Donnerstag, 29. Januar 2015

Martin Schulz über Griechenland

von Thomas Heck...

"Zwei Ouzo und ein Kotzeimer bitte"



Je suis Charlie - aber nicht in Kölle

von Thomas Heck...

Mit dem Karneval in Köln konnte ich nie etwas anfangen. In Berlin gab es sowas damals gar nicht, erst mit dem Umzug der Bundeshauptstadt nach Berlin, kam etwas rheinische Frohnatur ins triste Nachwende-Berlin.





Kurz nach den Anschlägen von Paris war das Festtagskommitee in Köln plötzlich sehr Charlie und gab einen Mottowagen für den Karnevalsumzug in Auftrag, was über Facebook auch prächtig vermarktet wurde. So erklärte der Zugleiter und Vizepräsident des Festkomitees, Christoph Kuckelkorn entschlossen:

"Der Wagen wird sich mit den aktuellen Vorfällen in Paris und den Reaktionen darauf auseinandersetzen. Denn diese Ereignisse beschäftigen auch die Kölner Karnevalisten – schließlich gehören kritische Meinungsäußerungen im Rosenmontagszug ebenso dazu wie bei Karikaturisten und Satirikern"

Aber nicht in Köln. Deppen statt Jecken. Mit folgender doch etwas kleinlauterer Begründung der Kölner Jecken:

"Wir möchten, dass alle Besucher, Bürger und Teilnehmer des Kölner Rosenmontagszuges befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben. Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht. Aus diesem Grund haben wir heute entschieden, den Bau des geplanten 'Charlie Hebdo'-Wagens zu stoppen und den Wagen nicht im Kölner Rosenmontagszug mitfahren zu lassen."


Wir lassen das unkommentiert und den Karneval jetzt mal in Köln und kümmern uns um die Meinungsfreiheit im ganzen Land. Kölle Allaaf war früher... die Islamisten wird es freuen. Wieder dem Ziel ein wenig näher gerückt. Kölle Allah... Noch ein Grund, sich das nicht anzuschauen. Die Stellungnahme im Wortlaut von Hasenfüßen:

"Nicht das Festkomitee Kölner Karneval als Organisator des Rosenmontagszugs, sondern die Polizei sowie weitere Sicherheitsbehörden sind wie jedes Jahr hoheitlich verantwortlich für die Sicherung des Kölner Rosenmontagszuges vor gewalttätigen Aktionen. Nach Auskunft hochrangiger Vertreter der Polizei und weiterer Behörden gegenüber dem Festkomitee besteht und bestand keinerlei Risiko für den Kölner Rosenmontagszug, weder für Teilnehmer noch für Besucher - auch ausdrücklich nicht wegen des Charlie-Hebdo-Wagens. Aus diesem Grunde waren bisher auch keinerlei besondere Maßnahmen zur Sicherung von Wagen geplant. Dies wurde heute in verschiedenen Medien falsch dargestellt und verursachte somit Verunsicherung bei einigen Lesern.

Das Festkomitee ist sich seiner Verantwortung sehr wohl bewusst. Daher arbeiten Polizei und andere Sicherheitsbehörden seit Jahren - so auch in diesem Jahr - sehr gewissenhaft und eng mit dem Festkomitee zusammen, um den Kölner Rosenmontagszug fröhlich durch die Stadt zu leiten. 

In den Medien wurde heute publiziert, dass Gruppen oder Karnevalsgesellschaften gegenüber dem Festkomitee Ängste geäußert hätten, vor oder hinter dem geplanten "Charlie-Hebdo-Wagen" zu gehen. Auch das ist schlichtweg falsch. Gegenüber dem Festkomitee wurden solche Ängste nicht kommuniziert. Dies war bis heute nicht der Fall. Das Festkomitee pflegt gerade in dieser Zeit einen sehr intensiven Austausch zu allen Gruppen, die im Zug mitgehen. 

Im Gegenteil: Es haben sich zahlreiche unserer Mitgliedsgesellschaften direkt an uns gewandt und sich für die Mitfahrt auf diesem Wagen beworben, um damit ein Zeichen für die Meinungsfreiheit zu setzen. 

