Was ist nur los? Sicher, die Liebe hat Frauen immer schon mehr beschäftigt als Männer. Doch hat sich in den vergangenen 40 Jahren – also seit der sexuellen und der feministischen Revolution – so einiges geändert in den Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Hat es sich zum Guten, zu mehr Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit geändert? Nicht unbedingt. So behauptet die kosmopolitische Soziologin Eva Illouz in ihrem vielgerühmten Rundumschlag zur Liebe in der Moderne, Frauen würden heute „auf eine neue und nie dagewesene Weise von Männern dominiert“.
Sie ist nicht die erste, die den Verdacht hegt, dass die einstige ökonomische und rechtliche Herrschaft von Männern über Frauen abgelöst wurde von einer subtileren und darum sehr viel gefährlicheren, von einer „emotionalen Dominanz“. Eine Dominanz, bei der die Frauen selbst in größerem Ausmaß denn je Mittäterinnen sind.
Wie konnte das passieren? Illouz – selber verheiratet, Mutter zweier halbwüchsiger Söhne und deklarierte Feministin – setzt an den Anfang ihres Buches nicht zufällig ein Zitat von Shulamith Firestone. Die amerikanische Feministin veröffentlichte 1970 ein Manifest gegen die Liebe („Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“, Deutsch 1975). Darin antwortet Firestone auf die Frage „Wollen wir die Liebe abschaffen?“ schlicht mit Ja! Es war das erste Buch aus den Reihen der Neuen Frauenbewegung, das Liebe & Sexualität als zentrales Problem der Frauen analysierte. Einige folgten, darunter mein „Kleiner Unterschied und seine großen Folgen“ (1975).
Nun ging es der Liebe an den Kragen. Denn: Moderne Frauen heiraten aus Liebe und brachten sich dadurch bis vor kurzem noch in den rechtlichen Status einer Unmündigen. Frauen gaben und geben aus Liebe ihren Namen, also ihre Identität auf. Frauen opfern der Leidenschaft für die Liebe die Leidenschaft für den Beruf (Stichwort Teilzeitarbeit). Frauen nehmen sich und andere Frauen aus Liebe selbst nicht so ernst wie den einen Mann.
Liebe ist also alles andere als Privatsache. Sie ist ein Politikum. Ihre Ursachen und Folgen sind gesellschaftlicher Natur. „Das Private ist politisch.“ Damit war nicht etwa gemeint, jeder Mensch solle sein Privatestes öffentlich machen. Nein, damit war gemeint: Das scheinbar Private hat gesellschaftliche Ursachen, es ist nicht unser individuelles Problem, sondern ein strukturelles, wie auch Illouz schreibt: Flauberts Madame Bovary liebte noch anders als die Girls in „Sex and the City“ es taten, ganz einfach, weil die Verhältnisse andere waren.
Wo aber stehen wir heute? In der letzten Zeit häufen sich in meiner Umgebung diese Fälle durchaus emanzipierter junger bis mitteljunger Frauen, irgendwo zwischen 20 und 40, die allesamt darüber klagen, dass sie „keinen Mann finden“, beziehungsweise die „Männer keine echten Männer“ mehr seien. Was immer auch ein echter Mann sein mag in der Vorstellung dieser Töchter der Emanzen und Enkelinnen der „echten“ Männer, in der Tat belegen zahlreiche Studien: Die Männer sind irritiert. Und sie zeigen Fluchttendenzen. Was nicht weiter verwunderlich ist.
Es gibt eine neue Asymmetrie zwischen den Geschlechtern in der Liebe. Frauen wollen – und Männer wollen nicht. In meiner Jugend war das umgekehrt. Zumindest bei den stolzen, welthungrigen jungen Frauen. Ich erinnere mich nur an Männer, die andauernd heiraten oder, schlimmer noch, einem „ein Kind anhängen“ wollten. Vor denen brachte frau sich in Sicherheit. Denn das war klar: Die Ehe würde das Ende unserer Hoffnungen bedeuten.
Was also ist passiert? Ganz einfach: Früher hatten Männer Vorteile davon, eine feste Beziehung mit einer Frau einzugehen, zu heiraten. Denn bis zum Aufbruch der Neuen Frauenbewegung in den 1970er Jahren sicherte eine Ehe einem Mann die Frau an seiner Seite, die ihm den Rücken freihielt sowie den gemeinsamen Haushalt und die Kinder quasi allein versorgte.
Heute muss ein Mann sich dem Anspruch der Frau stellen, dass auch ein Vater sich um Haushalt und Kinder zu kümmern habe. Zwar ist selten von 50/50 die Rede, sondern immer noch nur vom „Mithelfen“, aber dennoch. Und im schlimmsten Falle läuft ein Mann heutzutage Gefahr, sich auch noch auf die Karriere seiner zwingt.
Verschärfend kommt hinzu, dass die westlichen Frauen die traditionelle männliche Teilung zwischen Sexualität und Liebe nicht mehr so ganz leicht akzeptieren, bzw. auch für sich selber reklamieren. Gleiche Pflichten, gleiche Rechte. Doch genau an diesem Punkt ist die moderne Frau in die Falle getappt. Eine Falle, die sich allerdings bereits in den 1970er Jahren für die Mütter dieser jungen Frauen auftat. Denn mit dem selbstbewussten Entschluss, nun auch selber eine „freie Sexualität“ zu leben, begaben die Frauen sich auf das Terrain der Männer. Sie handelten also nicht nach den eigenen, sondern nach den Bedürfnissen und Spielregeln des anderen.
