Donnerstag, 3. Oktober 2013

Am Arsch vorbei!

von Dr. Eran Yardeni

Wegen seines Songs „Stress ohne Grund“ hat Bushido jetzt einen ziemlich begründeten Stress. Die Staatsanwaltschaft, so liest man im Tagesspiegel, wirft dem Rapper Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Beleidigung vor.

Beleidigt fühlt sich unter anderem der Berliner Bürgermeister, Klaus Wowereit, höchstwahrscheinlich vor allem wegen der folgenden Zeilen:

„Halt die Fresse, fick die Presse, Kay du Bastard bist jetzt vogelfrei / du wirst in Berlin in deinen Arsch gefickt wie Wowereit.“

Dass eine Sprache, die Stefan Zweig, Thomas Mann und Heinrich Heine ein Zuhause war, so entstellt, missbraucht und misshandelt werden kann, hat weniger mit Bushido als mit der Art und Weise zu tun, wie Sprachen auf soziopolitische Entwicklungen bzw. Fehlentwicklungen reagieren.

Wowereit ist kein Literaturkritiker, und wenn er sich beleidigt fühlt, fragt man sich: warum?

Wäre es besser, wenn Bushido anstatt „Arsch“ „Popo“ schreiben und singen würde? Marquis de Sade benutzte die letztere, die mildere Version, was seine Texte nicht weniger skandalös und moralisch krank machte. Arsch klingt ziemlich grob, Popo hingegen zärtlich.Den Arsch braucht man, um zu kacken, den Popo, um zu streicheln. 

Dass bei de Sade die Popos Minderjähriger gehörten, während Bushido seine gedichteten Halluzinationen auf die Hintern reifer Männer projiziert, soll vielleicht die sprachlichen Nuancen ein bisschen relativieren. 

Die Frage aber ist nicht, wie man das Gesäß bezeichnet, sondern was man damit praktiziert. Es mag sein, dass nicht das Wort „Arsch“ Wowereit so in Rage sprint, wie die Tätigkeit, die Bushido damit verbindet: Analverkehr. Eine ist eher unwahrscheinlich, denn wenn es überhaupt eine erfolgreiche Integrationsgeschichte gibt, rauf wir alle stolz sein können, dann wäre es die Geschichte des Analverkehrs, der sich in das Programm etablierter sexueller Praktiken wie die Reitstellung und die Missionarsstellung reibungslos integrierte. 

Was im Alten Testament als Todsünde betrachtet wurde, ist heutzutage Mode. Übrigens, die Wurzeln dieses emanzipatorischen Vorgangs liegen in der Entmystifizierung des Arsches durch Freud. Für den Arsch ist die anale Phase das, was Fukushima für die Grünen ist: Ein Element der Selbstbestätigung.

Oder liegt es am Verb “ficken”? Dieses Verb hat eine lange Vorgeschichte, die bis ins Mittelalter reicht. Genau wie “Analverkehr”, hat es sich im Laufe der Zeit so gut integriert und etabliert, dass es heute sogar eine feministische Version hat. So berichtete im Oktober 2011 die linke Wochenzeitung „Jungle World“ (http://jungle-world.com/artikel/2011/40/44095.html) unter dem Titel „Feministisches Ficken ist konsensuell“ über die Verleihung des „feministischen Pornofilmpreis Europas“: 

„Feministisches Ficken ist in erster Linie konsensuell, bewusst, vielfältig und nicht wertend. Der sexpositive Feminismus geht davon aus, dass alle sexuellen Varianten erlaubt sind, wenn sie ab-gesprochen und reflektiert werden.“ 

Feministinnen, die auf jede Art sexueller Erniedrigung und Beleidigung sehr empfindlich reagieren, lehnen das Verb nicht ab – im Gegenteil: Sie haben es adaptiert und und in ihrem Sinne modifiziert.

Mit seiner Anklage befreit Wowereit das Lied und den Rapper aus ihrer Belanglosigkeit. 

Besser wäre es einfach zu sagen: Das geht mir alles am Arsch vorbei! 

Donnerstag, 26. September 2013

Kleine Strolche

von Dr. Eran Yardeni

Wenn Ihnen der Name Rafael Eitan gar nichts sagt, ist es überhaupt nicht so schlimm. Schließlich lebte und agierte der am 23. November 1926 geborene Mossad-Mitarbeiter vor allem hinter den Kulissen, in der mysteriösen Schattenwelt der Geheimdienste. Berühmt wurde er später dank seiner zentralen Rolle bei der Entführung und Verhaftung des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann. Aber nicht nur deswegen.

