Donnerstag, 28. September 2023

Kein Anschluss unter dieser Nummer: Die Bundeswehr gibt Milliarden für Funkgeräte aus und kann sie nicht benutzen

von Thomas Heck...

Wer dachte, mit dem Wechsel an der Spitze des Bundesverteidigungsministeriums von der Null Christine Lambrecht zu Boris Pistorius sei alles in Butter, muss jetzt ernüchtert konstatieren, dass da in der Bundeswehr ein Problem schlummert, welches viel tiefer sitzt. 

Den Soldaten ist wenig vorzuwerfen, machen sie doch einen guten Job, wenn sie Aufträge erfüllen. Das Material, welches jetzt in der Ukraine im Einsatz ist, ist robust, zuverlässig und durchhaltefähig. Vom Schützenpanzer Marder, dem Flugabwehrkanonenpanzer Gepard über den Leopard 2A6 bis hin zur Panzerhaubitze 2000: Deutsche Technik macht der russischen Armee sichtlich das Leben schwer.

Doch der Feind der Bundeswehr scheint im Innern zu sitzen. In den Amtsstuben der Bundeswehrverwaltung. Das war schon vor gut 25 Jahren so, als ich selber als Kompaniechef mit den Widerständen in den zivilen Verwaltungen zu kämpfen hatte, dass war auch vor 10 Jahren so, als wir uns beim Heck Ticker mit Problemen in der Truppe beschäftigen mussten. Ein Blick zurück lässt erahnen, dass sich seitdem nicht viel geändert hat. Manches scheint sich nie zu ändern. Na, dann siegt mal schön, sagte bei der Gründung der damalige Kanzler Konrad Adenauer. Die Bundeswehr ist davon weiter denn je entfernt.

Deutschland hat der Nato für 2025 eine voll ausgerüstete Division für die Ostflanke zugesagt. Nun ist absehbar, dass diese nicht rechtzeitig mit modernen Funkgeräten ausgestattet sein wird. Der peinliche Vorgang bringt auch Verteidigungsminister Pistorius in Erklärungsnot.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einem Kampfpanzer Leopard 2A6.


Es ist Frühjahr 2018, als das deutsche Heer in Berlin ein Konzept vorstellt, das den Namen «Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte» trägt. Darin zeigen die Autoren um den damaligen Generalleutnant Frank Leidenberger auf, dass die Funkgeräte des Heeres «hoffnungslos veraltet» seien. Im Ernstfall könnte das zu «kriegsentscheidenden» Nachteilen führen.

Schon damals war klar, dass es sich um ein dringliches und milliardenschweres Projekt handelt, bei dem nicht nur die Beschaffung der Funkgeräte betrachtet werden müsse. Genauso wichtig, äusserten Fachleute, sei es, parallel dazu den Einbau dieser Geräte in die etwa 34.000 Fahrzeuge des Heeres auszuschreiben. Schliesslich nutzten die besten Apparate nichts, wenn sie im Depot lägen.

Gut fünf Jahre später ist genau das eingetreten. Die Bundeswehr hat nagelneue Digitalfunkgeräte auf Lager, kann sie aber nicht in ihre Panzer, Transportfahrzeuge und Geländewagen einbauen. Für diese Installationsarbeiten gibt es bis anhin weder eine Ausschreibung noch einen Auftrag.

In Anbetracht der frühzeitigen Hinweise und Warnungen aus Fachkreisen wirft die Affäre ein schlechtes Licht auf das deutsche Verteidigungsministerium. Doch der Vorgang hat darüber hinaus auch massive sicherheitspolitische Folgen – Deutschland könnte seine Bündnisverpflichtungen nicht erfüllen.

Die Sparpläne des Beschaffungsamtes rächen sich

Berlin steht bei der Nato im Wort, ab 2025 eine voll ausgerüstete und einsatzfähige Heeresdivision für die Ostflanke vorzuhalten. Diese Zusage ist heute bereits absehbar Makulatur, weil die dringend notwendigen Digitalfunkgeräte nicht rechtzeitig eingebaut sein werden.

Im Einsatzfall würde das Heer daher mutmasslich mit analogen Funkgeräten aus den 1980er Jahren kämpfen müssen. Sie sind so leicht abzuhören, dass die Soldaten ihre Pläne dem Gegner auch direkt mitteilen könnten. Für die deutsche Regierung ist das ein ausserordentlich peinlicher Vorgang.