Das Festkomitee steht zur Aussage dieses Wagens und der demokratischen Abstimmung der Entwürfe sowie zum eindeutigen Votum für den geplanten Wagen. Die Meinungsfreiheit aller ist ein hohes Gut der Demokratie. Der Kölner Rosenmontagszug lebt mit seinen aktuellen Persiflagen diese Meinungsfreiheit jedes Jahr. 

Wir sind sehr dankbar über die zahlreichen Rückmeldungen der Menschen zu dem geplanten Wagen. In den sozialen Netzwerken und in den Medien wurde das Thema des geplanten Wagenbaus vielfach diskutiert. Zudem haben uns in den letzten Tagen zahlreiche Rückmeldungen per Email und auf dem Postweg erreicht. Viele Menschen stimmen uns zu und bekräftigen das Vorhaben, ein Zeichen zu setzen. Einige Rückmeldungen haben uns auch von besorgten Bürgern erreicht, die wir sehr ernst nehmen. Der Karneval soll jedoch nicht zu Sorgen führen - vielmehr wollen wir alle gemeinsam unbeschwert feiern. 

Wir möchten, dass alle Besucher, Bürger und Teilnehmer des Kölner Rosenmontagszuges befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben. Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht. Aus diesem Grund haben wir heute entschieden, den Bau des geplanten Charlie-Hebdo-Wagens zu stoppen und den Wagen nicht im Kölner Rosenmontagszug mitfahren zu lassen.

Wir bereiten uns weiter mit aller Sorgfalt und Vorfreude auf den Kölner Rosenmontagszug 2015 vor und freuen uns mit allem Jecken auf einen schönen Fastelovend!

Festkomitee Kölner Karneval von 1823"



Deutschland am Rande des Nervenzusammenbruchs

von Henryk M. Broder...

Irgendetwas stimmt nicht in diesem Land. Irgendetwas läuft aus dem Ruder. Kurt Tucholsky würde sagen: „Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.” Nicht, dass Deutschland immer das Land der kühlen Vernunft und der rationalen Entscheidungen gewesen wäre, da gab es ein paar Ausraster, die bis heute nachwirken, aber noch nie haben die Deutschen in Friedenszeiten und unter dem Schirm eines Sozialstaates dermaßen hyperventiliert wie in den letzten Wochen und Monaten.


Hannah Arendt hat im Zusammenhang mit dem Organisator der „Endlösung”, Adolf Eichmann, von der „Banalität des Bösen” geschrieben. Sie würde heute über die „Grausamkeit der Guten” staunen.

Letzten Montag, heute-journal im ZDF. Nachdem die Pegida-Leute ihre Demo auf den Sonntag vorverlegt haben, gehört Dresden jetzt den „Guten”, Herbert Grönemyer, der aus London eingeflogen ist, und über 200 Künstlern aus der ganzen Bundesrepublik, die „ein Zeichen” für ein buntes, tolerantes und weltoffenes Dresden setzen wollen. Oder ein buntes, tolerantes weltoffenes Berlin, Bremen und Frankfurt, denn auch dort finden Demos gegen Fremdenfeindlichkeit statt. Tausende junge Menschen wollen ein Zeichen setzen, sie schwenken Leuchtstäbe und Taschenlampen hin und her, wie einst ihre Eltern in einer Vorstellung der „Rocky Horror Picture Show”. Auch dagegen wäre an sich nichts zu sagen, denn „ein Zeichen” zu setzen ist die einfachste Art, Engagement zu zeigen, ohne dabei mehr zu riskieren als kalte Füße in der Abenddämmerung. Und kosten tut es auch nichts, denn die Künstler treten ohne Gage auf.

Mitten in der Menge eine junge Frau mit Wollmütze, die ein pinkfarbenes Plakat an einer Holzlatte in die Höhe hält. Darauf steht: „Menschenrechte statt rechte Menschen”. Ich würde gerne auf die Frau zugehen und sie fragen: „Was soll denn mit den rechten Menschen passieren? Wollen wir sie umbringen, einsperren, ausbürgern? Und wo fängt für Sie rechts an?” Aber es geht nicht, denn die junge Frau ist in Dresden, Bremen oder Freiburg unterwegs und ich stecke in einem Hotel in Frankfurt fest. Schade, ich hätte gerne gewusst, wie sie auf diesen Spruch gekommen ist, ob sie vielleicht schon als Kind mit ihren Eltern gegen den Bau eines AKW’s demonstriert hat, eine Papptafel mit dem Satz „Ich habe Angst!” an einer Schnur um den Hals.

