„Maybrit Illner“: Erklärungsversuche für den Stuttgarter Gewaltexzess
Der Gewaltexzess in Stuttgart hat Deutschland aufgeschreckt. Maybrit Illner fragt, woher dieser Hass auf die Polizei kommt. Ihre Gäste liefern Erklärungsversuche. Eine Kabarettistin setzt zu einer Wutrede an – und erntet dafür reichlich Unverständnis.
Der Stuttgarter Gewaltausbruch sitzt dem Land im Nacken: Was war da passiert, dass Hunderte Jugendliche mit solch einem Hass auf Polizeibeamte losgegangen sind, dass Geschäfte zerstört und geplündert wurden? Trieb die pure Lust an der Zerstörung die jungen Männer in den Gewaltexzess? Oder steckte dahinter auch Frust darüber, dass die Polizei mit Rassismus in den eigenen Reihen nur zögerlich aufräumt?
„Feindbild Polizei – Hass, Gewalt und Machtmissbrauch?“ Unter diesem Motto diskutierte die Runde in Maybrit Illners Talkshow das Aufregerthema. Mit dabei waren der zwischen Stuttgart und Berlin pendelnde Grünen-Politiker Cem Özdemir, der CDU-Mann Wolfgang Bosbach, der Polizist Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), und die Kabarettistin Idil Baydar, bekannt vor allem in ihrer Rolle als Kreuzberger Klischee-Migrantin Jilet Ayse.
Der heftige Wutausbruch
Idil Baydar war wütend, richtig wütend. Sie brüllte, sie fluchte, sie redete ohne Punkt und Komma, sie fiel den anderen ins Wort. Und sie brachte auch viel durcheinander, sprang schnell von einem Thema zum nächsten in ihrem Furor. Selbst eingefleischte Talkshowgucker dürften solch einen Wutausbruch wie den der Berliner Komikerin selten erlebt haben.
Ihr Anliegen: Baydar wollte deutlich machen, dass Migranten in Deutschland noch immer unter rassistischen Anfeindungen leiden – und dass diese allzu häufig auch von Polizeibeamten kommen. Sie beklagte, dass die Randalierer im Stuttgarter Polizeifunk als „nur Kanaken“ bezeichnet wurden, sie sprach von der „Cop-Kultur“, in der sich Polizisten gegenseitig vor Strafverfolgung schützen, sie sagte, dass „Racial Profiling“ Alltag sei. „Wir Migranten wissen: Die Polizei schützt uns nicht“, rief sie mit bebender Stimme und erinnerte an die Ermittlungspannen bei der Mordserie des NSU.
Doch ob sie ihrer Sache mit dem Auftritt wirklich diente, dürfte mehr als fraglich sein. Denn Baydar hörte weder den anderen in der Runde zu, noch antwortete sie konkret auf die Fragen, die ihr gestellt wurden. Das Einzige, was im Gedächtnis blieb, war ihre ungestüme Empörung.
Vor allem mit einem plumpen Vergleich hatte sie die anderen Gäste gegen sich aufgebracht: Baydar brachte die Stuttgarter Ausschreitungen mit der amerikanischen „Black Lives Matter“-Bewegung in Verbindung, die nach der Tötung des Afroamerikaners Georg Floyd ein globales Beben ausgelöst hat. Der Polizeibeamte Sebastian Fiedler zeigte sich entsetzt: „Sie machen aus Tätern Opfer“, warf er Baydar vor. Doch die ging auf die Kritik gar nicht ein.
Der Kontrahent, der es einfach hatte
Besonders verärgert über Baydars Polemiken zeigte sich der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Er schlüpfte in der Sendung schnell in die Rolle ihres direkten Gegenspielers und machte kein Geheimnis daraus, dass er das Auftreten der Komikerin missbilligte. „Wenn Sie das Niveau etwas anheben, wäre ich Ihnen dankbar“, schnauzte er Baydar einmal an, als ihm zum x-ten Mal beinahe der Kragen geplatzt war.
Baydars Furor brachte Bosbach in die glückliche Lage, dass er seinen Widerspruch so gut wie nie begründen musste. Auf die Anklagen der Kabarettistin, die jede Kritik von vornherein ausblendete, reagierte er mit Lobreden auf die Polizei.
Er sprach von den hohen Zustimmungswerten, die die Beamten in der Bevölkerung genießen, und pries die Polizei als „Spiegelbild der Gesellschaft“ (um damit durch die Blume zu belegen, dass sie gar kein besonderes Rassismusproblem hat). Bosbach bestritt sogar, dass der Polizei bei den NSU-Ermittlungen grobe Fehler unterlaufen sind.