Es ist September 2021, als das Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz eine europaweite Ausschreibung für Führungsfunkgeräte vornahm. Diese Geräte werden gebraucht, damit Trupps, Gruppen, Züge, Kompanien und Bataillone miteinander kommunizieren können. Ohne sie kommen die Befehle von oben nicht bei den Soldaten an, egal ob mündlich oder schriftlich.

Eines der wichtigsten Kriterien lautet, dass diese Geräte Nachrichten verschlüsseln können, damit sie der Gegner nicht abhören oder mitlesen kann. Insgesamt 34.000 Stück sollten in nahezu alle Heeresfahrzeuge eingebaut werden.

Im September 2021 nahm sich die Bundeswehr für Ausschreibungen noch sehr viel Zeit. Es bewarben sich mehrere Unternehmen um den lukrativen Auftrag, darunter der bayrische Mittelständler Rohde und Schwarz sowie der französische Thales-Konzern. Parallel zu diesem auf mehr als ein Jahr angelegten «Teilnahmewettbewerb» hätte das Beschaffungsamt nach Überzeugung von Fachleuten auch den Einbau der Geräte ausschreiben müssen.

Doch das tat es nicht. Den Grund dafür meinen Verteidigungspolitiker aus dem Bundestag zu kennen: «Die Beschaffer hatten angenommen, dass sie durch eine zeitlich gestaffelte Ausschreibung der Geräte und ihres Einbaus Geld sparen», vermutet einer von ihnen. Das Amt in Koblenz habe befürchtet, dass die Rüstungsindustrie sonst die Zwangslage des Bundes ausnutze und überhöhte Preise aufrufe.

Wurde die Ausschreibung schlicht vergessen?

Dann kamen der russische Überfall auf die Ukraine und zwei Ansagen des deutschen Kanzlers Olaf Scholz. Erstens: Die Bundeswehr solle verstärkt auf marktverfügbare Produkte setzen, um schnell wieder einsatzfähig zu werden. Zweitens: In sicherheitssensitiven Bereichen seien deutsche Schlüsseltechnologien vorzuziehen.

Das Verteidigungsministerium entschied daraufhin, das Ergebnis der Funkgeräte-Ausschreibung nicht abzuwarten, sondern verhandelte direkt mit Rohde und Schwarz über einen Auftrag für mehrere zehntausend Digitalfunkgeräte. Der Vertrag hat zunächst ein Volumen von 1,3 Milliarden Euro.

Rohde und Schwarz war bisher eher für seine Nachrichtentechnik, nicht aber für Digitalfunkgeräte bekannt. Die Firma versprach der Bundeswehr, eine Produktionslinie für die Funkgeräte zu bauen. Damit liege von Anfang bis Ende alles in einer Hand.

In Anbetracht der hohen Sicherheitsrelevanz verschlüsselungsfähiger Digitalfunktechnik war das offensichtlich ein entscheidender Aspekt, der die Bundeswehr von ihrer bisherigen Praxis bei Ausschreibungen dieser Grössenordnung abrücken liess.

Ein wichtiges Kriterium bei Bundeswehr-Aufträgen ist es bisher gewesen, allen Bietern gleiche Chancen zu geben. Durch die Vergabe ausserhalb der Ausschreibung an Rohde und Schwarz sieht der Thales-Konzern seine Rechte verletzt und klagt seit dem vorigen Jahr gegen den Bund.

Bisher hat er in zwei Instanzen verloren. Die abschliessende Verhandlung findet im November vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf statt. Über dieses juristische Tauziehen und die hohe zeitliche Belastung durch weitere milliardenschwere Beschaffungsvorhaben («Sondervermögen») hätten Ministerium und Beschaffungsamt, so vermuten Verteidigungspolitiker, schlicht vergessen, den Auftrag für den Einbau der Geräte rechtzeitig auszuschreiben.