Ich fürchte, ich bin einer der wenigen, die sich über eine solche Zurschaustellung der Folgen frühkindlicher Gehirnwäsche aufregen. Denn ich bin ein „Rechtspopulist”, ein „Hetzer”, einer der spaltet, statt zu versöhnen. Alle anderen wollen Zeichen für Toleranz setzen, Brücken bauen, auf fremde Menschen zugehen, sogar mit den Taliban beten - vorausgesetzt, es sind Gleichgesinnte und Gleichgepolte. „Rechte Menschen” dürfen ausgegrenzt und diffamiert werden, im Namen und zugunsten der „Menschenrechte”.

Als ich noch viel jünger, schlanker und dunkelhaariger war, habe ich mal einem Professor, dessen Vorlesungen ich hörte, anvertraut, dass ich die SPD wählte. Fortan sprach er mich nur noch mit „Mein bolschewistischer Freund!” an. So war es in den 60er Jahren, ein kluges Wort, und schon war man Kommunist. Heute ist es genau umgekehrt. Ein Hinweis darauf, dass das Demonstrationsrecht unabhängig von den politischen Zielen der Demonstranten gilt, so lange sich diese an die Gesetze halten, und schon ist man ein „Rechter”. Die „Guten”, also die Linken, die Friedensbewegten, die Brückenbauer und diejenigen, die sich die Erde nur von ihren Kindern geliehen haben, bleiben gerne unter sich und bestätigen sich gegenseitig, wie gut sie sind.

Wer diesem Club der Selbstgerechten angehören möchte, der muss an die Klimakatastrophe glauben, die Energiewende unterstützen, einen Toyota Prius fahren, auf seine CO2-Bilanz achten, kulturzeit auf 3sat schauen und immer eine Erklärung dafür parat haben, warum „der Westen” an allem schuld ist, während es „den Islam” als solchen gar nicht gibt. Er muss auch über ein sehr selektives Wahrnehmungsvermögen verfügen. Wenn eine Autonomengang eine Polizeiwache überfällt oder Veranstaltungen der AfD und der taz sprengt, weil dort „falsche Ansichten” geäußert werden, dann sind das Petitessen, die achselzuckend ad acta gelegt werden. Wenn aber ein älterer leicht besoffener Herr einer jungen Journalistin etwas zu lange in den Ausschnitt guckt, dann ist das „menschenverachtend” und ein Vorratslager für wochenlange Entrüstung.

Dieser Gesellschaft ist der innere Kompass abhanden gekommen. Sie hat sich nicht liberalisiert. Sie ist autoritärer, dogmatischer und rigider geworden, wobei es die Antiautoritären von gestern sind, die heute den Ton angeben. Sie kaufen ihr Küchenzubehör bei manufaktum ein und rümpfen die Nasen über „Spießer” und „Kleinbürger”, die sowohl beim Konsumieren wie beim Politisieren ästhetisch versagen. „Spießer” und „Kleinbürger” sind heute die beliebtesten Invektive, mit denen sich die Angehörigen der Kultureliten vom gemeinen Volk absetzen. 

Diese Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten so gründlich pazifiziert worden, dass sogar die Pazifizierer nicht mehr wissen, wie sie ihre Aggressionen loswerden sollen. Deswegen tun sie so, als hätten sie keine. Aber es reicht, an der Oberfläche der Friedfertigkeit nur ein wenig zu kratzen, damit das unterdrückte Elend zum Vorschein kommt. An keinem Stammtisch in Wanne-Eickel geht es so passiv-aggressiv zu wie an der Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts, wo Toleranz gepredigt und Sektierertum praktiziert wird.

Nun, da sich die Pegida von allein erledigt hat, werden die Guten und die Selbstgerechten einen neuen Sündenbock brauchen, an dem sie sich abarbeiten und dem sie das anlasten können, woran sie gescheitert sind - die Transformation der Gesellschaft. 