Während literarische Helden mit der Detektiv-Lupe in der Hand sterben oder mit dem Messer zwischen den Zähnen in die Rente gehen – ohne sich gezwungen zu sehen, an eine zweite Karriere zu denken – hatte unser echter und realer Held andere Pläne: 2006, mit achtzig Jahren Lebenserfahrung, wollte er in die israelische Politik einsteigen und zwar als der Vorsitzende der Rentner Partei. Ja, es ist kein Irrtum.

Eitan war nicht der erste, der auf die Idee kam, dass die Rentner ihre eigene Partei brauchen. Schon 10 Jahre bevor versuchte diese bizarre Fraktion ins Parlament einzuziehen, damals ohne Eitan. Sie ist an der niedrigen Zwei-Prozent-Hürde gescheitert, dafür aber haben 11 andere Parteien den Weg ins Parlament gefunden, was das Regieren fast unmöglich machte. Und tatsächlich, nach drei Jahren hatten die Beteiligten die Nase voll, das Parlament löste sich auf.

Als Eitan 2006 seine Rentner-Partei ins Parlament führte, bestand die Knesset aus nicht weniger als 12 Parteien! Nicht einmal die Araber konnten sich einigen, was dazu führte, dass sie mit drei verschiedenen kleinen Parteien im Parlament repräsentiert waren. Das gilt auch für die Orthodoxen in Israel, die genau so gespaltet waren und sind wie ihre Rabbiner. 

Deswegen ist es kein Wunder, dass in der israelischen Politik die frühzeitige Auflösung des Parlaments sowie die gigantische Anzahl der Ministerien eher die Regel ist als die Ausnahme sind. In der jetzigen Wahlperiode gibt es 28 Ministerien, was natürlich eine enorme Geldverschwendung bedeutet. Diese Anzahl steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu der Anzahl der israelischen Bürger von etwa acht Millionen. Das erklärt auch, warum Israel in den letzten 65 Jahren nicht weniger als 33 Regierungen hatte!

Wer jetzt die Fünf-Prozent-Hürde in Deutschland im Namen der Demokratie kritisiert, der sollte mal das israelische Parlament besuchen, wenn dort über die Planung des Jahresbudgets diskutiert wird. Die Mehrheit der Israelis ist genau so empört wie machtlos. Denn aus diesem politischen Teufelskreis kommt man einfach nicht raus. Wenn im Parlament die kleinen Parteien mitreden können, kann man die Hürde nicht herauf setzen: Die winzigen Parteien, die in einer solchen Situation eine überproportionale politische Macht besitzen, drohen ständig mit Meuterei. 

Demokratie bedeutet nicht, dass jede Interessengruppe, die Hundebesitzer wie die Veganer, Repräsentanten im Parlament haben müssen. Schließlich können sich kleine Nischen-Parteien in die Großparteien integrieren. Die Alternative ist ein kunterbuntes Parlament, welches die Demokratie zur Farce macht. 

Freitag, 20. September 2013

"Warum verbitten wir den Iranern, was wir uns erlauben?"

von Dr. Eran Yardeni

Während sein Vorgänger wie ein Elefant im Porzellanladen agierte, scheint der jetzige iranische Präsident, Hassen Rohani, die politische Psyche der westlichen Ländern besser zu kennen. Er weiß ganz genau, was gesagt werden muss und was nicht gesagt werden darf, um die moralische Libido der westlichen Welt zu beschwichtigen.

Den Juden hat er zum Neujahrsfest (Rosh Ha’shana) gratuliert, den Holocaust verurteilt und gleichzeitig jede Absicht, Atomwaffe zu entwickeln, dementiert.

Dass die iranische Führung nicht nur den Holocaust verurteilte, sondern auch „ das von den Zionisten verübte Massaker an den Palästinensern“, kann als eine Art von Entzugsproblem betrachtet werden. Denn alte Gewohnheiten sind nicht so einfach loszuwerden. Semantischen Nuancen dürfen die gute Laune nicht verderben.

