von Mario Schultz...
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berichtet monatlich ausführlich in der Asylgeschäftsstatistik über die Entwicklung in diesem Gebiet. Die Zahlen zu neu ankommenden Flüchtlingen (als Ersterfassung im EASY-System), neu gestellten Asylanträgen oder zu noch offenen, nicht entschiedenen Anträgen kann der geneigte Leser dort finden.
Ein wesentlicher Aspekt fehlt bei den monatlichen Darstellungen des BAMF allerdings: Informationen zur Höhe des Familiennachzuges. In einer Meldung vom 08. Juni 2016 hat das BAMF einmalig eine Einschätzung veröffentlicht. Auf Basis der Asylentscheidungen von Januar bis September 2015 schätzt das BAMF, dass pro syrischem Flüchtling 0,9 bis 1,2 Familienangehörige nachfolgen werden. Seitdem werden hierzu keine Zahlen mehr bekanntgegeben.
Für mich war dies ein Grund, mal direkt beim BAMF nachzufragen. Zunächst aber noch ein paar allgemeine Informationen zum Familiennachzug:
Schutzberechtigte, denen der Flüchtlingsschutz oder eine Asylberechtigung zuerkannt werden, haben das Recht auf privilegierten Familiennachzug. Ein entsprechender Antrag muss innerhalb von drei Monaten beim Auswärtigen Amt gestellt werden (bei der für den Familienangehörigen zuständigen deutschen Auslandsvertretung). Der Vorteil des privilegierten Familiennachzuges für den Antragsteller: er muss keinen Nachweis über ausreichenden Lebensunterhalt sowie Wohnraum nachweisen.
Die Umsetzung des Asylpaketes II zum 17. März 2016 hat dafür gesorgt, dass als subsidiär schutzberechtigt eingestufte Personen bis zum 16. März 2018, also in einer Übergangsfrist von zwei Jahren, keinen Anspruch auf den o.g. privilegierten Familiennachzug haben. Ab dem 17. März 2018 gilt dann auch die Frist von drei Monaten für die Beantragung. Wenn man sich die aktuellen Entscheidungen des BAMF ansieht, dann baut sich hier eine enorme Zahl an Personen auf, die alle im zweiten Quartal 2018 einen Antrag auf eben diesen Familiennachzug stellen, und dann ebenfalls nach Deutschland kommen werden. Vorteil für unsere Politiker: natürlich nach der Bundestagswahl 2017.
Aus einer kleinen Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag im Juli 2016 geht hervor, dass in den letzten drei Jahren zehn Baumaßnahmen beantragt, genehmigt und umgesetzt wurden, um der Erhöhung der personellen Kapazitäten der Visastellen in den Anrainerstatten Syriens gerecht zu werden. Zum Ausbau sowie zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Visastellen im Ausland wurden in den vergangen fünf Jahren immerhin 27,5 Mio. Euro ausgegeben.
Nun aber zu meiner Anfrage an das BAMF im September 2016, die folgendermaßen beantwortet wurde:
„Personen, die im Wege des Familiennachzuges nach Deutschland kommen, durchlaufen kein Asylverfahren und werden auch nicht über EASY erfasst. Für Zahlen zum Familiennachzug müssten Sie bitte beim Auswärtigen Amt oder den Landesregierungen nachfragen.“
OK. Das BAMF ist hierfür also nicht zuständig. Dann versuche ich es mal mit den beiden anderen möglichen Informationsquellen.
Im nächsten Schritt also eine Anfrage an das Auswärtige Amt richten (Oktober 2016). Hier die Antwort aus Berlin:
„Das BAMF hat bereits ein Einschätzung über die Höhe des Familiennachzuges herausgegeben [Anmerkung des Autors: siehe oben]. Eine statistische Erfassung des Familiennachzuges zu anerkannten Flüchtlingen/Asylberechtigten durch das Auswärtige Amt erfolgt nicht … Nach abgeschlossenem Visumsverfahren und Einreise nach Deutschland wird dem nachziehenden Ehegatten die Aufenthaltserlaubnis von der zuständigen Ausländerbehörde erteilt. Ein Asylantrag muss daher nicht gestellt werden. Der Familiennachzug stellt somit keinen Flüchtlingszuzug dar.“
Jetzt wird es langsam interessant. Ich möchte dies an zwei einfachen Szenarien verdeutlichen.