Die Parteien und Bewegungen kommen und gehen. Aber die Fragen und Probleme bleiben. Lotta continua!


erschienen auf der Achse des Guten


Ein Nagel im Sarg des westlichen Menschen

von Michael Klonowsky...

Es gibt merkwürdige intellektuelle Moden, an die plötzlich die halbe Welt glaubt, bis irgendwann alles Schnee von gestern ist. So verhielt es sich zuletzt mit der Dialektik, dem Klassenkampf, dem „absterbenden Kapitalismus“ oder dem „Ende der Geschichte“. Zwei Moden unserer Epoche (bzw. unseres Epöchleins) heißen Feminismus und Gender. Lehrstühle für Frauenforschung sprießen allerorten, Gender-Professorinnen werden berufen, Kongresse veranstaltet, Publikationen strömen auf den Markt. Politiker übernehmen die Schlagworte, bewilligen Gelder für Studien über Frauenbenachteiligung und aufgezwungene Geschlechterrollen. Die EU und also auch Deutschland veranstalten Gender-Mainstreaming, was im Unterschied zum Kommunismus, mit dem diese Idee immerhin den Stallgeruch teilt, nicht Millionen Menschenleben, sondern zunächst nur viele Millionen überwiegend von männlichen Steuerzahlern aufzubringende Euros (und langfristig Zigtausende Männer den Job) kosten wird.




In Deutschland wurde Gender-Mainstreaming 1999 von der Regierung Schröder/Fischer per Kabinettsbeschluss – also am Parlament vorbei – eingeführt und umstandslos den Frauenabteilungen der entsprechenden Ministerien zugeschlagen. Allein der Begriff „Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz“ hätte aufhorchen lassen müssen. Dessen zweiter Satz erläutert, worum es geht: „Nach Maßgabe dieses Gesetzes werden Frauen gefördert, um bestehende Benachteiligungen abzubauen.“

Freilich verhält sich Gender-Mainstreaming zum Gender-Theorem an sich allenfalls wie eine linke Staatspartei zur kommunistischen Weltbewegung. Gender will mehr, quasi den neuen Menschen schaffen.

Der Begriff soll das soziale oder psychologische Geschlecht einer Person im Unterschied zu ihrem biologischen Geschlecht (Sex) beschreiben. Aus der Allerweltstatsache, dass es Geschlechterrollen gibt, ist unter der Hand die These geworden, Geschlecht sei eine Rolle. Männlichkeit und Weiblichkeit erscheinen so als von der Gesellschaft konstruiert, klassisch formuliert im Satz der Frühfeministin Simone de Beauvoir: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht.“

Den Begriff Gender prägte 1955 der US-amerikanische Arzt John Money. Er hatte beweisen wollen, dass Geschlecht im Grunde disponibel sei und eine Geschlechtsumwandlung an einem jungen Mann vorgenommen, die diesen letztlich in den Selbstmord trieb. Damit war zugleich angedeutet, wohin die Reise gehen soll: Gender ist ein Aufstand gegen die Natur, ein Angriff auf den heterosexuellen Mann im Speziellen und die Zweigestaltigkeit der menschlichen Spezies an sich. Dieser sogenannte Dimorphismus war als evolutionäres Modell überaus erfolgreich, wie man unter anderem am vergleichsweise miserablen Abschneiden der Knosper und Selbstbefruchter erkennen mag. Die zwei Geschlechter in ihrer Wechselbeziehung haben sich evolutionär zu immer neuen Spitzenleistungen angeregt. Das menschliche Gehirn hätte sich ohne die Zweiheit der Geschlechter niemals so weit entwickelt, dass es sogar Theorien wie jene ersinnen konnte, diese Zweiheit sei ein „soziales Konstrukt“.