Gegen die Sichtweise des Talkshow-erprobten Politikers hätte es sicherlich jede Menge diskussionswürdige Argumente gegeben – doch Baydar konnte sich auf das, was ihr Kontrahent vorbrachte, gar nicht einlassen. So konnte Bosbach ohne große Mühe als besonnener Sieger aus diesem Duell hervorgehen.
Die Deutung der Gewaltorgie
Warum eskalierte in Stuttgart die Gewalt? Wer waren die Täter? Was trieb sie an? Die Gewaltnacht in der Schwabenmetropole, die doch eigentlich für Wohlstand und Kehrwochen-Mentalität steht, lässt viel Irritation zurück. Die schnell gelieferte Einschätzung jedenfalls, dass es „die Partyszene“ war, die dort rebellierte, empfand nicht nur Bosbach als „zu schlicht“.
„Sie eint, dass sie den Staat in Gänze ablehnen“, sagte BDK-Chef Fiedler über die jungen Gewalttäter. Das aber sei kein Stuttgarter Unikum. Ähnliche Ausbrüche gegen Staatsrepräsentanten habe es gerade erst auch in Bristol, London und Dijon gegeben. Und auch in anderen deutschen Städten komme es immer wieder zu Gewalt gegen Polizisten, ohne dass klar auszumachen sei, was dafür jeweils der Auslöser war.
Der Grüne Cem Özdemir unterstrich ebenfalls, dass es „keine einfache Erklärung“ für den Stuttgarter Gewaltausbruch gäbe. Er appellierte deshalb auch dazu, den Ermittlern, die die Taten untersuchen, mehr Zeit zu geben und nicht auf vorschnelle Ergebnisse zu pochen.
Özdemir wünschte sich, dass das „alte Prinzip“, dass genau hingeschaut wird, wieder angewendet wird. „Wir müssen erst einmal die Polizei ihre Arbeit machen lassen“, sagte er.
Eine Einschätzung der Lage gab er dann aber trotzdem ab. Özdemir sagte zum Beispiel, dass der Anteil der Migranten unter den Tätern keinesfalls überdurchschnittlich hoch gewesen sei.
Und er verweigerte sich auch der These, dass dort vorwiegend „Verlierer“ auf der Straße waren. „Da waren genauso Gymnasiasten darunter“, sagte er. Man müsse deshalb nun genau untersuchen, woran es liegt, „dass uns Jugendliche verloren gehen“.
Der Versuch zu differenzieren
Özdemir war anzumerken, dass auch er von Baydars Wutausbrüchen nichts hielt. „Wir haben die Wahl, holzschnittartig zu diskutieren oder zu differenzieren“, machte er deutlich, dass ihm ein Pauschalverdacht gegen die Polizei, wie ihn die Kabarettistin vorgebracht hatte, nicht behagt.
Doch Özdemir verheimlichte auch nicht, dass er sehr wohl davon ausgeht, dass es Probleme gibt – als Beispiel nannte er die Bundeswehr-Eliteeinheit KSK, in der ein massives Rechtsextremismusproblem herrscht.
Auch Fiedler versuchte an keiner Stelle, das Problem zu bagatellisieren. Er plädierte für mehr Untersuchungen, um rassistische und neonazistische Tendenzen bei Polizei und Militär aufzudecken.
„Wenn es so ist, dass es in bestimmten Regionen oder Einheiten besonders viele schwarze Schafe gibt, dann müssen wir das wissen, um dagegen vorzugehen“, sagte Fiedler. Und Özdemir sprach sich für klare Regeln aus: „Es darf nicht sein, dass du die Uniform trägst und gleichzeitig Reichsbürger bist oder bei den Identitären mitmischt.“
Kritisch sieht der Grüne aber auch das im linksliberalen Milieu weitverbreitete Misstrauen gegen die Polizei. Die viel diskutierte Kolumne in der „taz“, in der die Autorin Hengameh Yaghoobifarah Polizisten auf die Mülldeponie verbannen möchte, nannte Özdemir „widerlich“.
Dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) der Journalistin jedoch gleich mit einer Anzeige drohte, bezeichnete er aber ebenfalls als Fehler. Die typischen Fronten habe das nur verhärtet. „Da wurden die Reihen dann gleich wieder geschlossen“, beklagte Özdemir. Er wünscht sich etwas ganz anderes: dass Seehofer und die „taz“-Redaktion über die Affäre ins Gespräch kommen.
Wenn man eine Linksradikale zu einer Talk-Runde einlädt, werden die Opfer zum Täter. Wieso hat man eigentlich keinen Polizisten eingeladen? (Hagen Grell) pic.twitter.com/QzrZEbmDsm
— 👑Kronzeugin👑 (@derVernichtung) June 27, 2020