Szenario 1:
Eine Vier-Personen-Familie aus Syrien macht sich nach Deutschland auf den Weg und stellt hier einen Antrag auf Asyl. Diesem wird sicherlich stattgegeben. Als Ergebnis sind vier Personen nach Deutschland gekommen, werden hier versorgt – und tauchen als vier syrische Flüchtlinge in der Statistik des BAMF auf.
Szenario 2:
Eine Vier-Personen-Familie aus Syrien entscheidet, dass sich nur der Vater auf den Weg nach Deutschland macht. Sein Asylantrag wird anerkannt und die Familie stellt innerhalb von drei Monaten einen Antrag auf privilegierten Familiennachzug. Einige Wochen später kommen die drei übrigen Personen ebenfalls in Deutschland an. Ergebnis: Vier Personen sind nach Deutschland gekommen und werden hier versorgt – in der Statistik taucht aber nur eine Person als Flüchtling auf.
Und nun denken wir kurz an die Diskussion über die von der CSU geforderte Obergrenze in Höhe von 200.000 Personen pro Jahr. Volker Kauder soll gesagt haben, dies sei ja eh nicht relevant, weil bereits jetzt schon weniger als diese Anzahl Flüchtlinge nach Deutschland kommt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Aber halt, da war ja noch eine dritte Möglichkeit: die Länderparlamente. Also kurz mal im Internet nach kleinen Anfragen zu diesem Themenkomplex gesucht.
Bund (Antwort auf kleine Anfrage 18/7200, Januar 2016):
„Aus dem Ausländerzentralregister können dazu keine Zahlen ermittelt werden, da für §29 des Aufenthaltsgesetztes kein separater Speichersachverhalt zur Verfügung steht.“
Sachsen (Antwort auf kleine Anfrage 6/5017):
„Eine Einschätzung zum möglichen Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen ist nicht möglich. Weder werden im Erstverteilungssystem für Asylsuchende (EASY) personenbezogene Daten vorgehalten, noch werden im Ausländerzentralregister Familienmitglieder, die noch im Ausland leben, systematisch erfasst.“
Baden-Württemberg (Antwort auf die kleine Anfrage 16/524, September 2016):
„Die Ermittlung der Zahl der Ausländer, die … im Wege des Familiennachzuges eingereist sind, würden die Sichtung jeder einzelnen Ausländerakte bei allen Ausländerbehörden im Land erforderlich machen; das ist mit vertretbarem Aufwand nicht möglich.“
Bayern (Antwort auf kleine Anfrage 17/3031, Oktober 2016):
„Die Zahl der bei deutschen Auslandsvertretungen gestellten Visaanträge für Bayern ist der Staatsregierung nicht bekannt und wird auch statistisch nicht erfasst. Es kann daher auch nicht angegeben werden, wie viele sich davon auf die Einreise im Familiennachzug … beziehen“.
Rheinland-Pfalz (Antwort auf kleine Anfrage 17/1316, Oktober 2016):
„Für die Beantwortung dieser Frage ist das Auswärtige Amt zuständig, da entsprechende Anträge von den Familienangehörigen bei den deutschen Auslandsvertretungen gestellt werden müssen. Nach Auskunft des BAMF als registerführende Stelle des Ausländerzentralregisters kann eine Auswertung dieser Art nicht erfolgen.“
Niemand in Deutschland ist offenbar gewillt, die Zahl der Personen, die über den Familiennachzug zu uns kommen, konkret zu ermitteln.
Dann habe ich noch mal einen Blick auf die einzige Informationsquelle geworfen, die zumindest eine Schätzung abgegeben hat: die Mitteilung des BAMF vom 08. Juni 2016. Hier findet sich bereits im hervorgehobenen ersten Teil des Textes diese Aussage:
„Die Einschätzung wurde auf Basis des Ausländerzentralregisters erstellt, da hier der tatsächlich erfolgte Familiennachzug nach Staatsangehörigkeit differenziert werden kann.“
Keine weiteren Anmerkungen …