Und es scheint zu funktionieren. Die deutsche Presse berichtet von einer „veränderten Haltung“, einer „möglichen Wende“ und von “versöhnlichen Tönen“ aus Teheran. Man vergisst aber, dass die iranischen Atompläne gar nichts mit dieser oder jener politischen Figur zu tun haben. Die Frage ist eher eine grundsätzliche als persönliche, vor allem, weil niemand garantieren kann, dass der Nachfolger, genau wie der Vorgänger, den selben Weg gehen wird, auch dann, wenn wir es hier mit einem tatsächlichen politischen Kurswechsel zu tun hätten.

Am Ende des Tages sollten wir uns mit der folgenden Frage konfrontieren: Können wir damit einverstanden sein, dass eine radikale, antidemokratische, antisemitische, Islam-orientierte und nicht unbedingt stabile politische Struktur, die Terrororganisationen im Nahen-Osten unterstützt und bewaffnet, die Möglichkeit bekommen soll, Atomwaffen zu entwickeln oder nicht? Brauchen wir noch einen Unsicherheitsfaktor wie Pakistan oder können wir auf dieses Vergnügen verzichten?

Aus dieser Perspektive ist der Unterschied zwischen Rohani und Ahmadinejad nicht mehr so groß. Die beiden sind nicht mehr als vorübergehende politische Erscheinungen. Die politische und ideologische Infrastruktur wird sie beide überleben. Sie hängt nicht vom jeweiligen Präsidenten ab.

Die größte Gefahr vor diesem Hintergrund ist eine abstrakte Logik. Sätze wie: „Warum verbitten wir den Iranern, was wir uns erlauben?“ spiegeln ein grobes Missverständnis wider. Sie übertragen eine demokratisch-bürgerliche Denkweise auf die Beziehungen zwischen demokratischen und diktatorischen Ländern. Das ist ein kategorischer Fehler. Zwei konkurrierenden Ideologien, die sich ausschließlichen, sind nicht zu vergleichen mit zwei Bürgern, die im Rahmen eines von ihnen beiden anerkannten demokratischen System auf ihre Rechte pochen.

Wer eine diktatorische Ideologie, die die elementarsten Menschenrechte systematisch und strukturell verachtet, die Frauen diskriminiert und Homosexuelle aufhängt, als gleichberechtigt klassifizieren will und im Namen dieser Gleichberechtigung ihr das Recht auf atomare Waffe einräumt, der muss eine sonderbare Vorstellung von Gleichberechtigung und von Gerechtigkeit haben.

Sonntag, 8. September 2013

Angst - Die Religion der Deutschen

von Dr. Eran Yardeni

Deutschland ist weltbekannt geworden durch seine florierende Autoindustrie, seine Biere, seine Schriftsteller und Konzentrationslager. Nicht durch Lava spuckende Vulkane, Hurrikane, Tornados und Taifune, endlose Dürreperiode, Erdbeben, Sintfluten oder flächendeckende Brände. In Deutschland lebt man relativ sicher. 

Vor diesem Hintergrund kann man kaum nachvollziehen, warum nicht weniger als 56% der Deutschen Angst ausgerechnet vor Naturkatastrophen haben. Nur die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten ist noch weiter verbreitet (61%). Andere Ängste, wie z.B. die Angst vor schlechter Wirtschaftslage, schwerer Erkrankung oder Terrorismus scheinen die Deutschen weit weniger zu bekümmern als die Angst vor dem Zorn der Natur.

Ich befürchte, dass diese gesellschaftliche Paranoia nicht nur ein erfolgreiches Produkt der Arbeit der Abteilung für Agitation und Propaganda der Ökobewegung ist, sondern auch das erste Zeichen einer neuen Religiosität einer angeblich säkularen und aufgeklärten deutschen Gesellschaft, ein Rückgriff auf die alten und bekannten theistischen Kategorien, um die ungelösten metaphysischen Fragen der menschlichen Existenz zu beantworten.

Sünde und Tugend, Gott, Mensch, Religiöse Erfahrung und der Anspruchs Gottes auf Gehorsam und Anbetung sind die Kernkategorien der drei monotheistischen Religionen. In deren Rahmen wird Angst nicht nur als ein seelischer Zustand angesichts äußerlicher Bedrohungen oder einfach als Abwehrmechanismus vor potentiellen Gefahren verstanden, sondern vor allem als notwendige Begleiterscheinung der Sünde.

Denn mit der Sünde kommt die Angst vor der Strafe ins Spiel. Die Angst als religiöse Erfahrung ist kein unabhängiges Objekt, sondern ein Produkt menschlicher Taten bzw. Missetaten. Als solche ist sie allanwesend und fast immer von einem schlechten Gewissen begleitet.

