus Goslar. Gabriel erklärte anschließend mehrfach, dass er in einer neuen großen Koalition gerne Außenminister bleiben würde.
Durch Querschüsse im Wahlkampf verscherzte es Gabriel sich mit Schulz
Doch es kam anders. Sein Nachfolger an der SPD-Spitze führte einen missglückten Wahlkampf – und Gabriel warf Schulz weitere Knüppel zwischen die Beine. Immer wieder schoss er gegen ihn. Etwa im August.
Auf die Frage nach einer Neuauflage der großen Koalition sagte Gabriel dem „Spiegel“ damals: „Soll ich dann sagen: Ist eigentlich 'ne gute Idee? Weil, da kann der Schulz schon mal einpacken, weil dabei wird er dann nicht Kanzler.“ Dies war so interpretiert worden, als sei für Gabriel klar, dass die SPD nicht stärkste Partei werde – während Schulz diesen Anspruch Tag für Tag auf den Marktplätzen verkündete.
Es war nicht das einzige Mal, dass Gabriel im Wahlkampf deutliche Akzente setzte und so die Autorität seines Nachfolgers untergrub. Damit verscherzte es sich Gabriel nachhaltig mit Schulz. Zuvor hatten beide immer wieder ihre Freundschaft betont.
Nun bekam Gabriel die Quittung – und Schulz brach offenbar sein Versprechen
Auch nach der Wahl kritisierte er Schulz öffentlich, forderte die Partei in einem Essay für den „Spiegel“ quasi zu einer Kurskorrektur auf, gerade bei den Begriffen „Heimat“ und „Leitkultur“, die die SPD nicht den Konservativen überlassen dürfe. Kurzum: Gabriel stichelte weiter. Die Quittung dafür hat er nun offenbar in Form eines gebrochenen Versprechens bekommen.
„Ich finde, dass Sigmar Gabriel sehr gute Arbeit als Außenminister geleistet hat. Ich habe mich entschieden, in die Bundesregierung einzutreten – und zwar als Außenminister“, sagte Schulz auf der Pressekonferenz am Mittwochabend. Keine Begründung und keine Gnade für den einstigen Freund sind aus diesen Worten herauszulesen. Andrea Nahles, die nun wiederum Schulz‘ Nachfolger an der Parteispitze wird, nickte nur zufrieden. Sie gilt ohnehin als Gegnerin Gabriels.