In einem neuen Bad in Bonn soll vielleicht "islamkonformes Schwimmen" angeboten werden. Fördert religiöse Geschlechtertrennung Integration oder Parallelgesellschaften?
Im Grunde hat alles mit Gewindehülsen angefangen. Die Stadt Bonn will sich ein neues Schwimmbad bauen. Etwas Helles, Offenes, mit viel Licht und viel Glas. "Freude, Joy, Joie" lautet das Motto, mit dem die Verwaltung um Touristen wirbt. Aber dann stellte eine Anwohnerin schriftlich ihrem Oberbürgermeister eine Frage, die mitten hinein in die Islamdebatte führt, die die Republik beschäftigt: Ob denn im neuen Bad auch Vorkehrungen für "islamkonformes Schwimmen" getroffen werden sollten? Soll ein Vorhang muslimische Frauen vor männlichen Blicken schützen, sollen männliche Bademeister für diesen Zeitraum verschwinden? Ja, hat die Verwaltung geantwortet. Es seien Gewindehülsen vorgesehen. Daran könnten Seilsysteme befestigt werden. Und daran ein Vorhang.
Islamkonformes Schwimmen, das gibt es derzeit noch in Bonn, und zwar seit 27 Jahren. Jeden Samstag bietet der Verein AlHilal ausschließlich für seine Mitglieder im öffentlichen Frankenbad die Möglichkeit, unter sich zu sein; ab 15 Uhr die Frauen, am Abend die Männer. Es kommen Frauen in Kopftüchern, aber auch in den strengeren Hidschabs, Unverschleierte sind praktisch keine dabei. Journalisten sind drinnen nicht erwünscht. Man begrüßt sich mit "Salam Aleikum" oder einem freudigen "Allhamdulillah" (Lob gebühre Allah). AlHilal hat 1.200 Mitglieder – und ist damit nicht irgendein Kegelverein, sondern ein Schwergewicht unter den Bonner Sportclubs. Die Nachfrage ist riesig: Hunderte von Frauen nutzen das Angebot. Es gibt Wartelisten und Aufnahmestopps. In der Philosophie von AlHilal heißt es: "Wir verstehen unseren Verein insofern als gelungene Integration, da wir mit unserem zielgruppenspezifischen Angebot für viele BonnerInnen mit Migrationsgeschichte eine Alternative zu den vorhandenen sportlichen Strukturen bieten. (…) Wir möchten mit unserer Arbeit die Identifikation unserer Mitglieder mit unserer Heimatstadt stärken." Alternative zu vorhandenen Strukturen, unter sich bleiben – wie soll das integrieren, wie soll das die Identifikation mit der Stadt stärken? Das Frankenbad soll geschlossen werden, wenn das neue, das "Wasserlandbad", kommt.
Soll das AlHilal-Frauenschwimmen dann bleiben – also die religiös motivierte Segregation von Frauen im Namen der Integration? Bedeutet die Überlassung städtischen Eigentums für diesen Zweck nicht sogar eine Art Bestätigung: Ja, die Verhüllung von Frauen ist richtig?
"Wie verrückt ist das denn?"
Wo Gewindehülsen sind, kann auch ein Vorhang sein. "Islamkonformes" Schwimmen soll auch künftig technisch möglich sein, genau das hatte die Verwaltung gesagt, und auch, dass weiterhin AlHilal die Regie überlassen werden könnte. Aber ob es auch gewollt ist, darüber hatte sie sich ausgeschwiegen. In den Tagen nach der Anfrage der Bonnerin entflammte genau die Debatte, vor der sich die Stadtverwaltung gern hinter Haken, Ösen und Seilzügen verschanzt hätte. Diskutiert wurde nicht in der Politik, sondern in den Leserbriefspalten des Bonner General-Anzeigers. Der hatte Wind von der Anfrage der Bürgerin bekommen und dem Thema mehrere ganzseitige Artikel gewidmet. "Es werden zum Glück offene und transparente Sportstätten gebaut, und die sollen wir nun wegen der religiösen Haltung einer Minderheit verhängen? Wie verrückt ist das denn?", schrieb die Leserin Rita Kesnich.