Meisterdenkerin der Gender-Theorie ist die US-amerikanische Philosophin Judith Butler. Frau (!) Butler, wie viele aus diesem Theoriemilieu homosexuell und kinderlos, vertritt die Ansicht, Gender und Sex ließen sich nicht trennen, die Geschlechterdifferenz sei „keine Tatsache“, sie klagt über „Zwangsheterosexualität“ und die „biologisch enge Vorstellung von Fortpflanzung als dem sozialen Schicksal der Frauen“. Während sie „eine heterosexuelle Melancholie“ entdeckt hat, die aus der „Ablehnung homosexueller Zuneigung“ herrührt, war ihr jene weit häufigere Melancholie, die sich auf die Züge der kinderlos gebliebenen Endvierzigerin malt (und die auch durch die Lektüre launiger Gender-Studies nicht zu tilgen ist), bislang nicht der Rede wert.

Auf derselben Linie, wenngleich intellektuell anderthalb Stufen tiefer, agiert Thomas Krüger, SPD-Mann (bzw. -Gender) und Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, die Ende Oktober einen Kongress unter dem Motto „Das flexible Geschlecht“ abhielt. In der Eröffnungsrede forderte Krüger den „Verzicht auf Privilegien wie die klassische Ernährer-Ehe, an der sich immer noch steuerliche Privilegien festmachen“. Zugleich lobte er die Abtreibungspraxis in der DDR und würdigte den allmorgendlichen Massenaustrieb der DDR-Frauen in die Aufenthaltsräume nutzloser Betriebe als „beinahe Vollbeschäftigung“. Der Westen hingegen, so Krüger, „leistete sich Hausfrauen“. Seit 1995 sei Abtreibung nun „zwar straffrei, aber rechtswidrig und gesellschaftlich weiterhin geächtet und heiß umstritten“, monierte der Chef der auf weltanschauliche Neutralität halbwegs verpflichteten Behörde. Schlimmer noch: „Die Menschenrechte von Personen, die der Vorstellung und den Normen der Zweigeschlechtlichkeit nicht entsprechen wollen oder können, werden tagtäglich kontinuierlich verletzt.“

„Doing Gender“ ist die logische Konsequenz linken Denkens, das seit 200 Jahren hinter jeder benachteiligten Gruppe eine neue entdeckt. Nach der Emanzipation des dritten Standes, des Proletariats, der Dritten Welt, der Frauen und der Migranten steht nunmehr die Emanzipation jedweder sexueller Neigung samt Abschaffung der repressiven Geschlechterrollen auf der Agenda. Nahezu von Anfang an und mit bemerkenswerter Konstanz rangiert die bürgerliche Familie an der Spitze zu bekämpfender „Zwangsstrukturen“. Kinder wiederum spielen im Gender-Diskurs ungefähr eine solche Rolle wie die Verhütung im katholischen. Wer die Begriffe Frau und Mutter zu eng zusammenbringt, ist des Teufels, wie hierzulande etwa die TV-Moderatorin Eva Herman erfahren durfte. In einer von der Schweizer Nationalrätin Doris Stump initiierten Beschlussvorlage des Europarats heißt es, Frauen dürften nicht mehr „als passive und minderwertige Wesen, Mütter oder Sexualobjekte“ dargestellt werden.

In ihrem Kern dient die Gender-Idee dazu, Frauen exklusive Karrierechancen zu eröffnen, und sei es nur als Professorin für Gender-Studies; außerdem sollen homosexuelle Lebensgemeinschaften heterosexuellen rechtlich gleichgestellt werden. Dieser radikale Subjektivismus kennt keinen Generationenvertrag mehr, sondern nur mehr noch die sexuelle Selbstverwirklichung. Tatsächlich ist die Gender-Ideologie eine Form des Heile-Welt-Kitsches mit dem Wunsch nach individueller Rundumbefriedigung, vergleichbar der klassenlosen Gesellschaft der Internationalsozialisten.

Ein Spaßverderber, wer nun die Demografie ins Spiel bringt. Aus deren Warte ist Gender nicht viel mehr als ein Symptom. Überall, wo diese Idee waltet, herrschen niedrige Geburtenraten. Asien etwa kennt kein Gender-Mainstreaming, und Amerika besitzt ein robustes konservativ-religiöses Milieu, das sich weiter fortpflanzt. Europas Anteil an der Weltbevölkerung betrug anno 1900 25 Prozent, im Jahr 2000 waren es zwölf Prozent, 2050 werden es 7,6 sein. Anno 1900 kamen in Deutschland 36 Geburten auf 1000 Einwohner, heute sind es acht, die Migrantenkinder eingerechnet. Demografen wie der Bielefelder Professor Herwig Birg menetekeln seit Langem, die derzeitge Situation werde in ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung „schlimmer als der Dreißigjährige Krieg“ sein: „Nichtgeborene können selbst bei der besten Familienpolitik keine Kinder haben.“ Und wo schwindende Völkerschaften Räume frei machen, drängen fruchtbare nach; es wird faszinierend sein zu beobachten, wie unsere Schwulen, Lesben und Feministinnen zum Selbstbehauptungskampf gegen die muslimischen Machos antreten.

