von Thomas Heck...
Die Bundesregierung weigert sich, bezüglich der umstrittenen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland eine eindeutige Position zu beziehen und schiebt lieber den Schwarzen Peter auf die Kommunen. Und so kommt es zu dem Kuriosum, dass die Stadt Gaggenau fehlende Parkplätze als Begründung für eine abgesagte Veranstaltung des türkischen Justizministers in Deutschland herhalten müssen, weil die Bundesregierung kein Rückgrat hat, dem Irren in Ankara in seine Grenzen zu verweisen.
"Es wäre uns gar nicht rechtlich möglich, eine solche Entscheidung als Bundesregierung zu treffen." Außenminister Sigmar Gabriel betont, die Entscheidung über Zulassung oder Verbot von Wahlkampfveranstaltungen türkischer Politiker in Deutschland liege alleine bei den Kommunen.
Und während der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel weiter im türkischen Knast für etwas schmort, was in jeder Demokratie selbstverständlich sein soll, nämlich dass ein Journalist eine Regierung kritisiert, kann sich Deutschland schon auf die türkische Retourkutsche verlassen. Und kommt mit einer Urgewalt und einer typisch türkisch beleidigten Leberwurst...
Deutschland wurde aufgefordert, sich künftig zu benehmen. Die Türkei läuft Amok gegen das Auftrittsverbot ihrer Minister in Deutschland. Das türkische Außenministerium bestellte nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur „Anadolu“ am Donnerstagabend den deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, ein.
Mit schärfster Rhetorik wütet die Türkei jetzt gegen Deutschland:
Der türkische Justizminister Bekir Bozdag wetterte: „Dieses Skandal-Vorgehen in Deutschland ist im wahrsten Sinne des Wortes ein faschistisches Vorgehen“, sagte Bozdag am Freitag bei einer Veranstaltung im ostanatolischen Malatya.
„Wir dachten, die Berliner Mauer sei schon lange gefallen. Aber wir sehen, dass es in manchen Köpfen in Deutschland immer noch ideologische Berliner Mauern gibt, und es werden neue gebaut“, so Bozdag weiter.
Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf Deutschland Doppelmoral vor. Die Türkei könne die Geschehnisse in Gaggenau nicht hinnehmen, sagte Cavusoglu am Freitag vor Journalisten in Ankara.
Wenn Deutschland die Beziehungen zur Türkei aufrechterhalten wolle, müsse es „lernen, sich zu benehmen“. Berlin wolle keine Wahlkampfveranstaltungen zu der Verfassungsreform in Deutschland und keine „starke Türkei“, sagte Cavusoglu am Freitag.
Der Generalsekretär des Präsidenten, Ibrahim Kalin sagte: „Diese Entscheidung ist ein Skandal. Das diese Entscheidung von einem Land kommt, das Terrororganisationen in die Arme nimmt, macht die Sache schlimmer.“
Der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmu verkündete: „Wenn ein demokratisches Land so ein Verbot ausspricht, können wir das niemals akzeptieren.“
Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci kündigte an, trotzdem nach Deutschland zu kommen: „Ich werde am Sonntag wieder nach Deutschland reisen. Ich werde die mir befohlene Reise antreten, und wir sagen, der Sieg ist Allahs.“
Die Veranstaltung mit dem Minister, für den die Stadt Köln am Freitag die Räume gekündigt hatte, soll nun wohl am Sonntagabend im nahe gelegenen Frechen stattfinden. Zeybekci kündigte an: „Wenn wir sehen, dass sie uns wieder keine Erlaubnis geben, gehe ich von Kaffeehaus zu Kaffeehaus, von Haus zu Haus und treffe unsere Bürger trotzdem.“
Das Auftrittsverbot stieß auch bei der größten türkischen Oppositionspartei CHP auf Kritik.
„Das ist ganz und gar nicht in Ordnung“, sagte CHP-Chef und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA am Freitag in Istanbul. An die Adresse Deutschlands fügte er hinzu: „Einerseits belehrt Ihr die Welt über Demokratie, andererseits wollen zwei Minister einer Partei sprechen, aber aus diesem oder jenem Grund verbietet Ihr diese Rede. Das finden wir keineswegs richtig.“
Kilicdaroglu ist strikt gegen das Präsidialsystem, für das die Minister in Deutschland werben wollten und über dessen Einführung in der Türkei am 16. April in einem Referendum abgestimmt wird. In Deutschland sind rund 1,4 Millionen Türken stimmberechtigt.
Medienecho in der Türkei
Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“ nannte die Verbote „eine hässliche Kampagne“.
Die Zeitung „Star“ verknüpft die Absage mit der Inhaftierung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei: „Nachdem der 'Welt'-Reporter wegen Terrorpropaganda verhaftet wurde, hat Berlin eine unvergleichliche Frechheit begangen. Es hat zweien unserer Minister keine Versammlungserlaubnis erteilt.“
Auch die „Hürriyet“, die nicht immer auf Regierungslinie liegt und auch kritische Stimmen zu Wort kommen lässt, schrieb von einem „diplomatischen Skandal“ und einem „Sprechverbot“.
Reaktionen aus Deutschland
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte, die Entscheidung über Zulassung oder Verbot von Wahlkampfveranstaltungen türkischer Politiker in Deutschland liege alleine bei den Kommunen.