Vertragsunterzeichnung frühestens in einem Jahr

Diese Vermutung findet sich indirekt in einem internen Papier des Verteidigungsministeriums bestätigt, aus dem der «Spiegel» zitierte. So hätten sich die Planer der Bundeswehr bei der Entscheidung für Rohde und Schwarz «offenbar keine Gedanken gemacht», wie man die Geräte in die vielen verschiedenen Fahrzeugtypen des Heeres einbaue. Das Ministerium, so das Nachrichtenmagazin, gestehe nun ein, dass «deutliche technische Eingriffe in einzelne Systeme» nötig seien.

Diese Formulierung ist allerdings irreführend. Es bedarf keines Eingeständnisses, dass neue Funkgeräte in Fahrzeuge eingebaut werden müssen. Das ist der Bundeswehr seit langem klar, auch dem Verteidigungsministerium und dem Beschaffungsamt.

In der Koblenzer Behörde soll es nach Aussagen von Verteidigungspolitikern seit Jahren zwei Abteilungen geben, die sich mit dem Thema Funkgeräte befassen. Die eine organisiere den Kauf der Geräte, die andere ihren Einbau.

Doch während die Funkapparate seit Jahresbeginn vertragsgemäss von Rohde und Schwarz geliefert werden, ist der Auftrag für ihre Installation in den Fahrzeugen bis heute nicht ausgeschrieben. «Ich gehe davon aus, dass es erst in der zweiten Hälfte 2024 zu einer Vertragsunterzeichnung kommt», sagt Andreas Schwarz, Haushalts- und Verteidigungsexperte der Sozialdemokraten.

Pistorius muss sich unangenehmen Fragen stellen

Bis die etwa 13.000 Panzer und Fahrzeuge der deutschen Nato-Division umgerüstet sind, dürfte das Jahr 2025 vorübergegangen sein. Um die Peinlichkeit gegenüber den Verbündeten noch abzuwenden, müsste die Bundeswehr den Einbau selber vornehmen.

Dann würde aber der Garantieanspruch des Herstellers erlöschen, heisst es in Fachkreisen. Zudem habe sich bei der testweisen Installation einiger Geräte gezeigt, dass ihre Batteriekapazitäten zu gering seien und die Lichtmaschinen der Fahrzeuge mit dem zusätzlichen Strombedarf überfordert seien.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, zu Wochenbeginn auf einer Reise im Baltikum, hat in Anbetracht der desaströsen Nachrichten ungewohnt unwirsch reagiert. Am Dienstag sagte der SPD-Politiker auf dem estnischen Militärflugplatz Ämari: «Das wird sich aufklären in den nächsten Wochen und Monaten. Ich bin darüber einigermassen verärgert.»

Zugleich hatte sein Ministerium aber eingeräumt, die Komplexität der Beschaffung unterschätzt zu haben, was nun zu erheblichen Verzögerungen führe. Es solle nun versucht werden, zumindest Teile der «Division 2025» noch rechtzeitig mit anderen Digitalfunkgeräten auszustatten.

Pistorius verwies am Dienstag darauf, dass der Auftrag für die Funkgeräte im Dezember erteilt worden sei, bevor er das Amt des Verteidigungsministers übernommen habe. «Ich wäre davon ausgegangen, dass man sich vor der Bestellung, aber mindestens mit der Bestellung darüber Gedanken macht, wie die Integration erfolgt.» Er kläre nun ab, warum das nicht passiert sei. Pistorius versucht nun «zu heilen, was zu heilen ist».

Für die gereizte Reaktion von Pistorius, nach wie vor beliebtester Politiker in Deutschland, gibt es eine Erklärung. Die Verantwortung für die Versäumnisse rund um den Digitalfunk liegt hauptsächlich in der Rüstungsabteilung seines Ministeriums und im Beschaffungsamt der Bundeswehr. Pistorius muss sich die Frage gefallen lassen, ob er dort die richtigen Personalentscheidungen getroffen hat.

Der Rüstungsstaatssekretär Benedikt Zimmer, seit April 2018 auf dem Posten, befindet sich trotz massiver Kritik aus Fachkreisen an seiner Arbeit noch immer im Amt. Und die Präsidentin des Beschaffungsamtes in Koblenz, Annette Lehnigk-Emden, war vor ihrer Ernennung im April dieses Jahres durch Pistorius die Stellvertreterin ihrer Vorgängerin. Sie war also schon bisher Teil des Apparats und damit des Problems.



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