Während die Höhenangst durch die Höhe hervorgerufen wird, ohne dass man sich schuldig fühlen muss, deswegen Angst zu haben, ist die religiöse Angst überall anwesend, wo es Menschen gibt. Die bloße Existenz des Menschen ist schon eine angsterregende Situation. Denn der Mensch ist ein latenter Sünder. Er kann jede Sekunde etwas falsch machen und dadurch den Zorn Gottes bzw. der Natur erwecken.

In diesem Sinne weist die Abwesenheit realer angsterregender Objekte in Deutschland (wie Vulkane, Erdbeben oder Tornados) darauf hin, dass der Deutsche keine Angst vor der Katastrophen an sich hat, sondern eher vor der Natur selbst. Und zwar in ihrer theistischen Rolle als Gott-Ersatz und als metaphysischer Richter.

Was diese Angst „religiös“ mach ist nicht die Tatsache, dass sie „unvernünftig“ oder übertrieben ist, sondern dass sie Schuldgefühle bei den Menschen hervorruft, also wie eine Religion funktioniert.

Samstag, 24. August 2013

Die Logik der Geisterfahrer

von Dr. Eran Yardeni

Ein betrunkener Geisterfahrer, der einen Bus voller Kinder mit Tempo 230 in die falsche Richtung auf der Autobahn fährt, mag ein gruseliges Szenario sein. Schlimmer aber ist es, wenn ein von antiisraelischen Halluzinationen besessener Staatsmann keinen Bus sondern eine ganze Nation gegen die Fahrtrichtung steuert – eine Nation die fast so groß ist wie Deutschland. Denn an dem Steuer des 73 Millionen Tonnen schweren türkischen Lastwagens sitzt ein politischer Geisterfahrer, der mit dem Tempo eines Jumbo-Jets und mit dem Pathos eines Diktators Millionen von Türken in den Abgrund des Judenhasses fährt.

Aus der engen Perspektive des osmanischen Pascha ist Israel, wie Professor Moriarty in den Sherlock-Holmes-Geschichten von Arthur Conan Doyle, ein skrupelloser Drahtzieher, der mit seiner magischen Macht die politische Konstellation so gestaltet, wie es ihm gefällt. Sich selbst will er aber nicht bekleckern und deshalb benutzt er immer andere Akteure, um seinen eigenen Zielen und Interessen zu folgen.

Dieses Denkmuster entlarvt die innere Logik des Antisemitismus: Auf der einen Seite wird Israel eine politische Allmacht beigemessen, die es ihm ermöglicht, nach Belieben Präsidenten abzusetzen. Auf der anderen Seite kann aber nicht einmal Erdogan die Tatsache übersehen, dass die Israelis sowohl die Situation in Ägypten als auch die Situation in Syrien als gefährliche Entwicklungen betrachten, die die ganze Region in eine neue Konfliktsituation führen kann.

Vor diesem Hintergrund fragt man sich, warum Israel den politischen Abturz von Mubarak nicht verhindert hat, angenommen, dass es tatsächlich so viel Macht besitzt, wie Erdogan immer wieder behauptet?

Diese Frage scheint genau so banal, um nicht zu sagen kindisch und albern zu sein, wie der Antisemitismus selbst. Denn der Antisemit bestimmt rein willkürlich, wann historische Vorgänge beginnen und wann sie zum Ende kommen, um dadurch den Juden die Schuld an allen möglichen Katastrophen zuzuschieben.

Diese Strategie ist nicht neu. Für viele, um ein Beispiel zu nennen, gilt der 10.6.1967, der letzte Tag des Sechs-Tage-Kriegs, als der „Punkt Null“ des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern, als wollten die Araber vorher mit Israel in Frieden leben, als hätten sie die Teilungserklärung der Uno nicht abgelehnt und ein Jahr danach Israel zu vernichten versucht. Vor dem Sechs-Tage-Krieg war alles in Butter, und das Einzige, das diese Idylle zerstörte, war die kriegerische Abenteuerlust der Zionisten.

Nach dieser Logik könnte man genau so gut die Angriffe auf Hamburg und Dresden als „Punkt Null“ bestimmen, um daraus die Verbrechen des Nationalsozialismus als präventive Aktion, als einen heroischen Selbstverteidigungskrieg in den Geschichtsbüchern zu kanonisieren.