Andere schlugen vor, Musliminnen seien doch herzlich eingeladen, im Burkini mitzubaden, gemeinsam mit ihren nichtmuslimischen Mitbürgern, warum der Vorhang, warum die Trennung? Dazu sagt Hadya Eisfeld, eine der AlHilal-Schwimmerinnen, am Samstag vor dem Frankenbad: "Klar könnte ich im Burkini schwimmen. Aber dann bin ich der bunte Hund, den alle anstarren. Außerdem weiß ich bei lauter Männern im Tanga und Frauen oben ohne gar nicht, wo ich alles nicht hingucken soll. Ich laufe sowieso schon immer mit Tunnelblick durch die Stadt." Auch zum Frauenschwimmen trägt sie Radlerhosen und Badeanzug, im Bikini kommt bei AlHilal keine. Es geht also beim Frauenschwimmen keineswegs nur um das Gesehenwerden. Es geht auch um das Nicht-sehen-Wollen. Von außen wirkt das "islamkonforme Schwimmen" wie eine gute Gelegenheit für eine oft angegriffene Minderheit, ausnahmsweise mal die Anderen, die Nicht-Muslime zu Schmuddelkindern zu erklären – eine Lesart, die der Verein strikt von sich weist.
Der Ton der Leserbriefe im General-Anzeiger war aufgebracht, aber nicht hetzerisch – keine Stimmung, vor der eine Stadtverwaltung Angst haben muss. "Integration ist, wenn alle Menschen Zugang zu unseren Freizeitstätten haben, ohne dass Männer und Frauen in meinem Land durch Vorhänge ausgegrenzt werden", schrieb jemand. Segregation im Namen der Integration, im öffentlichen Raum und auf Kosten der Gemeinschaft – das war es, was den meisten Schreibern gegen den Strich ging.
Viele konservative Muslime fühlen sich in Bonn wohl
Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, sieht schnell, warum gerade in Bonn viele nervös werden, wenn von "islamkonform" die Rede ist. Im alten Diplomatenviertel Bad Godesberg tragen etliche Frauen nicht nur Kopftücher, sondern Nikabs – die Gesichtsschleier, die höchstens einen schmalen Schlitz für die Augen übrig lassen. Manche von ihnen sind Medizintouristinnen aus der Golfregion, die ihre Männer zu Operationen im renommierten Bonner Uniklinikum begleiten. Zu ihnen gesellen sich arabischstämmige Flüchtlinge, die sich auch in dem konservativen Milieu wohlfühlen. Andere sind ehemalige arabische Botschaftsangehörige, die hier hängen geblieben sind, als viele Diplomaten nach Berlin umzogen. Das hat auch mit der König-Fahd-Akademie zu tun, einer extrem konservativen islamischen Privatschule, auf der laut Verfassungsschutz zum Dschihad aufgerufen und gegen Juden, den Westen, und gegen die Ungläubigen gehetzt wurde. Das Saudische Königshaus hat die Akademie dann im vergangenen Sommer geschlossen – nicht etwa die Bonner Stadtverwaltung.
Das radikale Umfeld aber gibt es noch – Bonn hat, bei ganzen 320.000 Einwohnern, eine aktive Salafistenszene aus mindestens 300 Leuten, von denen etliche nach Syrien ausgereist und mit Kampferfahrung wiedergekommen sind. Fassungslos erlebten die Bad Godesberger eine regelrechte Straßenschlacht von Salafisten mit der Polizei, bei der zwei Beamte mit Messern verletzt wurden. Die Szene trifft sich längst nicht mehr nur in Moscheen, sondern in Kraftclubs oder bei Grillfesten auf der Bonner Rheinaue. Hier scheiterte 2012 nur sehr knapp ein islamistischer Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof, der etliche Menschen das Leben gekostet hätte. In Bonn ist also nicht alles "Freude. Joy. Joie".
Schwimmen, Körper, Männer und Frauen, Reinheit und Schmutz – im Sommer vergeht kaum ein Tag, an dem Bäder nicht zum Fokus von Integrationsdebatten werden. Je heißer es ist, desto hitziger. Nirgendwo kommen sich Fremde so nah wie beim öffentlichen Baden. Was die einen über die anderen denken, wer wen angucken darf, was halal ist und was haram, also was erlaubt ist und was verboten, darüber hat es gerade in den vergangenen zwei Jahren nach der Flüchtlingskrise nicht nur Debatten, sondern auch Schlägereien gegeben. Manche Bäder haben Schwimmsheriffs eingestellt, andere trennen ihre Klientel durch spezielle Badezeiten voneinander – oder eben durch Vorhänge.
