Er sollte das Prestigeprojekt der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung werden: der Mietendeckel. Seit Ende Februar gilt das Gesetz, das wie kein zweites in den deutschen Immobilienmarkt eingreift. Es friert nicht nur die Mieten auf dem Niveau des vergangenen Jahres ein. Bei Mieterwechseln müssen Immobilieneigentümer die Miete mitunter sogar senken, falls sie mehr verlangt haben als die vom Senat festgelegten Obergrenzen. Doch fünf Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zeichnet sich ab: Der Deckel könnte den Mietern in vielerlei Hinsicht mehr schaden als nutzen.
Zwar sind die Angebotsmieten für die vom Mietendeckel betroffenen Wohnungen – das sind alle, die vor 2014 gebaut wurden, 1,4 Millionen an der Zahl – tatsächlich leicht rückläufig. Innerhalb eines Jahres sanken sie um 5 Prozent, von durchschnittlich 13,01 Euro kalt je Quadratmeter im Juni 2019 auf 12,31 Euro im Juni dieses Jahres. Dies geht aus einer neuen Analyse der Plattform Immobilienscout 24 hervor, die der F.A.Z. vorliegt. Dieser Mittelwert liegt aber immer noch weit oberhalb der Obergrenzen des Senats. Diese bewegen sich je nach Baujahr und Ausstattung der Wohnung zwischen 3,92 Euro und 9,80 Euro. Ist die Wohnung besonders modern, etwa mit Aufzug, neuem Bad und hochwertigen Bodenbelägen, ist ein Euro mehr erlaubt.
Ein überschaubares Problem – laut Senatsverwaltung
Nach einer Schätzung des Berliner Mietervereins wird derzeit in rund 80 Prozent aller inserierten Angebote eine Miete oberhalb des Mietendeckels verlangt. Geschäftsführer Reiner Wild spricht von einer „Schattenmiete“. Das bedeutet: Die Vermieter lassen sich in den Verträgen vorsorglich eine höhere – in den Inseraten genannte – Miete zusichern, für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kippt. In der Praxis verlangen sie bis zu der Entscheidung aber erst mal nur die gedeckelte Miete. Der Mieterverein ist überzeugt, dass die Schattenmiete rechtlich nicht zulässig ist. Wild weiß aber auch: „Eine Rechtsprechung liegt zu der Frage noch nicht vor.“
Die zuständige Senatsverwaltung hält das Problem für überschaubar. „Die relativ niedrige Anzahl von Anzeigen von Mieterinnen und Mietern zeigt, dass sich der Großteil der Vermieterinnen und Vermieter an die Regelungen des Mietendeckels hält“, sagte Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) der F.A.Z. (Ganz anders, als die Senatorin selbst, die als Senatorin in diversen Aufsichtsräten sitzt, dessen Einkünfte an die Staatskasse abzuführen sind. Lompscher dagegen sackt die Gelder seit Jahren in die eigene Tasche - Anm. der Heck Ticker-Redaktion). Sie rät betroffenen Mietern, sich zu wehren, falls vertraglich unzulässige Mieten vereinbart wurden. „Nur so kann sichergestellt werden, dass rechtswidriges Verhalten behördlich geahndet werden kann.“ Die Verfolgung von Rechtsverstößen ist allerdings schwierig, weil teils der Senat, teils die Bezirke zuständig sind. Von den in den Bezirken vorgesehenen 48 Planstellen sind bislang erst zwei besetzt, 19 weitere sollen im August folgen. Auch am technischen Erfassungssystem hakt es noch. So gibt es bislang auch noch keine Fälle, in denen die Stadt ein Bußgeld verhängt hat.
Immer größere Verzweiflung bei den Wohnungssuchenden
Auch die Deutsche Wohnen, der größte private Vermieter in der Stadt und das Feindbild linker Enteignungsbefürworter, arbeitet mit unterschiedlichen Miethöhen. In etlichen aktuellen Mietangeboten ruft der Konzern Quadratmeterpreise von mehr als 10 Euro auf, obwohl der Mietendeckel für diese Wohnungen Beträge von 6 bis 7 Euro vorsieht. Eine Sprecherin des Unternehmens verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht explizit erlaubt habe, dass sich Vermieter bei Neuvermietungen eine höhere Miete zusichern lassen dürfen, für den Fall, dass die Richter das Gesetz ganz oder teilweise als verfassungswidrig einstufen. „Damit schaffen wir Transparenz für Mietinteressenten und verhindern, dass sich Mieterinnen und Mieter finanziell übernehmen“, sagt eine Sprecherin.
Wann die Richter in Karlsruhe ihre Entscheidung verkünden, ist noch offen. Nur die allergrößten Optimisten rechnen damit noch in diesem Jahr. Ihre Klage haben die mehr als 280 Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU und FDP Anfang Mai eingereicht. Sie argumentieren, dass ein einzelnes Bundesland wie Berlin nicht die Zuständigkeit hat, ein solches Gesetz zu verabschieden. Mietrecht sei Bundesrecht. Diese Ansicht vertritt auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof. Er bremste mit diesem Argument kürzlich ein Volksbegehren aus, dessen Initiatoren Mietsteigerungen in Bayern auf die Höhe der Inflationsrate begrenzen wollten. Die SPD wirbt deshalb für einen bundesweiten Mietenstopp – eine Forderung, die im Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr eine wichtige Rolle spielen dürfte.
In Berlin wird derweil die Verzweiflung von Wohnungssuchenden immer größer. In den Immobilienportalen wimmelt es von Angeboten, in denen Vermieter Wohnungen nun möbliert und mit entsprechenden Preisaufschlägen anbieten – obwohl nach Aussage des Senats auch für solche Wohnungen die Obergrenzen gelten. Immer wieder kommt zudem vor, dass ein Teil der Wohnfläche als gewerblich deklariert wird. Denn für solche Flächen gilt der Mietendeckel nicht. Dass Wohnraum nur mit Genehmigung der Bezirke in Gewerbe umgewandelt werden darf, wissen die wenigsten Mietinteressenten.
Und ihre Suche wird immer schwieriger, wie die Zahlen von Immobilienscout zeigen. Offenbar ziehen viele Vermieter aus dem Gesetz die Konsequenz, dass sie ihre Wohnungen nicht weiter vermieten, sondern verkaufen. Innerhalb der vergangenen zwölf Monate ist das Angebot an Eigentumswohnungen in Berlin um 25 Prozent gestiegen. Betrachtet man nur die Eigentumswohnungen mit Fertigstellung vor 2014, also die vom Mietendeckel betroffenen, stieg das Angebot sogar um 40 Prozent. Im gleichen Zeitraum verringerte sich das Angebot an Mietwohnungen in dieser Altersklasse um 45 Prozent.