von Birgit Kelle...
Merkel räumt Fehler in der Flüchtlingspolitik ein, lese ich. Merkel räumt Versäumnisse ein. Es sei „sehr bitter“, habe sie gesagt angesichts des Wahlausgangs in Berlin, bei dem sich das CDU-Konzept „moderne Großstadtpartei“ ganz unfreiwillig dem FDP-Projekt-18 angenähert hat, nur aus der anderen Richtung.
Ja, es muss der CDU dann doch mit zwei Wochen Verspätung einen gehörigen Schock versetzt haben, dass die zweite Landtagswahl in Folge erwartungsgemäß zu einer Klatsche der eigenen Partei und zum Einzug der AfD ins nächste Parlament geführt hat. Es ist der Schock, der schon nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern zu einem Innehalten hätte führen müssen, der aber in der üblichen Dampfplauderei kurzfristig zur Schau getragener Zerknirschung damals schnell verpufft war.
Merkel-muss-weg-Meute nicht einfach zu besänftigen
Die „Gehen-Sie-weiter-es-gibt-hier-nichts-zu-sehen-Rhetorik“, mit der Generalsekretär Tauber bislang noch jede Niederlage in ein Pro-Merkel-Bündnis umzudeuten wusste, funktioniert nicht mehr. Der Wähler ist blöd, aber doch nicht ganz so sehr, für wie man ihn oft hält. Was er mit traumwandlerischer Zielsicherheit erkennt, ist jedenfalls eines: billige Ausreden. Zumindest das scheint am Montag im Konrad-Adenauer-Haus als bittere Erkenntnis eingestanden worden zu sein, da muss die Chefin schon selbst ran.
Die Merkel-muss-weg-Meute, die stetig wächst, ist nicht mehr mit dem Bodenpersonal zu besänftigen. Die AfD-Überläufer aus den Reihen der CDU-Mitglieder- und Stammwähler sind möglicherweise auf eine Zahl angewachsen, die man langsam nicht mehr ignorieren kann. Mir klingt noch gut in den Ohren, mit welcher Überheblichkeit der Generalsekretär im Sommer 2014 zu Protokoll gab, er wolle zur AfD abgewanderte Ex-CDU-Leute „nicht geschenkt“ zurück haben. Das war schon damals kein Parteikonsens, jetzt wird die Rückholungsaktion zur Überlebensfrage als Volkspartei.
Welche Fehler hat sie denn eingeräumt?
Was hat sie denn nun gesagt, die Kanzlerin, welche Fehler eingeräumt? Oder wollen wir gleich dazu übergehen, welche es nicht sind? Wenn sie könnte, würde sie die Zeit um viele Jahre zurückdrehen, hat die Kanzlerin gesprochen. Das klingt gut und im ersten Moment ist man geneigt zu glauben, sie habe tatsächlich eingesehen, dass der massenhafte Zuzug von Migranten in den vergangenen zwei Jahren ein Fehler war.
Das meint Angela Merkel aber nicht. Stattdessen bekräftigt sie ihren Standpunkt: „In der Sache war es absolut richtig“. Der eingestandene Fehler bezieht sich rhetorisch auf die schlechte Vorbereitung, die dazu geführt habe, dass man „eine Zeit lang“ nicht ausreichend die Kontrolle gehabt habe.
Das ist eine sehr hübsche Formulierung für die Tatsache, dass man über unzählige Monate die eigenen Außengrenzen nicht einmal mehr versucht hat zu sichern und wir entsprechend keine Ahnung haben, wie viele Menschen tatsächlich ins Land gekommen sind – und von einigen Zehntausenden bis heute nicht wissen, wer sie sind oder wo sie sich aufhalten. Das Land hat sie einfach absorbiert.
Die Zeit, die Angela Merkel zurückdrehen würde, wären „viele Jahre“, nicht, um etwas an den Tatsachen rückgängig zu machen, sondern um die Planung und Vorbereitung auf die Tatsachen kontrollierter zu steuern. Im Klartext heißt das: Das Ziel bleibt gleich, nur die Umsetzung war ein Problem.
Merkel distanziert sich von "Wir schaffen das"
Ich lese, sie distanziere sich von dem Satz „Wir schaffen das“. Tut sie das? Sie sagt, sie mag ihn nicht wiederholen, weil er zu einer Leerformel geworden sei. Gleichzeitig bestätigt sie aber doch seine Richtigkeit aus ihrer Perspektive, denn er sei „Haltung und Ziel“ zugleich. Distanzierung sieht anders aus. Distanzierung wäre etwa ein „Wir schaffen es doch nicht“.
Sie hält aber an dem Satz fest, will ihn bloß nicht mehr nutzen, weil das Wording-Team der Marketingabteilung mit einiger Verspätung offenbar festgestellt hat, dass dieser Satz zum Hassobjekt taugt und, um im Kanzlerinnen-Jargon zu bleiben, inzwischen „wenig hilfreich“ ist. Die Diskussion zu diesem Satz sei zu einer „unergiebigen Endlosschleife“ geworden, sagt sie dann ja selbst. Er wird nicht inhaltlich in die Tonne geklopft, er wird als politisch verbrannt entsorgt.
Merkel räumt Teilschuld an Wahldebakel ein
Damit sind wir bei der Kommunikation schon ganz auf dem richtigen Pfad. Denn die persönliche Teilschuld für das Wahldebakel in Berlin, die Angela Merkel gerade auf sich genommen hat in der Verantwortung als Parteivorsitzende, ist zwar einerseits ein schönes Zeichen, wird aber erst glaubwürdig durch die Umsetzung von Veränderungen.
Und verändern möchte Angela Merkel auch etwas, aber nicht ihren Kurs, sondern die Kommunikation desselben. Nun möchte sie sich „gerne darum bemühen“, dass manch einem Richtung, Ziel und Grundüberzeugung ihrer Flüchtlingspolitik „ausreichend klar“ wird, dem das bislang nicht klar genug geworden ist.
Es gibt keinen Kurswechsel
Ich habe schon immer gesagt, ich halte Angela Merkel für eine sehr kluge Frau, rhetorisch war der Auftritt heute brillant. Die Chefin tritt selbst an, die Miene dem Ernst der Lage angepasst. Ein bisschen Zerknirschung, Eingeständnis von Fehlern. Nein, das wollen wir nicht wiederholen, wer will das schon? Wir werden uns besser erklären und der Hinweis darf nicht fehlen: Es kommen ja jetzt auch schon viel weniger Flüchtlinge! Das ist nicht ihr Verdienst. Andere haben dafür gesorgt, die man dafür auch noch geprügelt hat. Dafür wird der Deal mit Erdogan von ihr noch einmal bekräftigt. Wie schön.
Es gibt keinen Kurswechsel und es gibt kein Zurückrudern. Sie signalisiert, wir sind auf dem richtigen Weg, wir müssen es nur besser kommunizieren. Zumindest das hat schon gut geklappt, denn über alle Kanäle läuft, Merkel habe Fehler eingestanden. Das ist aber sympathisch. Und auch so menschlich. Machen wir nicht alle einmal Fehler?