Einer hat diesen Prozess vor hundert Jahren prophezeit: „Aus der Tatsache, daß das Dasein immer wurzelloser wird“, schrieb Oswald Spengler 1918, geht „endlich jene Erscheinung hervor, die im stillen längst vorbereitet war und jetzt plötzlich in das helle Licht der Geschichte rückt, um dem ganzen Schauspiel ein Ende zu bereiten: die Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen.“ Dieser „letzte Mensch der Weltstädte will nicht mehr leben, wohl als einzelner, aber nicht als Typus“, notierte der Geschichtsdenker. „Die Fortdauer des verwandten Blutes innerhalb der sichtbaren Welt wird nicht mehr als Pflicht dieses Blutes, das Los, der Letzte zu sein, nicht mehr als Verhängnis empfunden.“ Verhängnisvoll ist vielmehr bloß noch, wenn man im falschen Gender lebt. Dergleichen nennt man Dekadenz. Da sie von Egalitaristen verwaltet wird, handelt es sich, anders als im alten Rom oder im Spätabsolutismus, um eine Dekadenz ohne Glanz.

Interessant bei alledem, dass eine solche Theorie in das vermeintlich patriarchalische System eindringen kann wie ein Messer in die Butter. Dass sich aus den Reihen steuerzahlender, familienernährender Männer gegen diesen soziologischen Okkultismus kaum Widerstand regt, kann als ein Propaganda-Coup oder Dressurerfolg ersten Ranges verbucht werden.

Starb die „Kritik der politischen Ökonomie“, als welche der Marxismus daherkam, den ökonomischen Tod, wird die Gender-Ideologie mangels Nachkommen wohl peu à peu den biologischen Tod sterben. Die nächsten intellektuellen Moden werden dann aus anderen Erdteilen kommen.

Gender ist ein logisches Produkt linken Denkens, das seit 200 Jahren nach jeder benachteiligten Gruppe eine neue entdeckt.

Mittwoch, 28. Januar 2015

Fiskalisches Waterboarding

von Alexis Tsipras...


Liebe Leser des Handelsblatts,


die Mehrheit von Ihnen wird sich bereits jetzt eine Meinung darüber gebildet haben, was sie in diesem Artikel lesen wird. Das ist mir bewusst. Ich wage es dennoch, sie darum zu bitten, sich den folgenden Zeilen möglichst vorurteilsfrei zu widmen. Denn Vorurteile sind, vor allem in Zeiten der Wirtschaftskrise, keine guten Berater, sie schüren Intoleranz, Nationalismus, Rückwärtsgewandheit, ja sogar Gewalt.


Ich wende mich mit einem offenen Brief an Sie, um Ihnen eine andere Sicht auf das zu geben, was sich vom Jahr 2010 bis zum heutigen Tage an abgespielt hat. In erster Linie jedoch möchte ich Ihnen in aller Aufrichtigkeit die Vorschläge und Zielsetzungen meiner Partei SYRIZA erläutern, welche am 26. Januar die dann neu gewählte griechische Regierung stellen könnte.

Der griechische Staat ist seit 2010 nicht mehr dazu in der Lage, seine Schulden zurückzuzahlen. Unglücklicherweise beschloss man auf offizieller europäischer Seite, so zu tun, als könne man diesem Problem mittels des größten in der Menschheitsgeschichte je gewährten Kredites und der strikten Durchsetzung eines finanz- und strukturpolitischen Anpassungsprogramms Herr werden. Und das, obwohl dies mit mathematischer Gewissheit das Zusammenschrumpfen des Inlandseinkommens zur Folge haben musste, aus welchem die Abzahlung neuer wie alter Kredite finanziert wird.

