von Thomas Heck...
Israels 70. Geburtstag ist für viele deutsche Medien, für viele deutsche Politiker, für viele Bürger, eine Pille, die schwer zu schlucken ist. Leider. Ist doch Israels Existenz eine Folge einer Gratwanderung zwischen Demokratie und dem scheinbaren Überschreiten einer Grenze bei der Bekämpfung von Terror und militärischen Bedrohungen, jedenfalls für deutsches Rechtsempfinden. Oder anderes formuliert, Israel tötet rechtzeitig seine Feinde, Juden wehren sich. Für Deutschland ist das offensichtlich schwer zu ertragen. Da brauchte man nur die Sendung in der Kulturzeit (von Henryk M. Broder liebevoll "KZ" genannt) zu 70 Jahre Israel anschauen, um von freudiger Stimmung ziemlich schnell auf tieftraurig eingenordet zu werden.
Und so mischt sich in die Glückwünsche eben auch ein Tenor, der wütend macht. Nach dem Motto, toll, dass Ihr überlebt habt, aber... die armen Palästinenser... so überschatten die neidischen und schmutzigen Proteste im Gaza-Streifen die Feierlichkeiten in Israel und Deutschland fällt mit Politik, Medien und Öffentlichkeit mal wieder auf die arabische Propaganda von Terrororganisationen wie Hamas hinein. Nichts arme Palästinenser. Die hatten ihre Chance. 70 Jahre lang und sind bis heute über den Terror nicht hinausgekommen.
Denn größer kann der Kontrast zwischen einer friedlichen Bevölkerung in Israel mit einer starken und konsequenten Armee und einer in weiten Teilen gewaltbereiten und hasserfüllten arabischen Bevölkerung mit einer terroristischen Regierung kaum sein, die die eigene Bevölkerung als Schutzschild mißbraucht.
Vernünftige Berichte zu diesem Tag finden sich in deutschen Medien weniger. Da lohnt der Blick zu unseren schweizer Nachbarn und der Basler Zeitung.
In wenigen Wochen jährt sich Israels Geburtstag zum siebzigsten Mal. Das Land hat gute Gründe zum Feiern. Es verkörpert eine der aussergewöhnlichsten Erfolgsstorys der politischen Geschichte. Gebaut aus dem Nichts, gehört die kleine multiethnische Nation nur ein paar Jahrzehnte später zu den Weltführern in der Hightech-Industrie, der Finanzbranche, der Militärtechnologie, sie hat den höchsten Lebensstandard im Nahen Osten, und sie ist die einzige lebendige Demokratie in einer Weltgegend von üblen Diktaturen und scheiternden Staaten. Das Erstaunlichste an Israel aber ist wohl, dass es überhaupt noch existiert.
Sechs-Tage-Krieg
Am selben Tag, am 14. Mai 1948, als David Ben-Gurion in Tel Aviv die Gründung Israels ausgerufen hatte, erklärten fünf arabische Staaten der kaum geborenen Nation den Krieg. Israel konnte sich verteidigen und überlebte. Neunzehn Jahre später marschierten erneut arabische Armeen an seinen Grenzen auf. «Das Ende Israels ist gekommen», verkündete Radio Kairo triumphal, und der jordanische König feuerte seine Soldaten an: «Tötet, tötet, tötet; mit Händen, Nägeln, Zähnen.» Der Waffengang dauerte sechs Tage. Dann waren die arabischen Invasoren geschlagen. Israel fühlte sich für einen Moment sicher. Zu sicher. Nur sechs Jahre darauf ein erneuter Überfall. 1973, an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, griffen arabische Truppen unter Allahu-Akbar-Rufen von Süden, Osten und Norden an. Israel war überrumpelt und geriet an den Rand des Untergangs, bevor es das Schlachtenglück doch noch wenden konnte.
Der Gründung Israels war Hitlers Völkermord an den Juden vorausgegangen. Nun sahen sich die jüdischen Überlebenden, die erstmals seit mehr als 3000 Jahren wieder einen eigenen Staat hatten, erneut von einer Übermacht Todfeinden umgeben. Niemals aber würden sie sich wie beim Holocaust wieder willenlos in die Todeskammern abführen lassen. Diesmal waren sie entschlossen, sich zu wehren.
Der Mossad
Dabei war den Gründerfiguren wie Ben-Gurion klar, dass selbst die schlagkräftigste Armee ein so junges und kleines Land auf die Dauer nicht würde retten können. Israel musste schlauer sein als seine Feinde, effizienter und listiger. Es musste in deren Köpfe hineinsehen können, ihre Gedanken lesen, ihre Pläne kennen und ihre Umsetzung im Keime neutralisieren. Es brauchte Geheimdienste, tollkühn und raffiniert und kaltblütig, welche die kleinen, schmutzigen und unsichtbaren Kriege zwischen den Kriegen führen und den Feind verwirren und lähmen können. Geheimdienste wie den legendären Mossad, zuständig für Auslandoperationen, und den geheimnisvollen Schin Bet, Inlandabteilung, beide von den Israelis aufgebaut und perfektioniert unter der permanenten und berechtigten Angst vor einem zweiten Holocaust.
Das kürzlich erschienene Buch des Journalisten Ronen Bergman, «Der Schattenkrieg», ist die erste umfassende Darstellung der zwei israelischen Nachrichtendienste, die als die besten der Welt gelten. Bergman, selber Israeli, hat 1000 Interviews mit Leuten aus dem Umfeld der Dienste geführt – Spione, Chefs, Attentäter, Politiker – und unzählige Akten, Protokolle, Dokumente gelesen. Das 800-seitige Werk ist eine atemberaubende Reise durch die moderne Geschichte des Nahen Ostens und durch das schwarze Reich der Geheimagenten, chronologisch und packend erzählt entlang der gezielten Tötungen von Terroristen und sonstigen Feinden Israels durch den Mossad.
Bergman hat nachgezählt: Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die israelischen Geheimdienste etwa 3.000 Personen strategisch liquidiert, mehr als jede andere westliche Nation. Ihre moralische Rechtfertigung fasst ein Talmud-Zitat zusammen: «Wenn jemand kommt, dich zu töten, steh auf und töte ihn zuerst.» Die Agenten eliminierten Terrorstrategen, Waffeneinkäufer, Massenmörder, Leute mithin, die israelische Bürger umgebracht hatten und dies weiterhin zu tun gedachten. Ihre Beseitigung rettete viele Leben und verhinderte schwere Krisen, so die Legitimierung der Geheimdienstler. Dass auch Unschuldige umgebracht wurden, sei ein Fehler, aber statistisch unvermeidlich und ändere die insgesamt positive Bilanz nicht.
Israels Angst, ausgelöscht zu werden, ist keine paranoide Holocaust-Obsession. Sie entspricht den Realitäten. Millionen arabischer Nachbarn wünschen sich den Untergang des Judenstaats, und Irans Theokraten versprechen regelmässig, das «satanische zionistische Gebilde» zu vernichten. Israel und seine Geheimdienste werden weiterhin mit dem moralischen Dilemma leben, dass man töten muss, um nicht getötet zu werden. (Basler Zeitung)