Weder die Länder noch die Bundesregierung hätten die Kompetenz festzustellen, ob eine Veranstaltung ohne Störung der öffentlichen Sicherheit stattfinden könne. „Es wäre uns gar nicht rechtlich möglich, eine solche Entscheidung als Bundesregierung zu treffen.“
Thomas Strobl (56, CDU), Innenminister von Baden-Württemberg, zu BILD: „Die Stadt Gaggenau hat in eigener Verantwortung die Überlassung der Festhalle Bad Rotenfels widerrufen. Diese Entscheidung ist nachvollziehbar – die Stadt stützt sich bei ihrer Entscheidung auf begründete Sicherheitsaspekte. Die Stadt Gaggenau hat über die rechtlichen Fragen in Zusammenhang mit der Veranstaltung den Austausch mit dem Innenministerium gesucht. Das Innenministerium stand deshalb mit der Stadt Gaggenau in intensivem Austausch über alle Rechtsfragen in Zusammenhang mit der geplanten Veranstaltung. Die Stadt hat daraufhin in eigener Verantwortung eine nachvollziehbare Entscheidung unter Berücksichtigung aller rechtlich relevanten Punkte getroffen und den Widerruf der Hallenüberlassung verfügt.“
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, warnte vor einer weiteren Zunahme der Spannungen zwischen Berlin und Ankara.
Die türkische Regierung nutze das Auftrittsverbot gegen Justizminister Bekir Bozdag in Gaggenau natürlich aus, um „ihren Stimmenanteil in Deutschland zu erhöhen, indem sie Deutschland als neues und altes Feindbild zeigt“, sagte Sofuoglu dem Sender RBB am Freitag.
Er habe aber Verständnis für die Absage, betonte Sofuoglu zugleich. Er verstehe die vom Bürgermeister der baden-württembergischen vorgebrachten Sicherheitsbedenken. Er hätte sich jedoch gewünscht, dass mit dem Veranstalter eventuell noch einmal alternative Möglichkeiten ausgelotet worden wären - etwa eine Veranstaltung in kleinerem Rahmen.
Der Vizepräsident der Türkischen Gemeinde, Atila Karabörklü kritisierte die Absage als „nicht richtig“. Auch wenn die türkische Regierung eine „Repressionspolitik“ betreibe, müssten die demokratischen Spielregeln in Deutschland weiter gelten, sagte er am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“ mit Blick etwa auf die Meinungsfreiheit. Das eigene demokratische „Niveau“ sollte nicht abgesenkt werden.
Karabörklü bekräftigte zugleich erneut, dass die Türkische Gemeinde in Deutschland das von Staatschef Recep Tayyip Erdogan geplante Referendum über die umstrittene Verfassungsänderung strikt ablehnt. Es schaffe die „demokratische Grundlagen“ in der Türkei ab, sagte er.
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach begrüßte die Absage.
Diese könnte für andere Wahlkampfveranstaltungen türkischer Regierungsmitglieder hierzulande als Vorbild dienen, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Die Bundes- und Landesregierungen müssen alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten nutzen, um solche Veranstaltungen zu untersagen.“ CDU-Vize Armin Laschet sagte der „Rheinischen Post“ (Freitag), Außenminister Gabriel müsse klar machen, dass der türkische Wahlkampf in deutschen Städten zu beenden sei.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte das Verhalten von Bozdag, der auch ein Treffen mit Justizminister Heiko Maas abgesagt hatte.
Die kommunale Verwaltungsentscheidung rechtfertige aus seiner Sicht nicht die Absage politischer Gespräche, sagte er in der ARD. Es gebe weiterhin ein Interesse an einem Austausch mit der türkischen Regierung
Was wollten die türkischen Minister in Deutschland?
Beide türkischen Minister wollten die Auftritte nutzen, um unter den Türken in Deutschland für eine Verfassungsänderung zu werben. Per Referendum sollen die Türken entscheiden, ob das Land ein Präsidialsystem bekommt. Das würde das Amt des Premierministers überflüssig machen und Präsident Recep Tayyip Erdogan wesentlich mehr Macht verleihen. Besorgt beobachten Experten die Entwicklungen der Türkei aufgrund großer Verhaftungswellen gegen Oppositionelle, Regierungskritiker und Journalisten, sowie die Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe.
Die Beziehungen zur Türkei sind ohnehin angespannt: Nach der Inhaftierung des deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel war parteiübergreifend scharfe Kritik an Ankara laut geworden, bis hin zu Forderungen nach einem Einreiseverbot für Staatschef Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz (SPD) sagte, mit einer diplomatischen Eiszeit sei niemandem geholfen, „auch nicht Deniz Yücel“.
Wenn türkische Regierungsmitglieder nach Deutschland kämen, dürften Gespräche mit deutschen Kollegen aber nicht nur „eine kleine Dekoration“ für andere Vorhaben sein, warnte sie.
Özoguz sagte am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“, derzeit sei die Regierung „nicht für einen Kollaps aller Beziehungen“ zu Ankara. „Wir sind ein Rechtsstaat“, sagte Özoguz. „Natürlich wollen wir Gespräche führen mit Ministern. Und natürlich darf man bei uns einreisen.“
Und so knickt Deutschland entgültig ein und beweist, dass es nicht einmal in der Lage ist, zu entscheiden, wer bei uns seine Weisheiten verteilen darf und wer nicht. Dabei könnten wir auch anders.
Denn der einzige, der sich hier zu benehmen lernen hat, ist der türkische Außenminister. Deutschland ist die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt mit einem Viertel der Einwohner der USA, macht bloss von seiner Macht keinen Gebrauch, weil es von einer unfähigen Regierung geführt wird. Man fragt sich, wie es unsere Regierungsmitglieder morgens aufgrund mangelnden Rückgrats es überhaupt schaffen, sich beim Zähneputzen aufrecht hinzustellen.