Kreditvereinbarung entschieden abgelehnt

Man ging das Problem an, als handle es sich beim drohenden Staatsbankrott um einen Liquiditätsengpass. Anders ausgedrückt: Man machte sich die Logik eines Bankers zu eigen, der, statt sich einzugestehen, dass sein an eine bankrotte Firma ausgezahlter Kredit „geplatzt“ ist, dieser einfach weitere Geldsummen verleiht und sich vormacht, die Kredite würden abbezahlt, wenn man die unabwendbare Pleite nur immer weiter hinauszögere.

Es hätte nicht mehr als gesunden Menschenverstand gebraucht, um zu erkennen, dass das konsequente Festhalten am „Extend and Pretend“-Dogma für mein Land in einer Tragödie enden würde. Es hätte nicht mehr als gesunden Menschenverstand gebraucht, um zu verstehen, dass man, statt Griechenland zu stabilisieren, nur Öl ins Feuer einer sich immer wieder aufs Neue selbst entfachenden Krise goss, die Europa bis in seine Grundfesten bedroht. Die im Mai 2010 verabschiedete Kreditvereinbarung wurde von meiner Partei und mir entschieden abgelehnt. Nicht weil wir glaubten, Deutschland und unsere anderen Partner hätten uns nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt, sondern weil wir der Auffassung waren, dass sie uns weit größere Summen haben zukommen lassen als angemessen, weit mehr als anzunehmen wir berechtigt gewesen wären. Geldsummen, die weder der griechischen Bevölkerung zugute kommen würden, da sie nur dazu bestimmt waren, in ein Schuldenfass ohne Boden geworfen zu werden, noch das Anwachsen der Staatschulden, deren Last unsere Partner unweigerlich immer wieder auf Ihre Bürger abwälzen würden, würden verhindern können.

Diese unleugbare Tatsache war auch der Bundesregierung bekannt und wurde dennoch verschwiegen.

Tausende Unternehmen in den Ruin getrieben

Weniger als ein Jahr darauf hatte sich unsere Einschätzung als richtig erwiesen. Die Kombination aus Neuaufnahme enormer Kreditsummen und massiven Kürzungen hatte es nicht nur nicht vermocht, die Schuldenproblematik zu zähmen, sondern darüber hinaus auch die Schwächsten unserer Gesellschaft hart getroffen. Gewissenhafte Arbeitnehmer waren arbeits- und obdachlos geworden und fühlten sich vor allem ihrer Würde beraubt. Die massiven Einkommensverluste trieben Tausende Unternehmen in den Ruin und verhalfen den verbliebenen dazu, sich als Oligopole zu etablieren und an Stärke zu gewinnen.

In Zeiten, in denen das Defizit an Hoffnung und Perspektive größer ist als alle anderen Defizite, brauchte es nicht lang, bis das „Schlangenei“ des Faschismus ausgebrütet war und Neonazis in den Nachbarschaften unseres Landes zu patrouillieren begannen, um Hass und Gewalt zu säen.

Trotz des fulminanten Scheiterns dieser Strategie hält man bis zum heutigen Tag an der erwähnten Logik der Verlängerung und Täuschung fest. Mit der im Jahr 2012 getroffenen Kreditvereinbarung lud man eine noch größere Schuldenlast auf die ohnehin schon schwachen Schultern Griechenlands und löste eine neue Rezession aus, während die Gelder unserer Partner in die Finanzierung eines Systems persönlicher Bereicherung und Vorteilsnahme verwendet wurden und der damals vorgenommene Haircut vornehmlich die Einlagen der Sozialversicherungs- und Rentenkassen beschnitt.

Leugnen mathematischer Tatsachen

In der letzten Zeit hört man Beobachter von einer Stabilisierung Griechenlands sprechen, sogar von Wachstum ist die Rede und davon, dass die verfolgte Politik nun Früchte trage. Dabei handelt es sich um eine willkürliche Verzerrung der Tatsachen, welche einer genaueren Analyse nicht standhalten kann. So markiert der jüngste Anstieg des realen Nationaleinkommens um 0,7% nicht etwa das Ende der Rezession, sondern deren Fortsetzung, da im selben Zeitraum die Inflation bei minus 1,8% lag.

