von Jochen Sommer

Als ob die Weltlage nicht bereits dramatisch genug wäre, ist nun auch der Dauerkonflikt der beiden Atommächte Indien und Pakistan eskaliert. Gestern Abend führte Indien mehrere Luftangriffe im Nachbarland aus – laut Regierung handelte es sich um „Präzisionsschläge auf terroristische Infrastruktur“. Die pakistanische Armee erklärte, die Angriffe hätten Zielen im pakistanisch kontrollierten Teil von Kaschmir sowie in der an Indien grenzenden pakistanischen Region Punjab gegolten. Dabei habe es acht Tote und 33 Verletzte gegeben. Weiter ist vom Abschuss zweier indischer Kampfjets durch die pakistanische Luftwaffe die Rede. Der Luftraum über Pakistan sei für 48 Stunden geschlossen worden, der Flugbetrieb der Flughäfen Islamabad und Lahore bis auf weiteres eingestellt. Der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif verurteilte die „feigen Angriffe“ und betonte, sein Land habe „jedes Recht, auf diese Kriegshandlung Indiens mit aller Härte zu reagieren, und das wird es auch“. Der pakistanische Armeesprecher Ahmed Sharif Chaudhry sprach von einer „abscheulichen Provokation“, auf die Pakistan „zu einer Zeit und an einem Ort seiner Wahl“ reagieren werde. Aus dem indischen Verteidigungsministerium hieß es, neun Ziele seien angegriffen worden.
Die Aktion sei „gezielt, maßvoll und nicht eskalierend“. Pakistanische Militäreinrichtungen seien nicht attackiert worden, bei der Auswahl der Ziele und der Art der Ausführung habe man „beträchtliche Zurückhaltung“ geübt. Hintergrund dieser Eskalation ist ein Terroranschlag vom 22. April in dem indischen kontrollierten Teil der Unruheregion Kaschmir. Bewaffnete Angreifer hatten dort in einer Urlaubsgegend 26 Menschen (indische Quellen sprachen von 40 Opfern), vorwiegend indische Touristen, ermordet. Die indische Regierung wirft Pakistan eine Beteiligung vor, was dessen Regierung jedoch vehement zurückweist. Seither haben beide Länder ihre Staatsbürger gegenseitig ausgewiesen und die diplomatischen Beziehungen reduziert.
Die Bagatellisierung von Kernwaffen
Indien setzte zudem den Indus-Wasservertrag mit Pakistan aus, der die Wassernutzung beider Seiten des Indus und seiner Nebenflüsse regelt. Die Lage ist also denkbar dramatisch. Und den Westen kann man von einer Mitschuld an dieser Entwicklung nicht freisprechen: Mit seiner seit über drei Jahren betriebenen besinnungslosen Ukraine-Unterstützung und dem – vor allem aus Deutschland – ständig zu hörenden verbalen Kokettieren mit einem Angriff auf das Territorium der Atommacht Russland, hat dazu geführt, dass die Existenz eines Atomwaffenarsenals quasi eine Petitesse sei, da der Einsatz von Nuklearwaffen ja dazu führe, dass man im Gegenzug selbst vernichtet würde. Deshalb werde Russland es nicht wagen, die atomare Option zu zünden, egal wie sehr man ihm zusetze. Mit solch hanebüchenen Behauptungen von dilettantischen Politikern und Pseudoexperten werden die Erfahrungen von 40 Jahren kaltem Krieg einfach weggewischt.
Damals war es die unverrückbare Grundlage aller strategischen Überlegungen, unter gar keinen Umständen eine atomare Eskalation zu riskieren. Heute tut man so, als handele es sich bei Atomwaffen um eine Art folkloristisches Relikt aus der Mottenkiste des Ost-West-Konfliktes, obwohl es heute viel mehr Atommächte gibt als damals und die Lage viel unübersichtlicher und gefährlicher ist. Es ist sogar zu befürchten, dass die europäische Kriegstreiberfraktion sich umgekehrt durch den Konflikt der beiden Atommächte Indien und Pakistan sogar noch in ihrem Irrglauben bestätigt fühlt, dass ein Atomkrieg ausgeschlossen ist, weil sich ohnehin niemand trauen wird, auf den Knopf zu drücken. Es ist ein gemeingefährliches Hasardspiel, das hier betrieben wird. Und durch die Ereignisse am Indus ist die Situation auch in Europa noch einmal gefährlicher geworden.
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