Männer sind seit Jahrhunderten die für sie so praktische Teilung zwischen Sex & Liebe, zwischen Heilige & Hure, Ehefrau & Geliebte gewohnt. Wir Frauen aber sind da lange und nachhaltig anders geprägt, nicht qua Natur, aber qua Rollenzuweisung. Wir kriegen das nicht so hin – in der Regel, Ausnahmen bestätigen dieselbe. Wir tun zwar öfter so, als ginge es auch uns nur um Sex, in Wahrheit aber sehnen wir uns nach Liebe. Und die Männer?
Die spüren diese Bedürftigkeit. Was sie überlegen macht.
Auf dem Terrain der „freien Sexualität“ spielen wir also nur gleich, sind aber in Wahrheit unterlegen. Illouz macht nun auch noch die penible Rechnung einer unterschiedlichen Verfügbarkeit auf; gültig für die, wie sie immer wieder betont, „heterosexuelle Frau des Mittelstands“. Die strebt zwischen Mitte 20 und Mitte 40 nach einer festen Beziehung und Kindern – der Mann aber scheut die frühe Bindung und ist locker bis Mitte 60 im Geschäft, wenn nicht länger. Also stehen dem Mann auf dem Liebesmarkt exakt doppelt so viele Angebote zur Verfügung wie der Frau. Über die senkt sich im klassisch heterosexuellen Milieu ab Mitte 40 eine Tarnkappe, die sie quasi unsichtbar macht – zu durchbrechen nur qua gelebter Eigenständigkeit und Persönlichkeit.
Es ist die doppelte Botschaft, die die moderne Frau in den Augen des modernen Mannes oft so wenig anziehend macht. Die wird von der emanzipierten Frau selbstverständlich nicht zugegeben, oft noch nicht einmal vor sich selbst, sondern geleugnet und versteckt unter einer pseudo-coolen Attitüde. Was es nicht besser, sondern noch schlechter macht.
In den 1970er Jahren, als wir Feministinnen den Männern die Liebeshörigkeit aufkündigten und so die wahre sexuelle Revolution anzettelten, da hatten wir immerhin die Verdopplung der Möglichkeiten durch die Öffnung für homosexuelle Beziehungen zur Verfügung. Du hast keine Lust mehr? Macht nichts, ich habe mich eh gerade in eine Frau verliebt. Doch die Zeiten sind vorbei.
Die Kritik an der (kulturellen) „Zwangsheterosexualität“ inklusive ihrer Sexualpraktiken ist passé, ja verpönt. Und zu der einen Schublade ist jetzt eine zweite hinzugekommen: die Zwangshomosexualität. Man bzw. frau ist so oder so, dazwischen gibt es nichts (sehen wir von der auf die Queer-Szene begrenzten „Multisexualität“ ab). Sogar die homosexuell lebenden Frauen und Männer argumentieren heute mehrheitlich nicht minder biologistisch als ihr heterosexuelles Pendant: alles angeboren! Oder aber frühkindlich und irreversibel geprägt. Keine Rede mehr von Freuds „polymorpher Sexualität“, die nicht ausgerichtet ist auf ein bestimmtes Geschlecht, sondern individuell je nach Lust und Interesse gelebt werden kann.
Dazu passt die Renaissance einer Erotisierung des „Unterschiedes“ („Unterschiede ziehen sich an“). Dabei wissen wir sowohl aus unserer Lebenserfahrung wie aus der Wissenschaft, dass nichts so förderlich sein kann für eine dauerhafte Beziehung wie Ähnlichkeit und Gemeinsamkeiten. Beides steigert die Chance zum gegenseitigen Verständnis und zur Spiegelung im Anderen.
Doch zurück zur im Diskurs tonangebenden heterosexuellen Mittelstandsfrau. Was kann sie tun? Sie kann nachdenken. Darüber, wer sie ist und was sie will. Sie sollte aufhören, nach „einem Mann“ zu suchen, egal welcher, sondern sich selbst finden. Sie sollte sich realisieren, neugierig sein auf die Welt – und irgendwann hoffentlich einem Individuum begegnen, das sie ganz spezifisch interessiert und bei dem sie spürt, dass dieses Interesse gegenseitig ist.
Doch sie sollte sich gleichzeitig die Frage nach der Ethik in Beziehungen stellen. Die neoliberale Freiheit, alles zu wollen und alles zu können, darf nicht auf Kosten des/der Anderen gehen. Es ist kein Zeichen von Emanzipation, jeder Zeit dahin zu streben, „wohin das Herz geht“, oder zu tun, was eine spontane Lust gerade suggeriert. Die moderne Frau sollte stattdessen ihren Verstand sprechen lassen. Den Verstand aus Liebe verlieren, das war gestern. Heute ist: Bewusstsein und Verantwortung. Gegenseitige Verantwortung.
Womit wir bei der Frage nach der Treue wären. Ich bin dafür! Selbstverständlich auch und vor allem für Männer. Solange Treue nicht zur Erstarrung führt. Es muss eben von Fall zu Fall abgewogen werden: Steht es dafür? Dafür, dass ich den/die andere verletze? Dafür, dass ich eine bewährte Beziehung ins Wanken bringe? Lautet die Antwort: Ja – ja, dann muss ich es tun, aber auch bereit sein, die Konsequenzen zu (er)tragen.
Schwierig wird es, wie wir wissen, wenn Kinder da sind. Dann werden Frauen noch abhängiger und Männer noch nestflüchtiger. Doch das ist ein eigenes Kapitel.
Und nun? Auch meine persönliche Lebenserfahrung bestätigt das Modell Freiheit in Verbindlichkeit. Will sagen: Dem/der anderen einen maximalen Freiraum lassen – gleichzeitig aber auf Absprachen und Spielregeln bestehen. Könnte es sein, dass die Männer vor Frauen, die eigenständig und ehrlich zugleich sind, auch nicht mehr flüchten? Denn die wären für sie ja keine Bedrohung mehr, sondern eine Verheißung.