Die Wahrheit ist, dass die Staatsschulden Griechenlands nicht zurückgezahlt werden können, solange die griechische Volkswirtschaft ständigen fiskalischen Ertränkungsversuchen ausgesetzt ist (fiscal waterboarding). Das Beharren auf diese ausweglose und menschenverachtende Politik und das Leugnen mathematischer Tatsachen kostet den deutschen Steuerzahler Unmengen an Geld und das griechische Volk seine Würde. Und führt, noch viel schlimmer, dazu, dass sich Griechen gegen Deutsche und Deutsche gegen Griechen wenden und so dem Gedanken eines demokratischen und geeinten Europa tiefe Schäden zufügen.

Deutschland, und vor allem die hart arbeitenden deutschen Steuerzahler haben von einer SYRIZA-Regierung nicht das geringste zu befürchten. Ganz im Gegenteil.

Kleptokratischem System den Kampf angesagt

Unser Ziel ist es nicht auf Konfrontation mit unseren Partnern zu gehen, noch mehr Kredite oder einen Freibrief für neue Defizite zu erhalten. Unsere Ziele sind die Stabilisierung des Landes, das Erreichen eines ausgeglichenen Primärhaushaltes und die Beendigung dieses Aderlasses, den deutsche und griechische Steuerzahler dank dieser absolut unangemessenen Kreditvereinbarung über sich haben ergehen lassen müssen. Wir fordern ein Ende des „Extend and Pretend“–Dogmas, und zwar nicht zu Lasten der Bürger Deutschlands, sondern zu unser aller Vorteil.

Liebe Leser, ich weiß, dass hinter der Forderung nach genauester Durchsetzung dessen, was vereinbart wurde, die Befürchtung steht, die Griechen könnten, wenn man es ihnen erlaube, einfach weitermachen wie bisher. Ich habe großes Verständnis für diese Sorge und möchte klarstellen, dass es nicht meine Partei, dass es nicht SYRIZA war, die dieses System aus Korruption, persönlicher Bereicherung und Vorteilsnahme geschaffen hat, sondern eben jene, die heute allzu sehr auf die Einhaltung des Vereinbarten und die Fortführung des Reformprogramms pochen. Selbstverständlich nur, wenn dabei ihre eigenen Privilegien, wie dies in den vergangenen vier Jahren und unter der Regierung Samaras der Fall war, gänzlich unangetastet bleiben. Wir haben diesem kleptokratischen System den Kampf angesagt und werden eine weitreichende Reform des Staates und der öffentlichen Verwaltung vornehmen sowie Transparenz, leistungsorientierte Einstellungs- und Beförderungssysteme und Steuergerechtigkeit schaffen, darüber hinaus hart gegen Geldwäscher vorgehen.

Das ist unsere Reformagenda. Die Reformagenda, die wir dem griechischen Volk bei den kommenden Wahlen zur Abstimmung vorlegen.

Mehr Solidarität und mehr Demokratie

Ziel ist es, im Rahmen der Eurozone zu einer neuen Übereinkunft zu kommen, die es der griechischen Bevölkerung möglich macht zu atmen, ihre Produktivität freizusetzen und in Würde zu leben. Mit Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit und einem Ausweg aus der Rezession. Mittels Wachstumsfinanzierung statt zum Scheitern verurteilter Austeritätspolitik, welche immer wieder in die Rezession führt. Mit Förderung des sozialen Zusammenhaltes. Mit mehr Solidarität und mehr Demokratie.

Am 25. Januar wird in Griechenland eine neue Chance für ganz Europa geboren. Mögen wir sie nicht ungenutzt lassen.

Das Nationaleinkommen sank also weiter, nur eben weniger stark als die Durchschnittspreise. Der Schuldenberg wächst beständig weiter. Wir haben es mit einer beschämenden Schönung der Statistik zu tun, mit welcher man die Effektivität der von der Troika in Griechenland verfolgten Politik zu belegen – und die Europäer, die das Recht haben, endlich die Wahrheit zu erfahren, ein weiteres mal hinters Licht zu führen versucht.