Oberbürgermeister Ashok Sridharan, CDU, kann von seinem Zimmer im zwölften Stock des Stadthauses auf den Rhein und die gelassene Schönheit der Stadt schauen, in der momentan die Kirschblüte in den kleinen Altstadtstraßen japanische Touristen begeistert. Sridharan, Sohn eines zum Katholizismus konvertierten Hindu, verkörpert die moderne CDU vom Scheitel bis zur Sohle. "Weltoffenheit" ist die oberste Maxime; auftauchende Probleme werden einem "Leitbildprozess" überantwortet, und im "Rat der Religionen" versichert man sich gegenseitig der Toleranz und der Gesprächsbereitschaft. Politik als Stuhlkreis: kein erfolgloses, aber eben ein entscheidungsschwaches Verfahren.
Wo hört die Toleranz der Weltoffenen auf?
Sridharan will zum "islamkonformen Schwimmen" nicht Ja sagen, aber auch nicht Nein. Er weiß, wie die Stimmung in seiner eigenen Partei ist. Ein Parteifreund hatte sich sogar öffentlich scharf gegen das "Muslim-Schwimmen" geäußert. Aber der OB regiert zusammen mit Grünen und FDP. Er weiß, dass er in dieser Jamaika-Koalition gar keine Chance hätte, Nein zu sagen, selbst wenn er wollte, denn FDP und Grüne wollen das AlHilal-Angebot weiterführen, schon um sich gegen vermeintliche "Islamophobie" zu positionieren. Also sagt Sridharan, was auch die CDU im Bundestag immer ein wenig leidvoll sagt, wenn die AfD ein Burkaverbot fordert: "Wir haben nun einmal Religionsfreiheit!" Es hilft ja nichts!
In irgendeinem der Bonner Bäder werde es auch zukünftig das muslimische Frauenschwimmen geben – aber nicht unbedingt in dem schicken, neuen Bad. Die Frauen von AlHilal in ihren Kopftüchern und Hidschabs, so lässt Sridharan durchblicken, könnten auch in einem der alten Bäder unterkommen. Im Übrigen seien die Gewindehülsen von Anfang an vorgesehen gewesen, um bei Wettkämpfen Sichtschutz zu bekommen – eine Erklärung, die viel Spott auf sich gezogen hat. Man baut eine Tribüne für Zuschauer in das neue Bad, und dann zieht man den Vorhang zu? Eine nachgeschobene Erklärung, mit der die CDU ihr Einknicken vor den Leserbriefen habe begründen wollen, so lautet der Reim, den sich Bonner Beobachter auf das Ösen-Menetekel machten.
Wie passen Religionsfreiheit und Frauenemanzipation zusammen?
Die Grünen tun offiziell so, als sei für sie die Sache klar: Das Frauenschwimmen von AlHilal soll es weiter geben, und zwar im neuen Bad – und nicht in irgendeiner Schmuddelecke am Rande der Stadt. In Wahrheit sind die Grünen aber beim Thema islamkonformes Schwimmen zwischen zwei Grundsätzen zerrissen: der Frauenemanzipation einerseits und der Religionsfreiheit oder jedenfalls der Vielfalt andererseits. In der Diskussion nach den Übergriffen der Kölner Silvesternacht zogen die Grünen sich auf den Standpunkt zurück, sexuelle Gewalt sei Gewalt, egal, von wem sie ausgehe, und auf dem Oktoberfest auch ein Massenphänomen. Die grüne Bürgermeisterin Angelica Maria Kappel will auch lieber über Geschlechtergerechtigkeit als über Religion sprechen, das Thema wegziehen vom Islam. Sie selbst sei gewiss nicht jemand, der sich verstecken müsste, sagt sie beim Treffen im Traditionscafé Miebach am Alten Markt. "Aber ich mag die lüsternen Blicke auch nicht. Auch ich fände es schön, eine Stunde lang mal dem alltäglichen Sexismus zu entfliehen." Etliche Frauen hätten ihr zu der Debatte geschrieben, dass sie einen Frauenschwimmtag großartig fänden. Auch Männer, die nicht den "herrschenden Schönheitsvorstellungen" entsprächen, wegen Behinderungen oder nach Operationen, würden sich freuen, mal unter sich sein zu können. Kappel ist nicht naiv. "Natürlich läuten auch bei mir die Alarmglocken, natürlich denke auch ich: Du hast doch nicht 30 Jahre für Feminismus gekämpft, damit Frauen sich jetzt verstecken! Aber wenn wir das verbieten, was AlHilal macht, dann gehen viele dieser Frauen gar nicht mehr schwimmen."
Man könnte das eine seltsame Erpressung nennen. Auch die Bürgermeisterin selbst weiß, dass sie sich da auf einer Gratwanderung befindet, die leicht in falsche Toleranz für Zwang und Unterdrückung umschlagen könnte.
Aber Kappel und viele ihrer Parteifreunde hoffen auf die emanzipatorische Kraft des Schwimmens. "Komm, das Wasser ist herrlich!", so hieß es doch schon in der Bibel. Den Körper in die Fluten werfen, mit den anderen Frauen lachen und seine Bahnen ziehen – wieso sollte das kein Schritt in die Befreiung sein? Auf die Idee, dass manche muslimischen Frauen durchaus selbstbewusst einen gewissen Ekel vor den Tangas der anderen hegen und pflegen, dass sie keineswegs Opfer sind, sondern sich als reiner und sauberer sehen als viele nichtmuslimische Frauen in ihrer Umgebung – auf diese Idee kommt Kappel nicht. Was sie dann allerdings in entwaffnender Selbstironie auch lächelnd einräumt: "Klar. Ich bin so ein Gutmensch, der morgens aufwacht und die Welt besser machen will. Sonst kann man auch keine grüne Politik machen!"
Bonn hat nicht nur das Glück eines weltgewandten CDU-Oberbürgermeisters und einer zur Selbstironie fähigen Grünen. Obendrein stehen sogar an den entgegengesetzten Enden dieses Konflikts um das "islamkonforme Schwimmen" Leute, mit denen man reden kann.
Der Verein AlHilal wurde von einer Konvertitin gegründet und viele Schwimmerinnen sind ebenfalls als Erwachsene zum Islam übergetreten. Konvertiten nehmen es bekanntlich oft extra genau mit Vorschriften. Aber inzwischen führt Younis Kamil, Sportpädagoge und Sohn der Gründerin, den Verein. Er hadert an vielen Stellen mit der eigenen Community. Es ärgert ihn, dass die meisten Imame in Bonner Moscheen den Gläubigen immer die Ära des Propheten als Ideal predigen, aber nichts über die Lebenswirklichkeit in der bundesrepublikanischen Gegenwart sagen können. Er erzählt, dass auch AlHilal, bei aller brüderlichen Solidarität, Schwierigkeiten mit Flüchtlingen hatte, die plötzlich Einlass begehrten: "Wir bleiben so lange sitzen, bis ihr uns reinlasst, so haben wir das an der deutschen Grenze auch gemacht." Kamil versteht, dass das "Frauenschwimmen" bei AlHilal für viele nicht nach Integration aussieht. "Aber wir bilden Rettungskräfte und Trainerinnen aus. Schwimmen ist Teilhabe." Wenn allerdings der Wunsch der Grünen erfüllt würde und es künftig nur noch "Frauenschwimmen" gäbe – dann, so Kamil, "wäre unser Verein weg".
Am rechten Rand des Konfliktfelds in Sachen "islamkonformes Schwimmen" steht der Bürger Bund Bonn. Dessen Vorsitzender, Marcel Schmitt, hat seinen Antrag gegen das "islamkonforme Schwimmen" nicht damit begründet, dass Islam und Demokratie grundsätzlich nicht zusammenpassten. Er hat nicht gesagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Schmitt hat lediglich gesagt, geschlechtergetrenntes Schwimmen aus religiösen Gründen "widerspricht aus unserer Sicht den kulturellen Grundwerten unserer Gesellschaft und ist der Integration nicht förderlich". Als Schmitt den Antrag Ende März in den Stadtrat einbrachte, vor laufender Kamera des Rats-TV, wurde er von dem Grünen Tim Achtermeyer laut ausgelacht, so als wäre die Frage, ob Segregation und Integration sich vertragen, nicht auch für die Grünen ein heikles Thema. "So prüde wie Sie sind, wollen Sie bestimmt bald auch das Nacktbaden 'wie Adam und Eva' abschaffen?" Schmitts Ansichten seien "relativ islamophob", das müsse man einmal deutlich sagen.
Ob das neue Bad kommt oder nicht, ist derzeit völlig unklar. Eine Bürgerinitiative hat sich dagegen formiert, der das ganze Großprojekt nicht passt. Genauso unklar ist die Zukunft des "islamkonformen Schwimmens". Man kann mit allen Beteiligten des Konflikts reden. Aber miteinander haben sie bisher nicht ernsthaft gesprochen; es gibt nicht einmal Einigkeit darüber, ob man das je versucht hat. Nur eins ist sicher. Der Vorhang ist offen.